»Rheinmetall entwaffnen«-Camp in Unterlüß

Widerstands-Camp gegen Krieg und Waffenindustrie

Paula und Paul

Wie bereits im vergangenen Jahr fand vom 1. bis 9. September das »Rheinmetall entwaffnen«-Camp gegen das Produktionswerk von Rheinmetall im niedersächsischen Unterlüß statt. Für über eine Woche entstand so mitten auf dem Dorfplatz ein Ort des Widerstands gegen Krieg und die Waffenindustrie, den über 300 Menschen mit Leben füllten.

Widerstand gegen Krieg und WaffenindustrieRheinmetall ist aktuell nicht nur der größte deutsche Rüstungskonzern, sondern auch besonders auf den Export von Waffen und Munition ausgerichtet. Über Tochtergesellschaften in vielen Staaten schafft sich der Konzern eine Struktur, mit der Exportbeschränkungen weitestgehend umgangen werden können. »Der Konzern halte sich an bestehende gesetzliche Bestimmungen«, heißt es immer  brav von Konzernsprecher*innen, wenn Ablehnung von Waffenexporten an Kriegsparteien laut wird.

Die Kriegsgegner*innen vom »Rheinmetall entwaffnen«-Bündnis ließen sich jedoch von solchen Phrasen nicht irritieren. Ausschlaggebend ist für sie nicht, ob es Staaten gibt, die Waffendeals an Länder wie Saudi-Arabien oder die Türkei ermöglichen, sondern ihre Überzeugung, dass diese Waffen nicht länger in Kriegen wie im Jemen oder in Syrien Menschen ermorden dürfen.

Entsprechend wandten sich die Aktivist*innen auch nicht mit einer einzelnen Petition an die Bundesregierung, sondern erarbeiteten ein umfassendes Programm mit Workshops, direkten Aktionen und einer gemeinsamen Demonstration. Denn für eine Welt ohne Krieg braucht es eine Abkehr der Gesellschaft von der Logik des patriarchalen Systems, ein Weg. der nur möglich ist, wenn wir voneinander lernen, selbst in die Maschine eingreifen und unsere gemeinsame Entschlossenheit und Vielfalt sichtbar machen.

Das Camp begann am 1. September, an dem sich der Beginn des faschistischen Vernichtungskriegs zum 80. Mal jährt. Um allen die Verantwortung bewusst zu machen, wurde dieses Datum von der Friedensbewegung zum Antikriegstag erklärt.

Beim Antikriegscafé am Eröffnungstag lernten sich Menschen aus der Region und darüber hinaus kennen und teilten sehr persönliche Einblicke, warum sie sich für Frieden engagieren. Eine Abendveranstaltung bot Raum für Erinnern und Gedenken an Menschen, die im Krieg und im Kampf um Befreiung ihr Leben verloren haben. Die beeindruckende Tiefe, die in diesen Veranstaltungen entwickelt wurde, passte zum historischen Anlass und schuf eine gemeinsame Basis für die Aktionswoche.

In den weiteren Tagen fanden Workshops und Diskussionen zur Geschichte der militarisierten Region der Lüneburger Heide und des Konzerns Rheinmetall im deutschen Faschismus bis heute, die Rolle von Rheinmetall und der BRD in aktuellen Kriegen und dem tödlichen europäischen Grenzregime statt. Auch die Zerstörung der Natur durch Kriege, feministische Perspektiven auf eine Antikriegsbewegung und der Blick auf gesellschaftliche Lösungskonzepte jenseits von Unterdrückung und Herrschaft wurden diskutiert. Hierbei wurden nicht nur die verschiedenen Perspektiven auf Militarismus und Krieg beleuchtet, sondern auch erarbeitet und diskutiert, dass es wichtig ist, die Kämpfe dagegen miteinander zu denken und zu verknüpfen, um eine gemeinsame und große Schlagkraft gegen das kapitalistische System zu entwickeln.

Im gemeinsamen Leben auf dem Camp und in Diskussionen wurden Formen eines solidarischen und friedlichen Zusammenlebens miteinander entwickelt. Die Aufgaben im Camp wie Kochen, Übersetzen oder Veranstaltungen vorbereiten wurden von allen übernommen. Absprachen wurden im Plenum mit allen zusammen entwickelt und reflektiert. FLINT*1-Räumen und autonome feministische Plenas schufen Orte für eigene Veranstaltungen und Austausch ohne Männer.

