Der IS ist nicht besiegt, solange die Türkei teils offen, teils verdeckt den IS weiter unterstützt

Schlüpft der IS erneut aus dem Loch?

Hamide Yigit


Mitglieder des IS nach ihrer Gefangennahme in Rojava. | Foto: anfIn den arabischen Medien wird die These aufgestellt, dass die »Rolle des IS im Jahr 2017« zwar einen Rückschlag erlitten habe, die geplante Rückkehr des IS jedoch im Rahmen der türkischen Militäroperationen unmittelbar »zu neuem Leben erwacht«.

»Der IS wurde in Gänze besiegt!«, zumindest war dies die Aussage des US-Präsidenten Donald Trump in Bezug auf den Rückzug amerikanischer Truppen in Syrien. In der letzten Zeit konnten wir jedoch umfangreiche Angriffe des sogenannten Islamischen Staates (IS) beobachten und es sieht so aus, dass wir in den kommenden Tagen wieder sehr viel über ihn sprechen werden, und zwar überall! Denn die imperialen Zentren geben Anzeichen darauf, dass die Völker dieses geographischen Brennpunkts einer völlig neuartigen IS-Seuche ausgesetzt sind. Das Thema, dass der IS »wieder aktiv« wird, ist seit Januar zunehmend in den Medien zu beobachten. Ungefähr im gleichen Zeitraum gelangte auch eine arabischsprachige Analyse in einem Medienbericht der Daily Mail zu dieser Erkenntnis. Laut dieser Analyse steht der Welt eine neue »Terrorwelle« bevor.

Die Angriffe des IS im Irak wie in Kerkûk (Kirkuk), Mûsil (Mossul), Samarra und in Sahaddin, wo seit der Verkündung der »IS-Niederlage« im März 2019 der bisher größte IS-Angriff zustande kam, nehmen seit Februar täglich zu. Lokalen Quellen zufolge, verloren dabei die vom IS angegriffenen Hashd al-Shaabi-Truppen 10 Menschenleben und viele wurden gleichzeitig verletzt. Als Reaktion auf die steigenden Angriffe sind auch die Operationen irakischer Sicherheitskräfte verschärft worden. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass der IS im Irak »reaktiviert« wurde und wiederholt angegriffen und zurückgeschlagen hat, indem er landwirtschaftliche Flächen mit Mörsergranaten in Brand gesteckt hat und damit mehrere Hektar Land unbrauchbar gemacht hat. Mittlerweile haben auch die Geheimdienste wieder damit begonnen IS-Warnungen auszugeben. Den arabischen Medienberichten zufolge, wird in den irakischen, kurdischen und amerikanischen Geheimdienstberichten davor gewarnt, dass der IS erneut versucht ins Feld zu rücken und sich zum Ziel gesetzt hat, die vor zwei Jahren verlorenen Gebiete im Irak und Syrien zurückzuerobern.

Es geht also darum, dass die Gefahr durch den IS nie beendet wurde, sie befand sich lediglich unter der Oberfläche. Mag sein, dass sich seit Trumps »Wir haben den IS besiegt-Hymne« im März 2019, bis er schließlich im Oktober das grüne Licht für die Tötung von Abu Bakr al-Baghdadi freigab, die IS-Zellen wirklich »im Schlafmodus« befanden; aber jetzt werden sie förmlich geweckt! Und dass, obwohl sich Trump doch so sehr damit gerühmt hatte »den IS besiegt und seinen IS-Anführer getötet« zu haben. Aber eigentlich war der Hintergrund dieser »Erfolgsgeschichte« anders. Denn al-Baghdadi hatte seinen Nachfolger schon einige Zeit im Voraus ernannt. Das neue Kalifat des IS war sozusagen vor Trumps »erfolggekrönten« Operationen bereits klar. Nach den in der arabischen Presse veröffentlichten Analysen wies al-Baghdadi bereits selbst auf eine nicht-arabische Person als seinen Nachfolger hin und leitete dessen Wahl zum IS-Anführer ein; dieser Vorschlag wurde innerhalb der IS-Organisation angenommen. Sogar der Name war bekannt.

