Frauendemonstration für Kobanê in Istanbul | Foto: DIHAWarum wir an der Seite des Widerstands von Kobanê zu stehen haben

Wir verdanken es den Kämpferinnen

Arzu Demir, Yeni Özgür Politika PolitikArt

Wir alle unter dem Firmament lebenden Frauen, von Istanbul bis Colemêrg (Hakkâri), von Argentinien bis China, haben ihnen zu danken. Wir alle schulden ein Leben. Wir verdanken es den Guerillas der YPJ und YJA Star, dass sie uns zeigen: Überall auf der Welt haben Frauen die Möglichkeit eines anderen Lebens. Es ist unsere Pflicht, an der Seite des Widerstands von Kobanê zu stehen, an der Revolution teilzunehmen!

Gemeinsam an einem Ort in Cezaa unsterblich geworden ...

Im Gedenken an zehn Kämpferinnen der YPJ

Wir alle unter dem Firmament lebenden Frauen, von Istanbul bis Colemêrg (Hakkâri), von Argentinien bis China, haben ihnen zu danken.

Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, jede von uns schuldet ein Leben.

Wir schulden es denen, die gegen den barbarischen Islamischen Staat (IS) kämpfen, den Guerillas der YPJ [»Frauenverteidigungseinheiten« in Rojava] und YJA Star [»Einheiten der Freien Frauen Ishtar«] in Kobanê (Ain al-Arab), Şengal (Sindschar), Cezaa, Serê Kaniyê (Ras al-Ayn), Rabia, Maxmur, Kerkûk. Im wahrsten Sinne des Wortes schulden wir es ihnen.
Weil sie ihr Leben opfernd den Widerstand fortgesetzt haben, sind wir noch am Leben. Denn die dschihadistische Organisation IS, gegen die sie kämpften, hat schon tausende Male gezeigt, dass sie der Feind aller bisherigen errungenen Werte der Menschheit ist. Diese dschihadistische Schergen­organisation bringt nicht nur überall Leid und Tod, sondern sie versucht auch, jede menschliche Würde zu entwerten.

Als sie in ar-Raqqa eingedrungen sind, haben sie als Erstes eine Frau mit einer 5 000 Jahre alten Methode, nämlich durch Steinigung, ermordet. Die Fotos der Steine werfenden Männer mit dunklen Gesichtern und langen Bärten gingen um die Welt. Jene Steine galten nicht nur der des »Ehebruchs« beschuldigten Frau. Im Grunde gelten sie allen Frauen der Welt, die selbstbestimmt leben wollen. Sie galten uns allen!

Als sie in Şengal eingedrungen sind, haben sie tausende von Frauen und Mädchen entführt. Die Frauen und Männer, die nur durch die Hilfe der Guerilla befreit werden konnten, wurden auf ihrer Flucht begleitet vom Wehklagen der Alten und Kinder, die den Weg in Richtung Rettung nicht schaffen konnten.

Immer noch ist das Schicksal von rund 5 000 Frauen und Mädchen ungewiss. Doch es ist nicht schwer zu erahnen, was ihnen wohl widerfahren ist.

Es reichen die Worte einer 24-jährigen jungen Frau, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was den Frauen passiert, die in die Hände der Barbaren des IS fallen [Anm. d. Ü.: Einem Bericht zufolge konnte die mit weiteren Frauen vom IS aus Şengal Entführte von ihrem versteckten Handy aus kurzzeitig ihre Familie anrufen.]: »Um Gottes willen, gebt den Ort, an dem wir gefangen sind, an die Kriegsflugzeuge weiter, damit sie uns bombardieren und wir endlich aus dieser erbärmlichen Lage erlöst werden.«

Tausende Frauen und Kinder wurden von den Barbaren des IS vergewaltigt, auf den SklavInnenmärkten verkauft, ermordet und in den Selbstmord getrieben.

Eben aus diesem Grunde müssen wir uns gegenüber den Kämpferinnen verpflichtet fühlen, die nicht bloß für den Schutz eines Stückchen Landes, sondern für die gesamten Werte der Menschheit kämpfen.

