Erneuter Kotau der Bundesregierung vor Ankara

Bundesinnenministerium verbietet Symbole von PYD, YPG und YPJ

Elmar Millich

Im Wahlkampfjahr 2017 hat die Bundesregierung und namentlich die Kanzlerin Angela Merkel ein Problem mit dem Präsidenten des NATO-Partners Türkei, Recep Tayyip Erdoğan. Im Vorfeld des türkischen Verfassungsreferendums am 16. April, bei dem auch in Deutschland wohnende türkische StaatsbürgerInnen wahlberechtigt sind, kamen aus Ankara über Wochen fast im Tagesrhythmus übelste Beschimpfungen, in denen der türkische Präsident Deutschland pauschal als Nazidiktatur bezeichnete, weil türkischen RegierungspolitikerInnen angeblich Wahlkampfauftritte in Deutschland verunmöglicht würden. Für zusätzliche Spannungen sorgte die Verhaftung des für die Tageszeitung »Die Welt« arbeitenden deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in Istanbul als laut Präsident Erdoğan deutscher Spion und Anhänger der PKK. Die »besonnene« Reaktion der Bundesregierung kommt aktuell beim deutschen Wahlvolk schlecht an, sei es aus ehrlicher Kritik an den despotischen Zuständen in der Türkei oder auch verletztem deutschem Nationalstolz.

lagg ypg1maiffmIn dieser Stimmung wäre es dem Bundesinnenministerium (BMI) lieber gewesen, dass sein Rundschreiben vom 2. März an die Innenminister der Länder und verschiedene Sicherheitsbehörden auch in diesem Kreis geblieben wäre. Dieses Schreiben kam durch zum Teil hektisch aktualisierte Auflagenverfügungen der Polizei anlässlich zweier kurdischer Demonstrationen in Hannover und München ans Tageslicht. Neben der im Schreiben gemachten Vorgabe, dass das Zeigen von Portraits des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan aufgrund dessen »erheblichen Emotionalisierungseffekts« auf Versammlungen zu verbieten sei, hatte es vor allem die als Anlage beigefügte Liste mit den Symbolen angeblicher der PKK nahestehender Vereine und Organisationen in sich. Betroffen waren neuerdings auch die Symbole des legal als eingetragener Verein agierenden Verbands der Studierenden aus Kurdistan in Deutschland YXK und – von großer außenpolitischer Brisanz – die Fahnen der nordsyrischen kurdischen Partei der Demokratischen Einheit PYD sowie der kurdischen Selbstverteidigungskräfte YPG und YPJ (Volks- und Frauenverteidigungseinheiten) als »PKK-Ablegerparteien«.

Nach einer Presseerklärung des Rechtshilfefonds Azadî und des kurdischen Informationsbüros Civaka Azad kam es zu Nachfragen von zahlreichen Medien an das BMI und entsprechenden Artikeln bzw. Beiträgen. Das BMI sah sich vor allem in Bezug auf das Verbot der syrisch-kurdischen Fahnen und Symbole in Erklärungsnot. Es wurde betont, dass PYD und YPG nicht unter das bestehende Vereinsverbot gegen die PKK von 1993 fallen, aber ihre Symbole auf kurdischen ­Demonstrationen verboten werden können, wenn sie »ersatzweise« für PKK-Symbole genutzt würden, um den Zusammenhalt von deren AnhängerInnenschaft zu stärken.

Das starke Medieninteresse rührte nicht zuletzt daher, dass neben den oben erwähnten Beleidigungen die türkische Regierung – wie schon seit Jahrzehnten – Deutschland vorwarf, die PKK in Deutschland gewähren zu lassen, wenn nicht gar zu unterstützen. Während türkische PolitikerInnen am Reden gehindert würden, dürften PKK-AnhängerInnen offen demonstrieren. Anlässlich der für den 18. März geplanten zentralen Newroz-Feier in Frankfurt mit zu erwartenden zehntausenden TeilnehmerInnen wollte sich die Regierung mit der Verfügung vom 2. März wohl gegen diese Vorwürfe wappnen, auch wenn sie die Verbotserweiterung gegenüber der Presse als »routinemäßigen Vorgang« bezeichnete. Bei der Newrozfeier in Frankfurt selbst kam es dann zu einer Art Waffenstillstand: Die TeilnehmerInnen zeigten zu Hunderten Fahnen mit den Portraits von Öcalan. Die Polizei verzichtete in Absprache mit der zuständigen Staatsanwaltschaft auf direkte Intervention und beschränkte sich im Wesentlichen auf Videodokumentationen der angeblichen Straftaten. Ein Ziel hatte die Verbotsverfügung allerdings da bereits erreicht. Das Medieninteresse beschränkte sich fast ausschließlich auf das Verhalten der Polizei. Kritik an den despotischen Zuständen in der Türkei und dem geplanten Referendum in vielen Redebeiträgen während der Veranstaltung fanden kaum Erwähnung.

