Die Befreiung von Minbic und die neue Ausgangslage für Rojava

Rojava ist ein Hort der Hoffnung für eine bessere Welt

Mako Qoçgirî, Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e. V.

Dieses Mal hat es sich tatsächlich gelohnt, das Verfassen dieses Artikels für den Kurdistan Report bis auf die letzte Sekunde vor dem absoluten Redaktionsschluss aufzuschieben, sonst hätte doch ein früheres Verfassen einer Analyse über die Situation in Rojava dazu geführt, dass die Befreiung der Stadt Minbic nicht in diesen Text hätte einfließen können. Denn während ich diese Zeilen niederschreibe, machen die Bilder der jubelnden Einwohner*innen von Minbic die Runde durch die Nachrichten der gesamten Welt. Und mit der Befreiung von Minbic durch die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) eröffnet sich für die Revolution von Rojava eine neue Ausgangslage. Diese wollen wir uns im Folgenden genauer anschauen.Die Verteidigungseinheiten von Rojava/Nordsyrien werden von der Bevölkerung in Minbic mit Freude empfangen | Foto: hawarnews

Minbic auf dem Weg zur Verbindung der Kantone Rojavas

Seit Januar 2014 kontrollierte der sogenannte Islamische Staat (IS) die nordsyrische Stadt Minbic. Am 73. Tag der Befreiungsoperation, die nach dem verstorbenen SDF-Kommandanten Faysal Abu Leyla benannt wurde, der selbst aus Minbic stammte, wurde die vollständige Befreiung der Stadt verkündet. Kurz nach dieser Nachricht strömten neben vielen anderen Orten auch die Menschen aus dem Kanton Efrîn auf die Straßen, um diesen wichtigen Erfolg zu feiern.

Für den Kanton Efrîn hat die Befreiung der Stadt durch die Demokratischen Kräfte Syriens nämlich eine ganz besondere Bedeutung. Für sie wächst dadurch die Hoffnung, dass in naher Zukunft eine Verbindung zwischen ihnen und den anderen beiden Kantonen Rojavas entstehen könnte. Denn Minbic ist wohl der strategisch wichtigste Ort zwischen den Kantonen Kobanê und Efrîn. Auch für den IS hatte die Stadt eine wichtige Bedeutung, lag sie doch auf dem Verbindungsweg zwischen der türkisch-syrischen Grenzstadt Cerablus (Dscharabulus) und der vermeintlichen Hauptstadt des »Kalifats« Raqqa. Cerablus ist die letzte verbliebene Stadt des IS, die an der direkten Grenze zur Türkei liegt, und spielt deshalb für die Islamist*innen eine strategisch herausragende Rolle. Bei allen öffentlichen Bekundungen der türkischen Regierung, dass man Teil im internationalen Kampf gegen den IS sei, über diese Grenze findet weiterhin ein reger Grenzhandel mit dem sogenannten »Islamischen Staat« statt, hier werden weiterhin islamistische Kämpfer, Waffen und Logistik eingeschleust. So tauchten kurz vor der Befreiung von Minbic bereits Meldungen auf, wonach allein im letzten Monat bis zu 450 Kämpfer des IS über die türkische Grenze nach Cerablus gelangt seien. Es scheint ganz so, als leiste die Türkei wieder einmal ihrem geheimen Partner im Kampf gegen Rojava Nothilfe.

Doch Cerablus im Norden von Minbic scheint zumindest vorerst nicht das primäre Ziel der Demokratischen Kräfte Syriens zu sein. Denn kurz nach der Befreiung der Stadt wurde unter dem Dach der SDF die Gründung des Militärrats von al-Bab verkündet. Al-Bab liegt im Westen von Minbic, also auf der Route in Richtung des Kantons Efrîn. Doch die Gemengelage in der nördlich von Heleb (Aleppo) gelegenen Shehba-Region vor den Toren Efrîns, zu der auch die Stadt al-Bab gehört, ist äußerst komplex. Neben dem IS sind dort nämlich auch die islamistischen Gruppierungen der Islamischen Front und der Al-Nusra-Front (die sich neuerdings Jabhat Fath al-Sham nennt) sowie das syrische Regime präsent.

