Der Widerstand gegen den destruktiven Ilısu-Staudamm geht weiter

Geschichte einfach so versetzen?

Ercan Ayboga, Initiative zur Rettung von Hasankeyf, Juni 2017

Am 12. Mai 2017 wurde das Zeynel-Bey-Mausoleum in Hasankeyf (kurdisch Heskîf) nach zwei Jahren Vorbereitung, Diskussion und Widerstand in ein Gebiet außerhalb des geplanten Ilısu-Stausees versetzt. Damit wird das kontrovers diskutierte Ilısu-Staudamm- und Wasserkraftwerks­projekt wieder in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Seit knapp zwanzig Jahren versucht der türkische Staat, dieses für ihn strategisch wichtige, aber für die Bevölkerung in vielerlei Hinsicht katastrophale Projekt am Tigris in Obermesopotamien zu realisieren.

Begleitet von einem großen Polizeieinsatz hat das Konsortium aus der türkischen Er-Bu Inşaat und der niederländischen Bresser Eurasia BV das 550 Jahre alte berühmte Mausoleum in den geplanten »Archäologie-Park Hasankeyf« neben dem im Bau befindlichen »Neu-Hasankeyf« versetzt. Ein wichtiges Monument des seit über 10 000 Jahren ununterbrochen besiedelten Hasankeyf am Dicle (Tigris) in Nordkurdistan wurde ohne Weiteres umgesiedelt und dies der Öffentlichkeit als Rettung kulturellen Erbes angepriesen. Seit Wiederaufnahme des Ilısu-Projekts im Jahre 2005 bestand ein Teil der staatlichen Propaganda aus der Behauptung, mit dem Ilısu-Projekt würde Hasankeyf gerettet werden. Denn ohne dieses Projekt würde es keine Gelder für die Ausgrabungen, Forschungen und die Versetzung von Monumenten zur Rettung von Hasankeyf geben. Ohne Gelder würde in Hasankeyf nichts weiter passieren und die Monumente würden von der ortsansässigen Bevölkerung immer mehr zerstört werden. So sehr kann ein Staat die Menschen beleidigen und von der eigenen Verantwortung abzulenken versuchen! Wie in vielen anderen Bereichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens in der »Republik Türkei« zeigt diese türkische Regierung eine makabre Offenheit, ohne aber dass dies selbst von der linken und kritischen Öffentlichkeit ernsthaft wahrgenommen wurde.

Das Zeynel-Bey-Mausoleum sticht von Êlih (Batman) kommend sehr heraus und gehört zum wohlbekannten Bild von Hasankeyf. Es ist ein architektonisches Meisterwerk, weil zur Zeit seines Baus eine Keramiktechnik verwandt wurde, die westlich des Zagros-Gebirges einmalig war. Dieses Mausoleum gehört zu den acht Monumenten in Hasankeyf, die laut Plan der türkischen Regierung versetzt werden sollen. Nach dem Mausoleum sollen nun der Reihe nach die anderen sieben Monumente, darunter ein Hamam und eine Moschee, folgen. Die imposanten drei Brückenpfeiler der antiken Brücke sollten zunächst auch versetzt werden, doch davon wurde Abstand genommen, als die technische Undurchführbarkeit offensichtlich wurde. Jetzt wird es mit Steinen ummauert, um es vermeintlich zu schützen, wenn der Stausee kommen sollte.Zeynel-Bey-Mausoleum in Hasankeyf