Nach al-Baghdadis Tod hat der Journalist Hüssam Zeydan geschrieben, dass schon nach den ersten Anzeichen von Machtkämpfen, die auf mögliche Ermordungen von Führungspositionen hinwiesen, frühzeitige Vorkehrungen innerhalb des IS getroffen wurden. In diesem Sinne wurde sowohl die zentrale Macht von Abu Bakr al-Baghdadi als auch die Anzahl der Führungsränge reduziert und stattdessen die lokalen Anführer mit Macht versehen. Der Schwerpunkt wurde darauf gesetzt, den Kontrollapparat horizontal zu verteilen, und dabei gleichzeitig flach zu halten. Die lokalen Anführer haben in diesem Rahmen auch die Erlaubnis und die Macht erhalten, dass sie im Falle von al-Baghdadis Tod und bis zum Zeitpunkt, an dem ein neuer Nachfolger bestimmt wird, zu jeglichen strategischen Entscheidungen befugt sind. Dabei wurden auch schon über Namen für al-Baghdadis Nachfolgerschaft diskutiert. Weil er eine Ausdauer für terroristische Angriffe hatte, war der Name eines Abu Walid al-Sahrawi im Umlauf. Jedoch gab es Einwände von IS-Anhängern aus dem Mittleren Osten und Nordafrika, nämlich dass der Nachfolger des irakischen al-Baghdadi nicht erneut ein Iraker werden solle. Insbesondere vom IS aus dem Maghreb gab es starke Einwände. Zeitgleich bestimmte al-Baghdadi, dass der als Abu Omar al-Turkmani bekannte Hadschi Abdullah Kardaş al-Afari die Nachfolge übernehmen soll. Abdullah Kardaş ist ein irakischer Turkmene. Es wurde besonders darauf Wert gelegt, dass es ein Iraker, aber kein Araber war. Schon drei Tage nachdem sich Trump mit dem Sieg gerühmt hatte, wurde der Name des neuen IS-Anführers bekannt gegeben; allerdings wusste niemand etwas über diesen Mann. Das war insofern auch selbsterklärend, als dass er mit seinem IS-Kampfnamen verkündet wurde. Als al-Baghdadi zum Führer des irakischen Islamischen Staates ernannt wurde, trat auch er mit seinem IS-Kampfnamen »Abu Bakr al-Baghdadi« (Abu Bakr aus Bagdad) auf, sein richtiger Name war Ibrahim Awad Ibrahim al-Badri. Der neue Nachfolger Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kuraschi wurde ebenfalls mit seinem IS-Kampfnamen verkündet.

Man muss an dieser Stelle auf ein Detail hinweisen: Nachdem der Führer der Al-Qaida im Irak (AQI) Abu Omar al-Baghdadi infolge eines US-Angriffs getötet wurde, hat es einen Monat gedauert bis Abu Bakr al-Baghdadi seinen Posten eingenommen hat. Das wichtige Detail an dieser Stelle ist, dass der Führer des IS erst mit einem Monat Verzug seine Nachfolge angetreten hat. Daran gibt es im Grunde nichts auszusetzen. Nur dass dies darauf hindeutet, dass seine aktuelle Nachfolge, die innerhalb von drei Tagen nach seinem Tod den Posten einnahm, schon viel früher festgelegt gewesen sein muss und dass die sich erwähnte flache Umverteilung der Macht hiermit bestätigte. Ebenso sollte man auf das Timing von Trumps grünem Licht für die Tötung von Abu Bakr al-Baghdadi hinweisen. Es gibt die Vermutung, dass eben diese Operation erst verkündet wurde, nachdem die Nachfolgerschaft bereits beschlossen war. Denn bevor al-Baghdadi konkret anvisiert wurde, hatte er seine Pflichten und Aufgaben im Grunde schon 3 Monate vorher an Abdullah Kardaş übergeben. Und dies kann dem amerikanischen Geheimdienst keinesfalls entgangen sein!

Moralvisite von US-Amerikanern in Krisengebieten, in denen sich die IS-Anführer versteckt halten

Wenn wir uns zurück erinnern, hatte damals – nachdem Trump sich fast comicartig mit den Al-Baghdadi-Operationen, die sich an der türkischen Grenze vollzogen, Selbstlob erteilt hatte – jeder damit gerechnet, dass der Druck auf die Türkei nun verschärft werden würde. Warum die USA und al-Baghdadi die türkische Grenze als »sicher« empfunden haben, vielmehr noch, wie und durch wessen Hilfe er bis dorthin gelangen konnte, sollte aufgeklärt werden. Aber das ist nicht geschehen!

