In Hamburg fand die Konferenz »Die kapitalistische Moderne herausfordern III« statt

Die demokratische Moderne entfalten ...

Anja Flach, Ethnologin und Autorin

Zum dritten Mal fand im Hamburger Audimax eine Konferenz unter dem Titel »Die kapitalistische Moderne herausfordern« statt.

Mehr als 1200 Menschen aus vielen Teilen Europas, aber auch aus den USA, Lateinamerika und dem Mittleren Osten waren gekommen, um über Alternativen zur kapitalistischen Moderne zu diskutieren. Es fühlte sich an wie das Treffen einer Community, die stets wächst, viele kannten sich schon persönlich. Eröffnet wurde die Konferenz nach einem Auftritt des Tanzensembles Mezopotamya durch den inzwischen 82-jährigen Hamburger Schauspieler Rolf Becker, der von seiner Reise nach Amed (Diyarbakır) berichtete, VertreterInnen des Hamburger Frauen- und Volksrates, den Hamburger Soziologieprofessor Frank Adloff, der u. a. die Einschränkung der Wissenschaft in der Türkei kritisierte. Professor John Holloway konnte dieses Mal nicht kommen. Seine Videobotschaft aus Mexiko war: »Ihr seid nicht allein«, es gibt Kämpfe überall auf der Welt. Rojava und Chiapas seien helle Lichter. Havîn Güneşer, die die Konferenz mit Reimar Heider und anderen in einem acht Monate andauernden Prozess inhaltlich vorbereitet hatte, erklärte auch das neue Konzept der Konferenz: Neben den Beiträgen vom Podium sollen Arbeitsgruppen gegründet werden, die zu einer kontinuierlichen Arbeit bis zur nächsten Konferenz führen sollen. Auch solle durch die Workshops und den »Call for Papers« die Hierarchie abgebaut werden. Die Erinnerung an Mehdi Yildiz und Ellen Jaedicke, die die vorherigen Konferenzen entscheidend mitgeprägt hatten und im letzten Jahr an Krebs gestorben waren, trieb vielen, die sie kannten, die Tränen in die Augen. Serbay Köklu, einer der AnwältInnen Abdullah Öcalans, der seit 2011 nicht von seinen AnwältInnen besucht werden konnte, erinnerte daran, dass die praktischen Schritte, die Öcalan zur Lösung der weltweiten Krise vorgeschlagen habe, und die inhaltlich im Zentrum der Konferenz stehen, der Grund für seine Isolation seien.Die kapitalistische Moderne herausfordern

Die erste Session wurde von der Feministin und Journalistin Rahila Gupta aus London moderiert, die Rojava im letzten Jahr besucht hatte und gerade an einem Buch über die Überwindung des Patriarchats schreibt.

Fabian Scheidler, Autor des Buchs »Das Ende der Megamaschine« beschrieb die Säulen des herrschenden Systems sehr anschaulich: die Akkumulation des Kapitals, seit Jahrhunderten z. B. das der Conquista, das in die Hände von Bankiers floss, die damit neue Raubzüge finanzierten; der Mythos des Westens als Heilsbringer, der uns jedoch in Wahrheit in die Katastrophe führt; die Vernichtung der Natur: Jedes Jahr geht ein Prozent des fruchtbaren Bodens weltweit verloren. Er rief dazu auf, die Mythen der Moderne zu entmystifizieren. Die Chancen lägen heute nicht allein in Reform oder Revolution, sondern auch im politischen »Geländegewinn«; immer größere Gebiete müssten dem kapitalistischen System abgerungen werden.

Ebru Günay sprach u. a. über die Lüge, der Kapitalismus würde die Frauen befreien. Er trete die Rechte von Frauen vielmehr mit Füßen, nutze sie als Reproduktionsmaschine und sei wie ein Krebsgeschwür, das versuche, die Erde und die Frau zu überwuchern.

Dawn Paley beschrieb anschaulich den »Drug War« als einen Angriffskrieg der US-Regierung gegen die lateinamerikanische Linke und Jugend, vor allem in Gebieten, in denen Öl, Gas, Kohle, Nickel, Gold und andere Ressourcen vorhanden sind.

Ferda Çetin, Journalist der kurdischen Bewegung, kritisierte, dass wir heute die Dinge nicht mehr als das benennen, was sie sind. Kolonialismus nennen wir Globalisierung, immer neue Bedürfnisse würden geweckt, die Überinformation verneble das Hirn und der daraus resultierende Mangel an Bewusstsein führe zu mangelnder Neugierde.

