Gegen Isolationshaft als Kriegspolitik:

Freiheit für Öcalan – für Frieden und eine Lösung!

Ayşe Batumlu

Beginnen wir mit einer Klarstellung: Wenn gegen Abdullah Öcalan seit sechzehn Jahren ein System der Isolationshaft angewandt wird, das keine historischen Parallelen hat, dann ist das einer der wichtigsten Gründe dafür, dass sich der Staat, ob er nun Verleugnung und Vernichtung praktiziert oder von einer »Lösung« spricht, mit seiner Politik der Lösungslosigkeit immer wieder um sich selbst dreht wie ein Fuchs, der seinen eigenen Schwanz zu fangen versucht.

Ein weiterer gravierender Grund für die Isolation ist, dass Öcalan denen einen Strich durch die Rechnung zu machen versucht, die mit den Menschen im Mittleren Osten ein böses Spiel treiben. Das ist der gleiche Grund, aus dem er mittels internationaler politischer und geheimdienstlicher Kollusion in einem Folter-Flugzeug der CIA in die Türkei gebracht wurde. Genauer gesagt: dass sein Wille Einfluss hat auf das kurdische Volk und andere Völker im Mittleren Osten. Nicht zuletzt ist, wie wir an anderer Stelle betont haben, die Revolution von Rojava im Kern eine der konkretesten und verblüffendsten Auswirkungen von Öcalans Willen, den politischen Manipulationen etwas entgegenzusetzen.

Freiheit für ÖcalanDie Herrschenden wollen den Mittleren Osten ihren Interessen gemäß neu gestalten. Durch Konfessionskriege und dschihadistische, faschistische Kontraguerilla-Terrororganisationen wie IS und an-Nusra wird die Region ins Chaos gestürzt. Wer dort lebt, hat die Wahl zwischen einem Nationalstaat, der die Wiege des Faschismus ist, und einem globalisierten Kapitalismus, der für die unterdrückten Völker die Hölle ist. Es ist eine Wahl zwischen Pest und Cholera.

Öcalan hat mit seinen Theorien von der demokratischen Nation und demokratischer Autonomie den Völkern eine dritte Option ermöglicht, die ein gemeinsames Leben der Völker in Gleichheit und Demokratie vorsieht und in den Mittelpunkt des Kampfes rückt. Er hat eine Roadmap für eine gerechtere, freie und gleiche Zukunft in Frieden entworfen und sich als einflussreicher Akteur bei den Völkern der Region etabliert.

Auch in dieser Hinsicht macht Öcalan den Machtspielen der Herrschenden im Mittleren Osten einen Strich durch die Rechnung. Dadurch, dass er als Akteur einer eigenen Agenda handelt, hat er die herrschenden Kräfte in der Türkei und im internationalen Raum verunsichert. Auch dies ist ein Grund für die Verschärfung der Isolationshaft.

Ein weiterer Faktor, der mit all dem zusammenhängt, ist das Wahlergebnis vom 7. Juni 2015: Die Völker der Türkei haben der AKP-Diktatur eine rote Karte gezeigt. Denn die Botschaft dahinter lautet, dass die Herrscher nicht nur ihre Macht auf immer verlieren können, sondern dass es für sie mit hoher Wahrscheinlichkeit vor nationalen Strafgerichten und internationalen Tribunalen enden wird, wo ihre schmutzige Wäsche an die Öffentlichkeit gelangt.

Die Herrschenden wollen dies verhindern, und während ihrer Interimsregierung versuchen sie, erneut gesellschaftliches Chaos ausbrechen zu lassen, um den Menschen, die angesichts der Wirrnisse um ihren Besitz und ihre Sicherheit fürchten, die falsche Wahrnehmung zu vermitteln, dass es keine Alternative zu einer Ein-Parteien-Herrschaft der AKP gebe. Auch aus diesem Grund verhindern sie, dass Öcalan Kontakt zur Öffentlichkeit hat.

Das heißt aber gleichzeitig, dass Öcalan eine Perspektive zu bieten scheint, die die Herrschaft der AKP zu stürzen vermag.
Das Imralı-System soll zu einem für den Staat praktischen Werkzeug werden, mit dem sie Krieg hervorrufen können, wann es ihnen passt, Frieden ausrufen können, wann es ihnen passt, und jederzeit ihre Macht erhalten können.

Eine der ersten Erfindungen der ehemaligen Regierung, die darauf bestand, dass es nicht zu einer politischen Lösung kommt, sondern weiterhin Krieg gibt, war es gewesen, Öcalan das Recht auf Anwält*innenbesuche etc. zu nehmen und jeden Kontakt zwischen ihm und der Umwelt zu unterbinden. Seit nunmehr fünf Jahren dürfen die Anwält*innen ihn nicht mehr besuchen, wobei dämliche und fadenscheinige Begründungen angeführt werden wie die, dass die Fähre zur Insel defekt sei.