Seit zwei Jahren gibt es zum Zeynel-Bey-Mausoleum eine öffentliche kritische Debatte. Vor allem die Initiative zur Rettung von Hasankeyf hat dieses wahnsinnige Projekt immer wieder in die Öffentlichkeit getragen. Zunächst ging es um die Vergabe des Projekts an das Konsortium, das bestehende Gesetze und Regeln unterlaufen hat. Die lokale Architektenkammer wendet sich seit Jahren gegen das Ilısu-Projekt und stellte ein für das Procedere notwendiges Dokument nicht aus. Wie dies hintergangen wurde, ist bis heute trotz Anfragen nicht bekannt. Zwar wurde Anfang 2016 publik, welches türkische Unternehmen – nämlich Er-Bu Inşaat – die Versetzung planen und durchführen soll. Doch wurde bis Ende 2016 verschwiegen, welche internationalen Unternehmen dabei sind. Dies war und ist entscheidend, da weder Er-Bu Inşaat noch andere türkische Unternehmen ansatzweise Erfahrung mit dem Versetzen von Monumenten haben. So konnte eine Kampagne gegen die Bresser Eurasia BV und gegen das griechische Unternehmen Korres erst sehr spät begonnen werden – als vor Ort die Vorbereitungen zur Versetzung begannen. Korres gab auf Anfrage kritischer griechischer Organisationen gleich bekannt, dass sie nicht am Projekt beteiligt seien. Bresser leugnete es nicht, gab sich aber auch keine Mühe, auf irgendein Gespräch einzugehen. Erst auf Druck von Organisationen aus Nordkurdistan und von europäischen Gruppen war Bresser bereit, ein Gespräch zu führen. So viel zu hohen Standards bei international agierenden europäischen Unternehmen, die sich in der Öffentlichkeit mit einer hohen sozialen Verantwortung darstellen. Die meisten sind skrupellos und denken nur an den Profit, wenn es darum geht, irgendwo anders kulturelles Erbe »mal eben« zu versetzen.

Ob die Versetzung zu Schäden am Monument geführt hat, ist unklar. Das hatte die Initiative zur Rettung von Hasankeyf zusammen mit weiteren Organisationen wie Hasankeyf Matters und Save the Tigris and Iraqi Marshes Campaign zur Sprache gebracht. Es gibt Berichte, wonach die Kuppel Risse bekommen haben soll. Das werden wir irgendwann erfahren, das kann aber noch Jahre dauern.

Nach der Verkündung des Ausnahmezustands im gesamten türkischen Staat im Sommer 2016 wurde es sowohl für die Initiative zur Rettung von Hasankeyf als auch die meisten anderen zivilen Organisationen fast unmöglich, Demonstrationen durchzuführen. Insbesondere für Nordkurdistan gilt das. Die Repression ist so stark, dass viele Menschen sogar beim bloßen Aufenthalt am Mausoleum oder in Hasankeyf von der Polizei beobachtet werden. Nur wenige Tage vor der Versetzung des Zeynel-Bey-Mausoleums wurde der Journalist und Fotograf von National Geographic, Mathias Depardon, der seit zwei Jahren eine große Reportage zu Hasankeyf vorbereitet, in Hasankeyf inhaftiert und einen Monat später ausgewiesen. Und Letzteres erst, nachdem der neue französische Präsident Macron interveniert hatte. Zuvor war ein anderer deutscher Fotograf in Hasankeyf für Stunden festgehalten und seine Bilder waren gelöscht worden. Er hatte wie viele andere Touristen einfach Fotos geschossen. So viel zur Presseunfreiheit in der Kolonie Nordkurdistan!

Eine Klage der Initiative zur Rettung von Hasankeyf vom Sommer 2016 zum Stopp des Projekts zur Versetzung des Zeynel-Bey-Mausoleums wurde nur zwei Monate später abgewiesen. Das Kultusministerium hat in Zusammenarbeit mit der staatlichen Wasserbehörde DSI zwei Dutzend Seiten Text zusammengetragen, warum das Projekt fortgeführt werden solle. Eine Verhandlung wurde nicht einmal angesetzt. Die wenigen von der AKP halbunabhängigen Richter wurden bekanntermaßen entweder aus ihren Positionen entfernt oder so sehr eingeschüchtert, dass eine Entscheidung gegen die Regierung unvorstellbar geworden ist. Wenn es doch passierte, wüteten AKP-Politiker öffentlich so lange, bis der kritisierte Beschluss rückgängig gemacht und in sein Gegenteil verkehrt wurde.

