Die Einheit der Kurden und die Rolle der PDK

Nationale Einheit als historische Aufgabe

Perwer Yaş, Journalist

Im vergangenen September hat es wichtige Entwicklungen hinsichtlich der kurdischen nationalen Einheit gegeben. Das Zentrum dieser Entwicklungen war Başûr/Südkurdi­stan. Allerdings setzt die dortige PDK (Partiya Demokrata Kurdistanê | Demokratische Partei Kurdistan) ihr problematisches Verhalten fort. Dies betrifft sowohl ihre innenpolitische Haltung in Başûr als auch ihre Beziehungen zu den anderen kurdischen Gebieten. Dieses Verhalten ist zweifellos der größte Stolperstein auf dem Weg zur nationalen Einheit.

Unter der Leitung des Kovorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker (HDP) Selahattin Demirtaş hatte sich am 20. September 2016 eine Delegation der Partei zu einer Reihe von Treffen in Südkurdistan eingefunden. Die mit erfahrenen Teilnehmern besetzte Delegation hat dort mit allen Parteien, darunter im Besonderen mit der PDK, der YNK (Yekîtiya Niştimaniya Kurdistanê| Patriotische Union Kurdistan) und Gorran (Bewegung für Wandel), vier Tage lang Treffen durchgeführt.

Nach den Gesprächen, die ohne Pressebeteiligung stattfanden, betonte man in allen Erklärungen besonders die kurdische Einheit und die Solidarität unter den Kurden. Zum Abschluss besuchte die Delegation der HDP am 24. September den Präsidenten des kurdischen Regionalparlamentes Dr. Yusuf Mihemed. Nach dem Besuch fand folgende Bemerkung Mihemeds besondere Beachtung: »Am meisten bedürfen die Kurden heute der gemeinsamen Zusammenarbeit und sie können ihre Ziele nur dadurch erreichen.« Der HDP-Kovorsitzende Selahattin Demirtaş selbst appellierte auf diesem Treffen: »Wir sind sehr zufrieden, dass alle Seiten bereit sind, ihre Dialogmethoden hinsichtlich der Lösung von Problemen weiterzuentwickeln. Weiterhin sind wir besonders froh über die bei unseren Treffen festgestellten Bemühungen hinsichtlich der nationalen Einheit. Denn gerade jetzt zahlt das kurdische Volk in allen vier Teilen einen hohen Preis.«

Unmittelbar nach dem Besuch der HDP-Delegation in Başûr war diesmal Kerkûk (Kirkuk) Gastgeber für eine historische Zusammenkunft. Der Nationalkongress Kurdistans (KNK) organisierte eine Konferenz zu den in der letzten Zeit aufgetretenen Fragen. Etwa 100 Teilnehmer aus allen vier Teilen Kurdistans nahmen daran teil. Bemerkenswert war die Botschaft des ersten stellvertretenden YNK-Generalsekretärs Kosret Resul an die Teilnehmenden. Resul formulierte: »Als YNK verlangen wir Einheit als Voraussetzung für Lösungen. Die Grenzen zwischen der Autonomen Region Kurdistan (Nordirak) und Rojava (Nordsyrien) müssen geöffnet werden. Es ist notwendig, dass wir alle unsere Parteiinteressen zur Seite schieben und unsere Einheit stärken.«

Auch das Kopräsidium des Exekutivrates der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistan KCK betonte in seiner Botschaft die Einheit: »Wenn die Kurden nationale Einigkeit erreichen, dann kann gegen sie keine koloniale Allianz mehr erfolgreich sein.« Auch Salih Dilo, der auf der Konferenz im Namen des PDK-Politbüros sprach, äußerte Unterstützung für die Versammlung und die Bereitschaft für jede Art von Lösung. Dr. Mihemed Ahmed, der im Namen der Islamischen Einheitspartei teilnahm, gab ebenfalls eine Botschaft für Einheit und Zusammengehörigkeit ab. Die KNK-Kovorsitzende Nilüfer Koç gab zum Ende des Zusammentreffens eine Erklärung ab, in der sie äußerte: »Es ist unser aller Hauptwunsch, die mit dieser Konferenz begonnenen Bemühungen um nationale Einheit möglichst bald mit dem Ziel einer nationalen Konferenz fortzuführen.«

Die Brüsseler KNK-Generalversammlung

Eine andere Aufgabe des KNK wurde in Brüssel verwirklicht. Der Nationalkongress Kurdistan hat am 1. und 2. Oktober in der belgischen Hauptstadt Brüssel seine 16. Generalversammlung durchgeführt. Parteien- und Verbandsvertreter aus den vier Teilen Kurdistans sowie aus Europa, Russland und weiteren Teilen der Welt haben dort miteinander diskutiert.

Einschließlich KNK-Mitgliedern, Gästen und Beobachtern haben 300 Menschen an der Generalversammlung teilgenommen. Abgesehen von der PDK waren Vertreter aller Gruppen aus Kurdistan anwesend. Wichtig war auch, dass am diesjährigen Kongress im Unterschied zu den vorangegangenen Jahren zum ersten Mal der Parlamentspräsident Südkurdistans Dr. Yusuf Mihemed teilgenommen hat. Bemerkenswert war die Versammlung aller nationalen, religiösen und kulturellen Bereiche aus den verschiedenen Gebieten Kurdistans auf dem Kongress. Der Kongress hat deutlich gemacht, dass die nationale Einheit eine dringende und historische Aufgabe ist. Nach den zweitägigen Diskussionen wurden eine Abschlusserklärung und eine 20-Punkte-Erklärung verkündet. In der Abschlusserklärung wurde festgestellt, dass im Rahmen des gerade neu gestalteten Mittleren Ostens die nationale Einheit angesichts der vorhandenen Chancen und Risiken von entscheidender Bedeutung sei.Selbstverteidigungseinheiten im Kamp Maxmur

Was will die PDK von den Campbewohnern in Maxmur?

