Freiheit für Tomas Elgorriaga Kunze

Keine Auslieferung – weder nach Frankreich noch nach Spanien

Isabel Marin Arrizabalaga, freie Radiomacherin aus dem Baskenland

Während ich diese Zeilen schreibe, wartet Tomas Elgorriaga Kunze und seine Angehörigen, Freund_innen, Sympathisant_innen auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts bezüglich des Auslieferungsantrags von Frankreich. Was ist hier passiert? Wer ist Tomas Elgorriaga Kunze? Dieses werde ich versuchen in diesem Artikel darzustellen.

Freiheit für Tomas Elgorriaga KunzeNatürlich werde ich nicht in kurzen Zeilen sagen können, wer Tomas ist. In solchen Darstellungen kann ein Mensch nur reduziert dargestellt werden. Ich kenne Tomas nur aus einem Brief. Und aus einer sozialen Umgebung. Wir sind beide gleich alt, in wenigen Kilometern Entfernung im Baskenland aufgewachsen. Er aus Hondarribia, einer kleinen Stadt am Meer und an diesem Fluss, der für die beiden Staaten Frankreich und Spanien eine Grenze bedeutet. Für uns Bask_innen zeigt der Bidasoa die Linie Norden- Süden.

Tomas ist seit seiner Jugend ein politischer Mensch, immer in der baskischen Jugendbewegung aktiv. Irgendwann wurde er Gemeinderat in seiner Stadt. Politische Aktivität, die im Baskenland schnell bedeuten kann, dass man ins Visier von den Geheimdiensten und weiteren repressiven Kräften gerät.
Seit Jahrzehnten hält der spanischen Staat eine fiktive Theorie aufrecht, wonach alles, was sich im Rahmen der Baskischen Linken organisiert, zum Umfeld der bewaffneten Organisation ETA gehört und nach dieser engstirnigen Logik die Folge hat, dass man kriminalisiert wird. Tomas kam 1998 in die Hände der spanischen Polizei und wurde dort gefoltert. Das, was ich hier auf die Schnelle schreibe, bedeutet für den Festgenommenen 10 Tage mit unterschiedlichen Methoden körperlich und seelisch angegriffen zu werden: die genannte »Bolsa« – eine Plastiktüte, die über den Kopf der Festgenommenen gezogen wird, um Erstickungsanfälle zu erzeugen, Schläge, Elektroschocks, Drohungen, psychische Gewalt. Dies hat Tomas nach seiner Festnahme bekannt gemacht. Genau wie mehrere Tausende Menschen in den letzten 50 Jahren es getan haben. Eine Praxis, die inzwischen auch von der Organisation amnesty international in ihren Länderberichten über Spanien angezeigt wird.

In Spanien wird gefoltert und diese Methoden werden dafür genutzt, um von den Festgenommenen Aussagen zu erpressen, die sie später weiter belasten können.

Frankreich fordert jetzt seine Auslieferung. Die Gefahr, dass Frankreich dann weiter an Spanien überführt, ist groß; dies ist eine bekannte Praxis.
Zurück zu Tomas: Er tauchte damals nach der Entlassung nach 6 Monaten Haft unter. Spanische Medien lassen ihn als Angeschuldigten gelten. Auch in der Geheimdokumente-Plattform Wikileaks ist ein Dossier zu finden, das die Spanier_innen angeblich an den USA-Geheimdienst CIA geliefert haben sollen.

Aber Spanien hat bis heute keinen Auslieferungsantrag an Deutschland gestellt. Frankreich steht hinter dem Antrag und laut Richter Kraus vom Oberlandesgericht in Karlsruhe bezieht dieser sich auf Urkundenfälschung im Zusammenhang mit Zugehörigkeit zur ETA.

Tomas soll in Frankreich für die in der Zeit bewaffnete Organisation aktiv gewesen sein. Als Ingenieur passt er in das Profil, dass er im technischen Bereich sein Können hat. Dieses Können soll er laut der Anklage für die Perfektionierung von Bomben genutzt haben.

Dafür hat aber die Anklage keine Beweise. Inhaltlich dürfen die deutschen Behörden einen EU-Haftbefehl nicht prüfen, nur die Einhaltung der Formalien wird gecheckt. Ermittlungen laufen anscheinend noch. Ermittelt hat man auch zu den Paragraphen 129a/b, »Mitgliedschaft in einer (ausländischen) terroristischen Vereinigung«.

Fakt ist, dass Tomas Elgorriaga Kunze seit 15 Jahren in Freiburg gelebt hat. Dort existiert er als José, der in der Universität Freiburg studiert, in einer WG lebt und einen Freund_innenkreis hat.