Doch aufgrund der hochentwickelten Wahrnehmungsfähigkeit und unvergleichlichen Widerstandskraft Öcalans konnte der Staat hier keine Erfolgsstory schreiben, sondern jede Regierung, die auf Verleugnung, Vernichtung und die Vereitelung einer politischen Lösung setzte, landete früher oder später auf dem Müllhaufen der Geschichte. Das gilt auch für die AKP.

Es ist offensichtlich, dass die AKP-Regierung auf dem absteigenden Ast ist, insbesondere seit die Roadmap Öcalans und seine Thesen zur demokratischen Autonomie in Kurdistan umzusetzen begonnen wurden.

Während die Gespräche noch anhielten, heckten diejenigen, die der Meinung waren, eine Lösung könne ihr eigenes Ende bedeuten, anderweitige Pläne aus. Doch die Revolution von Rojava konnten sie nicht verhindern. Deren Auswirkungen beschleunigten den Fall der Regierung. Obschon Kurdistan immer schon eine Stätte des Widerstands und der Revolte war, hat sich der Funke der Freiheit westlich des Euphrats nicht entzündet. Durch den Wind der revolutionären Prozesse in Westkurdistan wurde er zum ersten Mal in die Mitte Istanbuls getragen. Auch wenn ein Teil der am Gemeinwesen von Gezi Beteiligten diese Assoziation nicht selbst hergestellt hat, so ist Gezi natürlich nicht unabhängig von den Prozessen jenseits der Grenze zu denken. Aus diesem Grund sind für die AKP die Feindschaft gegen die Revolution von Rojava, gegen den Sieg von Kobanê und gegen PYD und YPG (Partei der Demokratischen Union und Volksverteidigungseinheiten), die mit der Plage des IS fertigwerden, und die Feindschaft gegen die Proteste von Gezi nicht voneinander zu trennen.

Die mentale und psychologische Führungsrolle Öcalans in diesem Widerstand verstehen zwar so manche Kreise nicht, die sich als oppositionell positionieren, doch der Staat versteht sie sehr gut. Er ist bemüht, Öcalans Ansichten strengstens von den Völkern der Türkei und des Mittleren Ostens fernzuhalten.

Daher versucht er auch, das Öcalan-Bild der Durchschnittsbevölkerung so zu formen, wie es ihm gerade passt, und ihn zu diskreditieren – was ganz offensichtlich nicht funktioniert.

Die stürzende AKP-Regierung unterstützte den IS gegen die Revolution von Rojava und deren Auswirkungen auf die Türkei nicht etwa aus unkontrollierter Feindseligkeit, sondern vielmehr aus rationalem Kalkül. Während des gesamten syrischen Bürgerkriegs hat die AKP-Regierung dschihadistischen Organisationen geholfen. Diese Politik hat sich jetzt in den Versuch verwandelt, die Errungenschaften des kurdischen Volkes in der Revolution von Rojava mithilfe des IS und ähnlich barbarischer Organisationen zu vernichten.

Nach dem historischen Aufruf Öcalans zu Newroz 2013 wurde den Menschen deutlicher, wer echten Willen zu Frieden und einer politischen Lösung gezeigt hatte. Dies wurde in einen Protest gegen die AKP-Regierung an den Wahlurnen übersetzt. Die Machthaber verstanden, dass sie gerade gegen diesen echten Willen zu Frieden und einer politischen Lösung unterlagen und erhöhten die Dosierung der Isolation und Aggression.

Nach dem Attentat von Pirsûs (Suruç) wurden die Gewehrläufe, die sich nun gegen den IS richten sollten, gegen die PKK und die kurdische Befreiungsbewegung gewendet. Im Zuge dessen kam es zu Polizeirazzien, in denen Angehörige der Demokratischen Partei der Völker (HDP) verhaftet wurden, denen im Wesentlichen »zur Last« gelegt wurde, gegen die verschärfte Isolation Öcalans protestiert zu haben. Das ist kein Zufall.

Bisher haben wir uns mit den Gründen beschäftigt, die den Staat seit sechzehn Jahren zu Isolationshaft und Imralı-System gegen Öcalan bewegen. Von der Seite des Staates aus betrachtet: Zusammengefasst will er gegenüber dem kurdischen Volk Verhandlungsmasse schaffen und das Ausbleiben einer Lösung in der kurdischen Frage zu seinen Gunsten wenden. Gleichzeitig will er verhindern, dass das kurdische Volk und die anderen Völker der Türkei sich von den Ansichten Öcalans inspirieren lassen, wie es in der Revolution von Rojava geschehen ist. Aus diesem Grund hat er das Imralı-System errichtet und konjunkturell bedingt die Dosierung der Isolation erhöht. Es geht ihm darum, systematisch die Wahrnehmung Öcalans und des Themas Frieden zu lenken, wie es ihm gerade passt.