So wurden im September und in der ersten Oktoberwoche durch die Treffen der verschiedenen Bewegungen Kurdistans, durch ihre gegenseitigen herzlichen Grüße, durch ihr Händeschütteln, ihre Umarmungen und ihre Verabschiedungen die in der letzten Zeit unter den Kurden erloschenen Hoffnungen auf nationale Einheit wiederbelebt.

Was aber geschah noch in den gleichen Tagen, als sich alle Kurden in dieser freudigen Hoffnung befanden? In den Städten Hewlêr (Erbil) und Silêmanî (Sulaimaniyya) haben die Polizeibehörden an den Arbeitsplätzen der im Lager Maxmur wohnenden nordkurdischen Flüchtlinge Razzien durchgeführt. Die in Unternehmen, Krankenhäusern, Büros und Läden arbeitenden Menschen aus dem Camp Maxmur mussten entlassen werden. Den Arbeitgebern wurde eine Regierungsentscheidung mitgeteilt, die besagt, dass »ab sofort keine Menschen mehr aus Maxmur beschäftigt werden dürfen«. Warum wird nur den Menschen aus Maxmur verboten zu arbeiten, während gleichzeitig auf den Straßen, in den Betrieben und in den Geschäften Südkurdistans Tausende von Menschen beschäftigt werden? Warum verhindern gerade die Polizeibehörden der PDK die Beschäftigung der Bevölkerung aus Maxmur?

Die PDK verhält sich andauernd so. Immer dann, wenn unter den Kurden die Hoffnung auf nationale Einheit wächst, rückt die PDK-basierte Politik diese Hoffnungen wieder in den Schatten. Wenn man eine Bilanz der in den letzten 10 Jahren durchgeführten Treffen und Versammlungen zu den Themen »nationale Einheit« und »nationaler Kongress« aufstellen würde, würde eine lange Liste entstehen.

Besonders in den letzten Jahren, aber besonders 2013/2014 haben sich alle kurdischen Organisationen wegen der Bildung eines Nationalkongresses getroffen. Tatsächlich wurde ein Vorbereitungskomitee gebildet, das aus Vertretern aller Parteien und Organisationen bestand. Die Tätigkeiten des Komitees und die Initiativen der Parteien hatten unter den Kurden zu freudigen Erwartungen geführt. Aber die Vorbereitungen zum Nationalkongress sind ergebnislos geblieben und haben stattdessen Spannungen unter Kurden hinterlassen. Warum? Weil man damals die Hitze der Revolution in Rojava spürte und die PDK in West-Kurdistan ein schmutziges politisches Spiel betreiben wollte. Während man nämlich in Rojava gegen bestialische Banden wie die von der Türkei unterstützten Al-Nusra und IS Widerstand leistete, hat die PDK sich wie die Türkei verhalten und ihre Grenze nach Rojava ebenfalls geschlossen.

Eine PDK, welche die Grenze schließt und nicht einmal zulässt, dass Nahrungsmittelhilfe die Grenze passiert, hat eine Haltung gezeigt, welche die Revolution von Rojava erwürgen will. Und so sind die Gefühle zur Einheit der Kurden aus jenen Tagen verdorrt. Die Haltung der PDK in dieser Periode, in der sich der Wunsch nach nationaler Einheit verstärkte, ist nachdenkenswert. Wenn die Verwaltung Südkurdistans ihre Grenzstationen gegenüber anderen Staaten und Völkern öffnet und mit ihnen jede Art von Handel und Zusammenarbeit entwickelt, dann darf sie ihre Grenzstationen und Flughäfen nicht für die Kurden aus den anderen Teilen schließen; außerdem sollte sie entsprechende Embargos, Arbeits-, Reise- und Handelsverbote bzw. -maßnahmen sofort beenden.

Man darf auch die Beziehungen der PDK mit dem türkischen Staat nicht aus den Augen verlieren. Tayyip Erdoğan und die AKP sagen: »Wir haben einen Fehler gemacht, als wir damals im Irak die kurdische Autonomie akzeptierten«, und zeigen damit, dass sie sich in ihrer Kurdenphobie von niemandem überbieten lassen wollen. Man muss sich hier noch nicht mal mit der kurdischen Einheit befassen, denn schon die Tatsache, dass die PDK sich mit so einem Erdoğan, mit so einer AKP ihre PKK-, PYD-, HDP- und Rojava-Feindschaft teilt, das hat unter den Kurden tiefe Wunden geschlagen.

Wenn die PDK wirklich aufrichtig zur nationalen Einheit steht, dann muss sie die an der Grenze zu Rojava gegrabenen Gräben wieder zuschütten und das Handelsverbot und Embargo an der Semalka-Grenzstation aufheben. Darüber hinaus sind in Hewlêr die kurdischen Nachrichtenagenturen ANF, DİHA, JİNHA und die Fernsehsender Sterk, Ronahi, New­roz, MedNuçe und Çıra TV immer noch verboten.

Angesichts dieser Lage sollte, falls die im September begonnenen Diskussionen und Initiativen zur nationalen Einheit fortgesetzt werden, sich die PDK ernsthaft zu diesen Themen hinterfragen.