Nur fünf Kilometer von der syrisch-türkischen Grenze entfernt, eine Woche nachdem dort al-Baghdadi am 27. Oktober 2019 getötet wurde, hat man in derselben Gegend auch seine Schwester aufgefunden. Am 5. November 2019 wurden Abu Bakr al-Baghdadis 65-jährige Schwester Rasmiya Awad zusammen mit ihrem Ehemann, ihrer Schwiegertochter und fünf Kindern ausfindig gemacht. Wo? Im von der Türkei kontrollierten Gebiet und in der zehn Kilometer von Kilis entfernten Stadt Azas. Somit hat die Türkei ihre »Entschlossenheit gegen den IS-Terror Widerstand zu leisten« unter Beweis gestellt! In einem Twitter-Post des Informationsministers Fahrettin Altun zur Gefangennahme von al-Baghdadis Schwester fielen folgende Worte: »Der Kampf der Türkei gegen den Terrorismus in all seiner Gewalt geht weiter, unabhängig von Herkunft oder Ideologie. Die Gefangennahme der Schwester von al-Baghdadi ist ein weiteres Zeichen für den Erfolg unserer Anti-Terror-Operationen.« Aber wie es al-Baghdadi gelang, zusammen mit seiner Familie in dieses Gebiet vorzudringen und es für sich als »sicher« zu empfinden, wurde nicht geklärt.

Vielmehr noch: Als sich die Ausschreitungen in Idlib auf einem Höhepunkt befanden, sind Trumps Syrien-Berater James Jeffrey und die US-Botschafterin der UN Kelly Craft in die Türkei gereist und haben bei den Dschihadisten »Moralvisite« abgehalten. Sie sind über den Grenzübergang im Landkreis Reyhanli der Provinz Hatay nach Idlib gelangt. Das Dorf Barischa, wo sich al-Baghdadi versteckt hielt, ist von dem erwähnten Grenzübergang fünf Kilometer entfernt. Die Amerikaner haben also die Dschihadisten besucht, in einer Gegend, die die IS-Anführer als »am sichersten« empfunden haben. Sie haben sich also beim Kampf gegen das »Regime« zur Verfügung gestellt, sind aber nicht auf die Idee gekommen, dass sich dort eventuell IS-Anführer versteckt hielten!

Hat Trump den IS wirklich besiegt?

Trump hat sich selbst zum »Sieger über den IS« gekürt, aber die Wahrheit ist, dass der IS nicht mit Trump kam und auch nicht mit Trump endete. Aber Trump ist ein Machthaber, der gerne erklärt, dass er den IS beendet hat, dessen Ende Obama geschworen hatte. Lasst uns daran zurückdenken, als Obama versprach, dass er den Mitgliedern des »Islamischen Staats« hinterherjagen würde: »Wir werden die Gegner unterstützen, die die beste Alternative zu Terroristen und skrupellosen Diktatoren in Syrien bieten.«, also die »Gemäßigten« der Dschihadisten aussortieren, in ein Bildungsprogramm stecken und sich dabei eine Gegenbewegung zum IS erhoffen. Die Ankündigung des Endes vom IS war aber erst für Trump im Jahr 2019 bestimmt! Nach einer gezielten Operation der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) im Dorf Baghuz, in der Nähe der vom IS besetzten und als ihre letzte Festung bekannten Stadt Deir ez-Zor, wurde die finale Niederlage des IS ausgerufen. In dieser letzten Festung war auch al-Baghdadi vor Ort, konnte aber während der Operation nicht festgenommen werden. Und weil sich Baghuz in der Nähe der irakischen Grenze befindet, hielt man in den Medien daran fest, dass sich al-Baghdadi dort versteckt hielt. Nach den arabischen Medien zufolge, habe sich al-Baghdadi auch für längere Zeit im Landkreis Anbar aufgehalten. Aber wie er sich von dort aus an das mit der Türkei benachbarte Idlib begeben hat, wurde bis heute noch nicht öffentlich gemacht; im Gegenzug zum irakischen Geheimdienst, dessen Angaben vieles aufklären. Der aus al-Baghdadis engerem Umfeld stammende Muhammed Ali Sacit al Zubayi wurde vom irakischen Geheimdienst verfolgt und festgenommen. Muhammed Ali Sacit al Zubayi gab bei seinem Verhör im Irak an: »Al-Baghdadi, der sich in Anbar versteckt hielt, teilte mir mit, dass der irakische Geheimdienst Druck macht und dass er zu seinen Verwandten nach Idlib gehen werde, da sei es ruhiger und sicherer, seine Familie und auch einige hochrangige IS-Anführer würden sich dort aufhalten. Ich wollte auch zu ihnen gehen.« Den Angaben von Sacit al Zbayi zufolge, handelt es sich bei einem der sich dort aufhaltenden hochrangigen Anführer um den einige Stunden nach dem Verhör in Cerablus (Dscharablus) getöteten IS-Sprecher Abul-Hasan al-Muhajir sowie der später annoncierte Nachfolger Abdullah Kardaş. Wenn man nun dem zweiten Namen auf den Grund geht, wird auch klar, dass es sich um die exakt selbe Person handelt, die mit dem IS-Kampfnamen als Nachfolger von al-Baghdadi verkündet wurde, nämlich um Abi Ibrahim al-Haschimi al-Kuraschi. Demnach waren sowohl die alte als auch die neue Spitze des IS zusammen in Idlib. Welch ein Zufall! Keiner weiß so recht, wie sich das ereignet haben soll; aber die Frage »ob al-Baghdadi wirklich getötet wurde« hat letztlich die zahlreichen Todesmeldungen wachgerufen, die schon vor dieser Verkündung im Umlauf waren.

