Die Internationalistische Kommune von Rojava stellt sich vor

Den Internationalismus neu beleben

Ein Interview mit zwei Internationalist*innen der Internationalistischen Kommune von Rojava

Seit mehreren Jahren kommen Internationalist*innen aus aller Welt nach Rojava. Sie arbeiten in den verschiedensten Bereichen, in der Gesellschaft, in der Verteidigung der Revolution, in ökologischen Projekten ... 2017 etablierte sich die Internationalistische Kommune von Rojava. Im Kanton Cizîrê nahe der Stadt Dêrik baute sie die erste zivile Akademie für Internationalist*innen in Rojava auf. Alessandra und Stefan beantworteten dem Kurdistan Report einige Fragen zu der Kommune selbst, zum neuen Internationalismus, zu der Kampagne »Make Rojava Green Again« und zur sozialen Ökologie als Grundlage der demokratischen Moderne.

Würdet Ihr Euch kurz vorstellen? Woher kommt Ihr und wie seid Ihr dazu gekommen, nach Rojava, in die Internationalistische Kommune, zu gehen?

Internationalistische Kommune von RojavaAlessandra: Ich komme aus dem Süden Italiens. In meiner Stadt gab und gibt es immer noch ein großes Problem mit illegalen Müllgeschäften. Sowohl die Mafia als auch der italienische Staat haben da ihre Finger mit drin. Das hat große Auswirkungen auf die Gesellschaft, aber auch auf die Natur. Ich wurde dann aktiv in der NO-TAV-Bewegung gegen das Mega-Infrastruktur-Projekt im Norden Italiens. Auf die kurdische Bewegung bin ich gestoßen, als die Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ erfolgreich die Stadt Kobanê verteidigt haben. Die kurdische Bewegung hat für mich verschiedene Kämpfe zusammengebracht. Na, und so bin ich dann eben 2017 nach Rojava gekommen und wurde hier von der Internationalistischen Kommune herzlich aufgenommen.

Stefan: Auch ich bin seit 2017 in Rojava. Ich komme aus dem Osten Deutschlands, aus Leipzig, und hab mich über die Auseinandersetzung mit Nazis politisiert. Das ist ja so ein Thema, an welchem wir gerade im Osten nicht vorbeikommen. Ich hab in Witzenhausen ökologische Landwirtschaft studiert. Mit der Beschäftigung mit ökologischen Themen wurde mir immer klarer, wie eng Ökologie, Feminismus, Antikapitalismus und Antifaschismus eigentlich zusammengehören und nicht voneinander zu lösen sind. Es braucht eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung – eine Revolution, welche alle diese Aspekte zu ihrem Ausgangspunkt macht. Ich war bei vielen Protesten wie z. B. im Castor-Widerstand, gegen Kohlekraftwerke und gegen Gentechnik dabei, aber mir hat das nicht mehr gereicht. Mir hat eine Perspektive gefehlt, wo ich damit eigentlich hinwill. In der kurdischen Bewegung habe ich viele Ansatzpunkte wiedergefunden, welche mich letztendlich motiviert haben hierherzukommen. Die letzten Monate habe ich u. a. in der Kampagne »Make Rojava Green Again« gearbeitet.

Ihr sagt, dass Ihr Teil der Internationalistischen Kommune seid. Was ist die Kommune? Und was macht Ihr als Kommune?

Stefan: Wir sind der Zusammenschluss von allen Internationalist*innen in Rojava. Warum Kommune? Weil wir eben nicht nur zusammen arbeiten, sondern uns als Genoss*innen verstehen, die auch zusammen leben und ihre Probleme gemeinsam lösen. Wir haben hier die Kommune mit den Strukturen der demokratischen Selbstverwaltung, im Besonderen der Jugend, aufgebaut, um eben einen solchen Ort zu schaffen. Das Ziel ist es, einen »neuen Internationalismus« in Rojava, aber auch darüber hinaus zu organisieren.

Alessandra: Als Kommune organisieren wir Bildung zu verschiedenen Themen und haben in den letzten Monaten gemeinsam eine neue Akademie, die erste zivile internationalistische Akademie in Rojava, aufgebaut. Das war nicht nur Kopf-, sondern auch Handarbeit. Und über Sprachunterricht bereiten wir uns auf Arbeiten in den verschiedenen Strukturen der Gesellschaft vor. So sind einige von uns z. B. in den Jugendstrukturen in verschiedenen Städten als auch in den Frauenarbeiten.

Was meint Ihr mit »neuem Internationalismus«?

