Bericht über die jüngsten Waldbrände in Nordkurdistan (Südosttürkei)

Verfasst durch eine internationale Delegation – organisiert durch die Mesopotamische Ökologiebewegung (10./11.09.2015)
  1. Vorstellung
  2. Vegetationsinformationen
  3. Beobachtungen
    3.1  Tag 1 – Pîran (Lice) in Amed (Diyarbakır) (10.09.2015)
    3.2  Tag 2 – Nisêbîn (Nusaybin) in Merdîn (Mardin) (11.09.2015)
  4.  Überblick über das Ausmaß der Waldbrände
  5. Annahmen aufgrund der Untersuchungen
  6. Fazit

   Anhang: Liste der Waldbrände zwischen Juli und September 2015

1. Vorstellung der mesopotamischen Ökologiedelegation

Am 10. und 11.09.2015 kam auf Anfrage der Mesopotamischen Ökologiebewegung in Nordkurdistan, der südöstlichen Region der Türkei, eine internationale Ökologiedelegation zusammen, um die jüngsten seit Juli 2015 aufgetretenen Waldbrände in der Region zu untersuchen. Obgleich es nur wenige Wochen zuvor bereits eine türkisch-kurdische Delegation gegeben hatte, entschied die Bewegung, dass die Bewertung einer internationalen Delegation einer breiteren Öffentlichkeit eine objektivere Perspektive darlegen könnte. Während sich die Delegation im August drei Tage genommen hatte, um sich einen Überblick über fast alle betroffenen Gebiete Nordkurdistans zu verschaffen, war es das Ziel der jetzigen Delegation, zwei Fälle im Detail zu untersuchen. Folglich kann dieser Report als zusätzliche Dokumentation oder eine Erweiterung des früheren und umfassenderen Berichts gesehen werden, mit der Intention, die Aufmerksamkeit der Welt auf die Auswirkung der Waldbrände dort zu lenken.

Dies ist jetzt wichtiger denn je, da im Kontext des politischen Konflikts in Nordkurdistan das Thema unserer Waldbrände bisher kaum internationale Beachtung gefunden hat. Dieser Bericht wird die Waldbrände und ihre ökologischen und sozialen Konsequenzen für den schrecklichen Fall ihres erneuten Auftretens hoffentlich stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rücken.

Die Delegation bestand aus sieben Aktivist_innen aus verschiedenen Ländern Europas. Zwei der Aktivist_innen kamen aus Norwegen, drei aus Deutschland und zwei aus Wales in Großbritannien. Sie folgten der Einladung der Ökologiebewegung, die über verschiedene internationale Kanäle gestreut worden war. Die Teilnehmer_innen wurden ohne verborgene finanzielle Motive angeworben.

Am ersten Tag versammelte sich die Gruppe für einen kurzen Überblick über die lokale Vegetation und Forstwirtschaft der Region in der Stadtverwaltung von Amed (Diyarbakır), bevor es zu einem Dorf im Landkreis Pîran (Lice) weiterging. In Pîran verbrachte die Delegation ungefähr vier Stunden zur Untersuchung der verschiedenen Aspekte der Waldbrände und der dadurch angerichteten Verwüstungen. Außerdem befragte sie mehrere Anwohner_innen, um ihre Informationen zu überprüfen und etwas über die menschlichen Kosten der Feuer zu erfahren.

Am zweiten Tag fuhr die Gruppe zu einem assyrischen Dorf nahe Nisêbîn (Nusaybin) und verbrachte dort ungefähr vier Stunden, um mit den Dorfbewohner_innen zu sprechen und die betroffenen Gebiete zu untersuchen. Nach ihrer Rückkehr am selben Abend diskutierte und verglich die Delegation ihre Ergebnisse und bereitete eine Presseerklärung für die Medien für den 14.09.2015 vor. Die Grundlage für diesen Bericht bilden die Aufzeichnungen der Delegierten von ihren Interviews und Untersuchungen.

