Sag ihnen, dass die Zapatista-Frauen in ihrem Winkel der Welt für ihre Freiheit kämpfen

Brief der zapatistischen Frauen an die kämpfenden Frauen auf der ganzen Welt

Die zapatistischen Frauen erklären den kämpfenden Frauen auf der ganzen Welt, dass und warum sie das »Zweite Internationale Treffen der Frauen, die kämpfen« nicht wie angekündigt ausrichten werden.

Eingangsbereich des »Ersten Internationalen Treffens der Frauen, die kämpfen« (8.–10. März 2018) in Chiapas. | Foto: amerika21Schwester, compañera:

Wir, die zapatistischen Frauen, senden Dir unsere Grüße als die Frauen im Kampf, die wir alle sind.

Heute haben wir traurige Nachrichten für Dich: Leider wird es uns nicht möglich sein, das »Zweite Internationale Treffen der Frauen, die kämpfen« hier im Gebiet der Zapatista im März 2019 auszurichten.

Vielleicht kennst Du bereits die Gründe – falls nicht, werden wir Dir hier etwas darüber erzählen.

Die neue schlechte Regierung machte deutlich, dass sie die Mega-Projekte der großen Kapitalisten vorantreiben wird, einschließlich der Mayan-Bahn, der Pläne für den Tehuantepec-Isthmus und der massiven kommerziellen Baumschulen. Sie ließ auch verlauten, dass sie den Bergbau-Unternehmen sowie der Landwirtschaftsindustrie Zugang verschaffen wird. Darüber hinaus ist ihr Agrarplan vollständig darauf ausgerichtet, unsere ursprünglichen Völker zu zerstören, indem sie unser Land in Rohstoffe verwandelt und so das aufgreift, was Carlos Salinas de Gortari1 angefangen hatte, jedoch aufgrund unseres Aufstandes nicht zu Ende bringen konnte.

Sie wollen uns zu ihren Pesos machen

All dies sind Projekte der Zerstörung, ganz egal, wie die Regierenden versuchen, dies mit Lügen zu verschleiern, ganz egal, wie oft sie ihre 30 Millionen Stimmen vervielfachen. Die Wahrheit ist, dass sie jetzt nach allem greifen und gegen die Ureinwohner, ihre Gemeinschaften, Länder, Berge, Flüsse, Tiere, Pflanzen und sogar ihre Felsen mit voller Wucht vorgehen. Und sie werden versuchen, nicht nur uns zapatistische Frauen, sondern alle indigenen Frauen – und alle Männer – zu vernichten; aber hier reden wir als und über Frauen.

In ihren Plänen wird unser Land nicht mehr für uns da sein, sondern für die Touristen und ihre großen Hotels und schicken Restaurants und all die Geschäfte, welche den Touristen ermöglichen, diesen Luxus zu haben. Sie wollen unser Land in Plantagen zur Produktion von Bauholz, Früchten und Wasser umwandeln, und in Minen, um Gold, Silber, Uran und all die Mineralien auszubeuten, welche die Kapitalisten begehren. Sie wollen uns zu ihren Pesos machen, zu Sklaven, die ihre Würde für wenige Münzen im Monat verkaufen.

… und sie nennen uns rückständig, ignorant und unbedeutend

Diese Kapitalisten und die neue schlechte Regierung, die ihnen gehorcht, denken, dass wir nur Geld wollen. Sie verstehen nicht, dass das, was wir wollen, Freiheit ist. Das Wenige, das wir erreicht haben, ist durch unseren Kampf ohne Aufmerksamkeit, ohne Fotos und Interviews, ohne Bücher oder Referenden oder Wahlen und ohne Stimmen, Museen oder Lügen entstanden. Sie verstehen nicht, dass das, was sie als »Fortschritt« bezeichnen, eine Lüge ist, dass sie nicht einmal all den Frauen Sicherheit bieten können, die in ihren Welten weiterhin geschlagen, vergewaltigt und ermordet werden, seien es »progressive« oder reaktionäre Welten.