Erinnern wir uns an den Aufschrei von Nur, einem der Opfer von Abu Ghraib, in einem Brief vom 10. April 2004 aus dem Gefängnis:
»Greift dieses Gefängnis mit allen Waffen an, die Ihr in die Hände bekommt! Tötet sowohl sie als auch uns! Wir sind schon lange bereit zu sterben. Macht hier alles dem Erdboden gleich! Viele von uns sind schwanger! Ich flehe Euch an: Kommt und erlöst uns! Um Euch, unsere Familien und unser Land nicht noch weiter zu beschämen, wollen wir sterben! Tötet uns!«

Damals waren die amerikanischen SoldatInnen die Vergewaltiger, heute ist es der IS, der von den USA wie ein Frankenstein[monster] in den Mittleren Osten geschickt worden ist.

In den 1990ern wurden mehr als 20 000 Frauen in Bosnien als Teil der »ethnischen Säuberung« vergewaltigt. Diese Strategie der »Rassenschändung« führte dazu, dass die Frauen, die durch die Vergewaltigungen schwanger geworden waren, schwere Traumata erlebten.

Auch die Vergewaltigungen der sogenannten »Friedenstruppen« der NATO, die mit ihren Taschen voller Kondome in ihre Einsatzländer geschickt werden, sind unvergessen.

Die Worte einer sich gegen den Bau einer Militärkaserne in Pîran (Lice) widersetzenden kurdischen Frau sind die Kurzfassung des 40-jährigen schmutzigen Krieges in Kurdistan: »Jedes Mal, wenn wir diese Kasernen sehen, erinnern wir uns an die erlittene Folter und die Vergewaltigungen. Wir wollen sie nicht.«

Sicher lässt sich Leid nicht vergleichen. Aber dieses Mal ist die Gefahr weit größer. Diese Gefahr drückt sich nicht in der Übermacht der Waffen oder der Unterstützung des IS durch reaktionäre, ausbeuterische Länder und imperialistische Staaten gegen die Volksverteidigungseinheiten aus. Die Gefahr drückt sich darin aus, dass das Ziel des IS, der gegen das kurdische Volk und seine FreundInnen Krieg führt, die Vernichtung der Frauenrevolution in Rojava ist. Deshalb ist die Gefahr weit größer. Seit dem 15. September versuchen sie durch den Fall Kobanês eigentlich die Revolution von Rojava und den Keim neuen Lebens im Mittleren Osten zu ersticken. Dieses neue Leben ist ein Leben für die Frauen und für die Völker. Eine Revolution, die den Frauen im Gesellschaftsvertrag und in jeder kleinsten Zelle des Lebens eine gleichberechtigte Stellung von militärischen bis politischen Institutionen zuerkennt.

Sicher waren Frauen an allen Re­volutionen beteiligt. In der Pariser Kommune fiel als Letztes die Barrikade der Frauen und Frauen räumten als Letzte die Stellung. Wer kann schon die Frauen vergessen, die bei der Verteidigung von Stalingrad, von Moskau dabei waren?

Frauen waren an allen Revolutionen beteiligt. Aber bei der Revolution von Rojava schufen und schaffen sie Gesetze und Institutionen, die »im Krieg und im Frieden ihre Existenz als Frau sicherstellen«. Weit wichtiger ist zudem ihr Kampf um die Ordnung der gesellschaftlichen Beziehun­gen auf gleichberechtigter und freiheitlicher Ebene. Es ist nicht nur der Kampf an der Front und in der Partei, sondern auch der für die Schaffung einer gleichberechtigten und freiheitlichen Ordnung in der Beziehung von Frau und Mann im Haus. Anders ausgedrückt: Sie tragen die Revolution in die Häuser und in die Küchen.

Als Arîn Mîrkan in Kobanê ihren Körper als Waffe einsetzte und den Banden entgegentrat, hat sie nicht nur eine Stadt oder das Fleckchen Erde geschützt. Sie hat ihr Leben für ihren Traum, die Frauenrevolution von Rojava, geopfert.

Wir Frauen, überall auf der Welt, verdanken es daher den Guerillas der YPJ und YJA Star, die es uns gezeigt haben, dass ein anderes Leben möglich ist.

Wir verdanken es ihnen, dass sie uns das Paradies auf Erden aufzeigen.

Es ist darum unsere Pflicht, an der Seite des Widerstands von Kobanê zu stehen, an der Revolution teilzunehmen!