2. Informationen über die Vegetation

Am Morgen des 10. September sprach Selçuk Ertekin, Botanik-Professor an der Dicle-(Tigris-)Universität in Amed (Diyarbakır), zu den Delegationsteilnehmer_innen über die Auswirkungen von Waldbränden in der Region. Er ist Mitglied des Ökologierats von Amed, dieser ist Teil der Mesopotamischen Ökologiebewegung in Nordkurdistan. Sein Hauptinteresse gilt der Vielfalt der Tierwelt Ostanatoliens (Nordkurdistans). Diese Region verfügt über eine reichhaltige natürliche Tier- und Pflanzenwelt, von Panthern und Hyänen bis zu Klein­säugetieren und von Frühformen domestizierter Gerste bis zu Kichererbsen.

Im Norden der Region sind die Eichenwälder voller Bio­tope, die von den beiden Eichenunterarten quercus infectoria und quercus baranti abhängen – etwa 300 einheimische Arten insgesamt. Während 150 einheimische Arten üblicherweise ausreichen, eine Region als ökologischen »Hotspot« zu beschreiben, kommen auch noch zahlreiche Ökosysteme der Flüsse und Berge hinzu sowie seltene indigene lokale Spezies, die diese ökologisch vielfältige Region zu einem wertvollen Erbe unseres Planeten machen.

Im Süden der Region bietet die Steppe eine weniger reiche Vielfalt, aber das östliche Taurusgebirge, annähernd 3 500 Meter hoch mit Eichenwäldern bis zu einer Höhe von 1 700 Metern, bietet Lebensraum für viele Tiere. Die zwei im Kurdischen als mazi (infectoria) und bera (baranti) bekannten Eichenarten sind hier zusammen zu finden, wobei Letztere häufiger vorkommt.

In den meisten Gebieten ist es nicht möglich gewesen, irgendwelche Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Die Ausweitung der Agrarkultur in den 1960er und 1970er Jahren hat zu einem Rückgang der Wälder geführt, bis dahin war etwa der Berg Qerejdax (Karacadağ) baumbedeckt gewesen. Darüber hinaus hatten neue Ausbeutungstechniken, besonders in Form von Staudämmen und -seen und Bergbau, erhebliche Auswirkungen auf die Lebensräume.
In diesem Kontext richteten die Brände um das Jahr 1994 herum, und später, im Juli und August 2015, Zerstörungen an.

Wenn die Eichen in Brand geraten, ist die Dynamik des Waldes stark beeinträchtigt. Alte wie junge Bäume werden gleichermaßen vernichtet und somit auch der natürliche Kreislauf des Waldes. Jungvögel, Reptilien, Kleinsäuger und viele andere Tiere werden getötet und die Ökosysteme in der oberen Erdschicht sind verloren. Die verbrannte Erde kann nicht länger Wasser speichern, was Erosion verursacht, und lokale klimatische Veränderung führt zur Versteppung.

Wiederbepflanzung ist vielleicht möglich, aber die reiche Vielfalt kann nicht wieder hergestellt werden. Wenn das Ökosystem der Eichen auf kleiner Fläche beschädigt ist, kann es sich relativ schnell erholen, großflächige Zerstörung jedoch erschöpft die Vielfalt auf Dauer. Allein für das Abholzen von 200 Bäumen benötigt das umgebende Ökosystem rund zwanzig Jahre zur Erholung.

Nach den Bränden in den 1990er Jahren regenerierten sich einige Bereiche, aber die große Befürchtung ist, dass es kein zweites Mal zu einer Regeneration kommen kann. Wir wissen nicht, ob die Feuer an denselben oder anderen Stellen ausgebrochen sind. Dieses Jahr kam es vielsagend in der Nähe der Militärstationen zu Bränden und wir haben äußerst wenig Informationen.

