Internationale Frauenfestivals im Gedenken an die Freiheitskämpferinnen

Zîlan, Sakine, Arîn und Ivana

Birgit Baumeister, CENÎ – Kurdisches Frauenbüro für Frieden, 14. Juni 2015

Am Wochenende 13./14. Juni 2015 fanden in mehreren europäischen Städten internationale Frauenfestivals statt. Seit 2004 ist das Zîlan-Frauen-Festival in Deutschland zur Tradition geworden, hinzu kommen das Zîlan-Festival in UK, das Sakine-Cansiz-Festival in der Schweiz, das Zîlan-Festival in Schweden und das zum ersten Mal in Marseille/Frankreich stattfindende Arîn-Mîrkan-Festival.Begrüßung des diesjährigen 11.-Zîlan-Frauen-Festivals in Dortmund. | Foto: A. Bender

Die durch die kurdische Frauenbewegung in Europa, insbesondere die Frauenräte vor Ort ausgerichteten Musik- und Kultur-Festivals tragen die Motivation und Begeisterung des Widerstands in allen Teilen Kurdistans und internationaler Frauenkämpfe in einem großen Fest zusammen und stellen eine wichtige Erfahrung für die TeilnehmerInnen dar. Das Bühnen- und Seminarprogramm ist bekannt für seine Vielfältigkeit.

Die Festivals der Frauenbewegung werden gefallenen Freiheitskämpferinnen gewidmet und in ihrem Namen ausgerichtet: Zîlan (Zeynep Kınacı), Sakine Cansız und Arîn Mîrkan. Das Gedenken an sie steht symbolisch für die Werte, die im Frauenwiderstand geschaffen wurden, und stellt insbesondere die beispielhafte Haltung und Rolle einzelner Aktivistinnen des kurdischen Befreiungskampfes in den Vordergrund. Ihre Geschichten erzählen viel über die Persönlichkeiten, die ein solcher Widerstand benötigt und hervorbringt, wie wir ihn heute in Kobanê (Ain al-Arab; Westkurdistan) und Şengal (Sindschar; Südkurdistan) und nicht zuletzt in Mahabad (Ostkurdistan) und Amed (Diyarbakır; Nordkurdistan) erleben.

Als der Vernichtungskrieg des türkischen Staates gegen die kurdische Bevölkerung ein unausstehliches Maß annahm und parallel der Versuch eines Attentats auf Abdullah Öcalan in seiner Unterkunft in Syrien unternommen wurde, beschloss die 24-jährige Aktivistin Zeynep Kınacı (Zîlan), ein Zeichen zu setzen. Sie plante den Anschlag auf eine Militärparade der türkischen Armee in der kurdischen Metropole Dêrsim (Tunceli), einer Hochburg der oppositionellen Politik, insbesondere aus Anlass des dort im Jahr 1938 verübten rassistisch-nationalistischen Massakers.

Zeynep Kınacı hinterließ eine Handvoll Briefe, gerichtet an das kurdische Volk, die AktivistInnen der kurdischen Befreiungsbewegung PKK, an Abdullah Öcalan, an die türkische Regierung, die Weltöffentlichkeit und internationale Institutionen sowie die Frauenbewegung. Sie erklärte darin, dass nur der Widerstandskampf der PKK die KurdInnen vor der vollkommenen Vernichtung bewahrt habe. Eine Gesellschaft, die in Kultur, Identität und Bewusstsein fast vollkommen assimiliert worden sei, zu einem großartigen Widerstandskampf zu bewegen, benötige großes Verantwortungsgefühl, historisches Bewusstsein, Mut und Entschlossenheit.Vor der Bühne des 11.-Zîlan-Frauen-Festivals

Mit ihrer geplanten Aktion setzte sie ein deutliches Zeichen und einen Wendepunkt in der Vernichtungspolitik des türkischen Staates und dem Widerstandskampf der kurdischen Bevölkerung dagegen. Nach eigenen Angaben wählte sie dieses Mittel im Bewusstsein, dass »große Veränderungen manchmal bedeutsame Mittel benötigen«. Ihr Attentat symbolisiert seitdem die kompromisslose Bereitschaft im Kampf um die Befreiung, der sich über die enormen Volksaufstände, die Beharrlichkeit der Bevölkerung bei ihren Aktionen bis zum entschlossenen Kampf der Guerilla als Widerstandskultur im kurdischen Befreiungskampf durchgesetzt hat.