Niemand aus der Zeit hat Verdacht gegen ihn geäußert. In der Uni hat er in dem Bereich Soziologie studiert und schließlich auch an einem Projekt mit Förderung des Bundesforschungsministeriums gearbeitet und beinah hätte er promoviert, was auf Grund seines Alters nicht möglich war. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben ihn als engagierten Kollegen in Erinnerung. Er habe sich dort sehr mit dem Forschungsvorhaben identifiziert, Texte verfasst, Tagungen organisiert. Der Forschungsvertrag lief in aller Regelmäßigkeit zum Dezember 2014 aus. Oktober 2014 wurde Tomas in Mannheim von Kräften des Hessischen Landeskriminalamts mit einem internationalem Haftbefehl festgenommen. Ab dem Moment wurde seine Identität aufgedeckt. Sein Zimmer in der WG und die Arbeitsräume in der Universität wurden durchsucht, in seiner familiären und Freund_innenumgebung wurde versucht, über ihn mehr zu erfahren. Nach dem Wissen der Rechtsanwälte haben diese Untersuchungen keine Beweise gegen Tomas erbringen können. Die Polizei übernimmt unhinterfragt die zweifelhaften Vorwürfe der spanischen Behörde.

Das Netzwerk EHL – Freunde und Freundinnen des Baskenlandes und Angehörige und Freund_innen von Tomas haben ihm Solidarität gezeigt, durch Plakate, Veranstaltungen und Kundgebungen. Die letzte am 2. Juni in Freiburg, wo viele Redebeiträge zu hören waren, sie sind über das Radio Dreyeckland zu hören und auf der Webseite info-baskenland.de zu lesen.

Es ist nicht zu verstehen, welches Interesse die deutsche Politik und das Justizsystem an dieser Auslieferung haben sollen. 

Es ist eine politische Zeit, in der seit 4 Jahren die bewaffnete Organisation ETA ihre Aktivität eingestellt hat und seitens der baskischen Bewegung ein Versuch eines Dialoges in einem demokratischen Rahmen gemacht wird. Im Baskenland unterstützt eine große Mehrheit diesen Prozess. Das war in dem letzten Wahlbündnis für die Wahlen der Gemeinderäte und der Autonomien am vergangenen 24.05. sichtbar, als die politische Koalition BILDU große Unterstützung bekam.

Auch international findet man die Bestätigung für diesen Prozess seitens unabhängiger Beobachter_innen, international bekannter Menschenrechtler_innen, Mitgliedern des Europa-Parlaments und weiterer bekannter Politiker_innen.

Es ist auch sichtbar in der Initiative »gure esku dago« (Es liegt in unserer Hand), der Wunsch und die Forderung, die Stimme abgeben zu können, damit die Frage der Selbstbestimmung zur Sprache kommt. Gerade in diesem Monat Juni wird eine große Aktion entwickelt, in der eine riesige Wahlurne genäht wird, mit Beteiligung zahlreicher politischer und sozialer Organisationen.

Und Tomas selbst begleitet diesen Prozess aus dem Mannheimer Gefängnis, wo er in U-Haft sitzt. Dort bekommt er Post und Besuch, am Anfang erschwert durch die Glasscheibe und die Verlangsamung der Briefe, die in der für Tomas erwünschten Sprache Baskisch ankamen. Von dort aus sendete er zum 1. Mai eine Grußadresse, aus der ich zitiere:

»Die polizeiliche und juristische Gleichschaltung in der EU, z. B. über EU-Haftbefehle und Schengen-Abkommen, unterstützt bewusst und legitimiert ungeprüft rechtsfreie Räume in deren Mitgliedstaaten, um jeden sozialen und politischen Protest und Widerstand langfristig totzuschweigen. Der Weg aus der neoliberalen Sackgasse führt nicht über rassistische Ausgrenzung oder vermeintlich europäische Werte, sondern über den Aufbau von nachhaltigen, demokratischen Gesellschaftsstrukturen. Der soziale und rechtliche Rückschritt der letzten Jahrzehnte bietet auch die Chance, diese auf neu zu gestalten: antipatriarchalisch, ökologisch und solidarisch. Hier, im Baskenland, und überall in der Welt.«

Warum habe ich diesen Artikel geschrieben? Das Wort Gerechtigkeit hat in den offiziellen Kreisen schon lange gar keine Bedeutung mehr. Nichtsdestotrotz richte ich mich an die Öffentlichkeit und an die Menschen, die unter Menschenrechten noch etwas verstehen und wissen, dass das Recht auf Kämpfen eines ist, das uns verbindet.

Tomas ist einer von den vielen Männern und Frauen weltweit, die für eine sozialistische und freie Gestaltung des Menschenlebens kämpfen.