3. Beobachtungen

3.1 Tag 1 – Pîran (Lice) in der Provinz Amed (Diyarbakır)

Nach dem Instruktionsgespräch reiste die Gruppe ca. sechzig Kilometer Richtung Nordosten nach Huseynig (Arıklı) im Landkreis Pîran, ein durch Brände verwüstetes Dorf, die kurz nach einer Explosion am 26. Juli, bei der zwei Soldaten getötet worden waren, auftraten. Trotz einiger weniger Setzlinge, den Wurzeln der Rebstöcke entsprungen, waren alle Eichen in der Umgebung schwarz und leblos.

Angeblich brach das Feuer bei einer lokalen Sehenswürdigkeit aus, die bekannt ist für ihre antike persische Inschrift. Von dort erstreckt sich die verbrannte Erde über eine Distanz von bis zu acht Kilometern über kleine Vertiefungen und Hügel, wo das Feuer um die dort gelegenen verstreuten Gehöfte der sieben Dörfer herum gelodert hatte.

Dorfbewohner_innen beschrieben, wie für mehrere Stunden Helikopter mit einem weißen Pulver gefüllte Raketen systematisch auf das etwa vier bis fünf Kilometer von Huseynig entfernte Gebiet gefeuert hatten. Aufgrund des Umstands, dass alle paar hundert Meter getroffen wurde, gingen die Stellen folglich in Flammen auf. Windböen trugen die Flammen stellenweise mehrere Kilometer weiter. Wir waren insbesondere erstaunt zu hören, dass die Feuerwehr von Pîran vom Militär an der Hilfe gehindert worden war, als sie am zweiten Tag ankam.Dorf Huseynig nach dem Waldbrand, Pîran/Amed

Ein Dorfbewohner schilderte, wie die lokale Bevölkerung drei Tage lang das Feuer bekämpft hatte, bis es letztlich unter Kontrolle war. Es schwelte für weitere drei Tage. Die starken Regenfälle dieses Jahres hatten das Gras hoch wachsen lassen, was das Feuer zusätzlich verschärfte. Die Bevölkerung war nach ihrer Flucht vor dem militärischen Inbrandsetzen des Gebiets 1994 vor nur einem Jahrzehnt zurückgekehrt, so dass ihre Weingärten und Obstbäume erst vor kurzem wiederhergestellt worden sind.

Die einfachen einstöckigen Lehm- und Steinhäuser dieser Siedlung waren vollständig zerstört, während andere Dorfbewohner_innen ferner die Hälfte ihres Landes verloren. Ungefähr dreißig sechs-, siebenköpfige Familien leben in den wenigen Gehöften (typischerweise drei Balkenräume enthaltend) in jeder Siedlung, von denen jede mehrere hundert bis tausend Tiere besitzt. Insgesamt müssen 2 000 bis 3 000 Menschen und etwa 15 000 bis 20 000 Tiere direkt betroffen gewesen sein. Eine wachsende Anzahl dieser Betroffenen haben begonnen, die Dörfer zu verlassen.

Eine Familie, die wir trafen, hatte ihr Heim verloren und in Amed Zuflucht gesucht. Als sie versuchten, vom Untergouverneur von Pîran (ein türkisches Amt) Entschädigung zu beantragen, wurde ihr Anliegen nicht ernst genommen und sie erhielten keine Gelegenheit, ihre Sorgen bei einem entsprechenden Treffen zu äußern. Weil das Viehfutter zusammen mit der gesamten Ernte dezimiert war, waren viele der Menschen gezwungen, ihren Viehbestand zu verkaufen. Weil sie von Subsistenzwirtschaft leben, wurden viele Produkte des täglichen Bedarfs selbst angebaut und zuhause verarbeitet, durch die Plackerei auf ihren Feldern. »Während das Militär in den 90ern eine Strategie fuhr, Dörfer auszulöschen, legen sie nun ein Feuer, um die Ernte zerstören und die Fähigkeit, unsere Tiere zu füttern«, wurde uns gesagt.Verbranntes Haus im Dorf Huseynig, Pîran/Amed

Vor den Bränden verkauften die Dorfbewohner_innen einen selbst gemachten Traubensaft auf dem Markt. Weil der Wein sieben Jahre bis zur Reife wachsen muss, ist ihre Existenz vollkommen untergraben, und etlichen wird eine Rückkehr unmöglich scheinen.