Die internationale Anti-IS-Koalition, welche durch ihre Luftangriffe bei der Befreiung von Minbic tatkräftig mitgewirkt hat, wird zugleich darauf setzen, dass die SDF ihren Fokus auf die IS-Hauptstadt Raqqa schwenkt. Eine entsprechende Operation der SDF zur Befreiung des Nordens von Raqqa wurde ja bereits vor Beginn der Minbic-Operation verkündet. Allerdings wurde in der Folgezeit kaum über diese Front berichtet. Die politischen Kräfte Rojavas haben hingegen immer wieder deutlich gemacht, dass eine militärische Beteiligung ihrer Verteidigungseinheiten an einer großangelegten Befreiungsoperation gegen Raqqa direkt in Zusammenhang mit einer politischen Anerkennung der Selbstverwaltung von Rojava und der Demokratischen Föderation Nordsyrien steht. Was da der Stand der Verhandlungen ist, bleibt für Außenstehende unklar. Jedenfalls wurde bis dato kein positiver Ausgang des diplomatischen Verkehrs aus der Perspektive Rojavas verkündet.

Doch auch wenn die diplomatischen Erfolge noch weitgehend ausbleiben, so schreiten die militärischen und gesellschaftlichen Errungenschaften der Revolution von Rojava weiter voran. Unverkennbar ist auch, dass die Revolution mittlerweile deutlich über die kurdische Community von Rojava hinausstrahlt. Denn an der erfolgreichen Operation zur Befreiung von Minbic waren verschiedene arabische Kampfverbände unter dem Dach der Demokratischen Kräfte Syriens beteiligt. Ähnlich bunt sieht die Konstellation des Militärrats für die Stadt al-Bab aus. Und in multikulturellen Städten wie Girê Spî, Hesekê und Qamişlo wird die demokratische Selbstverwaltung jenseits von ethnischen und religiösen Grenzen ohnehin seit Längerem erfolgreich praktiziert. So sehr der IS also mit seiner menschenverachtenden und faschistischen Ideologie die Dunkelheit über den Mittleren Osten hat hereinbrechen lassen, ebenso sehr bringt die demokratische und pluralistische Revolution von Rojava Licht in die Region. Und seit geraumer Zeit verdrängt das Licht Rojavas Schritt für Schritt die Dunkelheit des IS.

Mein persönliches Resümee

Als ich vor Kurzem beim diesjährigen Weltsozialforum in Montreal auf der Suche nach interessanten Seminaren war, entschloss ich mich auch bei einem Workshop zur Situation in Rojava reinzuschnuppern. Mich interessierte besonders, wie die Teilnehmer*innen des Weltsozialforums über die Revolution in Rojava diskutieren. Doch wie so oft beim diesjährigen WSF wurde kurzfristig die Räumlichkeit der Veranstaltung verändert und weil die Räume nicht immer so leicht zu finden waren, irrte ich schließlich mit einem Franzosen und einem Kanadier durch die Gänge der Universität von Montreal. Als langsam klar wurde, dass wir den richtigen Raum nicht mehr finden würden, fing ich eben an, mit den Zweien darüber zu sprechen, weswegen sie zum Rojava-Seminar wollten. Beide waren sehr gut über die Situation vor Ort und das Gesellschaftsmodell von Rojava informiert. Und beide erklärten, dass wohl die Revolution von Rojava derzeit für sie so ziemlich das Einzige sei, das ihnen als politisch linken Menschen Kraft und Hoffnung gibt.

Einen Tag später erfuhr ich über die Homepage von Firatnews, dass die Stadt Minbic endlich vom IS befreit worden war. Als ich mir später auf der Internetpräsenz der Nachrichtenagentur Hawarnews (ANHA) die ersten Videos aus der Stadt anschaute, berührten mich die Bilder der Frauen und Männer, die ihre neu gewonnene Freiheit bejubelten, sehr. Zu sehen waren Frauen, die ihre Vollverschleierung endlich ablegen durften und die Kämpferinnen der YPJ umarmten, und Männer, die vor Glück über die Befreiung in Tränen ausbrachen oder sich öffentlich die Bärte abrasierten.

Die Aussagen der zwei Jungs auf dem WSF und die Bilder aus der befreiten Stadt Minbic zusammengenommen vergegenwärtigten mir nochmal, welche Bedeutung die Revolution von Rojava für die Menschen vor Ort ganz konkret und für linke und fortschrittliche Menschen und Aktivist*innen auf der ganzen Welt hat. Rojava ist ein Hort der Hoffnung für eine bessere Welt. Und aus diesem Grund sollten wir alle es als unsere Pflicht begreifen, diese Revolution zu verteidigen und zu stärken.