Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Demonstration in Şehba gegen den Angriffskrieg der Türkei auf Rojava(Nordsyriendie kurdische Frage und der damit verbundene Kampf der kurdischen Gesellschaft ist auch im 21. Jahrhundert immer noch ein Kampf um Sein oder Nichtsein. Der am 9. Oktober 2019 vom türkischen Staat begonnene Angriffskrieg gegen die Demokratische Föderation Nord- und Ostsyrien hat dies nochmals aller Welt klar vor Augen geführt.

Das Timing dieser völkerrechtswidrigen Militäroperation, bei der die Türkei vor allem dschihadistische Gruppen unter dem Deckmantel der »Nationalen Armee Syriens« aufmarschieren lässt, sagt hierbei viel über das wesentliche Ziel dieses Kriegs aus. Bereits das vor 21 Jahren am 9. Oktober 1998 begonnene Internationale Komplott, aufgrund dessen der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan verschleppt wurde, zielte darauf ab, die politische Organisierung der kurdischen Gesellschaft zu zerschlagen und diese dem türkischen Nationalstaat einzuverleiben.

Der nun gegen Rojava eingeleitete türkische Angriffskrieg bildet den vorläufigen Höhepunkt der Anstrengungen des türkischen Faschismus, die kurdische Gesellschaft all ihrer demokratischen Errungenschaften zu berauben. Dieser Angriffskrieg lässt sich dabei einreihen in die brutalen Übergriffe und Massaker, die die AKP-Regierung seit dem Abbruch der Friedensverhandlungen im Jahr 2015 verfolgt.

Die Phase vor dem Angriff war ein abgekartetes Spiel in der internationalen Politik. Am 19. September erklärten die Türkei, der Iran und Russland nach ihrer Zusammenkunft, die demokratische Autonomie in Nordsyrien nicht anzuerkennen. Wenig später folgte die Erklärung der USA und der Türkei, es werde nun gemeinsame Patrouillen zur Grenzsicherung geben. Kurz darauf folgte die Ankündigung des Rückzugs der US-Truppen aus der Region, woraufhin der türkische Angriff erfolgte. Auf diese Weise haben die USA den Angriffskrieg eingeleitet und die türkische Besetzung legitimiert. Wer also nach Verantwortlichen für die hunderten Menschen sucht, die durch den türkischen Angriffskrieg bis jetzt getötet wurden, muss die USA, Russland, die Vereinten Nationen und die Türkei sehen.

Mit diesem Krieg in Nordsyrien hat sich jedoch nicht nur gezeigt, dass für die kurdische Gesellschaft die reale Gefahr eines Genozids besteht. Der Selbstverteidigungskampf der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) gegen die zweitgrößte NATO-Armee hat aber auch der ganzen Welt vor Augen geführt, worum sich der Kampf in Rojava im Kern dreht. Der Widerstand ist regelrecht ein Kampf des Guten gegen das Böse geworden. Es hat sich eine internationale und demokratische Allianz der Völker gebildet, die den Widerstand der Selbstverteidigungskämpfer und die Schmerzen mitfühlt. Diese internationale Solidarität hat eine Welle der Solidarität ausgelöst, die unvergleichbar ist mit derjenigen aus der Zeit des Widerstands von Kobanê 2014 oder von Efrîn 2018.

Wir hoffen auf das Verständnis unser Leserinnen und Leser, dass Artikel in dieser Ausgabe vor dem Beginn des Angriffskriegs geschrieben wurden und daher die aktuelle Lage nicht behandeln konnten.

Eure Redaktion


 Kurdistan Report 206 | November/Dezember 2019