Carlos Pazmiño aus Ecuador forderte die Jugend Europas auf, sich selbst nicht als HelferInnen oder KritikerInnen anderer Revolutionen zu sehen – das sei eine kolonialistische Haltung –, sondern selbst zu RevolutionärInnenen im eigenen Land zu werden.

Die zweite Session am Freitagnachmittag wurde von der überaus sympathischen Debbie Bookchin eingeleitet, der Tochter von Murray Bookchin.
Die kurdische Archäologin Özlem Ekinbaş berichtete über die Archäologie in Kurdistan, u. a. über Tell Xelaf, eine 8 000 Jahre alte Ausgrabungsstätte in Rojava. Eindrückliche Bilder zeigten, wie die Bilder dieser Kulturen sich in den Tätowierungen älterer Menschen in Kurdistan noch heute finden.
Haskar Kırmızıgül, Aktivistin der kurdischen Frauenbewegung, sagte, 98 % der offiziellen Geschichtsschreibung unterschieden sich von den Ergebnissen der Jineolojî. Sie betonte, Frauen würden in der kurdischen Bewegung nicht als biologische, sondern als gesellschaftliche Gruppe verstanden, die chaotischen Wendezeiten müssten genutzt werden, um etwas Neues zu schaffen. Die Revolution funktioniere nicht mit verschimmelten Attitüden der Vergangenheit.

Reimar Heider, Übersetzer von Abdullah Öcalans Büchern und einer der OrganisatorInnen der Konferenz, erklärte den Begriff »Demokratische Nation«. Öcalan dekonstruiere den klassischen Nationenbegriff. Kapitalismus könne nur durch die Überwindung des Nationalstaates erreicht werden, die PKK habe verfeindete Gruppen wie ÊzîdInnen und SunnitInnen, AraberInnen und KurdInnen vereinigt, darum sei sie so erfolgreich. Wir müssten lernen auch Menschen zu gewinnen, die »ganz anders sind als wir selbst«.

Eine Liveschaltung per Skype brachte die Berge Şengals und die Genossin Zeynep Cudî mitten ins Audimax. Die Êzîdinnen könnten sich durch den Aufbau der YPŞ nun selbst verteidigen. Sie erklärte, man werde sie nun anerkennen müssen. Sicher einer der emotionalsten Momente der Konferenz, auch wenn die Übertragung oft schlecht zu verstehen war. Viele TeilnehmerInnen riefen »Jin–Jiyan–Azadî«: Frauen–Leben–Freiheit!

Es folgte Hanîm Engizek, Aktivistin und ehemalige politische Gefangene in der Türkei. Sie erklärte das Verständnis von Selbstverteidigung in der kurdischen Bewegung. Bildung und Organisierung seien wichtige Momente der Selbstverteidigung, zivilgesellschaftliche Organisierung allein reiche jedoch nicht aus. Die Gesellschaft habe im Gegensatz zum Staat keine Selbstverteidigungskräfte und könne sich daher nicht behaupten; es sei unabdingbar, diese aufzubauen.

Eine Videobotschaft aus den Kandil-Bergen brachte erneut den revolutionären Geist ins Audimax. Mustafa Karasu kritisierte die Begrenztheit vieler Ansätze im Kampf gegen die kapitalistische Moderne, u. a. seien auch die IslamistInnen nur eine Variation der kapitalistischen Moderne, auch sie hielten an Nationalismus und Industrialismus fest. Der Industrialismus müsse überwunden, die Gesellschaft verteidigt werden. Sozialismus und Gesellschaftlichkeit seien dasselbe, eine kommunale Gesellschaft ohne Demokratie und ethische Werte aufzubauen, sei undenkbar.

Die dritte Session wurde von dem britischen Gewerkschafter Simon Dubbins moderiert und von Zîlan Yağmur von den Studierenden Frauen aus Kurdistan JXK begonnen, die wie viele VorrednerInnen an den Hungerstreik in türkischen Gefängnissen erinnerte.

David Graeber schloss an seinen Vortrag von 2015 an. Er bezeichnete die Rojava-Revolution als wichtigstes Ereignis auf diesem Planeten seit der Spanischen Revolution, welches nun auch schon länger andauere als diese. 1 % der Menschheit mache die Profite, alle anderen litten darunter. Er analysierte das Embargo gegen Rojava trotz seiner schrecklichen Auswirkungen auch als Schutz vor negativen Einflüssen und wies auf die Gefahren hin, sollte Rojava fallen. Er erklärte, der Schlüssel der Rojava-Revolution sei die duale Macht: auf der einen Seite Ministerien, die z. B. für die Außenkontakte und -darstellung wichtig seien, auf der anderen die Räte als Basisstruktur der Selbstverwaltung.