Dieser Geist spiegelt sich auch im Widerstand in türkischen Gefängnissen wider, in dem die PKK-Mitbegründerin Sakine Cansız (Sara) eine führende Rolle spielte. Unter staatlicher Folter und Misshandlung wurden dort bedeutsame Aktionen durchgeführt, die die Volksaufstände und Organisierungsarbeit in den Städten und Dörfern weiter vorantrieben. Die Aussage »Anstatt in Unfreiheit zu leben, ziehen wir es lieber vor, nicht existent zu sein« (»Widerstand und gelebte Utopien«, Interview S. 68) ist kein theoretisches Gelöbnis, sondern das Verständnis, mit dem ein solch wirkungsvoller Widerstand unter schlimmsten Umständen entwickelt wird. Die Entschlossenheit, die einen solchen Widerstand trägt, wurde auf einer Delegation 2012 von einer Aktivistin der Jugendbewegung mit den Worten beschrieben: »Unsere Strategie besteht darin, die Folterer und Unterdrücker durch unseren konsequenten und kollektiven Widerstand in ihrer eigenen Zerstörung zur Verzweiflung zu treiben.« Die historische Entwicklung des Widerstandes der Kurdinnen und Kurden gegen Kolonialisierung und staatliche Unterdrückung, bis zum heutigen Tag in der Revolution von Rojava und dem Erfolg der demokratischen Revolution in Nordkurdistan, beweist die Wirksamkeit dieses Konzeptes.

Die YPJ-Kämpferin und -Kommandantin Arîn Mîrkan ist ebenfalls zum Symbol des kurdischen Befreiungskampfes geworden. Die 22-jährige Kurdin aus Afrîn trat zu Beginn der Revolution, gemeinsam mit dreien ihrer Brüder, den Verteidigungseinheiten bei. Vor den Toren der Stadt Kobanê verteidigte ihre Einheit den strategischen Hügel Mistenur gegen die Truppen und Panzer des IS. Als das Gefecht eine gefährliche Phase erreichte, beschloss Arîn Mîrkan, sich für die Verteidigung der Stadt Kobanê und die Genossinnen ihrer Einheit aufzuopfern. Sie stattete sich mit Explosivmaterial aus, schlich sich getarnt in die Reihen der IS-Kämpfer und wurde selbst zur Waffe, um Dutzende IS-Kämpfer auf einmal sterben zu lassen. Strategisch gesehen hat sie mit dieser Aktion die Einnahme des Hügels und somit die Verteidigung der Stadt sowie das Vorrücken mit schweren Waffen und somit das Leben der Kämpferinnen einer ganzen Einheit verteidigt. Diese Hingabe im Kampf stellt einen roten Faden im kurdischen Freiheitskampf dar. Wie Zîlan mit ihrer Aktion das türkische Militärregime in einen strategisch bedeutsamen Schockzustand versetzte, so hat sich die Entschlossenheit Arîn Mîrkans im Kampf gegen den IS und für die Werte der Menschlichkeit ins Bewusstsein von Millionen Menschen gebrannt.

Wenn wir heute die Errungenschaften der kurdischen Frauenbewegung sowie den Einfluss der Frauenverteidigungseinheiten in der demokratischen Revolution im Mittleren Osten betrachten, so müssen wir sie im Kontext ihrer größten Widerstandssymbole verstehen. Deshalb werden den kurdischen Revolutionärinnen Zîlan und Arîn Tausende von Liedern und Gedichte gewidmet, in ihrem Gedenken tragen Hunderttausende Neugeborener ihre Namen und Bildungsakademien wie Räte genauso wie Festivals der Frauenbewegung werden nach ihnen benannt. Das Gedenken an sie steht symbolisch für den Frauenwiderstand, für die Opfer, die der Widerstand der KurdInnen gegen Patriarchat und staatlichen Kolonialismus gefordert hat, und alle, die heute mit derselben Entschlossenheit die Errungenschaften der Frauenrevolution verteidigen und voranbringen.

