Antifa-Recherche: Verflechtung deutscher Politik und türkischer Ultranationalisten

Säbelrasseln statt ernsthafter Feindschaft

Taira

»Diese Broschüre stellt den Versuch einer Bestandsaufnahme von türkisch faschistischen Strukturen, welche auch bekannt sind als Graue Wölfe und deren Verflechtung mit der deutschen Politik am Beispiel der CDU/CSU dar ...« Quelle: https://de.indymedia.org/sites/default/files/2018/09/29899.pdfIn Berlin hat sich eine antifaschistische Recherche-AG gegründet. Mit der Erstellung einer Broschüre zur Verflechtung deutscher Politik mit der MHP (Graue Wölfe) hat sie ihre Arbeit begonnen.

Vor allem in Berlin gibt es verschiedenste Lobbyorganisationen, wie die UID (Union Internationaler Demokraten; ehemals UETD – Union der Europäisch-Türkischen Demokraten) und ADD (Allianz Deutscher Demokraten) mit ihrem bekannten Vertreter Remzi Aru, aber auch Idealisten-Vereine (Ülkü ocakları), die dem Graue-Wölfe-Spektrum (Bozkurtlar oder Bozkurtçular; türkische Ultranationalisten/Faschisten) zuzuordnen sind. In Berlin finden auch immer wieder Feste statt, die durch den ATB (Verband der Türkischen Kulturvereine Europa) und Millî Görüş (Nationale Sicht) veranstaltet werden und durch viele Betriebe türkischstämmiger Deutscher gesponsert werden.

Bei der Recherche kristallisierte sich früh die starke bundesweite Verflechtung von CDU/CSU und Organisationen der Grauen Wölfe heraus, welche die Religion des Islam benutzen, um ihre Mitglieder und vor allem Jugendliche mit der nationalistischen und faschistischen Ideologie zu indoktrinieren.

Schnell stellte sich heraus, dass Recherchen in diese Richtung viele Informationen und Überschneidungen bei Funktionären in Organisationen wie ATIB (Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa), Millî Görüş, AKP und in deutschen Vereinigungen, welche die Muslime in Deutschland repräsentieren wollen, als auch in deutschen Parteien, vor allem CDU/CSU, aber auch SPD zu Tage fördern.

Daher wurde vor dem Besuch von Recep Tayyip Erdoğan in Deutschland eine Broschüre veröffentlicht, die diese Zusammenhänge beschreibt und in einem Schaubild zusammenfasst.
Sie beginnt dabei in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Damals herrschte ein reger Austausch zwischen den Nazis und dem Militär in der Türkei. Die gewünschte Zusammenarbeit wurde durch immer wieder stattfindende Besuche deutlich als auch durch die Unterstützung beim Aufbau der Bozkurt-Einheiten (Graue Wölfe) durch deutsche Militärs nach dem Vorbild der SS-Einheiten in Deutschland.

Die gemeinsame Geschichte der Nationalstaaten Deutschland und Türkei geht jedoch wesentlich weiter zurück und lässt sich bis zum Osmanischen Reich und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zurückverfolgen. Dieser Bereich wird in der weiteren Recherche beleuchtet und zeigt bereits jetzt die enge Verwobenheit beider Nationalstaaten und ihrer gegenseitigen Interessen. Sie waren voneinander abhängig und sind es immer noch.

Zu Beginn der Broschüre wird die Etablierung der MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) in Deutschland betrachtet und inwieweit die CDU, vertreten durch Dr. Hans-Eckardt Kannapin, dies gefördert hat. Nicht nur, dass die nationalistisch-faschistische MHP eine Europavertretung in Süddeutschland eröffnen konnte, nein, Kannapin sorgte auch dafür, dass der von MHP-Führer Alparslan Türkeş zur Unterstützung geschickte Musa Serdar Çelebi überhaupt nach Deutschland kommen konnte. Er eröffnete in seiner Wohnung ein fiktives Türkei-Institut, um Çelebi eine Aufenthaltsgenehmigung und einen »Job« zu besorgen. Ansonsten betätigte sich Çelebi in der Nachfolgeorganisation der MHP-Europavertretung ADÜTDF (Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland) und war dort Vorstand.

