Kein Antiimperialismus ohne Orientierung auf die demokratische Gesellschaft

Venezuela und Antiimperialismus

Hüseyin Ali

USA, Europa und einige Staaten Südamerikas wenden einiges auf, um die bestehende Regierung Venezuelas unter dem amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro zu stürzen.

Dies muss als von den Vereinigten Staaten angeführter und von Europa unterstützter Putsch bezeichnet werden. Russland, China, Mexiko und die Türkei opponieren dagegen.

Die Situation stellt uns vor die Frage, wie eine antiimperialistische Haltung aktuell aussehen kann. Während des Kalten Krieges schien diese klar: Es schien auszureichen, gegen die von den USA geführte NATO und das kapitalistische System zu sein. Es reichte aus, gegen sie zu opponieren, um antiimperialistisch zu sein. Dies lief zugleich auf ein Bündnis mit dem sozialistischen Lager der Sowjetunion hinaus. Es genügte, die Unterstützung der Sowjets gegen die USA zu erhalten, um als antiimperialistisch zu gelten. Mit dem chinesisch-sowjetischen Konflikt änderte sich auch diese Situation. China und Albanien bezeichneten die Sowjets als Imperialisten und betrachteten so deren Verbündete nicht als antiimperialistisch.

Ohne demokratische Haltung kein antiimperialistischer Kampf

Im Zeitalter der Globalisierung muss der Begriff des Antiimperialismus neu gefüllt werden. Im 20. Jahrhundert waren die Bündnisse und Systeme die Grundlage des politischen Kampfes und es reichte aus, sich an die Seite der Sowjetunion oder Chinas zu stellen, um sich als antiimperialistisch zu benennen. Heute gibt es in diesem Sinne keine sozialistischen Lager und Bündnisse mehr. Der Kampf zwischen Unterdrückung und Befreiung wird nicht durch die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Zentren und die globalen Kräfteverhältnisse bestimmt. Im Gegensatz zu heute schien es also früher möglich, sich einer antiimperialistischen Seite anzuschließen und Haltung zu zeigen.

Heute ist das Bündnis mit der Bevölkerung eines Landes die Grundlage dafür, einen antiimperialistischen Kampf führen zu können. Dies geht nur mit einem organisierten sozialistischen und demokratischen Leben. Kein Staat, sondern nur eine auf der Gesellschaft, den Menschen basierende antiimperialistische Haltung kann heutzutage die Grundlage dafür sein, eine antiimperialistische Kraft zu entwickeln. Die Quelle für die notwendige Demokratisierung des Landes und der Gesellschaft kann nicht diese oder jene Kraft von außen sein, sondern nur die Gesellschaft. Also kann ohne demokratische Haltung kein Kampf gegen den Imperialismus geführt werden.

Eine undemokratische Gesellschaft ist kraftlos

Für die demokratische Nation und den Widerstand bedarf es einer demokratischen Gesellschaft. Eine undemokratische Gesellschaft und Nation ist kraftlos, so kann kein antiimperialistischer Kampf geführt werden. Die autoritäre und nicht demokratische Führung eines Landes soll einen erfolgreichen Kampf gegen den Imperialismus führen können? Es ist unmöglich, sich vor allem durch nationalistische Mobilisierung gegen den Imperialismus zu stellen. Ohne Wertschätzung der Gesellschaft durch Entwicklung eines demokratischen und freien Lebens kann auch kein starker antiimperialistischer Wille geformt werden. Aus diesem Grund sehen wir derzeit in den Ländern, in denen der Gesellschaft gegenüber eine antiimperialistische Haltung behauptet wird, lediglich einen Trugschluss.

Andererseits stellt sich auch die Frage: Wie kann jemand Antiimperialist sein, der nicht Antikapitalist ist? Der Kapitalismus ist die ökonomische Basis des Imperialismus, deshalb kann es ohne antikapitalistische Haltung keinen Antiimperialismus geben. Jede nicht antikapitalistische Haltung, Annäherung, ökonomisches und gesellschaftliches Leben dient damit dem Imperialismus.

Ein aktuelles antiimperialistisches Bewusstsein, eine solche Haltung und Praxis müssen den politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen von heute notwendigerweise entsprechen. Allem voran bedarf es eines gesellschaftlichen demokratischen Bewusstseins. Ohne demokratisch zu werden keine Gesellschaftlichkeit; ohne gesellschaftlich zu werden keine demokratische Entwicklung.