Angriff auf die politische Identität der KurdInnen

Das eher defensive Vorgehen der Polizei in Frankfurt soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es allein der großen Masse der DemonstrationsteilnehmerInnen geschuldet war. Kleinere kurdische Versammlungen im Vor- und Nachfeld zeigen, dass die Polizei durchaus gewillt ist, das Verbot rigide umzusetzen. Die Erweiterung der Verbotsliste durch das BMI hat weitreichende Folgen für das innenpolitische Klima in Deutschland. Sie bedeutet einen direkten Angriff auf die politische Identität von etwa 800 000 in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden und hebelt grundgesetzlich geschützte Rechte, wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, weitgehend aus. Vermehrte Auseinandersetzungen mit der Polizei bei vom Verlauf her friedlichen Demonstrationen sind vorprogrammiert und politisch gewollt, um das Feindbild der angeblich gewaltbereiten Kurdinnen und Kurden aufrechtzuerhalten. Die Folgen werden weitere Hunderte von Strafverfahren wegen des Verstoßes gegen Artikel 20 Vereinsgesetz aufgrund des Zeigens verbotener Symbole sein.

Juristisch ist es natürlich höchst fragwürdig, Symbole legaler Vereine und Organisationen auf Kundgebungen zu verbieten mit Argumentationen, die letztlich Mutmaßungen darstellen und damit dem Bestimmtheitsprinzip des Strafrechts widersprechen. Wer soll etwa bei einer Demonstration zum Jahrestag der Befreiung von Kobanê entscheiden, ob das Mitführen von YPG-Fahnen inhaltlich den Demonstrationszielen entspricht oder aber »ersatzweise« für verbotene Symbole der PKK geschieht? Die Polizeipraxis wird sich um solche Erwägungen in der Regel nicht scheren, sondern im Zweifel erst mal intervenieren und Personalien feststellen. Der schwarze Peter, ob wirklich strafwürdiges Verhalten vorlag und die Versammlungsauflagen überhaupt gerechtfertigt waren, liegt dann bei den Staatsanwaltschaften und Verwaltungsgerichten.

Dazu aus einer Erklärung des von der Verbotserweiterung betroffenen Verbandes der Studierenden aus Kurdistan YXK: »Ein Verbot unserer Flaggen und Symbole entzieht sich jeglicher Rechtsstaatlichkeit. Die Argumentation des Bundesinnenministeriums für die Legitimation dieses Verbotes ist nicht nachvollziehbar und unterstreicht erneut die massive Einflussnahme der türkischen Regierung auf die deutsche Innenpolitik. Es ist ein Unding, dass die deutsche Bundesregierung mit dem Verbot und dem damit zusammenhängenden Ausbau der Kriminalisierung kurdischer Institutionen die Politik Erdoğans unterstützt und somit in der BRD gleiche Prinzipien übernimmt, wie sie die türkische Regierung gegen KurdInnen und Andersdenkende anwendet.«

