Das antikurdische Bündnis zwischen Ankara und Teheran

Gemeinsame Feinde als Basis für eine Neugestaltung?

Mustafa Peköz, Journalist und Schriftsteller

Ankara und Teheran stehen im Wettbewerb und in einer indirekten Auseinandersetzung um die regionale Hegemonie im Mittleren Osten. Dieser Umstand ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass sich beide Staaten temporär auch verbünden. So messen beide Regierungen dem zwischen ihnen geschlossenen antikurdischen Bündnis eine wichtige Bedeutung bei. Insbesondere die aus dem jüngsten Referendum in Südkurdistan resultierende politische Situation hat die politische Strategie der beiden Staaten gegen die Kurden weiter konkretisiert. Wie lange dieses Bündnis andauern wird, hängt von ihren Beziehungen zueinander und dem regionalen und internationalen Kräftegleichgewicht ab.

Bagdad, Teheran, Ankara und Damaskus sind gegen einen soziopolitischen Status der Kurden. Diese würden mit dem Erlangen eines Status das gegenwärtig bestehende geopolitische Gleichgewicht der vier Staaten erschüttern.

Die Grenzen des »Misak-ı Millî«1 im Irak und in Syrien haben ihre Funktion erfüllt und weil der Iran und die Türkei dies erkannt haben, nehmen sie nun in ihrer antikurdischen Politik eine noch viel härtere Haltung ein.

Die diplomatischen Treffen im militärisch-politischen Kontext zwischen dem schiitischen Teheran und dem sunnitischen Ankara, die in den vergangenen Monaten an Intensität gewonnen haben, stützen sich auf die Absicht, den politischen Einfluss und die militärische Kraft der Kurden, die das regionale Gleichgewicht zu verändern begonnen haben, unter Kontrolle zu bringen und zu beeinflussen. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass im regionalen Wettbewerb und Konflikt die politische Kraft der Kurden vor allem in Hewlêr (Erbil) und Qamişlo (Al-Qamischli) das strategische Gleichgewicht im Mittleren Osten verändern könnte. Das würde eine Phase einleiten, die vor allem Ankara und Teheran stark beeinträchtigen würde. In dieser Hinsicht werden sie, die das Referendum in Südkurdi­stan als »Verrat« werten, im Hinblick auf Rojava (Westkurdi­stan) eine noch ernsthaftere Krise erleben.

Es wird erwartet, dass mit wachsendem kurdischem Einfluss und internationaler Unterstützung die regionalen Interessen Ankaras und Teherans mittel- und langfristig bedroht werden. Deren strategische Schwäche ist der Gewinn eines soziopolitischen Status für die Kurden. Jeder politische Status, den die Kurden im Süden und in Rojava erlangen, wird die heutige Existenz Teherans und Ankaras stark beeinflussen und sie zu Änderungen zwingen. Aus diesem Grund ist es kein Zufall, dass sich die beiden historisch konkurrierenden Staaten gegen die Kurden an einem gemeinsamen Punkt treffen. Auch wegen ihrer Beunruhigung über die Unvermeidbarkeit der Veränderung innerer Dynamiken. Doch der Wandel ihrer Rolle im regionalen Wirkungsraum beeinflusst auch die Beziehungen zu regionalen Kräften. Aus dieser Sicht wird es für sie nicht so leicht sein, ihre Ziele zu erreichen.

Eine Prognose der Entwicklungen im Mittleren Osten unter Berücksichtigung des türkisch-iranischen Gleichgewichts scheint schwierig. Die Wirkungsräume der Staaten ändern sich schnell, Konkurrenz und Bündnisse zwischen regionalen Kräften, die die Balance im Mittleren Osten strategisch mitbestimmen wollen, überlagern sich und die politischen Beziehungen verändern sich permanent. Auch wenn das Niveau der strategischen Beziehungen zwischen den regionalen Kräften schwer bestimmbar ist, wird gegen die Kurden eine klare politische Haltung gezeigt. Die Konkurrenz untereinander wird in ein antikurdisches Bündnis transformiert. Diese politische Situation macht gleichzeitig die Bestimmung der strategischen und taktischen Bündnisse und Beziehungen zu einem bedeutenden Problem.