Alessandra: Generell geht es uns darum, den Internationalismus auf einer ethischen und strategischen Ebene neu zu beleben. Dabei verstehen wir uns natürlich in der Tradition verschiedener internationalistischer Bewegungen, Strömungen und theoretischer Überlegungen, welche wir zu einer gemeinsamen Perspektive weiterentwickeln wollen. Wir setzen uns da mit unterschiedlichen Konzepten des Internationalismus auseinander. Sowohl Solidaritätsarbeit als direkte materielle oder finanzielle Unterstützung anderer Kämpfe, wie wir sie in den letzten Jahren gerade aus Europa in Bezug auf Rojava gesehen haben. Aber auch mit Verständnissen wie z. B. in der Vergangenheit von Gruppen wie »Solidarité« praktiziert, welche Solidarität weniger von der ideologischen Grundlage der Kämpfe abhängig machte, sondern diese als Pflicht an sich ansah.

Stefan: Was wir sagen können, dass wir uns klar von einem Verständnis abgrenzen, wie es z. B. von der Sowjetunion praktiziert wurde. Also das Kreisen aller Organisationen und Strukturen um ein einziges Zentrum. Von einem Internationalismus, welcher die Dynamik des eigenen Kampfes vollkommen bestimmt und von den Entwicklungen an anderen Orten abhängig wird. Und natürlich müssen wir kritisch sehen, wie sich in den letzten Jahrzehnten eine Revolutionsromantik in Bezug auf die Kämpfe im globalen Süden entwickelt hat, welche nichts mehr mit den Realitäten der Kämpfenden und ihrer Strukturen dort zu tun hatte. Aus der eigenen Hoffnungslosigkeit entsteht die Suche nach Subjekten, welche die Lösung für alles bieten. Und wenn sich dann Widersprüche auftun, welche nicht mehr ignoriert werden können, dann werden diese Subjekte auch schnell wieder fallengelassen. Mit der eigenen Unfähigkeit, mit diesen Widersprüchen umgehen zu können, entwickelt sich dann oftmals überhaupt kein internationalistisches Verständnis mehr. Und gerade in Deutschland ist das stark beeinflusst von einem extremen Eurozentrismus.

Alessandra: Trotz alledem glauben wir aber an die Notwendigkeit eines neuen Internationalismus der Tat, also die Notwendigkeit, auch selbst an den verschiedenen Kämpfen weltweit teilzunehmen, insbesondere hier in Kurdistan. Wir sind davon überzeugt, dass wir zusammen mit der kurdischen Bewegung eine neue Phase des Internationalismus einleiten können. Dieser basiert auf dem Bewusstsein darüber, dass es eine gemeinsame internationalistische Organisationsform und ein gemeinsames Bewusstsein braucht, um den richtigen Weg zu einer Utopie zu bestimmen. Denn die kapitalistische Moderne kann nicht nur aus einem Blickwinkel verstanden werden. Die kurdische Bewegung hat mit ihrem neuen Paradigma ihre Pers­pektive aufgezeigt, wie eine gemeinsame Utopie und ein Weg dahin aussehen können. Wie sich oftmals sehr voneinander getrennte Kämpfe verbinden lassen können. Natürlich sehr runtergebrochen ist die Perspektive: über weltweite konföderale Strukturen, von der lokalen ausgehend, die demokratische Moderne aufbauen! Als internationalistische Kommune nehmen wir, neben vielen anderen Bewegungen auf dieser Welt, unseren Platz in diesem Aufbau ein.

Könntet Ihr noch mehr auf die ideologischen Grundlagen von Euch und der Arbeit der Kommune eingehen?

Stefan: Also wir selbst kommen aus sehr unterschiedlichen politischen Hintergründen, die ja auch immer abhängig von den Kämpfen in den unterschiedlichen Ländern sind. Was uns aber den gemeinsamen Rahmen gibt, was uns als Kommune vereint, sind die Grundlagen des neuen Paradigmas der kurdischen Befreiungsbewegung – also radikale Demokratie, Frauenbefreiung und Ökologie – und der Aufbau einer dementsprechenden Gesellschaft in Rojava und Nordsyrien. Aber natürlich diskutieren wir auch über diese grundlegenden Säulen und versuchen sie auch auf die Kämpfe in den Ländern, aus welchen wir kommen, zu übertragen.

