Ein Wort zum russisch-türkisch-deutsch-französischen Istanbul-Gipfel

Der Stempel des deutschen Imperialismus

Murat Çakır

Bei der Betrachtung des Vierer-Gipfels in Istanbul, an dem die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Russland und der Türkei teilnahmen, finden sich zwischen den Bewertungen in bürgerlichen und manchen linken Medien kaum noch Unterschiede. Während einige Kommentatoren meinen, dass von einem Gipfel, an dem die USA nicht teilnehmen, kein Ergebnis erwartet werden kann, monieren einige linke Oppositionelle, dass das »einzige Gipfelergebnis die Unterstützung der AKP« sei. Zudem wird in manchen radikal-linken Kreisen behauptet, dass es Merkel und Macron nur darum gegangen sei, »den Flüchtlingsstrom zu stoppen und syrische Flüchtlinge zurückzuführen«.

Dem deutschen Imperialismus ist es gelungen, nach einer langen Zeit der Entbehrung dem Nahost-Gipfel in Istanbul seinen Stempel aufzudrücken. Deutschland und Frankreich, die sich gegen die Interessen der USA im Nahen Osten stellen, ernten nun die Früchte ihrer Maulwurfsarbeit.

Sicherlich sind bei diesen Bewertungen teilweise richtige Aspekte zu finden. Doch scheint ein wichtiger Punkt, nämlich die Bedeutung der strategischen Ziele des deutschen Imperialismus, außer Acht gelassen zu werden. Das ist umso problematischer, als dadurch auch Entwicklungen, welche die Zukunft der nordsyrischen Kantone unmittelbar beeinflussen, aus dem Blickfeld verloren gehen. Höchst bedenklich ist es, wenn auf einer linken Konferenz unter dem Titel »Krise im Nahen Osten und die Lösung durch die demokratische Nation«, die am gleichen Tag in Amed (Diyarbakır) durchgeführt wurde, der Vierer-Gipfel nur in einem einzigen Nebensatz genannt wurde. Leider sieht es so aus, dass die oppositionellen Kräfte sich von dem eingrenzenden »türkisch-kurdischen Denken« nicht lösen konnten.

Dem deutschen Imperialismus ist es gelungen, nach einer langen Zeit der Entbehrung dem Nahost-Gipfel in Istanbul seinen Stempel aufzudrücken. Deutschland und Frankreich, die sich gegen die Interessen der USA im Nahen Osten stellen, ernten nun die Früchte ihrer Maulwurfsarbeit. Sie haben Russland, Iran und die Türkei als diejenigen Außenmächte akzeptiert, die bestimmend sind für die Zukunft Syriens, und haben darauf gesetzt, dass der sog. »Astana-Prozess« in Bezug auf die Finanzierung eines Wiederaufbaus von Syrien auf die EU, somit auf Deutschland und Frankreich angewiesen bleiben wird.

Andererseits wird die Anerkennung Deutschlands und Frankreichs als Partner durch Russland, Iran und die Türkei die US-Position gegenüber Iran schwächen. In der Gipfelerklärung kann dies aus der Wortwahl herausgelesen werden. Das Festhalten der Gipfelteilnehmer an »der Souveränität und der territorialen Unversehrtheit der Arabischen Republik Syrien« hat nicht nur die türkische Bombardierung nordsyrischer Stellungen am nächsten Tag legitimiert, sondern zugleich die Forderungen nach dem Abzug von US-Truppen aus Syrien gestärkt. Während die türkischen Bombardierungen eine weitere Eskalation, somit auch neue Gefahren für die Zukunft der nordsyrischen Kantone mit sich bringen werden, haben sich Deutschland und Frankreich offen gegen US-Interessen in Syrien positioniert. Damit stellen sich Deutschland und Frankreich auch gegen Saudi-Arabien auf die Seite von Qatar und dessen Partner Türkei.

Es wäre ein fataler Fehler, wenn die oppositionellen Kräfte der Türkei, insbesondere linke Kräfte und die kurdische Befreiungsbewegung, die Ergebnisse des Vierer-Gipfels nur durch eine kurdisch-türkische Brille betrachten würden. Ein Gipfel von solcher Qualität findet nicht statt, weil irgendwelche »westlichen Mächte« dem türkischen Diktator unter die Arme greifen wollen. Es geht um die nackten Interessen unterschiedlicher Bourgeoisien und um die regionale Hegemonie. Dennoch, trotz aller Widersprüche und Interessenkonflikte werden sich die Interessen der imperialistischen Kräfte sowie derer Kollaborateure niemals mit den Interessen der unterdrückten und ausgebeuteten Klassen decken. Wer diese Tatsache vergisst, wird sich die Zukunft verbauen.


Murat Çakır: Türkisch-deutscher politischer Aktivist und Autor. Regionalbüroleiter Hessen der Rosa-Luxemburg-Stiftung.


 Kurdistan Report 201 | Januar/Februar 2019