Sakine Cansız hat den kurdischen Freiheitskampf und die Formierung einer autonomen Frauenbewegung von Anfang an geprägt. Sie verkörpert den Entschluss und die Überzeugung, dass ein anderes Leben möglich ist und dass unendliche Mühe und Hingabe notwendig sind, um dieses Ziel zu erreichen. Ihr ganzes Leben hat sie dem Widerstand der KurdInnen und der Frauenbewegung gewidmet und hat Millionen von Menschen mit an dieser Revolution beteiligt.

Dank Frauen wie ihr können wir heute davon sprechen, dass die weltweite Frauenbefreiung mit den Errungenschaften der Frauenrevolution in Kurdistan eine neue Phase erreicht hat. Die kurdische Frauenbewegung hat nicht zuletzt mit der Revolution von Rojava bewiesen, dass sie Methoden und Werkzeuge entwickelt hat, um die Frauenbefreiung zum Grundelement eines neuen demokratischen Gesellschaftsaufbaus zu machen. Im Gedenken an Sakine Cansız arbeiten Hunderttausende Frauen im Bewusstsein, dass »das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der Frauenbefreiung sein wird« und dass dieses Ziel nur mit tiefster Hingabe und Anstrengung erreicht wird.

Plakat des 11.-Zîlan-Frauen-FestivalsDas Plakat des diesjährigen Zîlan-Festivals in Deutschland schmückt nicht nur das Bild von Hevala Zîlan (Zeynep Kınacı), sondern ebenso das der internationalistischen YPJ-Kämpferin Ivana Hoffmann. Ivana, die bei der Verteidigung von Rojava den kurdischen Namen Avaşîn Têkoşîn Güneş annahm, fiel am 7. März 2015 bei der Verteidigung eines assyrischen Dorfes im Kanton Cizîrê gegen den IS. Zum diesjährigen Zîlan-Frauen-Festival in Dortmund am 13. Juni 2015, das nach einem enormen Regenschauer mit strahlendem Sonnenschein beschenkt wurde, teilte auch die Mutter von Ivana Hoffmann eine Grußbotschaft mit den TeilnehmerInnen des Festivals:

»Zunächst begrüße ich von ganzem Herzen das diesjährige Zîlan-Festival. Leider kann ich aus familiären Gründen selbst nicht teilnehmen. Trotzdem möchte ich euch mitteilen, wie stolz es mich macht, dass das 11. Zîlan-Festival Ivana und allen Freiheitskämpferinnen gewidmet wurde.

Obwohl meine Tochter Ivana Hoffmann, Şehîd Avaşîn, das Land Rojava nicht kannte, die kurdische Sprache nicht beherrschte und auch nicht viel über die Geschichte Kurdistans wusste, hatte sie eines verstanden: dass es notwendig ist, sich für die Befreiung der Frauen und der Völker, im Namen der Menschlichkeit, an der Revolution in Kurdistan zu beteiligen. Sie wusste, dass ihr und allen Internationalistinnen, Hunderte auf diesem Weg folgen würden.

Lasst uns gemeinsam die Brücke zwischen Kobanê, Şengal und überall stärken, lasst uns so mutig wie Ivana sein, ihren Spuren folgen und das weiterführen, was sie erschaffen wollte. Lasst uns für unser aller Freiheit kämpfen, die Frauenrevolution in Rojava gemeinsam verteidigen und damit auch die Rache für die tausenden êzîdischen Frauen tragen.

Mein Wunsch ist es, dass Ivana nicht in Vergessenheit gerät.

Vielleicht hatte sie für zu kurze Zeit Anteil an der Frauenrevolution in Rojava, vielleicht konnte sie ihre Liebe und Leidenschaft zur Freiheit und der kurdischen Freiheitsbewegung für nur zu kurze Zeit erleben, aber sie ist dennoch, wie ihre Genossinnen, zum Symbol des kurdischen Frauenwiderstandes geworden – das macht mich sehr glücklich und stolz.

Ich rufe alle jungen Frauen auf, lasst uns gemeinsam für ein würdevolles Zusammenleben den revolutionären, internationalistischen Geist von Ivana Hoffmann, Andrea Wolf, Uta Schneiderbanger und hunderten gefallenen InternationalistInnen noch stärker und organisierter leben und erleben lassen.
Der Sieg ist nah! Von Kobanê bis Şengal – Es lebe der Frauenwiderstand!

In tiefer Zuneigung und mit herzlichen Grüßen,

die Mutter von Ivana Hoffmann,

Ella Hoffmann«