Die Menschen, mit denen wir sprachen, waren vor allem über die mediale Resonanz auf die Ereignisse erbost. Das türkische Militär, seit Atatürk traditionell rechtsgerichtet und nationalistisch – nun AKP-geführt – hat Mitarbeiter_innen in den Mainstream-Medien. Die AKP-nahen Medien behaupteten, das Feuer sei durch den Terrorismus verursacht worden. Das durch die Brände geschaffene soziale und ökologische Desaster indes hat einzig den Unschuldigen geschadet und war nicht in den Medien präsent.

Die Einheimischen fühlen sich kontinuierlich und systematisch wie Tiere behandelt und entmenschlicht. Unsere ältere Begleiterin stand unter einem Feigenbaum in ihrem lehmgebrannten Hof und rief: »Sie töten unsere Leute, aber sie dürfen nicht unsere Erde vernichten ...« Ihre Töchter und Enkelkinder saßen ringsum und applaudierten.In Brand gesetzte Bäume im Dorf Huseynig, Pîran/Amed

3.2 Tag 2 – Nisêbîn (Nusaybin) in der Provinz Merdîn (Mardin)

Der zweite Ort, den wir besuchten, war das assyrische Dorf Dağiçi nahe Nisêbîn in der Provinz Merdîn. Es war unzugänglicher als das von uns besuchte Dorf in Pîran (Lice) und bestand aus 26 Haushalten. In derselben Gegend gibt es zwölf weitere assyrische Siedlungen. Ursprünglich hatte das Dorf aus sechzig Haushalten bestanden, aber aufgrund staatlicher Gewalt in den 1980ern waren sie gezwungen zu fliehen. Nach ihrer Flucht versuchten kurdische Dorfbewohner_innen in der Funktion einer Miliz für die türkische Regierung, das Land zu besiedeln, aber kurz darauf vertrieben PKK-Guerillas sie Ende der 80er. Zwischen 1992 und 1994 wurde das Dorf von der türkischen Armee als Militärbasis genutzt. Weil sie sich mit ihrem Land tief verbunden fühlten, kehrten 2002 26 der 60 Familien wieder in das Dorf zurück, als sich die politische Situation nach dem intensiven Bürgerkrieg der 1990er verbesserte.

Das Feuer, das das Dorf Dağiçi schwer traf, war etwa einen Monat zuvor – Mitte August – in der Nähe des Flusses Ava Spî (Beyaz Su) nach Zusammenstößen zwischen kurdischen PKK-Guerillas und der türkischen Armee ausgebrochen. Zwei Fahrzeuge wurden bei den Auseinandersetzungen verbrannt. Nach den Gefechten legte die türkische Armee wie verlautet in der weiteren Umgebung gleichzeitig an sieben verschiedenen Stellen Feuer. Wegen starkem Wind und relativ hohem Grasstand in der Gegend breitete sich das Feuer schnell aus.Dağiçi

Nach unseren vorläufigen Beobachtungen und in Übereinstimmung mit den Auskünften der Dorfbewohner_innen erstreckte sich das Feuer über einen Bereich von etwa sechs Kilometern, vom Fluss Ava Spî bis zum Dorf Dağiçi. Das betroffene Gebiet entsprach etwa zwanzig Hektar Land und bestand hauptsächlich aus Obst- und Gemüsegärten. Wir beobachteten verbrannte Traubenbäume, Granatapfelbäume, Feigenbäume und verbrannte Erde, aus der hier und da Unkraut spross. Es konnte festgestellt werden, dass die Mehrzahl der Obst- und Gemüsegärten des Dorfes in Brand gesetzt worden waren und dass die Fauna in diesem Gebiet stark betroffen ist. Die Einwohner_innen beklagten zum Beispiel das Verschwinden einer reichen Schlangenvielfalt nach dem Feuer.