Die Kehrseite der Medaille ist die Betrachtung aus Sicht des kurdischen Volkes und revolutionärer Kreise. Die sechzehnjährige Isolationshaft Öcalans ist der kritischste Punkt im Lösungsprozess geworden. Für das kurdische Volk verläuft hier eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf. Es ist eine Sorge, der nicht durch formelle Anordnungen Abhilfe geschaffen werden kann. Die ultimative Forderung ist nicht, endlich die Isolationshaft zu lockern, sondern Freiheit für Öcalan und die komplette Aufhebung des Imralı-Systems.

Öcalan selbst hat in verschiedenem Kontext gesagt, er fordere keineswegs körperliche Freiheit für sich selbst. Er ist eine politische Führungsfigur, die der Welt gezeigt hat, wie frei ein Mensch selbst unter den Bedingungen der Isolation sein kann.
Es geht vielmehr darum, seine Ansichten und Kritik, seine Lösungsvorschläge mit der Öffentlichkeit, der PKK und allen Kräften der kurdischen Befreiungsbewegung und internationalen Akteur*innen frei zu teilen. Es geht darum, mit den Subjekten des Konfliktes in freien Austausch zu treten. Es geht darum, alle nötigen Kontakte herzustellen, um einen ehrenhaften Frieden und eine gleiche, demokratische Gemeinschaft der Völker zu erreichen.

Daher wird sowohl von der Internationalen Initiative »Freiheit für Abdullah Öcalan – Frieden für Kurdistan« als auch von verschiedenen Zusammenschlüssen in der Türkei und international die bisher umfassendste Kampagne der letzten sechzehn Jahre geführt.

2011 gründeten wir den Zusammenschluss »Freiheit für Öcalan – für den Frieden«. Zum Ende des Jahres brachten wir zum Ausdruck, dass die AKP-Regierung über ihre Regierungszeit hinweg keinen einzigen Schritt getan hatte, um die kurdische Frage und die damit verbundenen Probleme der anderen Bevölkerungsgruppen zu lösen, dass der politische Führer des kurdischen Volkes hingegen, Abdullah Öcalan, während der Jahre, die er aufgrund der internationalen Verschwörung gegen ihn im Sarkophag Imralı verbringen musste, allen widrigen Umständen zum Trotz dafür gekämpft hatte, dass die Völker des Landes und der Region ihrem freien Willen gemäß miteinander in Frieden leben können. Damit hat er gezeigt, dass er selbst ein Garant für Frieden im Land und in der Region ist.

Die AKP hat entsprechend der Rolle, die ihr von der kapitalistischen Moderne zugeteilt wurde, auch dieses Problem noch in politisches Kapital für ihren Machterhalt verwandelt, indem sie so tat, als wolle sie das Problem lösen. Die Anstrengungen des politischen Führers des kurdischen Volkes, Abdullah Öcalan, und die Einstellung der Kampfhandlungen, die sich aus dem Willen des kurdischen Volkes und aller demokratischen Kräfte des Landes ergeben hatte, mithin der Lösungsprozess, sollten zu Instrumenten werden, mit denen die AKP ein Reservoir an Kurd*innen schaffen wollte, die »ihr« gehören, und somit eine Massenbasis für ihr eigenes Regierungsverständnis. Doch an dem Punkt, an dem wir angelangt sind, kann sie ihre Macht nicht mehr erhalten und hat alles, was in den letzten Jahren erreicht wurde, auf den Müll geworfen.

Unser Zusammenschluss geht von der Aussage aus, dass Freiheit für Öcalan ein Garant des Friedens ist. Er hat mehr als zehn Millionen Unterschriften für die Forderung nach Freiheit für Öcalan gesammelt und dem Europaparlament überreicht. Sie sollen nach der Sommerpause auch dem neuen [türkischen] Parlament übergeben werden. Die Kampagnen in der Türkei und international für dieses Ziel sollen intensiviert werden.

Die Devise »Freiheit für Öcalan und Aufhebung des Imralı-Systems« bezeichnet ein unverzichtbares Aktionsfeld im Kampf um Demokratie, wenn wir den von der AKP aufgekündigten Waffenstillstand, das Wiederaufflammen der Kampfhandlungen, das sie zu erreichen versucht, und das Spiel, das sie mit den Völkern treibt, zu einem Ende zu führen trachten, das den unterdrückten Völkern zum Vorteil gereicht. Es ist ein lebenswichtiges Aktionsfeld, wenn wir diesen Kampf zu einem dauerhaften Erfolg führen und in der Türkei, wie im gesamten Mittleren Osten, ein demokratisches System errichten wollen.