Unter Berücksichtigung der historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen hat das iranisch-türkische Verhältnis großen Einfluss auf die regionalen Beziehungen. Es unterliegt ihren Interessen entsprechend einem ständigen Wandel und wird geprägt von den Auseinandersetzungen um regionale Hegemonie und dem Versuch, ein antikurdisches Bündnis zu schmieden.

Auch wenn beide eine politische Strategie gegen die Kurden befürworten, ist es eine Realität, dass ihre diesbezügliche Politik nicht ganz deckungsgleich ist. Angesichts der aktuellen militärischen und politischen Entwicklungen im Mittleren Osten sind wir mit der Tatsache konfrontiert, dass Teherans regionaler Einfluss wächst und es als Führungskraft in den Vordergrund rückt. Dem steht ein Ankara gegenüber, das ernsthafte Verluste erlitten hat, dessen Einflussgebiet begrenzt ist und dessen regionale Beziehungen ziemlich konfrontativ geworden sind.

Das Bündnis, um die militärische und politische Entwicklung der Kurden in der Region aufzuhalten und sie später zu liquideren, kann die Basis für eine Neugestaltung der gemeinsamen Beziehungen zwischen PKK, PYD und südkurdischer Regionalregierung stärken.

Die Probleme auf der Agenda Ankaras und Teherans:

Erstens: Ankara hat verstanden, dass es trotz der Nutzung aller internationalen und regionalen Beziehungen sowie staatlichen Mittel nicht die bestimmende Kraft der Partei der Demokratischen Einheit (PYD) in (Nord-)Syrien und die Bildung einer autonomen Region in Rojava verhindern kann. Ankara hat vom Iran, der im Krieg in Syrien ein ausschlaggebender Faktor ist, gefordert, den politischen Status der Kurden zu begrenzen. Der Iran sieht einen soziopolitischen Status in Rojava mittelfristig als Risiko für sich selbst und steht deshalb dieser Forderung positiv gegenüber. Beide treffen sich an dem Punkt, den politischen Status der Kurden, der sich an der PYD orientiert, auf minimalem Niveau zu halten. Während der iranische islamische Staat dafür in der Region insbesondere sein militärisches Potential nutzt, wird er sich in seinen politischen Beziehungen realistischer verhalten. Ankara sieht, dass sich der Krieg in Syrien dem Ende nähert; zwei Kräfte gewinnen: Assad und die PYD werden die politische Zukunft Syriens bestimmen. Diese sind sich dessen bewusst, dass in den kommenden Monaten offizielle Gespräche beginnen werden. Ankara sieht keine Chance, politisch und diplomatisch in den Prozess einzugreifen, und versucht sich Teherans zu bedienen, das Einfluss auf Damaskus hat.

Die Entwicklung Rojavas hin zu einem »autonomen« Status bedeutet für Ankara die Nachbarschaft mit der aus seiner Sicht »terroristischen« PYD. Die Verantwortlichen in Ankara sehen so die kurdische Frage in der Türkei künftig noch dringlicher auf der Tagesordnung. Deshalb werden sie alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, diesen Status zu verhindern, und zu mehr Zugeständnissen bereit sein, als zu erwarten war. Teheran mit seinen Erfahrungen bei den regionalen Beziehungen verhält sich aus der Einsicht der zunehmenden militärischen und politischen Kraft der Kurden relativ flexibel, doch für sie gilt dasselbe. Die politischen Entwicklungen in Rojava verlaufen nicht zugunsten Ankaras und Teherans. Der an Einfluss gewinnende Iran betreibt eine vorsichtige und misstrauische Politik gegenüber Rojava, der unterliegende türkische Staat hingegen eine völlig aggressive Politik. Darum ist trotz derselben Gefahr, die Teheran und Ankara strategisch droht, ihre politische Ausrichtung nicht deckungsgleich.

