Editorial

 

Liebe Leserinnen und Leser,

einmal mehr wurde die von der kurdischen Demokratiebewegung dem türkischen Staat ausgestreckte Hand für eine friedliche und demokratische Lösung der kurdischen Frage ausgeschlagen.

Am 19. August wurden in den Großstädten Amed, Wan und Mêrdîn die gewählten Bürgermeister*innen durch Zwangsverwalter des türkischen Regimes ersetzt.Während nach dem erfolgreichen Hungerstreik von tausenden kurdischen Politiker*innen, Aktivist*innen und Gefangenen mehrere Besuche auf der Gefängnisinsel Imralı möglich waren, bei denen der kurdische Vordenker Abdullah Öcalan seine Friedensangebote an den Staat wiederholte, und die Demokratische Partei der Völker (HDP) eine Mobilisierung für eine demokratische Verfassung begann, hat der türkische Staat seine Antwort am 19. August mit dem »politischen Putsch« gegeben. In den Großstädten Amed (Diyarbakır), Wan (Van) und Mêrdîn (Mardin) sind die von der Bevölkerung gewählten Bürgermeister*innen vom türkischen Innenministerium abgesetzt und durch Zwangsverwalter ersetzt worden, gleichzeitig wurden am selben Tag annähernd 500 HDP-Mitglieder und -Aktivist*innen festgenommen. Es ist bereits das zweite Mal, dass demokratisch gewählte Kommunalverwaltungen unter Zwangsverwaltung gestellt werden. Vor drei Jahren, im Herbst 2016, wurden ungefähr hundert kurdische Bürgermeisterinnen und Bürgermeister abgesetzt und inhaftiert. Erst durch die Kommunalwahlen am 31. März 2019 zogen wieder gewählte Vertreter*innen in die Rathäuser kurdischer Städte und Gemeinden ein.

In seiner bereits im Jahr 2009 veröffentlichten Roadmap für Verhandlungen skizzierte Öcalan drei mögliche Verläufe im Hinblick auf eine Lösung der kurdischen Frage: die traditionelle Praxis der Verleugnung und Vernichtung, den föderalistisch-nationalistischen Lösungsplan und den demokratischen Lösungsplan.

Mit der Politik der Zwangsverwaltung zeigt die Türkei ihr weiteres Beharren auf der ersteren Praxis der Verleugnung und Vernichtung. Denn mit der Zwangsverwaltung werden nicht nur die Bürgermeister*innen abgesetzt, die Zwangsverwaltung ist auch ein Angriff auf die kurdische Sprache, Kultur, Geschichte und richtet sich vor allem gegen die Selbstorganisierung der Frauen. Alle mehrsprachigen Angebote werden durch die Zwangsverwaltung türkisiert und Projekte zur Förderung der kurdischen Kultur werden abgebrochen. Parks und Straßen, die kurdische Namen tragen, werden ebenfalls türkisiert. Die Frauenhäuser werden kriminalisiert und in ihrer Arbeit behindert und die Gemeinden werden wieder mit Schuldenbergen überhäuft.

Seitdem protestieren Bevölkerung und politische Vertreter*innen wie hier die HDP-Abgeordnete Başaran gemeinsam auf der Straße gegen den »politischen Putsch«.Die weiter andauernde militärische Intervention in Südkurdistan, die völkerrechtswidrige Besatzung im nordsyrischen Efrîn als auch der drohende Einmarsch der türkischen Armee in Nord- und Ostsyrien verfolgen hierbei alle dieselben Ziele, die Errungenschaften der kurdischen Gesellschaft zu zerschlagen und die politische Bewegung für Frieden und Basisdemokratie zu vernichten.

Aber die Absetzung der Bürgermeister*innen und die Besetzung der Stadtverwaltungen durch Zwangsverwalter des Erdoğan-Regimes haben in Nordkurdistan den Widerstandsgeist der Bevölkerung entfacht. Mit vielfältigen Aktionen sind die Menschen seit Tagen auf der Straße. Die brutale Gewalt, die ihnen bei ihrem legitimen Protest durch die Kräfte des Systems entgegenschlägt, bestärkt die Bevölkerung darin, für ihre Rechte weiter auf den Straßen zu bleiben.

»Euer Hass und Eure Gewalt, die Ihr gegen die Demokratische Partei der Völker und ihre Wählerschaft, gegen die kurdische Bevölkerung und die Demokratiekräfte in diesem Land richtet, wird zu nichts anderem führen als zur Beschleunigung Eures eigenen Endes«, antwortete die Abgeordnete der HDP Ayşe Acar Başaran in Amed auf die Angriffe der Wasserwerfer und knüppelnden Polizeigarden.

Eure Redaktion


 Kurdistan Report 205 | September/Oktober 2019