Genauso wie eine Demokratie sich nicht auf Individualismus stützen kann, ist es nicht möglich, sich als Sozialist nicht auf die Demokratie zu beziehen. Aus diesem Grund ist echter bzw. wahrer Antiimperialismus nur mit einer demokratischen sozialistischen Mentalität bzw. Bewusstsein und Praxis möglich.

Die Gesellschaft, die Unterdrückten und die Ausgebeuteten können keinen Staat haben

Sozialismus wird nicht durch den Staat, seine Eigenschaften und seine Mittel erlangt. Nur mit der richtigen Gesellschaft und ihrem ökonomischen Leben kann ein kommunales Wirtschaftssystem errichtet werden. Unter diesem Aspekt kann der Sozialismus nirgends durch Verstaatlichung von Eigentum oder Verstaatlichung der Wirtschaft entstehen. Das bezeichnen wir als Staatskapitalismus. Die Gesellschaft, die Unterdrückten und die Ausgebeuteten können keinen Staat haben. Der Staat bedeutet Zentralisierung bzw. er ist zentralistisch. An einem Ort des herrschenden Zentralismus kann die Gesellschaft keine bestimmende Kraft sein. So wie es sich im Nachhinein als Irrtum herausgestellt hat, in der Sowjetunion habe die Bevölkerung die Kontrolle innegehabt. Wir haben diesen Irrtum inzwischen begriffen.

Wenn wir den Antiimperialismus, den Antikapitalismus – also den Sozialismus – nicht verzerren wollen, müssen wir den Gehalt dieser Begriffe richtig einordnen. Gibt es keine gesellschaftliche Kraft, gibt es auch keinen erfolgreichen Kampf gegen Angriffe von außen und gegen Rückständigkeit im Inneren. Den Schlüssel und die Grundlage hierfür bildet die Demokratisierung der organisierten Gesellschaft. Man kann sagen, dass aus diesen Gründen die Haltung einer Gesellschaft in einem nichtdemokratischen Land nicht antiimperialistisch sein kann. Etwaige entsprechende Tendenzen können als innerer Kampf innerhalb des kapitalistischen Systems bewertet werden. Es liegt im Wesen des Kapitalismus, selbst ständig von inneren Kämpfen begleitet zu werden.

Kein Zweifel: Der Wille des Volkes muss respektiert werden

Die Länder, die Nicolás Maduro unterstützen, sind keine sozialistischen Länder. China und Russland gehören mit zu den führenden kapitalistischen Ländern der Welt. Die Türkei hingegen basiert auf Völkermord und Faschismus. Wenn dies die Länder sind, die Maduro unterstützen, dann ist offensichtlich, dass Maduros Politik Probleme innewohnen. Es wird sehr schwer, sich mit der Unterstützung dieser externen Kräfte an der Macht zu halten. Wenn Maduro keine Unterstützung von der Bevölkerung erhält, kann keine andere Kraft ihn halten.

Ein Gewählter muss respektiert werden, sagt Tayyip Erdoğan. Daran besteht kein Zweifel: Der Wille des Volkes und die von ihm gewählte Person müssen respektiert werden. Allerdings hat die Welt noch nie solch eine Respektlosigkeit erlebt wie die von Erdoğan und der AKP-Regierung. Deshalb ist Erdoğan der Letzte, der eine Aussage über Respekt tätigen sollte. Jemand, der gewählte Abgeordnete und alle Ko-Bürgermeister einkerkert und ihre Ämter kurdenfeindlich besetzt, spricht von Demokratie! Aber mit solch einem Hintergrund Maduro unterstützen zu wollen, ist keinesfalls eine Hilfe. Im Gegenteil, es ist eine Unterstützung, die den Kampf gegen Maduro legitimiert.

Maduro verbraucht und entleert das Erbe des bolivarischen Revolutionärs Hugo Rafael Chávez, Staatspräsident Venezuelas von 2002 bis 2013, der bis zu seinem Todestag sein Amt bekleidete. Nach seinem Tod kam Maduro an die Macht. Seine Politik führte zu dem Ergebnis, dass Maduro sein eigenes Ende eingeleitet hat.

Während Chavez die seitens der USA geführten Putschversuche zurückschlug, indem er sich auf die Gesellschaft stützte, würde es Maduros Eigenverantwortung für die desolate Situation in Venezuela ignorieren, würde sie lediglich auf die internationalen Angriffe zurückgeführt werden.

Die Tatsache, dass Venezuelas Wirtschaft weitgehend auf Öl basiert und die Gesellschaft kein eigenständiges wirtschaftliches System entwickeln konnte, ist zudem natürlich ein ernstes Problem. 


 Kurdistan Report 202 | März/April 2019