Der zweite Punkt betrifft das Unabhängigkeitsreferendum der südkurdischen Regierung am 25. September 2017. Die mit der Abstimmung festgelegte Forderung nach »Selbstbestimmung« wurde international nicht direkt unterstützt, aber die Türen wurden offengelassen. Die 93-prozentige Akzeptanz hat insbesondere das politische Gleichgewicht Ankaras und Teherans erschüttert. Das sich bietende Bild bedeutet die sehr wichtige Botschaft an die internationale Öffentlichkeit, dass die Kurden sich selbst verwalten wollen. Die Wirkung dieser Botschaft wird sich in der kommenden Phase noch deutlicher zeigen. Doch das Referendum zur Selbstbestimmung ist nicht gleichbedeutend mit der sofortigen Unabhängigkeit Südkurdistans vom Irak.

Ohne Zweifel ist das Recht auf ein »Ja« zur Abspaltung sehr wichtig, aber um international Widerklang in den Beziehungen zu finden und zur »unabhängigen« Staatswerdung Kurdistans braucht es zuallererst eine Bestätigung durch die Vereinten Nationen (UN). Dafür müssen die internationalen Mächte und Institutionen das gegenwärtige Tableau schrittweise anerkennen. Anschließend muss es unter UN-Aufsicht zu direkten Verhandlungen zwischen den politisch Verantwortlichen Südkurdistans und Bagdads kommen. Klar ist aber auch, dass sich unter diesen Bedingungen eine internationale Anerkennung Südkurdistans als eigenständiger Staat voraussichtlich bis in die Jahre 2020 bis 2023 hinziehen dürfte.

Obwohl also die Transformation vom Referendum zum »Unabhängigkeits«-Status eine lange Zeit in Anspruch nehmen wird, wird die innere Dynamik Ankaras und Teherans wahrscheinlich ernsthaft beeinträchtigt werden. Ihre Position zum Referendum demonstriert im Wesentlichen ihre regionale politische Strategie gegen die Kurden. Sie tritt in dieser Hinsicht als einer der krisenverschärfenden Faktoren in den Vordergrund. Eine direkte militärische Kriegshandlung gegen Südkurdistan scheint bei beiden nicht sehr wahrscheinlich. Ein solcher Schritt würde die Kräfte der PKK, der [westkurdischen] Volksverteidigungseinheiten (YPG) und der [südkurdischen] Peşmergê zusammenführen und einen Krieg auf breiter Front von Zentralasien bis Thrakien hervorrufen. Deshalb werden sie mehr zu Maßnahmen des »Aushungerns« greifen und so Schritte der Rücknahme erzwingen wollen, außerdem zu verstärkter ökonomischer, politischer und diplomatischer Repression, zu Provokationen im Inneren zur Destabilisierung, zum Schließen der Grenzen und des Luftraums und einer vielfältigen ökonomischen Umzingelung und Embargos. Wird das Wirkung zeigen? Neben umfangreicheren Problemen für Ankara werden sie wohl mit internationalen Reaktionen rechnen und das »Abspaltungsrecht« Südkurdistans wird international zu einem noch aktuelleren Problem werden.

Die Entstehung regionaler Beziehungen in den kommenden Jahren, die Konkretisierung des soziopolitischen Status der Kurden und die Wirkung der internationalen Beziehungen wird die Türkei unvermeidlich zu einer Entscheidung zwingen. Ankara, das sich über den Einfluss klar ist, den das Referendum in Südkurdistan bewirkt hat und in Zukunft bewirken wird, versucht mithilfe Teherans diese Phase zu verhindern. Kern des diplomatischen Verkehrs mit Teheran ist es, die regionale Wirkung des Referendums zu brechen. Dessen erschütternde Wirkung im Norden ist der Grund dafür, dass Barzanî vom Freund zum Feind avancierte.

Drittens werden Ankara und Teheran, die die Kontrolle über Rojava komplett verloren haben, das Referendum in Südkurdistan nicht verhindern konnten und gegenüber den kurdischen politischen Gruppen erheblich an Einfluss verloren haben, eine einheitliche Kriegsstrategie gegen die PKK aufzubauen versuchen, mit der sie sich direkt im Krieg befinden. Insbesondere Ankara pocht auf eine Militäroperation gegen Qandil.