In dieser Zeit suchte Alparslan Türkeş die Zusammenarbeit mit der deutschen Regierung unter Kohl, der jedoch Gespräche mit ihm ablehnte. Daher beschwerte sich Türkeş‘ Vertrauter in Deutschland, Murat Bayrak, beim CSU-Chef Franz Josef Strauß, der daraufhin ein Gespräch zusagte. Das fand am 28. April 1978 in Deutschland statt und wurde von beiden Seiten als äußerst fruchtbar dargestellt. Vor allem war die gemeinsame Ideologie verbindend, gegen den Weltkommunismus zu kämpfen und dessen Voranschreiten durch solche Bündnisse zu verhindern.
Als jedoch Musa Serdar Çelebi in der medialen Öffentlichkeit mit dem Papstattentäter Mehmet Ali Ağca in Verbindung gebracht wurde – dieser belastete ihn durch die Aussage, Geld für das Attentat als auch die Waffe von ihm erhalten zu haben –, entschied Türkeş, dass Çelebi zurücktreten müsse. Dieser entschied jedoch mit einem Drittel der Gemeinden, die sich unter ADÜTDF organisiert hatten, sich abzuspalten und eine eigene Organisation ATIB zu gründen.

Interessant sind hierbei nun die aktuellen Entwicklungen, da mittlerweile sein Sohn Mehmet Alparslan Çelebi in dieser Organisation tätig ist und sehr früh bereits die Jugendarbeit übernommen hat. Gleichzeitig wurde Çelebi jun. damals durch Peter Tauber, den CDU-Generalsekretär von Hessen, in die Junge Union berufen, um die Vielfalt in der Partei zu vergrößern.

Im Umfeld von Çelebi jun. lassen sich zwei weitere Personen finden, die auch eine Rolle spielen. Einmal Cihan Süğür, der – sozialisiert durch die DITIB (s. u.) und Mitglied bei der CDU – als Reaktion auf die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestags 2016 und damit die Anerkennung des Genozids an den Armeniern die MIDU (Muslime in der Union) gründete. Zur Gründungsveranstaltung wurden jedoch nur konservative Muslime aus den vier großen Dachverbänden eingeladen, da Süğür der Meinung war, dass andere Muslime wenig »Credibility« in der muslimischen Gemeinschaft hätten und es von vornherein eine »Totgeburt« (Zitat) gewesen wäre, wenn diese eingeladen worden wären.

Zusätzlich stehen Çelebi jun., Süğür und Muhsin Şenol, ehemals Lobbyist der UID, über den von ihnen selbst gegründeten Verein »Egibil – Bundesvereinigung Interkulturelle Jugendbildung« in Kontakt miteinander und nutzen diesen wahrscheinlich auch, um Jugendliche an nationales Gedankengut heranzuführen.

Gleichzeitig wurde während der Recherche sichtbar, dass es wichtig war, sich mit dem Koordinationsrat der Muslime in Deutschland zu beschäftigen, der sich aus dem Zentralrat der Muslime, dem Islamrat Deutschland, DITIB und VIKZ (Verband der islamischen Kulturzentren) zusammensetzt.

Der Zentralrat der Muslime speist sich zum großen Teil aus ATIB-Gemeinden und -Verbänden und vertritt somit mehrheitlich die Interessen von ATIB wie auch der Muslimbruderschaft.
Der Islamrat Deutschland besteht im Großen und Ganzen aus Millî-Görüş-Gemeinden.

DITIB steht für Diyanet İşleri Türk İslam Birliği (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) und ist der Religionsbehörde Diyanet (Präsidium für Religionsangelegenheiten) in der Türkei unterstellt. Außerdem bezieht DITIB seine Imame direkt aus der Türkei und von dort werden sie auch besoldet. Zuletzt fiel DITIB Anfang des Jahres 2018 negativ auf, als die Türkei ihren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Efrîn startete. Zu dieser Zeit wurden in mehreren DITIB-Moscheen von Kindern Theaterstücke aufgeführt, in denen der Krieg als auch der Märtyrertod für die Türkei verherrlicht wurden, und in den Gottesdiensten wurde die Eroberungssure gelesen.