»Mir ist klar geworden, dass wir ganz grundlegend mit diesem System weißer und männlicher Herrschaft und Unterdrückung brechen müssen. Wir wollen eine vielfältige Welt, in der sich alle Menschen einbringen können, Gehör finden und in Frieden füreinander einstehen. Der Weg dorthin braucht eine stabile feministische Basis!«, resümierte Clara Behrens, eine Teilnehmerin des Camps.

Den Aktivist*innen war es jedoch wichtig, nicht nur sich selbst zu bilden, sondern auch sichtbar zu sein und Veränderungen anzustoßen. Mit der Aktion »Straße der Erinnerung« wurde eine Initiative zur Gedenkkultur an die 900 ungarischen jüdischen Zwangsarbeiterinnen aus dem Tannenberglager unterstützt. Zusammen wurde ein Gedenkstein gesetzt, Baumbinden mit Namen der Inhaftierten und Erinnerungsplakate machten die Geschichte dieser KZ-Außenstelle ebenso wie die der Tausenden anderen Zwangsarbeiterinnen für Rheinmetall im Faschismus unübersehbar. Erschreckenderweise wurden an den folgenden Tagen alle Hinweise auf dieses grausame Kapitel der deutschen Geschichte gewaltsam zerstört. An dem Ort, an dem heute weiter Waffen für das tägliche Morden produziert werden, fällt es offensichtlich besonders schwer, an die Verbrechen des deutschen Faschismus zu erinnern.

»War starts here, let´s stop it here« – Für die Kriegs­gegner*innen in Unterlüß bedeutete das, den Betrieb der Waffenfabrik mit ihren rund 1.700 Beschäftigten zumindest an zwei Tagen während des Camps durch Blockaden zu stören. In dem Moment, als frühmorgens über 300 Menschen aufbrachen, um sich hinzusetzen und den Weg zu den Rheinmetall-Toren zu versperren, als sich Menschen anketteten und in Tripods hängten, andere im Wald die Ausweichwege zubauten und einige das durch Arbeiten im Camp möglich machten, wurde eine enorme Entschlossenheit spürbar. Diese Kraft zeigte allen, dass hier niemand handlungsunfähig ist, sondern es vielfältige Möglichkeiten gibt, einen Teil des Weges zu einer friedlichen Welt zu werden.

Die Demonstration am Samstag wurde von einem breiten Bündnis getragen. Rund 600 Teilnehmer*innen zogen entschlossen durch den kleinen Ort Unterlüß, der knapp 3.500 Einwohner*innen zählt, bis zum Rheinmetallwerk. Durch Transparente, Schilder und auch in Redebeiträgen fanden die Themenschwerpunkte auch hier ihren  Ausdruck.

Der Ausblick am Ende des Camps war eindeutig: Der Widerstand wird weitergehen. Die aktuellen Entwicklungen, wie der Krieg des NATO-Staats Türkei gegen die basisdemokratisch organisierte Gesellschaft in Nord- und Ostsyrien und auch Gewalt und Morde hier in Deutschland, zeigen, wie nötig das ist. Hier in den Herkunftsländern der Waffen befinden wir uns nicht außerhalb dieser Kriege, sondern sind unmittelbar an ihnen beteiligt. Rheinmetall ist sicher nicht das einzige Problem, steht aber beispielhaft für dieses zerstörerische System, in dem sogar das Vernichten von Menschenleben zu einem gewinnbringenden Geschäftsmodell wird.

Die Vielschichtigkeit des »Rheinmetall entwaffnen«-Camps gab wichtige Einblicke, wie sich Widerstand entwickeln kann: feministisch und international, voll mit kollektivem Leben und Interesse an allen einzelnen Personen, die gemeinsam von der Geschichte lernen, die Gegenwart analysieren und für die Zukunft jeglichen Lebens auf dieser Erde aktiv werden.

Solche Orte des Widerstands gibt es überall auf der Welt. Wenn sie weiter wachsen, kommen wir dem näher, was im Aufruf von »Rheinmetall entwaffnen« formuliert wurde: einer Welt, in der Rüstung, Krieg und Abschottung nicht nötig sind!

Fußnote:

1 - FLINT* steht für Frauen, Lesben, Intersexuelle, Nichtbinäre und Trans-Personen. Das * macht darauf aufmerksam, dass diese Begriffe nicht alle Identitäten darstellen können, die sich nicht als cis-männlich begreifen.


 Kurdistan Report 206 | November/Dezember 2019