Der Ernteverlust und die Zerstörung von seit Generationen bebauten Feldern ziehen offensichtlich gravierende finanzielle und soziale Folgen für die betroffenen Familien nach sich. Es kann Jahre dauern, bevor das Land und die Bäume wieder Früchte tragen können.

Die Dorfbewohner_innen informierten uns auch darüber, dass einige der Häuser im Dorf beschädigt worden waren. Die betroffenen Häuser waren hauptsächlich alte Domizile. Ein Gemüsegarten war vom Feuer unbehelligt geblieben. Dieser war der Einzige der von uns untersuchten, der von einer Steinmauer eingefasst war.

Nach Angaben der Dorfbewohner_innen organisierten mehrere hundert Personen aus den Volksräten Nisêbîns eine Delegation, um zu versuchen das Feuer einzudämmen, aber sie konnten die Zerstörung des Dorfes Dağiçi nicht aufhalten.In Brand gesetzte Gärten im Dorf Dağiçi, Nisêbîn/Merdîn

4. Überblick über die Gesamtauswirkungen von Waldbränden

Mitte August 2015 hatten rund zwei Dutzend kurdische und türkische Ökologieaktivist_innen drei Delegationen in Nordkurdistan gebildet, um die vermutlich von der türkischen Armee verursachten Waldbrände zu beobachten und zu untersuchen. Auch einige Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP) nahmen daran teil.

Im Vorfeld hatte die Mesopotamische Ökologiebewegung (MEH) ihre Zweige und Gruppen in der Türkei angesprochen. Die drei von den Delegationen untersuchten Regionen waren:

1) Amed – Pîran (Lice) und Pasûr (Kulp) in der Provinz Amed (Diyarbakır); Bidlîs (Bitlis)

2) Dêrsim – Dêrsim (Tunceli); Xorxol (Yayladere)/Provinz Çewlik (Bingöl)

3) Botan – Silopi/Provinz Şirnex (Şırnak) (Berg Cudi); Dih (Eruh)/Provinz Sêrt (Siirt); Nisêbîn (Nusaybin)/Provinz Mêrdîn (Mardin)

Basierend auf den Ergebnissen dieser Delegationen [siehe auch Liste in der Online-Ausgabe] kann angenommen werden, dass in Nordkurdistan im Sommer 2015 mindestens 10 000 Hektar Wald niedergebrannt und in Brand gesteckt wurden.

Der Bericht kommt zu folgenden Schlussfolgerungen:

– Alle Waldbrände wurden von Soldaten der türkischen Armee oder kollaborierenden Milizen verursacht.

– Die Wälder wurden durch Artillerie, Helikopter oder Raketenfeuer in Brand gesetzt. Feuer wurde meist in Wäldern rund um Militärstationen gelegt und breitete sich auf entferntere Gebiete aus.

– Dörfer und Häuser wurden daher wahllos abgebrannt oder beschädigt. Die Feuer haben die Lebensgrundlage vieler Dorfbewohner_innen zerstört: Obst- und Gemüsegärten, Felder und Scheunen mit geernteten Lebensmitteln und Viehfutter für den kommenden Winter.

– Die Waldbrände wurden meist von Dorfbewohner_innen, Freiwilligen und Gemeindebediensteten gelöscht. In nur sehr wenigen Fällen wurden Mitarbeiter_innen staatlicher öffentlicher Einrichtungen (wie der Walddirektion) entsandt, um zu helfen.