Alessandra: An anderen Stellen wird schon sehr viel über diese grundlegenden Säulen gesprochen und geschrieben, daher wollen wir nicht auf jede einzeln eingehen. Aber gerade das Thema Ökologie ist für uns und die Arbeit als Kommune sehr wichtig. Denn sowohl in Rojava selbst als auch in den Solidaritätsstrukturen und noch weniger in der allgemeinen Öffentlichkeit findet dieser Diskurs über die kurdische Bewegung und Rojava große Beachtung. Wir versuchen dieses Thema mit einem ganzheitlichen Blick anzugehen. Die Trennung von ökologischen Problemen und sozialen Kämpfen muss wirklich überwunden werden. Die Herrschaft über die Natur kann nicht von der Herrschaft des Menschen über Menschen getrennt werden. Soziale Konflikte sind immer verwoben mit ökologischen Problemen. Und was die Zerstörung der Natur angeht, so hat die kapitalistische Moderne alle vorherigen Systeme übertroffen. Aber wie sich das Verhältnis der Gesellschaft zur Natur im Kapitalismus entwickelt hat, ist nicht zu lösen von der Entwicklung des Kapitalismus selbst. Entscheidend dabei ist die extreme Trennung zwischen Mensch und Natur – Natur als Objekt und Mensch als Subjekt. Das ist der Beitrag, den die positivistische Wissenschaft zum Verständnis des Verhältnisses zur Natur geleistet hat. Im Grunde knüpfen wir mit unseren ideologischen Gedanken an die Theorie der sozialen Ökologie an.

Warum ist ökologische Arbeit wichtig? Wie ist die ökologische Situation in Rojava?

Alessandra: Also die ökologischen Herausforderungen in Rojava sind nicht zu trennen von der ökologischen Katastrophe, wie sie durch den Kapitalismus verursacht wurde. Wir sprechen hier besonders vom Klimawandel. Und regional lässt sich die Situation nicht trennen von der Politik des syrischen Regimes und der Türkei. Wir können sagen, dass es ein klassisches koloniales Verhältnis zwischen dem syrischen Regime und Rojava gab. Es wurden nur Rohstoffe, an erster Stelle Öl, gefördert und auch die Landwirtschaft war nur auf den Export ausgerichtet. Sie bestand aus riesigen Monokulturen, aus Weizen im Kanton Cizîrê und Oliven in Efrîn. Und die Politik der Türkei hat zu einer immer größeren Wasserknappheit beigetragen. Staudämme wurden in den wichtigsten Flüssen gebaut, das Wasser wurde massiv für die eigene Landwirtschaft genutzt und die vielen Brunnen entlang der Grenze zu Rojava sind Teil der Ursache des absinkenden Grundwasserspiegels. Die Türkei nutzt die Kontrolle über das Wasser, das nach Rojava, Syrien und in den Irak fließt, als politische Waffe. Und die faschistische Regierung von Erdoğan nutzt diese Waffe besonders gegen das Projekt in Rojava.

Stefan: Wir können an dieser Stelle nicht alle Aspekte erwähnen, aber wir haben einen langen Report über die Situation hier geschrieben, welcher nun in einer Broschüre zusammengefasst ist. Diese ist auch öffentlich auf unserer Webseite zu finden. Was ich aber noch ergänzen will, ist, dass durch die Monokultur, das Verbot des syrischen Regimes und die Angriffe des türkischen Staates immer wieder große bewaldete Flächen zerstört wurden. Das ist ein Problem für die Luftqualität, Bodenerosion und die Artenvielfalt. Aber was wir nicht vergessen sollten, sind die ganzen Projekte, welche von den Strukturen der Selbstverwaltung hier schon umgesetzt wurden. Bäume werden gepflanzt, nur in kleinem Umfang, aber immerhin. Es gibt Bildungsarbeit, erste Ideen für ein Recycling-System usw. Aber im Grunde müssen wir ehrlich sagen, stecken die alle noch in ihren Kinderschuhen. Das ist neben dem fehlenden Geld, fehlenden Expert*innen besonders dem Embargo geschuldet. Hinzu kommt die instabile Situation, wie wir sie jetzt wieder sehen. Für solche Projekte braucht es Planungssicherheit. Aber es ist eben immer noch Krieg in der Region, denn noch setzt vor allem die Türkei alles daran, die Revolution zu zerschlagen.

Make Rojava Green Again

Könntet Ihr noch einmal die Kampagne »Make Rojava Green Again« vorstellen und wie Ihr auf sie gekommen seid?

