Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Viele Städte oder Viertel in Nordkurdistan sind vom türkischen Militär vollkommen zerstört worden. Foto: ANFleider können wir auch diese Ausgabe nicht mit erfreulichen Nachrichten beginnen. Der Krieg dominiert das Geschehen in Kurdistan. Nach Cizîr und Sûr hat der türkische Staat auch in Nisêbîn, Gever und Şirnex sein hässliches Gesicht gezeigt. Das Ausmaß der Zerstörung ist groß. Das Kalkül des Regimes der Türkei bei diesem Krieg ist deutlich ersichtlich. Die Hochburgen der kurdischen Freiheitsbewegung sollen dem Erdboden gleichgemacht, die Bevölkerung gedemütigt und zur Emigration gezwungen werden. Die in die Flucht getriebene Bevölkerung soll dann mit syrischen Flüchtlingen ersetzt werden. So soll in die demographischen Verhältnisse in der Region eingegriffen werden, um langfristig die Widerstandspotentiale unter Kontrolle zu bringen.

Doch Pläne wie diese sind nicht neu. Sie begleiten die gesamte Geschichte der Republik Türkei und doch sind sie bis heute nicht von Erfolg gekrönt. Und eben weil die meisten Menschen aus den betroffenen Regionen sich dieser Pläne der AKP bewusst sind, verlassen sie ihre Heimat nicht, auch wenn sie unter schwierigen Umständen ihre Existenz von Neuem aufbauen müssen.

Mit diesem Krieg will Erdoğan die letzte Opposition gegen die Präsidialdiktatur, die er umgesetzt sehen möchte, brechen. Und weil ihm der Widerstand sichtlich Kopfschmerzen bereitet, hat er nun jüngst wieder den Schulterschluss mit den Militärs gesucht, die er vor nicht allzu langer Zeit persönlich in den Ergenekon-Prozessen einbuchten ließ. Damit nicht genug, mit einem neuen Gesetz hat seine AKP die Armee mit neuen Befugnissen im Krieg gegen die KurdInnen ausgestattet. Nun können türkische Soldaten auch rechtlich geschützt Kriegsverbrechen begehen, ohne juristische Konsequenzen zu befürchten. Eine rechtliche Verfolgung der Verbrechen der Armee soll nur noch auf Befehl des Verteidigungsministeriums oder des Ministerpräsidenten möglich sein. Während also die Immunität der HDP-Abgeordneten im Parlament aufgehoben werden soll, wird sie der türkischen Armee zugesichert.
Die ausufernde Aggressivität der türkischen Regierung ist ohne Zweifel auch Ausdruck ihrer Verzweiflung. Denn während der Widerstand der kurdischen Freiheitsbewegung dem Regime Erdoğan innerhalb der türkischen Staatsgrenzen zu schaffen macht, ist es in Syrien der anhaltende Erfolg des Projekts Rojava. Die vom IS kontrollierte Stadt Minbic wurde von den Einheiten der Demokratischen Kräfte Syriens eingekreist. Minbic ist von strategisch großer Bedeutung, denn die Stadt ist eine der letzten großen Festungen des IS vor dem Kanton Afrîn. Gelingt die Befreiung der Stadt, könnte der Zusammenschluss der Kantone Rojavas der nächste Schritt sein. Für das Erdoğan-Regime wäre das der Super-GAU, weswegen AKP-Funktionäre bereits den Kontakt zum Assad-Regime suchen, um Bündnisse gegen etwaige Entwicklungen zu schmieden. Doch die »rote Linie« des Erdoğan-Regimes, mit der ein Vorstoß der YPG westlich des Euphrats zum Tabu erklärt wurde, hat sich längst in Luft ausgelöst. Und auch die weiteren Errungenschaften in Rojava werden wohl kaum aus Ankara zu stoppen sein.

Und mit dem Erfolg in Rojava und Nordsyrien wird auch der Widerstand in den übrigen Teilen Kurdistans an Auftrieb gewinnen!
Es grüßt die Redaktion des Kurdistan Report