Nur das Al-Baghdadi-Kapitel ist beendet, nicht das des gesamten IS

Erinnern wir uns auch daran, wie oft die USA und andere erklärt haben, dass IS-Führer getötet worden seien, aber im Nachhinein keine Rechenschaft für die irreführenden Statements abgelegt wurde, wenn es dann später hieß, dass sie doch noch am Leben seien.

Am 10. November 2014 wurde in den US-Medien berichtet, dass al-Baghdadi verletzt und an den Folgen gestorben sein könnte, worauf sich vier Tage später der IS mit einer Tonaufnahme dazu äußerte; die Nachricht war aus der Luft gegriffen.

Am 19. Dezember 2014 hat eine militärische Instanz des Pentagon verkündet, dass al-Baghdadi am Anfang des Monats bei einem Luftangriff ums Leben kam, jedoch blieb diese Behauptung nur eine weitere »unbestätigte« Meldung.

Ein Jahr später im April berichtete der Guardian, dass al-Baghdadi am 18. März 2015 bei einem Luftangriff in Mossul zum Opfer gefallen sei, aber schwerverletzt entkommen konnte. Kurz danach hat die New York Times alle Fehlmeldungen zu al-Baghdadis Tod als »bloße Behauptungen« entschärft. Die Behauptungen, al-Baghdadi sei getötet worden, gingen jedoch im gleichen Tempo weiter.

Am 11. Oktober 2015 hat die irakische Luftwaffe verkündet, dass sie einen Stützpunkt in Anbar bombardiert habe, an dem sich mehrere IS-Anführer, u. a. auch al-Baghdadi, aufgehalten haben sollen. Es stellte sich jedoch heraus, dass das nicht der Fall war.

Im folgenden Jahr, am 9. Juni 2016, gab das irakische Staatsfernsehen bekannt, dass al-Baghdadi bei einem US-Luftangriff im Nordirak verletzt worden sei. Mehrere Medien behaupteten später, al-Bagdadi sei am 12. Juni bei einem US-Luftangriff in Raqqa gestorben. Der Sprecher der Koalition sagte jedoch, sie könnten diese Informationen nicht überprüfen.

Im Oktober 2016 behaupteten verschiedene Medien, dass al-Baghdadi und drei hochrangige IS-Führer von einem angeheuerten Mörder vergiftet wurden, aber noch am Leben seien.

Am 11. Juni 2017 gab das syrische Staatsfernsehen bekannt, dass al-Bagdadi bei einem von den USA unterstützten Artillerie-Angriff getötet worden sei. Zur gleichen Zeit berichteten russische Medien, dass al-Bagdadi zusammen mit 30 IS-Führern bei einem russischen Luftangriff in der Nähe von Raqqa getötet worden sein könnte. Sie sagten auch, dass sie 330 IS-Kämpfer bei diesem Angriff getötet hätten. Die USA erklärten jedoch später, dass »sie nicht genügend Beweise haben, um diese Behauptungen zu bestätigen«.