Die türkische Armee hat in der Vergangenheit trotz relativer Unterstützung durch südkurdische Kräfte keine Erfolge bei solchen Unternehmungen erzielen können. Im Gegenteil, sie musste schwere Verluste einstecken. Für die Wiederholung einer Offensive gegen das PKK-kontrollierte Qandil bedarf sie der massiven Unterstützung Teherans. Dem nach Ankara eingeladenen iranischen Generalstabschef wurde eine gemeinsame Militäraktion gegen die [ostkurdische] Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (PJAK) vorgeschlagen als Gegenleistung für die Beteiligung an einer möglichen türkischen Armee-Operation gegen Qandil. Die PKK, die im Mittleren Osten als regionale Kraft dieselbe Wirkung hat wie die Regionalstaaten, wird von beiden als strategische Gefahr gesehen, weshalb ihre Vernichtung oder zumindest Schwächung beabsichtigt wird. Diese Orientierung wird nicht nur militärisch verfolgt, sondern die Strategie zielt auch auf das Lahmlegen der politischen und gesellschaftlichen Dynamiken ab.

Trotz Befürwortung dieser Strategie sind die taktischen Ausrichtungen und Interessen relativ verschieden. Deshalb ist die Akzeptanz des türkischen Vorschlags für den Iran nicht so einfach. Begrenzten Informationen zufolge soll es eine Waffenruhevereinbarung zwischen dem Iran und Qandil geben. Seit geraumer Zeit finden keine Gefechte zwischen PJAK und iranischem Militär statt. Zudem wird behauptet, einige PKK-Vertreter dürften sich mit Zustimmung Teherans im Iran aufhalten. Wird die Regierung in Teheran den zunehmenden PKK-Einfluss im Irak und in Syrien leugnen, der Forderung Ankaras nachgeben und die ganze Balance ins Chaos stürzen? Eine Bestätigung fällt schwer. Der Iran ist ein Staat, der außenpolitisch und insbesondere in den regionalen Beziehungen strategische Entscheidungen trifft. Er sieht die PKK als strategische Gefahr, kann aber wegen der Türkei keine Auseinandersetzungen mit der PKK in Kauf nehmen. Das würde seiner regionalen Strategie einen ernsthaften Schlag versetzen. Der Verlagerung des Krieges mit der PKK und PJAK direkt in den Iran würde der Strategie Teherans zu regionaler Hegemonie das Ende bereiten. Deshalb ist es wenig wahrscheinlich, dass sich der Iran, der PKK und PJAK als gefährliche »Feinde« einstuft, aufgrund regionaler Strategien wie Ankara verhält. Die gegenüber dem Irak und Syrien verfolgte militärische und politische Strategie Ankaras ist kollabiert. Das letzte verbliebene Ziel ist es, die Entwicklung der PKK zu stoppen und ihren Bewegungsspielraum einzuschränken. Schafft sie das nicht, wird die Türkei vollständig verlieren. Der Iran hingegen hat seine Einflusssphäre im Irak und in Syrien geschaffen. Seine mit vielen Schwierigkeiten verbundene politische und militärische Initiative will er nicht durch einen aktiven Krieg mit der PKK und der PJAK verlieren.

Auch wenn der Kern der Politik Ankaras und Teherans gegenüber den Kurden übereinstimmt, bedeutet das nicht, dass sie immer zusammen agieren. Das Bündnis, um die militärische und politische Entwicklung der Kurden in der Region aufzuhalten und sie später zu liquideren, kann die Basis für eine Neugestaltung der gemeinsamen Beziehungen zwischen PKK, PYD und südkurdischer Regionalregierung stärken. Somit würden die im Irak und in Syrien zusammenfallenden Grenzen des »Misak-ı Millî« die Türkei und den Iran miteinschließen.


 Fußnote:

1 Der Nationalpakt der türkischen Unabhängigkeitsbewegung nach dem Ersten Weltkrieg skizzierte u. a. die Grenzen des neuen türkischen Staates, inkl. Thrakien, Mûsil, Aleppo und Batum.