Gedenkfest für die gefallenen Internationalist*innen

In die Herzen ein Feuer ...

Holger Deilke, Kurdistan-Solidaritätskomitee Bonn

Am 6. Mai 2017 fand in Celle das Gedenkfest für im Kampf gefallene Internationalist*innen in Royava/Nordsyrien statt. Der Impuls zur Ausrichtung eines solchen Festes ging von einem TATORT-Kurdistan-Treffen im letzten Jahr aus. Schnell fand sich ein Kreis von Genoss*innen, denen dieser Gedanke ein Anliegen wurde. Im Vorbereitungskomitee kamen dann Genoss*innen von der Kampagne TATORT Kurdistan, dem Freundeskreis Ivana Hoffmann, der Stiftung der freien Frau aus Rojava (WJAR), der Informationsstelle Kurdistan (ISKU), NAV-DEM und der Kampagne Halim Dener zusammen.in die herzen ein feuer

In der kurdischen Befreiungsbewegung ist Gedenkkultur ein nicht wegzudenkender Bestandteil, sogar eine der Säulen des Kampfes. Die Erinnerung an die im Rahmen des Kampfes gestorbenen Menschen wird im Alltag, im Rahmen von Aktivitäten, zu verschiedensten Anlässen wachgehalten und gestärkt. Nahezu jede Versammlung beginnt mit einer Schweigeminute. Die Portraits von Gefallenen hängen zu Hause, in jedem Verein, sie werden auf Demonstrationen getragen und sind tief in den Köpfen und Herzen der Menschen.

Aber wie können wir als »Deutsche Linke« eine Gedenkkultur entwickeln? Nicht, dass es diese Kultur bei uns nicht gab oder gibt: Wir haben nur den Kontakt dazu verloren. So war der 20. Mai in der Deutschen Demokratischen Republik DDR der Gedenktag für die gefallenen Internationalist*innen im spanischen Befreiungskampf. In der Bundesrepublik Deutschland BRD benannte sich eine bewaffnet kämpfende Gruppe nach dem Datum der Ermordung Benno Ohnesorgs »Bewegung 2. Juni«. Der 18.10. wurde nach 1977 zum Gedenktag für die ermordeten Kämpfer*innen der antiimperialistischen Kämpfe in der Metropole.

Daran können wir anknüpfen. Und das wollen wir auch.

Allein aus Deutschland folgten ca. 4 500 Menschen dem Aufruf der Kommunistischen Partei Deutschlands KPD zur Bildung internationaler Brigaden gegen den Franco-Faschismus. Antifaschistischer Kampf, Solidarität, zusammen kämpfen, Abwehr weiterer Kriege – das einte die Menschen aus weiten Teilen der Welt. Und sicher auch die Neugier: Wie bauen die Menschen dort ihre demokratische Republik auf? Was sind ihre Erfahrungen? Was ihre Errungenschaften? Ihre Probleme? Was können wir voneinander lernen?

So wurde der sog. spanische Bürgerkrieg das erste uns bekannte Beispiel internationaler Mobilisierung zur Unterstützung revolutionärer Kämpfe. Auch die Tausende von Freiwilligen, die im Zweiten Weltverteilungskrieg in den verschiedenen Armeen gegen den Faschismus gekämpft haben und gestorben sind, dürfen in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben.

In den Jahren nach 1945 zog es immer wieder einzelne Internationalist*innen aus Europa zu den Befreiungskämpfen in den Kontinenten.

Viele in Europa schauten auf die Befreiungsbewegungen in Lateinamerika, besonders als 1979 die Sandinist*innen der FSLN in Nicaragua das Somoza-Regime vertreiben konnten und die Befreiungsbewegung FMLN in El Salvador auf einem guten Weg zum Sieg zu sein schien.

Im sog. Nahen und Mittleren Osten bot die palästinensische Befreiungsbewegung Anknüpfungspunkte und spätestens seit dem Militärputsch in der Türkei am 12. September 1980 auch die Kämpfe in der Türkei und im kurdischen Teil der Türkei. Die Schweizerin Barbara Anna Kistler schloss sich 1991 den bewaffneten Einheiten der TKP/ML an und fiel 1993 in Dêrsim.