Raul Zibechi aus Uruguay setzte an demselben Punkt an: Macht in den Händen weniger führe zu undemokratischen Verhältnissen. Als Beispiel für gelungene Antimacht seien Quechua- und Aymara-Gemeinschaften zu nennen, die unter den schwierigen Lebensbedingungen im Hochland gute kollektive Strukturen benötigten und so ein Rotationssystem entwickelt hätten, welches nicht auf Individuen, sondern auf Familien basiere. Das komplette Leitungsteam werde regelmäßig ausgewechselt.

Der kurdische Autor und Aktivist Fuat Kav, der zwanzig Jahre, sechs Monate und sechs Tage u. a. neben Sakine Cansız im berüchtigten Foltergefängnis von Amed (Diyarbakır) verbringen musste, sagte: Würde die Befreiungsbewegung wieder einen Staat aufbauen, würde sie zum Werkzeug der kapitalistischen Moderne. Selbst der demokratischste Mensch könne zum Bürokraten mutieren. Der Staat müsse theoretisch, gedanklich und ideologisch überwunden werden. »Wir Gefangenen hatten den Staat ideologisch entschlüsselt«, die Ablagerungen von 5 000 Jahren abgeworfen; trotz grenzenloser Brutalität sei die Ideologie der PKK-Gefangenen nicht gebrochen worden. Man müsse eine große gesellschaftliche Organisierung schaffen.

Am Nachmittag fanden die Workshops und Arbeitsgruppen statt. Einige sollen sehr erfolgreich gewesen sein, so z. B. die Arbeitsgruppe zu Gesundheit: AktivistInnen, die sich bisher nicht kannten, konnten sich endlich vernetzen. Abends gab es ein sehr schönes Musik- und Kulturprogamm u. a. mit politischem Hip Hop aus New York, Dengbêj-SängerInnen und dem Tanzensemble Mezopotamya.

Am letzten Tag, dem Sonntag, gab es vormittags ein Panel moderiert von Silke Helfrich unter dem Motto »Auswege aus dem Kapitalismus«. Hier sprachen zwei US-Amerikanerinnen, Cora Roelofs und Elenor Finley vom Institute for Social Ecology, sowie Friederike Habermann.

Sehr spannend war der Beitrag von Halime Kurt, die wie viele andere auf der Konferenz lange in Haft in der Türkei gewesen war. Das Patriarchat mit seinen ungerechten Verteilungsmechanismen sei der Grund für Hunger und Ungerechtigkeit. Sie berichtete von der Loslösungstheorie der kurdischen Frauenbewegung. In den 1990er Jahren habe die kurdische Frauenbewegung Männer und Frauen voneinander getrennt. In der Folge habe sich dann gezeigt, dass sich die Frauen von der patriarchalen Mentalität lösen konnten. Der Kampf gegen Daesch habe zu einer noch radikaleren Loslösung geführt. Heute habe man in der kurdischen Bewegung kein Problem der Frauen mehr, sondern nur noch eines der Männer.

Als einziger Mann in diesem Panel sprach dann Salîh Muslîm aus Rojava, der Ko-Vorsitzende der Partei der Demokratischen Einheit (PYD). Sein Thema war die Frage, wie die Logik des Militarismus zu brechen sei. Die Situation in Syrien und Rojava erfordere Selbstverteidigung. Militarismus sei davon losgelöst, so Muslîm. Die Entfremdung der Militärmaschinerien mache den Unterschied. Als Beispiel für einen militaristischen Akt, der dem Profitstreben der Rüstungsindustrie diene, nannte er den US-Angriff mit 59 Tomahawk-Marschflugkörpern auf den syrischen Militärflughafen Al Shayrat am 7. April. Anstatt Syrien und Afghanistan mit 100 Millionen Dollar teuren Bomben zu bombardieren, sollte das Geld lieber in Bildung und den Aufbau von Universitäten investiert werden. Muslîm sprach darüber, wie der Militarismus besiegt werden kann: mit der Ideologie von Kobanê! Die gewaltigen Armeen Russlands und der USA seien machtlos gegen einen Feind wie Daesch. Die Kämpfe gegen diesen Gegner könnten nicht mit SöldnerInnen geführt werden, sondern nur von Menschen mit Bewusstsein. Auf Nachfrage erklärte Muslîm, warum Rojavas Volks- und Frauenverteidigungseinheiten nicht gegen die Luftunterstützung im Kampf gegen den IS seien. Der IS und Al-Qaida seien Produkte der kapitalistischen Moderne. Zumindest teilweise seien es deren Mächte, die sie als Instrument zur Destabilisierung und Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens hätten einsetzen wollen, betonte er. Das gemeinsame Interesse, sie zu bekämpfen, habe sich ergeben, weil diese Gruppen »wie Mikroorganismen im Labor« außer Kontrolle geraten seien.