Wie viele Frauen werden in diesen »progressiven« oder reaktionären Welten ermordet, auch während Du gerade diese Zeilen liest, compañera, Schwester? Vielleicht weißt Du es schon, aber wir sagen Dir hier erneut, dass im Gebiet der Zapatista keine einzige Frau in den letzten Jahren ermordet wurde. Stell Dir das vor, und sie nennen uns rückständig, ignorant und unbedeutend.

Möglicherweise wissen wir nicht, welcher Feminismus der beste ist; vielleicht sagen wir nicht »cuerpa« [eine Feminisierung von »cuerpo«, Körper; Anm. Red.] oder wie auch immer Ihr mit den Worten spielt. Vielleicht wissen wir nicht, was »Geschlechtergerechtigkeit« ist oder eines der vielen anderen Dinge mit zu vielen Buchstaben, um sie zu zählen. Auf jeden Fall ist dieses Konzept der »Geschlechtergerechtigkeit« nicht einmal gut formuliert, denn es bezieht sich nur auf Frauen und Männer, und selbst wir, angeblich unwissend und rückwärtsgewandt, wissen, dass es auch die Menschen gibt, die weder Frau noch Mann sind und die wir die »Anderen« [otroas] nennen, die sich aber so bezeichnen, wie sie es wollen. Es war nicht einfach für sie, sich das Recht zu erstreiten, das zu sein, was sie sind, ohne sich verstecken zu müssen, weil sie verspottet, verfolgt, missbraucht und ermordet werden. Warum sollten sie verpflichtet sein, Männer oder Frauen zu sein, die eine oder die andere Seite zu wählen? Wenn sie nicht wählen möchten, sollten sie bei dieser Wahl nicht missachtet werden. Wie können wir uns beschweren, nicht als Frauen respektiert zu werden, wenn wir nicht diese Menschen respektieren? Vielleicht denken wir so, weil wir gerade über das reden, was wir in anderen Welten gesehen haben, und wir wissen nicht viel über diese Dinge. Was wir wissen, ist, dass wir für unsere Freiheit gekämpft haben und jetzt kämpfen, diese zu verteidigen, sodass die schmerzhafte Vergangenheit, unter welcher unsere Großmütter litten, nicht auch von unseren Töchtern und Enkelinnen ertragen werden muss.

Wir müssen kämpfen, um die Geschichte nicht zu wiederholen und zu einer Welt zurückzukehren, in welcher wir nur kochen und Kinder gebären, nur um sie in Erniedrigung, Respektlosigkeit und Tod aufwachsen zu sehen.

Wir haben uns nicht bewaffnet erhoben, um zur selben Situation zurückzukehren

Wir haben keine 25 Jahre Widerstand geleistet, um Touristen, Bossen und Aufsehern zu dienen.

Wir werden nicht aufhören, uns in den Bereichen der Bildung, Gesundheit, Kultur und Medien weiterzuentwickeln; wir werden nicht unsere Autonomie aufgeben, um Hotel- und Restaurantangestellte zu werden, um Fremde für wenige Pesos zu bedienen. Es macht keinen Unterschied, ob es um wenig oder viel Pesos geht. Was zählt, ist, dass unsere Würde keinen Preis hat.

Das ist es, was sie wollen, compañera, Schwester: Wir sollen Sklavinnen im eigenen Land werden und ein paar Brosamen akzeptieren, um sie unsere Gemeinschaft zerstören zu lassen.

Compañera, Schwester:

Als Du 2018 zu unserem Treffen in diese Berge kamst, haben wir gesehen, dass Du uns mit Respekt, sogar mit Bewunderung angesehen hast. Nicht alle zeigten diesen Respekt – wir wissen, dass einige nur kamen, um uns zu kritisieren und auf uns herabzuschauen. Aber das ist egal – die Welt ist groß und voll von unterschiedlichen Arten zu denken und es gibt diese, die verstehen, dass wir nicht alle dasselbe machen können, und es gibt jene, die es nicht verstehen. Wir können diese Differenz respektieren, compañera, Schwester, weil dies nicht das Ziel der Versammlung war zu sehen, wer uns gute oder schlechte Bewertungen geben würde. Das Ziel war, sich als Frauen im Kampf zu treffen und zu verstehen.