– Die Delegationen bewerteten diese Tätigkeiten als einen ungeheuerlichen Rechtsbruch. Der Brief der türkischen Regierung an die Walddirektionen, bei Waldbränden nicht einzuschreiten (im Gefahrenfalle), erscheint absichtlich entworfen, um deren Angestellte von der Rettung der Dorfbewohner_innen abzuhalten. Ein weiteres Hindernis, um die Feuer zu löschen, war die Tatsache, dass einige der betroffenen Gebiete vermint sind. Das hat die Bemühungen eingeschränkt, das Feuer zu beenden, da es zu gefährlich ist, sich dort aufzuhalten. Es gibt keine Aufzeichnungen über vermintes Land.

– In einigen Fällen haben Walddirektionen – der Zentralregierung unterstehend – die verbrannten Gebiete untersucht. Aber das Zahlenmaterial über die vom Feuer betroffenen Areale war zu dürftig und somit fehlerhaft. Daraus resultiert, dass die betroffenen Dorfbewohner_innen keine angemessene Entschädigung beantragen können.

– Als ein Fazit bezeichnet die Delegation die Waldbrände als eine indirektere Methode, um den Druck auf die Dorfbewohner_innen zum Verlassen ihrer Dörfer zu verstärken. In einigen Fällen wiesen Soldaten die Dorfbewohner_innen sogar an, ihre Heimat zu verlassen. In allen Fällen betonten die Dorfbewohner_innen ihre Zuversicht, ihr Land nicht zu verlassen. Daraus ergibt sich, dass die Waldbrände eine Bedrohung des Lebensrechts für Mensch und Tier sind. Indem viele Tiere starben, wurde die Waldfauna zerstört.

Die vorherigen Delegationen schlussfolgerten, dass die Waldbrände in Übereinstimmung mit anderen forcierten militärischen Taktiken des türkischen Staates in Kurdistan herbeigeführt worden waren. Die Delegation führte an, dass sie speziell auf die lokale Bevölkerung abzielten.

5. Annahmen aufgrund der Untersuchungen

Nach der Untersuchung eines eventuell kleinen Teils der Waldbrandgebiete in Nordkurdistan können wir eine katastrophale Verwüstung bezeugen: Absterbende Bäume, verbrannte Erde und eine nicht existente Tierwelt geben eine Ahnung davon, mit welchem Grad der Umweltzerstörung die Region konfrontiert ist. Während einige der neuerlich verbrannten Zonen bereits während der heftigen Kriegsaktivitäten in den 1990ern zerstört worden waren, sind manche Vegetationsarten möglicherweise kein zweites Mal erholungsfähig und somit irreparabel geschädigt. Wir betonen, dass die Waldbrände 2015 keine unbedeutenden Einzelfälle waren, sondern die verbrannte Gesamtfläche die bisher größte in Relation zur Dauer der Angriffe war. Dieses große Ausmaß ökologischer Zerstörung hat unsere Besorgnis über den Erhalt der Ökosysteme in der Region vertieft. Außerdem können sich in näherer oder ferner Zukunft jetzt noch nicht absehbare überregionale Umwelteffekte ergeben.

Die Umweltzerstörung kann nicht von ihren Auswirkungen auf die Menschen getrennt werden. Weil die verbrannten Gebiete von einer Bevölkerung genutzt werden, die wesentlich von ihrer eigenen landwirtschaftlichen Tätigkeit abhängig ist, führten die Brände zu wirtschaftlichen Verlusten, da die Leute ihre Obst- und Gemüseernte ebenso wie ihr Viehfutter verloren haben. In manchen Fällen waren sogar die Häuser völlig zerstört, so dass die Bewohner_innen nach einer anderen Zuflucht suchen mussten. Darüber hinaus kann angenommen werden, dass die Ereignisse einen negativen psychologischen Einfluss auf die Menschen haben: Einige von ihnen waren in den 1990ern vor dem Krieg nach Europa geflohen. Nachdem sie ihre alten Dörfer wieder besiedelt hatten, sahen sie sich nun mit einer neuen Katastrophe konfrontiert, die sie an frühere Ängste erinnerte. Auch der Verlust von Gegenständen mit persönlicher Bedeutung – wie alter Traubenbäume – kann bei Individuen Ängste und Wut auslösen.