Der Gefangenenrat der damals ca. 10 000 Gefangenen der Arbeiter*innen Partei Kurdistan PKK in den türkischen Gefängnissen forderte in seinem Aufruf zum 1. Mai 1989 die fortschrittlichen Menschen und Organisationen der Welt auf, nach dem Vorbild der internationalen Unterstützung der Spanischen Republik 1936 internationale Brigaden zu organisieren und die Kämpfe in Kurdistan zu unterstützen. Der Kampf der PKK mit seinem feministischen Ansatz, dem bewaffneten Kampf in den Bergen und den Aufständen in den Städten hatte inzwischen auch in den deutschsprachigen Raum Ausstrahlung erlangt, so dass ab 1993 nach und nach immer mehr sich dem Kampf dort anschlossen.

Unter ihnen Ronahî/Andrea Wolf, revolutionäre, feministische Internationalistin. In Deutschland wegen ihres Kampfes gegen die imperialistische Bestie verfolgt, fand sie Aufnahme bei den Freundinnen und Freunden der PKK. Am 22. Oktober 1998 fiel sie zusammen mit weiteren Freund*innen dem Feind in die Hände und wurde mit den Genoss*innen nach der Gefangennahme erschossen.

Die im Kampf getöteten Genoss*innen waren, sind und bleiben ein Teil unserer Kämpfe. Sie erinnern uns an die Ernsthaftigkeit und Bedeutung unserer Kämpfe. Sie sind gestorben, weil der Feind uns lieber tot sieht, als auch nur ein Stück von seiner Hegemonie zurückzuweichen. Ihr Tod ist eine Anhäufung von tiefen Wunden in unseren Herzen, die wir mit uns tragen. Unser Gedenken hält sie lebendig, heute und in der Geschichte. Sie geben uns Kraft, uns weiterzuentwickeln. Das bedeutet »Şehîd namirin/die Gefallenen sind unsterblich«. Sie helfen uns, uns zu hinterfragen: Wo haben wir Schritte nach vorn gemacht, wo halten wir an Dingen fest, an Gewohntem, wie weit haben wir die Hoffnung in uns hereingelassen ...?

Das weiß der Feind und so ist es ihm auch nicht zu mühsam, mit großem Einsatz unsere Gedenkstätten möglichst zu vernichten: Am 29. November 2015 hat das türkische Militär mit Helikoptern, Kampfflugzeugen und Granaten den nach unserer Genossin Ronahî/Andrea Wolf benannten PKK-Friedhof sowie die Gedenkstätte und das Dokumentationszentrum inklusive Gebetshaus in Keleh/Şax aus der Luft bombardiert und schwer getroffen. Die Gedenkstätte, Gräber und Gebäude wurden zerstört. Wo die türkische Armee hinkommt versucht sie die Erinnerung an die Gefallenen auszulöschen.

Das werden sie nicht schaffen, dafür sorgen wir. Überall auf der Welt bleiben die gefallenen Genoss*innen in den Herzen und Köpfen der Menschen, es werden ihre Bilder getragen, ihre Worte rezitiert und es ist gut, wenn wir ihrer zu Beginn von Veranstaltungen gedenken.

So haben wir uns an die Vorbereitung unseres Gedenkfestes gemacht. Es sollte schön werden. Und es wurde schön. Die vielen engagierten Menschen, die dieses Fest zur eigenen Sache machten, haben es wunderschön werden lassen. Es sollte Raum geben zum Nachdenken, Innehalten, für Trauer, gegenseitiges Kennenlernen, Neugier ... und all das wurde möglich gemacht und angenommen.

Die vielen Freundinnen und Freunde, Helferinnen und Helfer haben es geschafft, aus einem Veranstaltungsort einen Gedenkort zu machen, es hat an nichts gefehlt, alles war so gut vorbereitet, dass das Gedenken im Vordergrund stehen konnte, und Tränen und Tanzen und Singen und Weinen und Zuhören und Sprechen und Zusammensein und Alleinsein – dass dies alles zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort sein konnte. Und sie haben es geschafft, aus einem Raum, in dem sonst Punkkonzerte und Ähnliches stattfinden, einen sehr schönen Gedenkraum zu machen. In dem mit schwarzem Tuch verkleideten Raum hingen Bilder gefallener Internationalist*innen, versehen mit ihrem Kampfnamen, ihrem »bürgerlichen« Namen, dem Ort und Datum ihres Todes. Aus der Mitte des Bodens schien die große gelbe Sonne, die wir von den Fahnen her kennen, in der Mitte ein Blumengebinde. Der Raum strahlte Ruhe aus und bot die Möglichkeit, sich in Ruhe den entstehenden Gedanken hinzugeben.