Neben dem Zeynel-Bey-Mausoleum ist die Umsiedlung der Menschen aus Hasankeyf nach Neu-Hasankeyf ein Thema, für das sich die Presse sehr wenig interessiert. Im Oktober 2016 wurde bekannt, welche Einwohner von Hasankeyf eine Wohnung in Neu-Hasankeyf kaufen dürfen. Nur ein Drittel der Anträge wurde durch die DSI angenommen. Die anderen Bewohner fielen durch, weil sie keine Kinder haben oder nicht immer durchgehend in Hasankeyf gelebt hätten bzw. die notwendigen Dokumente nicht zeigen können. Seit Jahren ging es darum, wer wie in Neu-Hasankeyf leben soll. Die Bevölkerung von Hasankeyf hat sich lange mehrheitlich gegen das Ilısu-Projekt gestellt – wenn auch nicht immer eindeutig und offensiv genug –, doch mit dem Voranschreiten des Projekts zeigen sie sich daran interessiert, wie das Leben in Neu-Hasankeyf aussehen soll. Lange wurde die Bestimmung derjenigen Menschen, die in Neu-Hasankeyf leben sollen, verhindert bzw. verschoben – auch durch Klagen durch die Initiative zur Rettung von Hasankeyf. Vor wenigen Wochen wurde der Bau von etwa 1000 Wohnungen in Neu-Hasankeyf begonnen, die 2018 bezugsfertig sein sollen.

Sehr problematisch ist, dass die Bewohner von Hasankeyf für ihre bestehenden Wohnungen in Hasankeyf maximal die Hälfte des Kaufpreises der neuen Wohnungen in Neu-Hasankeyf bekommen haben, sich also durch die erzwungene Umsiedlung verschulden. Das zweite große Problem ist, dass den Menschen von Seiten des Staates keine Einkommensmöglichkeiten angeboten werden.

Der Bau des Staudamms dürfte weitgehend abgeschlossen sein. Problematisch scheint es beim Kraftwerk zu sein, doch darüber gibt es öffentlich keine Informationen. An der großen Brücke bei Hasankeyf wird immer noch gebaut. Die Entschädigung der Menschen in einer Reihe von Dörfern ist nicht abgeschlossen, viele Widersprüche der Betroffenen werden immer noch bearbeitet. Auch in Hasankeyf gibt es mehrere Dutzend Menschen, die gegen die Enteignung ihrer Güter geklagt haben. Die Welle der Klagen von Betroffenen wird allenfalls zu einer Verzögerung führen. Trotz der weitgehenden Kontrolle der Justiz durch die AKP-Regierung wird durch die Initiative zur Rettung von Hasankeyf überprüft, welche weiteren Verfahren möglich sind bzw. wie das Ilısu-Projekt stärker ins Gespräch gebracht werden kann.

In Irak wird unterdessen die Kampagne »Save the Tigris and Iraqi Marshes« fortgesetzt, und das mit neuem Schwung. In Städten wie Bagdad und Silêmanî werden fortlaufend Veranstaltungen und andere Aktivitäten durchgeführt, um die irakische Öffentlichkeit zu sensibilisieren und die irakische Regierung aufzufordern, gegen die türkische Regierung wegen des Baus des Ilısu-Staudamms vorzugehen. Nach fünf Jahren Kampagne ist die öffentliche Wahrnehmung der Wasserfrage wichtiger denn je. Die Aufnahme der südirakischen Sümpfe in die Welterbeliste der UNESCO hilft dabei.

Die Initiative zur Rettung von Hasankeyf, die Ökologiebewegung Mesopotamiens, Save the Tigris and Iraqi Marshes, Gruppen aus Westiran (Ostkurdistan) und einige internationale Gruppen haben vor Kurzem beschlossen, im Frühjahr 2018 das erste Mesopotamische Wasserforum zu organisieren. Zum ersten Mal in der Geschichte sollen zivile Akteure aus ganz Mesopotamien zusammenkommen, um die bestehende Wasserpolitik der vier Staaten (insbesondere der Türkei) zu kritisieren und aus ihrer Sicht eine neue demokratische und ökologische Wasserpolitik einzufordern.
Der Widerstand gegen das Ilısu-Projekt muss unter allen Umständen fortgesetzt werden. Aus prinzipiellen Gründen und weil im Mittleren Osten die politischen Konstellationen und Entwicklungen nie genau vorherzusagen sind. Die AKP wird nicht für immer herrschen. Die Frage ist, wann sie gehen wird. Bis dahin muss die Flutung des Tigris-Tals und von Hasankeyf verhindert werden.

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Informationen auf Türkisch und Englisch zum Ilısu-Projekt von der Initiative zur Rettung von Hasankeyf gibt es unter dem Link: www.hasankeyfgirisimi.net
Mittlerweile hat die Ökologiebewegung Mesopotamiens, zu der die Initiative zur Rettung von Hasankeyf gehört, eine neue Website: www.mezopotamyaekoloji.org