Klage gegen die Bundesregierung wegen unterlassener Hilfeleistung

Gesundheitszentrum an die Selbstverwaltungsorgane des Kantons Kobanê übergeben

Elke Dangeleit

Am 20. November 2015 wurde das von internationalen ehrenamtlichen Aufbauhelfern und -helferinnen und Bauarbeitern aus Kobanê gebaute Gesundheitszentrum der Stadt und dem Betreiber, dem »Kurdischen Roten Halbmond« (Heyva Sor a Kurdistanê), offiziell übergeben. In Kobanê (Ain al-Arab) gab es eine feierliche Übergabe, wo Ibrahim Haj Khalil, der Ko-Bürgermeister von Kobanê, den Brigaden für ihren Einsatz und die große moralische Unterstützung dankte.

Das Gesundheits- und Sozialzentrum ist 600 qm groß und wird mehrere ärztliche Behandlungsräume sowie einen OP- und Röntgenraum beherbergen. Eine Apotheke, Räume für medizinische Weiterbildung, Bildungsarbeit sowie für die Jugend- und Frauenförderung sollen ebenfalls zur Verfügung stehen. Bereits bei der Planung waren zahlreiche Fachleute und Architekten beteiligt, die ehrenamtlich den Bau vorbereiteten und begleiteten. Nach dem erneuten IS-Anschlag auf Kobanê im Juni 2015 schlug die Selbstverwaltung vor, das Gebäude zusätzlich zu unterkellern. Im Keller sollten damit Schutz- und Lagerräume geschaffen werden. Der Bau des Gebäudes ist so konzipiert, dass eine Erweiterung durch den Aufbau eines zweiten Stockwerks möglich ist. Entsprechend dem Wunsch der Verwaltung und der Ärzte vor Ort wird die Ausstattung um eine Endoskopie-Einheit, ein Röntgengerät, moderne Ultraschalldiagnostik u. a. erweitert.

Feierliche Enthüllung der Gedenktafel bei der Übergabe des Gesundheitszentrums in Kobanê. | Foto: rf-news.deTräger des Baus ist der Solidaritäts- und Förderverein »Gesundheitszentrum Kobanê« in Kooperation mit den Selbstverwaltungsorganen des Kantons und der Stadt Kobanê sowie den Brigaden von ICOR, der »Internationalen Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen«, die aus Internationalisten, Gewerkschaftern, Anarchisten, Mitgliedern der MLPD, Anhängern der LINKEN oder der Sozialdemokraten bestanden.
Seit Juni 2015 waren insgesamt sieben Solidaritätsbrigaden der ICOR mit mehr als 170 Teilnehmern aus zehn Ländern – die meisten aus Deutschland – vor Ort im Einsatz. Eine Brigade war jeweils ca. vier Wochen im Einsatz. Die Brigadisten und Brigadistinnen im Alter von 18 bis 72 Jahren arbeiteten dort ehrenamtlich und finanzierten die Reisekosten selbst.

Das Grundstück von insgesamt mehr als 6 000 qm wurde von den Selbstverwaltungsorganen zur Verfügung gestellt. Die Finanzierung des Gesundheitszentrums erfolgte ausschließlich durch Spenden, Eigenleistung, Werkzeug- und Materialspenden und Spenden von medizinischem Gerät. Baumaterial, Diesel und Baumaschinen wurden von der Stadt zur Verfügung gestellt. Der Gesamtwert des Projekts liegt bei etwa 1,5 Millionen Euro.

Initiative »Ökologischer Wiederaufbau Kobanê«

Das Gesundheitszentrum soll nicht nur der medizinischen Versorgung dienen, es soll auch ein Modellprojekt für den ökologischen Wiederaufbau der Region werden. Traditionelle Baumaterialien in Verbindung mit moderner Technologie sollen zum Einsatz kommen: So wurde z. B. die auch in der Region fast in Vergessenheit geratene traditionelle Bauweise mit Lehmziegeln wiederbelebt und 7500 Lehmziegel wurden selbst produziert. Sie dienen wie die Außenbeschattung und die Isolierglasfenster der Wärmeregulierung des Gebäudes. Eine ökologische Energieversorgung basierend auf Photovoltaik, Wärmepumpen, Batteriespeicher und eine Notstromversorgung sind in Planung. Die Räume sollen mit energiesparender LED-Beleuchtung ausgestattet werden. Eine biologische Abwasseraufbereitung wie auch die Begrünung des Geländes zur Verbesserung der klimatischen Umgebungsbedingungen ist vorgesehen.