In einer Videobotschaft wurde Heval Ronahî von der Frauenbewegung in den Bergen zugeschaltet. Sie sprach über die Bedeutung der Frauenbewegung und zeigte sich überzeugt, dass das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der Frauen sei; dieses Mal werde nicht die Seite der Macht, sondern die des Rechts gewinnen. Es gebe viel Anlass zu Hoffnung, denn die Frauenkräfte hätten die schwarzen Tücher, die die Frauen und das Denken verhüllten, heruntergerissen.

Das letzte Panel an diesem Tag wurde von Kerem Schamberger moderiert. Hier kamen AktivistInnen, FreiheitskämpferInnen zu Wort. Zunächst wurde ein Beitrag von Abdullah Öcalan verlesen. Es gab Videobeiträge der InternationalistInnen Agît, Şoreş und Jinda aus Rojava, die dazu aufriefen, nach Rojava zu kommen und sich an der Revolution zu beteiligen, egal ob im zivilen oder militärischen Bereich. Fawza Yusuf, die Ko-Vorsitzende der Föderation Nordsyrien, sprach über die vielen Herausforderungen der Revolution in Rojava, aber auch die großen Errungenschaften: Das erste Mal können die Menschen in der Föderation Nordsyrien über ihr Leben selbst bestimmen. Es sei sehr schwer, denn die Menschen waren nur gewohnt, Befehle zu empfangen. Man musste gegen die eigene Mentalität kämpfen und gegen Daesch. Gesetze wurden nicht nur mit JuristInnen diskutiert, sondern auch mit der Bevölkerung. »Wir haben uns entschlossen, erfolgreich zu sein!«, beendete sie ihren Beitrag.

Nach einem Beitrag von Quincy Saul von Ecosocialist Horizons sprachen Sonia López vom Kongress der Völker (CdP) in Kolumbien und Cassia Figueiredo Bechara von der Bewegung der Landlosen (MST) in Brasilien. Diese beiden Beiträge haben mich am meisten beeindruckt. Sonia erklärte, dass das Friedensabkommen zwischen dem Staat, der FARC und ELN keine Lösung der Probleme sei. Der Staat schütze immer noch die Großgrundbesitzer. Der Kongress der Völker von Kolumbien unterstütze die BäuerInnen beim Aufbau von Kooperativen und Genossenschaften. Man versuche nicht, vom Staat anerkannt zu werden, sondern vielmehr das Volk zu organisieren. Es gebe Sektoren von Jugend, Frauen, Studierenden, Afro-KolumbianerInnen, Opfern ziviler Gewalt, der Zivilgesellschaft. Man organisiere Versammlungen, Demonstrationen. Cassia ist in der Koordination der Landlosenbewegung MST. Seit 17 Jahren unterstützt sie LandbesetzerInnen. 600 000 Familien, 1,5 Millionen Menschen, haben so Land erhalten. Sie kämpfen auch für neue soziale Beziehungen. Das Land werde dann nicht einfach von den neuen BesitzerInnen weiter bebaut, sondern es werde auch der Ausbeutung entzogen. Die Landnahme sei an ein neues Paradigma für einen strukturellen Wandel gekoppelt, u. a. gesundes Essen für alle. Humanistische Werte würden entwickelt. Das Schwerste sei gewesen, ein neues kollektives Leben und Denken zu entwickeln. Ihre Prinzipien seien Bildung, Organisierung und Internationalismus. Revolution passiere nie ohne Fehler, das müsse man wissen, aber der Kapitalismus sterbe nicht von selbst, ein neues Leben müsse erkämpft werden. Sonia und Cassia sagten, die Revolution in Rojava sei ein Licht für die Völker der Welt.
Hêvîn Tekin von der JXK (Studierende Frauen aus Kurdi­stan) hielt die Schlussrede und dankte allen TeilnehmerInnen, MitarbeiterInnen und insbesondere den DolmetscherInnen, die drei Tage lang die Beiträge in sieben Sprachen synchron übersetzt hatten.