Diese Dachverbände haben den Anspruch, Ansprechpartner für die Politik in Fragen des Islam zu sein als auch muslimische Deutsche und deren Interessen politisch zu vertreten. Es stellen sich demnach mehrere Fragen:

Wer wird repräsentiert und wer soll angeblich repräsentiert werden? Alle vier Verbände vertreten einen extrem konservativen bis islamistischen Islam oder nationale bis ultranationale Werte, die aufgrund von Negativschlagzeilen in der Vergangenheit mit einem moderaten Anstrich getarnt werden. Außerdem wird lediglich ein Fünftel aller in Deutschland lebenden Muslime überhaupt durch die Dachverbände repräsentiert. Woher nehmen sie also das Recht, Ansprechpartner für die deutsche Politik in Fragen des Islam zu sein? Und warum nutzt die deutsche Politik allein konservativ-nationale Kreise anstatt andere Verbände wie z. B. die der Alevit*innen? Die Überschneidungen zwischen ultranationalistischen türkischen Kreisen, AKP-/MHP-Lobbyorganisationen, der türkischen Regierung und den vier muslimischen Dachverbänden, die Repräsentanten sein wollen, wird in der Broschüre »Die Verflechtung deutscher Politik mit der MHP (graue Wölfe) am Beispiel der CDU/CSU« mehr als deutlich.

Durch die Indoktrinierung der Dachverbände (bereits in den Jugendorganisationen) und eine immer noch bestehende rassistische Haltung der deutschen Gesellschaft gegenüber türkischstämmigen Menschen bzw. deutschen Muslimen entsteht ein Klima, das Erdoğan und seine Regierung bei Besuchen in Deutschland ausnutzen. Zuletzt schaffte er dies bei seinem Auftritt am Samstag, den 29.09.2018 in Köln, indem er ein politisch nutzbares Wir-Gefühl erzeugte. Er betonte dabei die Zugehörigkeit zur Türkei und sprach diesen Menschen Anerkennung aus; damit erreicht er viele Menschen und erhält Zustimmung für seine Politik. Die Bundesregierung fördert diese Entwicklung, indem sie nur konservative, nationale und teilweise islamistische Verbände als Ansprechpartner nutzt und als Repräsentanten anerkennt und sie sogar im Sinne der Vielfalt in die Parteienlandschaft integriert.

Durch den Einzug türkischer Nationalisten in die deutsche Politik und somit in Migrationsbeiräte, Stadträte und kommunale Strukturen ist es diesen Personen möglich, die Politik in die gewünschte Richtung zu beeinflussen. Dies ist vor allem in Nordrhein-Westfalen zu beobachten, wo vor allem in den letzten Jahren eine repressive Politik gegenüber kurdischen Verbänden und Aktivist*innen betrieben wird.

Dabei sollte deutlich werden, dass es sich nicht um einen importierten Konflikt zwischen Kurd*innen und Türk*innen handelt. Deutschland und seine Politik haben einen klar nachweisbaren Beitrag zur Ansiedlung und Förderung von Strukturen der Grauen Wölfe geleistet und tun dies bis heute. Vor allem in den 80er Jahren gewährte Deutschland vielen in der Türkei strafverfolgten Grauen Wölfen Unterschlupf. Später flohen zunehmend auch die linken, regimekritischen Türk*innen und Angehörige anderer Ethnien wie die kurdische Bevölkerung, aber auch religiöse Minderheiten vor den durch Deutschland mit aufgebauten Banden der Grauen Wölfe und dem türkischen Militär. Es handelt sich demnach nicht um einen importierten Konflikt, sondern eine Entwicklung aufgrund der von Deutschland betriebenen innerdeutschen Politik im Umgang mit den Grauen Wölfen, aber auch der deutschen Türkei-Politik.

Der Nutzen für die Bundesregierung liegt klar darin, diese Strukturen als Druckmittel bzw. für Drohungen gegen Erdoğan zu benutzen. Zuletzt ist dies bei der DITIB zu sehen, die aktuell keine Fördermittel mehr vom Bund erhält und für die sogar eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz angedacht wird. Gleichzeitig nutzt Deutschland die Kriminalisierung linker türkischstämmiger Aktivist*innen und Journalist*innen sowie kurdischer Aktivist*innen, um Erdoğan guten Willen zu beweisen. Die Türkei und ihr Regime nutzen im Gegenzug die Festnahmen deutscher Aktivist*innen oder Journalist*innen, um gegenüber der Bundesregierung Druck aufzubauen.

Im Endeffekt geht es dabei jedoch nur um ein »Säbelrasseln« zwischen den beiden Nationalstaaten und nie wirklich darum, die politischen Verbindungen zu gefährden oder zu zerstören. Diese Drohgebärden können als Streit unter Geschwistern bezeichnet werden, wobei jeder versucht, sein eigenes nationales Interesse durchzusetzen. Die gegenseitige Verflechtung von Funktionären bei gleichzeitiger politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit beider Staaten voneinander wird nie eine ernsthafte Gefährdung der Zusammenarbeit zulassen.


 Kurdistan Report 200 | November/Dezember 2018