Bis zum 31.12.2015 hat sich die Initiative das Ziel gesetzt, 150 000 Euro dafür zu sammeln.

Wer diese Initiative unterstützen möchte, kann unter dem Stichwort »Ökologischer Wiederaufbau Kobane« auf das Konto von »Solidarität International e. V.« spenden.

Initiative »Medizin für Rojava« sammelt Spenden für medizinisches Gerät

Auch die bundesweite Initiative »Medizin für Rojava« mit über 100 Ärzten sowie Apothekern, Krankenschwestern, Beschäftigten und Studierenden des Gesundheitswesens unterstützt das Gesundheitszentrum fachlich und finanziell. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Einrichtung des Zentrums zu übernehmen, um die Basisversorgung der dort lebenden Menschen sicherzustellen. Schon jetzt haben sie zahlreiche medizinische Geräte, Hilfsgüter und Spenden gesammelt. Ihr Spendenziel sind 200 000 Euro (http://www.medizin-für-rojava.org/).

Die Initiative »Medizin für Rojava« wird die Patenschaft für gezielte Einsätze und Ausbildungsmaßnahmen übernehmen. Angesichts der Traumatisierung unzähliger Frauen durch die IS-Terroristen soll dort auch ein Projekt zur Ausbildung von Frauen zur psychologischen Betreuung traumatisierter Frauen stattfinden.

Spenden kann man hierfür unter dem Stichwort »Medizin für Rojava« auf das Konto:
Solidarität International e.V.
IBAN: DE86 5019 0000 6100 8005 84
BIC: FFVB DEFF
(Frankfurter Volksbank)

Die Übergabe des Zentrums wurde auch in zahlreichen deutschen Städten feierlich begangen. In Berlin fanden sich ca. 200 Leute in den Räumen der »Berliner Plattform der HDP« ein, um mit anwesenden Brigadisten zu feiern. Es wurde ein Film der ICOR-Brigaden vorgeführt, der sehr anschaulich machte, unter welchen schwierigen Bedingungen der Aufbau stattgefunden hat: Nachdem die erste Brigade unter lebensgefährlichen Umständen und auf abenteuerlichen Wegen in Kobanê angekommen war, gab es gleich am nächsten Tag den großen IS-Anschlag auf Kobanê.

Sie blieben trotzdem. Es gab keine Schubkarren, der Schutt musste mit großen Plastikplanen wegtransportiert werden. Die einzige uralte Betonmischmaschine in Kobanê kam zum Einsatz, ein Monster aus vergangenen Zeiten. Dadurch, dass die Türkei keine Maschinen und Baumaterialien nach Kobanê lässt, kam es immer wieder zu Verzögerungen am Bau. Auch die kurdische Autonomieregierung im Nordirak zeigte sich nicht kooperativ: Zur feierlichen Übergabe des Gesundheitszentrums sollten Mitglieder der Brigaden und des Solidaritäts- und Fördervereins »Gesundheitszentrum Kobanê« teilnehmen – sie wurden von der KDP-Regierung nicht über die Grenze gelassen.

Auch in den folgenden Tagen gelang es den Leuten nicht, über die kurdische Autonomieregion nach Rojava einzureisen. Die Beteiligten wandten sich am 3.12.2015 an die Öffentlichkeit mit der Bitte um Unterstützung. Mit fadenscheinigen Argumenten wurden sie von den Behörden abgewimmelt.

Hier ein Auszug aus der Pressemitteilung des Solidaritätsvereins:

»Sehr geehrte Damen und Herren,

wir wenden uns hiermit in einer dringenden Angelegenheit in Sachen humanitäres Hilfsprojekt in Kobanê/Rojava zum Aufbau eines Gesundheits- und Sozialzentrums an Sie.

Anlass ist die skandalöse Verweigerung der Bundesregierung und des Auswärtigen Amtes sowie des Deutschen Generalkonsulats in Erbil (Autonome Region Kurdistan, Irak) den Aufbauhelferinnen und -helfern des humanitären Projekts beim Grenzübergang von der Autonomen Region Kurdistan nach Westkurdistan/Rojava (Syrien) behilflich zu sein. Dies ist die Quintessenz von zwei Schreiben, die den Verein nach mehrwöchiger Wartezeit Anfang dieser Woche erreichten.