Wie schön, dass Ivana Hoffmanns Mutter kommen konnte und für uns alle Worte der Trauer und des Stolzes für ihre Tochter gefunden hat.

Und wie schön, dass Chris Scurfield aus England da war, um über seinen Sohn Kosta zu sprechen und in seiner Ansprache an uns damit zu enden, dass in Großbritannien permanent »Helden« geehrt werden, weil sie in der britischen Armee auf einem der vielen Kriegsschauplätze ihr Leben lassen mussten: Aber was ist das für ein Held*innentum, für die Interessen der NATO, des britischen Staates und seiner Mächtigen und Nutznießer*innen zu kämpfen? Vielmehr sind Menschen wie sein Sohn, die für demokratische und emanzipatorische Entwicklungen ihr Leben einsetzen, die wirklichen Held*innen. Wir möchten hiermit John zutiefst zustimmen.

Sehr gefreut hat uns, dass Valerie und Shelagh, Mutter und Tante des kanadischen Gefallenen John Gallagher (Gabar Rojava), extra aus Kanada und Amanda Johnston, Mutter von Ashley Johnston, zum Gedenkfest gekommen sind, um diesen Tag zusammen mit uns zu begehen und andere Angehörige kennenzulernen.
Der Kovorsitzende der Partei der Demokratischen Einheit (PYD) Salih Muslim hat sehr eindringlich über die Bedeutung der internationalistischen Beteiligung am Kampf in Rojava gesprochen. Er blieb den ganzen Tag bei uns, er war Teil des Festes und die ganze Zeit bei und mit den Angehörigen zusammen.

Der Freundeskreis Ivana Hoffmann erzählte vom Leben und Kämpfen der jungen Ivana, ein als Poetry Slam angekündigter Text behandelte Ivanas Leben und dass ihre Entscheidung, sich kämpfend an die Seite der Menschen in Rojava zu stellen, ihr Leben einzusetzen, Soldatin der Revolution zu sein, nichts mit dem Soldaten*innentum zu tun hat, das mit Gehorsamsprinzipien und Aufgabe der eigenen Persönlichkeit einhergeht. Genau im Gegenteil: Es ist die Entscheidung für das Leben, für Lebendigkeit.

Es gab weitere Redebeiträge verschiedener Organisationen (wie Rote Hilfe, Revolutionärer Aufbruch Schweiz ...); aber besonders hervorgehoben und zitiert sei an dieser Stelle das Grußwort des italienischen Partisanen Giacomo Notari, der mit wenigen schönen Worten die Verbindung der Befreiungskämpfe dieser Welt formulierte:

»Liebe Freunde und Freundinnen,
Als nunmehr fast neunzigjähriger Partisan aus den Bergen von Reggio Emilia, der während des Zweiten Weltkrieges in der italienischen Resistenza gegen ausländische Invasoren und gegen die faschistische Diktatur gekämpft hat, möchte ich hiermit meiner tief empfundenen Solidarität, meiner Wertschätzung und Nähe zu den kurdischen Partisaninnen und Partisanen und ihrem langen Kampf für den Frieden, für die Freiheit und die Unabhängigkeit ihres Volkes Ausdruck verleihen. Nach den letzten tragischen, bis vor wenigen Jahren unvorstellbaren Ereignissen, mit denen die Geißel des Kalifats in all seiner absurden Barbarei und Gewalt in Erscheinung tritt, sollten alle dem kurdischen Volke dankbar dafür sein, dass es die vom ISIS besetzten Gebiete befreit und somit die Freiheit von uns allen verteidigt.
Es lebe der Widerstand gegen alle Tyrannen der Vergangenheit und der Gegenwart.
Es lebe der Frieden und die Freiheit.
Giacomo Notari«

Wir schaffen uns unsere Gedenkstätten und -feiern. Ganz in dem internationalistischen Geist der gefallenen Internationalist*innen kommen wir AUCH im Gedenken zusammen, über Grenzen und Zeiten hinweg.

Şehîd namirin!