Stefan: »Make Rojava Green Again«1 ist daraus entstanden, dass wir gesehen haben, wie katastrophal die ökologische Situation ist und wie wenig Aufmerksamkeit es genau für diese gibt. Ökologie wird eben immer noch gerne als eine Nebensächlichkeit abgetan. Aber wir müssen auch ehrlich sagen, dass viele der ökologischen Fragen und ein Bewusstsein für die ökologische Situation erst durch den Bau der Akademie entstanden sind. Plötzlich waren wir mit der Frage konfrontiert, wie eigentlich ökologisch gebaut werden kann. Woher unser Wasser kommt und wohin das dreckige Wasser fließt. Hätten wir das so gemacht, wie an den meisten Orten in Rojava, dann würde unser dreckiges Wasser einfach in ein Loch um die Ecke fließen ... Aber zur Kampagne: Die Kampagne umfasst verschiedene Aspekte. Zum einen eben das Leben und Arbeiten in der Akademie nach ökologischen Prinzipien und Möglichkeiten, also Umgang mit Wasser, Müll und so weiter. Und da viele Fragen, die für uns dabei entscheidend sind, sich nicht die Gesellschaft an sich stellt, versuchen wir ein praktisches Vorbild zu sein und Antworten zu finden. Zum anderen wollen wir auf dem Gelände der Akademie eine Baumschule aufbauen. Denn an Bäumen mangelt es in Rojava und die Strukturen der Selbstverwaltung haben uns motiviert, eine solche Schule aufzubauen. Neben diesen eher praktischen Punkten wollen wir die Akademie nutzen, um Bildungsarbeit zu machen, sowohl für uns selbst als auch für die Gesellschaft. Also die Kampagne ist angelegt als eine Langzeitarbeit, welche nicht morgen vorbei sein wird.

Alessandra: Und ein weiterer, wenn nicht der zentralste Punkt ist, dass wir mit der Kampagne als eine Brücke fungieren wollen. Es gibt viele Menschen, welche die Revolution, und insbesondere die ökologischen Arbeiten, unterstützen wollen, aber nicht genau wissen, wie. Gerade Menschen, die selbst nicht kommen können oder Expert*innen sind und mit ihrem Wissen von überall auf der Welt unterstützen könnten. Menschen haben über die Kampagne die Möglichkeit, mit Geld die ökologischen Arbeiten zu stärken. Das Geld, welches reinkommt, wird zum einen für die ökologischen Arbeiten in der Akademie verwendet, also vorrangig für die Baumschule, aber zum Großteil werden wir damit die Aufforstung eines Naturschutzgebiets in der Nähe unserer Akademie unterstützen, welches vom Komitee für Naturschutz des Kantons Cizîrê verwaltet wird.

Stefan: Die Kampagne ist im Grunde eine Einladung an alle, auch an der ideologischen, also auch praktischen Diskussion über den Aufbau einer ökologischen Gesellschaft teilzunehmen. Und das geht natürlich am besten, wenn die Menschen selbst hierherkommen. Das Ziel der Kampagne ist aber auch, dass sich andere lokale ökologische Kämpfe in einem gemeinsamen Bewusstsein verbinden und sich in einen direkten Zusammenhang stellen. Also eine gegenseitige Bezugnahme, sich gegenseitig stärken. Daher fänden wir es großartig, wenn die Kampagne in den Solidaritätsstrukturen aufgenommen und weiterentwickelt wird, sie auch in den Auseinandersetzungen wie NO-TAV oder Ende-Gelände sichtbar wird.

Wie beeinflussen Euch die Angriffe der faschistischen Türkei in Euren Arbeiten und Plänen? Werdet Ihr die Kampagne so durchführen können?

Alessandra: Wir sind in unseren Arbeiten nicht isoliert von der politischen und militärischen Entwicklung in Syrien und wir werden natürlich darauf eingehen müssen. Wir sind nach Rojava gekommen, um ökologische und gesellschaftliche Arbeiten zu machen und einen Beitrag zum Aufbau einer neuen Gesellschaft zu leisten. Aber wenn die Türkei diesen Aufbau versucht zu zerstören, die Strukturen der Internationalistischen Kommune angreift, dann sehen wir uns gezwungen uns zu verteidigen. Natürlich werden wir dann an der Seite der Bevölkerung stehen.

Stefan: Aber wir wollen auch nicht alles absagen. Angesichts der Situation schaffen wir es nicht, schon im Frühjahr die Baumschule zu eröffnen, das muss noch ein bisschen warten. Wir halten aber am Plan fest, Ende des Jahres das eingegangene Geld in die Aufforstung des Naturschutzgebiets zu stecken. Und egal wie sich die Situation weiter entwickelt, dass Menschen kommen, dass Menschen die ökologischen Arbeiten hier unterstützen, bleibt eine wichtige Sache. Und aufgrund des Krieges der Türkei gegen Rojava ist die internationale Unterstützung wichtiger denn je!

Fußnote:
1 http://internationalistcommune.com/wp-content/uploads/2018/02/present_MRGA_ger.pdf


 Kurdistan Report 196 | März/April 2018