Komplexer ist die Einschätzung der außenpolitischen Signalwirkung des Verbots von PYD- und YPG-Symbolen. Die Türkei macht keinen Hehl daraus, dass ihr Einmarsch in Syrien im August letzten Jahres vor allem dem Ziel dient, die kurdisch-arabischen Selbstverwaltungsstrukturen im Norden Syriens zu schwächen und zu zerstören. Immer wieder griffen die türkische Armee und mit ihr verbündete Söldner Dörfer im Umfeld der von den Demokratischen Kräften Syriens (engl.: SDF, arab.: QSD) befreiten Stadt Minbic (Manbidsch) an. Auf jedem internationalen Treffen stellt die Türkei die Forderung, den »Islamischen Staat« und PYD/YPG als terroristische Organisationen auf eine Stufe zu stellen. Die USA scheinen jedoch auch unter der Trump-Regierung an ihrer engen Kooperation mit YPG und QSD nicht nur festzuhalten, sondern diese sogar auszubauen durch Entsendung zusätzlicher Truppen und schwerer Artillerie bei der Befreiung von Raqqa vom »Islamischen Staat«. Mit ihrer Listung von PYD und YPG als PKK-Ableger hat die Bundesregierung sich auf der Seite der Türkei positioniert und damit indirekt auch gegen die USA. Diese Vorgehensweise ist wahrscheinlich auch innerhalb der Regierung nicht unumstritten. Der dem Auswärtigen Amt nahestehende Think Tank »Stiftung Wissenschaft und Politik« (SWP) beschreibt in einem Bulletin vom März unter dem Titel »Ohne die kurdische PYD keine Lösung für Syrien« die zunehmenden diplomatischen Erfolge der syrischen KurdInnen. Die Tendenz der Bundesregierung, in der kurdischen Frage im Mittleren Osten weiter allein auf den NATO-Partner Türkei und deren Statthalter im Nordirak, den Präsidenten der kurdischen Autonomieregion Mesûd Barzanî, zu setzen, könnte sich als kurzsichtig erweisen.

Deutschland stellt sich hinter die Gülen-Bewegung

Im Ganzen bleibt das Agieren der Bundesregierung gegenüber der Türkei widersprüchlich. Während die Ausweitung des PKK-Verbots offensichtlich dazu diente, Ankara den Wind aus den Segeln zu nehmen, ging Deutschland in Bezug auf türkische Vorwürfe gegen AnhängerInnen des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen ohne ersichtlichen Grund auf Konfrontationskurs. Mitte März erklärte der Chef des Bundesnachrichtendienstes Bruno Kahl, seine Organisation habe keine Anzeichen dafür, dass die Gülen-Bewegung in den Putschversuch vom Juni 2016 verwickelt sei. Es ist auszuschließen, dass er dies ohne politische Rückendeckung äußerte, musste er sich doch der politischen Sprengkraft seiner Worte bewusst sein. Die angebliche Verstrickung der Gülen-Bewegung ist die wesentliche Begründung, mit der die Türkei rechtfertigt, nach dem von Präsident Erdoğan als Geschenk Allahs gepriesenen Putschversuch Tausende Staatsbedienstete zu inhaftieren und über Hunderttausend zu entlassen. LehrerInnen und UniversitätsdozentInnen sind nun mal nicht die ersten Verdächtigen, die man im Visier hat, wenn Panzer gegen die eigene Regierung rollen. Um den kompletten Staatsapparat bis auf die unterste BeamtInnenebene auf AKP-Linie zu bringen, bedurfte es dieses Konstrukts.

Zwei Wochen später gingen die Indiskretionen weiter. Ausgangslage war ein Dossier mit den Namen von 500 angeblichen Gülen-AnhängerInnen in Deutschland, das der Chef des türkischen Geheimdienstes MIT Hakan Fidan anlässlich der Münchener Wehrkundetagung im Februar seinem Kollegen vom BND übergeben hatte. Nachdem dieser es an den Verfassungsschutz weiterleitete, passierte erst mal nichts. Ende März wurde diese seit Jahrzehnten gängige Praxis, wenn es um die Verfolgung linker oder kurdischer Oppositioneller geht, zum Skandal aufgebauscht. Es blieb nicht allein bei einer in der Zusammenarbeit von Geheimdiensten mehr als unüblichen Veröffentlichung des Vorgangs, sondern Beamte der Landeskriminalämter warnten die auf der Liste geführten Personen, damit ihnen bei einer möglichen Einreise in die Türkei keine Unannehmlichkeiten drohten. Die Bundesanwaltschaft startete Ermittlungen wegen ausländischer Spionage in Deutschland. Warum sich die Bundesregierung aktuell in diesem Ausmaß hinter die Gülen-Bewegung stellt, bleibt im Bereich des Spekulativen. Hingegen wird im Fall von zehn wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor dem OLG in München angeklagten Mitgliedern der türkischen Linken gegenteilig verfahren. Dokumente von türkischen Polizeibehörden mit Daten zu in Deutschland lebenden angeblichen UnterstützerInnen der TKP/ML werden problemlos in das Verfahren eingeführt. Dazu Peer Stolle, Rechtsanwalt der mitangeklagten Ärztin Dilay Banu Büyükavci: »Es kann nicht sein, dass Spitzeltätigkeiten türkischer Sicherheitsbehörden gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger skandalisiert werden; wenn sie sich gegen Linke oder Kurden richten, diese aber nicht nur geduldet, sondern die Ergebnisse sogar als Beweismittel verwertet werden.«