Die lokale Umweltbewegung scheint hinsichtlich der Waldbrände sehr aufmerksam zu sein. Wir erkennen jedoch einen Mangel an nationalem und internationalem Bewusstsein für dieses Thema. Ehemalige Ökolog_innen und andere politische Akteur_innen – insbesondere große internationale NGOs – scheinen nicht über den Umfang der Zerstörung informiert zu sein, hier fehlen Stellungnahmen und Reaktionen zu den Umweltfolgen der Brände.
Schließlich haben wir den Eindruck gewonnen, dass die Brände mit den aktuell anhaltenden Zusammenstößen zwischen den Kräften des türkischen Staates und den Kämpfer_innen der Arbeiter_innenpartei Kurdistan (PKK) zusammenhängen. Als auswärtige Beobachter_innen sind wir dennoch bestürzt über das berichtete Vorgehen der türkischen Armee, die anscheinend Leben und Eigentum gewöhnlicher Dorfbewohner_innen angreift. Wir empfehlen, den Einschätzungen der vorangegangenen Delegation zu folgen, die aus einer größeren Anzahl Beobachter_innen mit umfassenderen Kenntnissen über die verschiedenen Machtinteressen in der Region bestand. Ihren oben beschriebenen Ergebnissen und unseren eigenen Untersuchungen zufolge scheinen offizielle türkische Institutionen an einer Praxis der brennenden Wälder als Drohung gegen die lokale Bevölkerung festzuhalten oder sie zumindest zu erleichtern. Ein wichtiges Detail in dieser Bewertung ist die Behauptung, dass sogar die offiziellen Brandbekämpfungsinstitutionen daran gehindert worden seien zu helfen: Offiziere des Militärs werden beschuldigt, die Feuerwehr auf dem Weg zur Brandstätte aufgehalten zu haben. Wenn dies der Wahrheit entspricht, dann wäre es aus der Perspektive der internationalen Menschenrechte ein sicherlich nicht zu legitimierender Vorgang.

6. Fazit

Wie der Bericht und die Untersuchung anzeigen – wenn diese Aussagen einer genauen Überprüfung standhalten –, stellt der Absichtsaspekt beim Entzünden von Waldbränden und ihren Folgen nicht weniger als eine gravierende Verletzung der Menschenrechte und eine ökologische Katastrophe dar.

Als Delegation empfehlen wir daher dringend eine regierungsamtliche Untersuchung der Ursache und Folgen dieser Brände durch eine Koalition lokaler Offizieller und Personen aus den heimgesuchten Gebieten. Zusätzlich sollten die Provinzgouverneur_innen den betroffenen Haushalten vorbehaltlos finanzielle Entschädigung zur Verfügung stellen, für die ökologische Wiederherstellung erhebliche finanzielle Mittel aufwenden und eine Kommission bilden, um die Praktiken ihrer bewaffneten Kräfte einer genauen Überprüfung zu unterziehen. Während einige dieser Behauptungen einer Überprüfung nicht standhalten mögen – trotz der anfänglichen Beobachtungen, die darauf hinwiesen –, rechtfertigen die Vorwürfe und die Zerstörung allein eine seriöse unvoreingenommene Untersuchung mit der Möglichkeit zu umfassender finanzieller Nachkompensation. Auch wenn sich die Klagen selbst entgegen allen verfügbaren Indizien als falsch erweisen, hat der türkische Staat gemäß internationalem Recht immer noch die Verpflichtung, sich um das Wohlergehen seiner Bürger_innen zu kümmern, was im Moment nicht gewährleistet ist.

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