Ebenso möchten wir nicht, dass Du uns mit Mitleid oder Schande betrachtest, als ob wir Dienerinnen wären, die mehr oder weniger strenge oder höfliche Aufträge entgegennehmen. Oder als wären wir Verkäuferinnen, mit denen man über den Preis von Handwerkskunst oder Obst und Gemüse oder was sonst auch immer feilscht. Feilschen ist, was kapitalistische Frauen tun, obwohl sie dies natürlich nicht machen, wenn sie in Einkaufszentren gehen. Sie zahlen alles, was die Kapitalisten verlangen, und tun dies auch gerne.

Wir haben uns entschieden

Nein, compañera, Schwester. Wir werden mit all unserer Stärke und allem, was wir haben, gegen diese Mega-Projekte kämpfen. Falls diese Länder erobert werden sollten, dann nur über das Blut der Zapatista-Frauen. Wir haben uns entschieden und das werden wir tun.

Es scheint, als würde die neue schlechte Regierung denken, dass wir, da wir Frauen sind, sofort unsere Blicke senken und den Bossen und neuen Aufsehern gehorchen würden. Sie denken, dass wir nur nach einem guten Boss und guten Löhnen suchen. Das ist es nicht, wonach wir suchen. Was wir wollen, ist Freiheit, eine Freiheit, die uns niemand geben kann, weil wir sie selbst gewinnen müssen, durch unseren Kampf, mit unserem Blut.

Denkst Du, dass wir die Kräfte der neuen schlechten Regierung – die Paramilitärs, die Nationalgarde –, welche sie schicken werden, mit Respekt, Dankbarkeit und Freude empfangen werden? Verdammt, nein. Wir werden sie mit unserem Kampf empfangen und dann werden wir sehen, ob sie lernen, dass die Zapatista-Frauen nicht aufgeben, nachgeben oder sich verkaufen.

Letztes Jahr haben wir während des Frauen-Treffens große Anstrengungen unternommen, um sicherzugehen, dass Du, compañera und Schwester, glücklich und sicher und fröhlich warst. Nichtsdestotrotz haben wir einen beträchtlichen Stapel von Beschwerden, welche Du uns hinterlassen hast: dass die Bretter, auf denen Du schliefst, hart waren, dass Dir das Essen nicht schmeckte, dass die Mahlzeiten teuer waren, dass dies oder jenes nicht so oder so hätte sein sollen. Aber später werden wir Dir mehr über die Vorbereitungsarbeiten und die empfangene Kritik erzählen.

Sie werden uns angreifen und anschließend die Umfragen überprüfen

Was wir Dir sagen möchten, ist, dass Du trotz aller Beschwerden und Kritik hier sicher warst: Es gab keine schlechten oder auch guten Männer hier, die Dich ansehen oder beurteilen. Es waren alles Frauen hier, das kannst Du bestätigen.

Nun, jetzt ist es hier nicht mehr sicher, denn der Kapitalismus greift nach uns, nach allem und für jeden Preis. Dieser Angriff ist jetzt möglich, weil die Mächtigen das Gefühl haben, dass viele Menschen sie unterstützen und ihnen Beifall zollen werden, egal welche Barbarei sie verüben. Sie werden uns angreifen und anschließend die Umfragen überprüfen, um zu sehen, ob ihre Zustimmung noch immer hoch ist, so lange, bis wir vernichtet wurden.

Während wir diesen Brief schreiben, haben die paramilitärischen Angriffe bereits begonnen. Es sind die gleichen Gruppen wie immer. Zuerst wurden sie mit der PRI assoziiert, dann mit der PAN, dann mit der PRD, anschließend mit der PVEM und nun mit MORENA.2

Wir schreiben Dir also, compañera, Schwester, dass wir hier kein Treffen der Frauen ausrichten werden, aber Du solltest das in Deinem Land tun, je nach Zeit und Möglichkeiten. Und auch wenn wir nicht dabei sein können, werden wir an Dich denken.