Wir haben keinerlei Verständnis für die vorgeschobene Begründung, dass für dieses Gebiet eine allgemeine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes besteht. Reisewarnungen sind sinnvoll zur Orientierung für Touristen, können jedoch niemals das völkerrechtlich verbriefte Recht auf humanitäre Hilfe aushebeln, zu dem sich die EU und die Bundesregierung verpflichtet haben. Oder soll das Rote Kreuz niemals mehr in Kriegsgebiete gehen dürfen?
Frank Jasenski, Vorsitzender des Solidaritäts- und Förderverein ›Gesundheitszentrum Kobanê‹ dazu:

›In einer Situation, in der der Winter einbricht und Menschen allein wegen mangelnder medizinischer Versorgung sterben, kommt das Vorgehen der Bundesregierung dem Tatbestand einer unterlassenen Hilfeleistung gleich! Wenn es der Bundesregierung wirklich darum geht, Fluchtursachen abzubauen und den barbarischen Terror des IS zu bekämpfen – warum fällt sie dann ausgerechnet denjenigen in den Rücken, die dies vor Ort am erfolgreichsten tun, nämlich den Menschen in den demokratisch verwalteten Gebieten in Rojava?‹

Beabsichtigt oder nicht – im Ergebnis wird der Abschluss und die Inbetriebnahme des Gesundheitszentrums blockiert, um nicht zu sagen sabotiert. Durch die Blockade sind allein durch die letzten Tage 1200 Facharbeiterstunden für das Gesundheitszentrum buchstäblich ›auf der Strecke geblieben‹. Dies wird sich negativ auf den eingeleiteten Rückkehrprozess der Flüchtlinge, und fördernd auf den Fluchtprozess nach Europa auswirken. Menschen werden weiter sterben oder leiden wegen mangelnder medizinischer Versorgung!«

Mittlerweile hat die Initiative am 8.12.2015 Klage beim Verwaltungsgericht Berlin wegen unterlassener humanitärer Hilfeleistung durch die Bundesregierung eingereicht. Ihre Pressemitteilung vom 8.12. im Wesentlichen:

»Gegenstand des Eilantrages gegen die Bundesregierung und das Auswärtige Amt in Berlin ist die unterlassene humanitäre Hilfeleistung.

Sieben humanitären Helfer sitzen seit drei Wochen im Irak fest, weil ihnen der Grenzübertritt zur Einreise nach Rojava/Nordsyrien verweigert wird. Sie wollen dort die Abschlussarbeiten und die Inbetriebnahme eines Gesundheits- und Sozialzentrums in Kobanê unterstützen, das dringend gebraucht wird.
Mit dem Eilantrag soll erreicht werden, dass die deutsche Regierung diplomatische Maßnahmen ergreift, um den humanitären Helfern den Zugang zu der Stadt Kobanê in Rojava/Nordsyrien zu ermöglichen.

Mit rund 20 Anfragen an das Auswärtige Amt, die Deutsche Botschaft in Ankara sowie das Deutsche Generalkonsulat in Erbil/Nordirak wurde jeweils um praktische Unterstützung für die Entsendung der Helfer oder den Transport von Hilfsgütern gebeten. Die Anfragen wurden überwiegend nicht beantwortet. Eine praktische Unterstützung erfolgte in keinem Fall.

Das ist ein eklatanter Verstoß gegen die völkerrechtliche Verpflichtung, die auch auf EU-Ebene im ›Europäischen Konsens über die humanitäre Hilfe‹ (Amtsblatt der EU 2008/C/25/01) ihren Niederschlag gefunden hat. Dazu heißt es in Teil I 1. (Abschnitt 8):

›Die humanitäre Hilfe der EU umfasst neben Hilfs-, Rettungs- und Schutzaktionen zur Rettung und Erhaltung von Menschenleben in und unmittelbar nach humanitären Krisen auch Maßnahmen, die den ungehinderten Zugang zu bedürftigen Bevölkerungsgruppen und die ungehinderte Beförderung der Hilfe erleichtern oder ermöglichen.‹ (Hervorhebung d. U.)

Aus alledem resultiert die völkerrechtliche Verpflichtung, die Regierung der Autonomen Region Kurdistan-Irak um die Genehmigung des Grenzübertritts für das humanitäre Hilfspersonal des Antragstellers zu ersuchen und hierzu die erforderlichen diplomatischen Schritte durch die deutsche Bundesregierung zu ergreifen.«


Leider kam es bei der Printausgabe bei diesem Artikel zu einem Fehldruck. Hier jetzt der vollständige Artikel. Wir bitten auch auf diesem Weg noch einmal um Entschuldigung, die Redaktion des Kurdistan Reports