Vieles wird davon abhängen, wie sich die Türkei nach dem Referendum vom 16. April entwickelt. Aber es gibt deutliche Anzeichen, dass die Bundesregierung sich auch auf eine Neujustierung ihrer Türkeipolitik vorbereitet. Die im Auftrag des Bundestages unternommene Prüfung, welche zum türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik alternativen Standorte infrage kämen, wurde im März abgeschlossen. Grundsätzlich geeignet wären auch Stützpunkte in Jordanien, Kuwait oder auf Zypern. Aus einer parlamentarischen Anfrage des Abgeordneten der Partei Die Linke Jan van Aken ging hervor, dass die Bundesregierung seit Anfang 2016 elf Rüstungsexporte in die Türkei abgelehnt hat. Dabei ging es um die Lieferung von Handfeuerwaffen, Munition sowie Komponenten für andere Rüstungsgüter. Ein sehr ungewöhnlicher Schritt gegenüber einem NATO-Partner. Am verwundbarsten ist die Türkei aufgrund ihrer aktuellen schlechten Wirtschaftssituation. Hier hat Bundesfinanzminister Schäuble schon mal die Daumenschrauben ausgepackt. Ein bereits mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Mehmet Şimşek vereinbarter ganzer Katalog von Maßnahmen zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Türkei wurde von ihm unter Verweis auf die Causa Deniz Yücel erst mal auf Eis gelegt. Nachdem die Balkanroute für Flüchtlinge geschlossen ist und auch geschlossen bleiben wird, hat die immer wieder von der Türkei angedrohte Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens einen großen Teil ihres Schreckens für die EU verloren. Für Flüchtlinge ist es wenig attraktiv, unter Einsatz horrender Schleusergebühren für unbestimmte Zeit unter erbärmlichen Bedingungen in griechischen Flüchtlingslagern hausen zu müssen. Das weiß auch Erdoğan und nimmt lieber die im Zuge des Abkommens vereinbarten Milliardenhilfen mit, die er aufgrund der anhaltenden wirtschaftlichen Schwäche der Türkei dringender denn je braucht. Innerhalb der EU würde Deutschland bei einem Schwenk in seiner Türkeipolitik auf wenig Gegenwehr stoßen. Österreich fordert schon länger den Abbruch der Beitrittsgespräche und in keinem EU-Land hat die Türkei aktuell eine Lobby. Um nicht als Getriebener dazustehen, tritt Erdoğan schon einmal die Flucht nach vorne an und bringt nach dem Referendum über die Verfassungsänderung ein zweites Referendum ins Spiel, in dem die türkische Bevölkerung abstimmen könnte, ob sie weiterhin einen EU-Beitritt anstrebt.

Etwas wird sich aber in naher Zukunft mit Sicherheit nicht ändern: die Verfolgung politischer AktivistInnen der kurdischen Befreiungsbewegung in Deutschland. Liest man die Verfügung des BMI vom 2. März, zeigt sich eine schon fast autistische Sicht auf die PKK, die deren Handeln und Wirken seit 1993 unbeirrt fortschreibt unbeschadet aller historischen Veränderungen in der Region. Die Verfolgung der PKK ist für die staatlichen Repressionsbehörden in Deutschland längst zum Selbstläufer geworden.