…  damit keine Frau in irgendeinem Winkel der Welt Angst haben muss, eine Frau zu sein

Compañera, Schwester: Hör nicht auf zu kämpfen! Selbst wenn die schlechten Kapitalisten und ihre neuen schlechten Regierungen einen Weg finden, um uns zu vernichten, musst Du in Deiner Welt weiter kämpfen. Darauf haben wir uns auf dem letzten Treffen geeinigt: dass wir alle kämpfen werden, damit keine Frau in irgendeinem Winkel der Welt Angst haben muss, eine Frau zu sein.

Compañera, Schwester: In Deinem Teil der Welt ist es, wo Du kämpfen musst, genau wie unser Kampf hier im Zapatista-Gebiet liegt.

Die neue schlechte Regierung glaubt, dass sie uns leicht besiegen werden, dass wir nur sehr wenige sind und dass niemand aus einer anderen Welt uns unterstützt. Aber das ist nicht der Fall, compañera, Schwester, denn selbst wenn nur eine von uns übrig bleibt, wird sie kämpfen, um unsere Freiheit zu verteidigen.

Wir haben keine Angst, compañera, Schwester.

Wenn wir schon vor 25 Jahren keine Angst hatten, als noch niemand wusste, dass wir existieren, werden wir sicherlich auch heute keine Angst haben, jetzt, da Du uns auch gesehen hast – egal wie Du uns gesehen hast, gut oder schlecht, aber Du hast uns gesehen.

Auch in schwierigen Zeiten müssen wir sein, wer wir sind: Wir sind Frauen, die kämpfen

Compañera, Schwester:

Kümmere Dich um das kleine Licht, Das wir dir gegeben haben. Lass es nicht ausgehen.

Selbst wenn unser Licht hier durch unser Blut erlischt, selbst wenn auch andere Lichter an anderen Orten ausgehen, kümmere Dich um Deins, denn auch in schwierigen Zeiten müssen wir sein, wer wir sind: Wir sind Frauen, die kämpfen.

Das ist alles, was wir sagen wollten, compañera, Schwester. Zusammengefasst, wir werden keine Zusammenkunft der Frauen ausrichten; wir werden nicht teilnehmen. Falls Du in Deiner Welt ein Treffen abhalten wirst und Du gefragt wirst, wo die Zapatistas sind und wieso sie nicht teilnehmen, sag ihnen die Wahrheit: Sag ihnen, dass die Zapatista-Frauen in ihrem Winkel der Welt für ihre Freiheit kämpfen.

Das ist alles, compañeras, Schwestern, kümmert Euch um Euch. Vielleicht sehen wir uns nicht wieder.

Vielleicht werden sie Dir sagen, Du solltest nicht mehr an die Zapatistas denken, weil es sie nicht länger gibt.

Aber gerade wenn Du denkst, dass sie Recht haben, dass wir besiegt wurden, wirst Du sehen, dass wir Dich noch sehen und dass eine von uns, ohne dass Du es überhaupt merkst, sich Dir genähert hat und Dir ins Ohr geflüstert hat. Nur für Dich wirst du hören: »Wo ist das kleine Licht, das wir Dir gegeben haben?«

Aus den Bergen des mexikanischen Südostens,

die Zapatista-Frauen

Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung, Mexiko

Februar 2019

Fußnote:

1 - Präsident von Mexiko 1988–1994

2 - Mexikanische Parteien der herrschenden Klassen: PRI (Partido Revolucionario Institucional – Partei der Institutionalisierten Revolution – ging als herrschende Kraft aus der mexikanischen Revolution Anfang des 19. Jahrhunderts hervor); PAN (Partido Acción Nacional – »Konservative« mexikanische Partei); PRD (Partido de la Revolución Democrática – Partei der demokratischen Revolution; wie PRI und PAN eine der drei großen Parteien in Mexiko; PVEM (Partido Verde Ecologista de México – Grüne Ökologische Partei Mexikos); Morena ( Movimiento Regeneración Nacional – Bewegung der nationalen Erneuerung; seit 2018 Regierungspartei in Mexiko).


 Kurdistan Report 202 | März/April 2019