Der IS hat alle Meldungen zum Tod von Abu Bakr al-Baghdadi stets abgewiesen, doch die letzte Meldung über seinen Tod, die von Präsident Trump höchst persönlich stammte, blieb unkommentiert. Vielmehr veröffentlichte der IS einfach die Audioaufnahme des neuen IS-Führers Abi Ibrahim al-Haschimi al-Kuraschi. Denn in Wahrheit kümmerte der Tod von al-Baghdadi niemanden mehr. Denn er war schon längst auf dem Rückzug und hat sich zusammen mit seiner Familie einem ruhigen Leben in Richtung der türkischen Grenze zugewendet. Die allgemeine Auffassung ist: ob al-Baghdadi tot oder am Leben ist, hat nichts zu bedeuten. Und mit diesen Operationen wurde nicht das IS-Buch, sondern nur das Al-Baghdadi-Kapitel geschlossen.

Woher kam der »Kuss der Wiederauferstehung für den IS«?

In Wahrheit sind die IS-Militanten weder gestorben noch haben sie sich in Luft aufgelöst. Schon bevor sich die Ausschreitungen in Syrien und im Irak verschärft hatten, ging die Frage um, »wohin sich die bewaffneten Kämpfer des IS wohl verstreut haben«. Heutzutage wird jedoch die Frage, ob der IS wieder erwacht ist, mehr diskutiert. Tatsächlich sehen wir uns in der täglichen Berichterstattung mit wiederkehrenden »Bedrohungen durch den IS« konfrontiert. Auch wenn Trump den »Sieg über den IS« durch seine Federführung mehrfach betont hat, erklärte er abschließend, »dass der IS größtenteils besiegt sei und die restlichen Aufgaben nun bei den regionalen Nationen liege«. Er hat das IS-Problem einfach der Türkei übertragen. Und inwieweit ist die Türkei mit dieser Problematik umgegangen bzw. was hat sie bisher gelöst?

Der einem Britisch Daily Mail-Bericht zugrunde liegende arabische Medienbericht stellt die These auf, dass »die Rolle der IS-Organisation im Jahr 2017 zwar abnahm, aber kurz vor ihrer Wiederauferstehung zusammen mit den türkischen Operationen wieder an Fahrt gewann«. Die Zusammenfassung des Beitrags lautete wie folgt: »Die jüngsten Angriffe der Türkei an der irakischen und syrischen Grenze haben zu einem Chaos geführt. Die türkischen Streitkräfte haben gezielt Orte anvisiert, wo sich viele IS-Gefangene befunden haben. Ankara hat zudem vertrauliche Quellen als auch finanzielle Mittel beigesteuert. Der IS hat bereits jetzt sein Tempo aus dem Jahr 2014 wiedererlangt. Es wird vermutet, dass sich ihre finanziellen Ressourcen um die 300 Millionen Dollar belaufen.«

Die Zahlen sprechen für sich: Die USA hat vor Obamas Beschluss, die Truppen zurückzuziehen, innerhalb von einem Jahr insgesamt 9.540 Operationen gegen den IS (damals »Irakisch-Islamischer Staat«) durchgeführt. Es gab keinen einzigen direkten Angriff des IS gegen die US-Truppen, alle Angriffe des IS waren ausschließlich gegen die irakische Bevölkerung gerichtet. In den Jahren 2014/2015 lag die Zahl der US-Operationen, an denen internationale Koalitionen beteiligt waren, bei insgesamt 3.796. Dass der IS durch diese vielen Operationen eine nennenswerte Schaden davongetragen hat, konnte bis heute niemand bezeugen. Aber für diejenigen, die der Position der USA Glauben schenken, dass der IS besiegt sei, wird es ein schreckliches Erwachen geben: Denn der IS ist nicht besiegt und solange die Türkei teils offen, teils verdeckt den IS weiter unterstützt und fördert, wird es bis zum Sieg über den IS auch noch eine lange Zeit dauern. Wenn die europäischen Medien die Beziehungen zwischen der Türkei und dem IS in den Blick nehmen, wäre es schön, wenn die europäische Bevölkerung und die europäische Politik dies auch täten.


 Kurdistan Report 211 | September/Oktober 2020