Es waren mehr TeilnehmerInnen da als in den Jahren zuvor, vor allem viele junge Leute aus ganz Europa. Die Tatsache, dass fast alle vom internationalistischen Marsch gekommen waren, zeigt, dass gemeinsames Handeln und kollektives Leben eine starke Verbundenheit hervorbringen.
Der Anspruch ist hoch, sowohl WissenschaftlerInnen als auch AktivistInnen zusammenzubringen und Brücken zwischen ihnen und Bewegungen in Kurdistan und weltweit zu schlagen. Die kurdische Bewegung war auf der Konferenz selbst und per Videoschaltungen präsent, darunter auch höchst prominente VertreterInnen. Sie hat sich dieses Mal wesentlich besser präsentiert als auf den Konferenzen zuvor, dennoch wurde auch kritisiert, dass es Beiträge gab, die weniger parolenhaft hätten sein sollen. Besonders interessant wurde es immer, wenn AktivistInnen von persönlichen Erfahrungen aus der Revolution berichteten, wie Fuat Kav von seinem Gefängniskampf oder Fawza Yusuf von den Aufbauarbeiten in Rojava, oder wenn Analysen Öcalans für uns EuropäerInnen inhaltlich übersetzt wurden wie der Begriff der »Demokratischen Nation« in dem Beitrag von Reimar Heider.

Im Vergleich zu den letzten Konferenzen waren die Beiträge von Frauen diesmal nicht mehr unterrepräsentiert. Deutlich überrepräsentiert waren jedoch weiße US- und europäische WissenschaftlerInnen.

Die spannendsten Beiträge kamen von AktivistInnen der kämpfenden Bewegungen. Man würde sich wünschen, dass diese Bewegungen stärker repräsentiert werden und mehr Redezeit erhalten. Aus ihren Analysen wurde deutlich, dass es jetzt Zeit ist zu handeln, dass es große Ähnlichkeiten und eine große Verbundenheit der Kämpfe gibt. Vielleicht hätte aus ihren Beiträgen deutlicher hervorgehen können, was sie von den Linken in Europa erwarten. In allen Beiträgen wurde deutlich: es ist nicht fünf vor, sondern fünf nach zwölf, will die Menschheit überleben, reicht es nicht aus, vegan zu leben und auf Plastiktüten zu verzichten. Viel größere Anstrengungen sind nötig, um das neue Leben, die Alternative, den »Geländegewinn« zu erkämpfen. Dies beginnt aber bereits bei der kollektiven Finanzierung einer Konferenz: Die OrganisatorInnen hatten ein größeres Spendenaufkommen erwartet; man hatte auf freiwillige Spenden gesetzt anstelle eines festen TeilnehmerInnenbeitrags.

Ich persönlich hätte mir einen Beitrag der Standing Rock KämpferInnen als einen der wichtigsten Kämpfe im letzten Jahr gewünscht, Afrika und Asien waren gar nicht vertreten, was einerseits sicher auch an der Kriminalisierung mancher Organisationen, andererseits an der Absage von Gästen lag.

Für das junge Publikum war sicher am interessantesten, wenn Mitglieder kämpfender Bewegungen die europäische Linke kritisierten. Mich hat es manchmal gewundert, dass die TeilnehmerInnen so ruhig auf ihren Sitzen klebten, als z. B. die Kämpferin aus Şengal live zugeschaltet war. Während auf der êzîdischen Frauenkonferenz im letzten Monat die Emotionen ständig überkochten, fehlte es hier offenbar noch an emotionaler Verbundenheit mit dem Kampf.

Positiv war die Atmosphäre auf der Konferenz, viele internationale Gäste erklärten mir, sie fühlten sich so warm aufgenommen und empfangen. »Ich war noch nie auf einer Konferenz, auf der alle TeilnehmerInnen privat und kostenlos untergebracht waren«, so Debbie Bookchin begeistert.

Möglich wurde die Konferenz durch die freiwillige Arbeit vieler Dutzend Mitglieder der Hamburger Volks- und Frauenräte, linker Gruppen, der YXK und JXK, der ISKU, Kurd-Akad, der Volksküche »Le Sabot«, die jeden Tag 800 vegane Essen ausgab, der Hamburger Kaffekollektive, der kurdischen Community in Hamburg, die ihre Türen für Menschen aus aller Welt öffnete, auch wenn es oft zu lustigen Szenen kam, weil Verständigung oft ganz schwierig war, so wurde das mit Humor und Begeisterung gelöst. Danke an alle, die diese wunderbare Konferenz ermöglicht haben!