Die türkische Armee im Ausland

Die »neoosmanische« Türkei und ihr unbeirrter Verbündeter Deutschland

Redar Han, Mitarbeiter von Civaka Azad e.V.


Anfang August äußerte sich der ehemalige deutsche Botschafter in der Türkei, Martin Erdmann, in einem Interview mit dem Deutschlandfunk1 über die Entwicklungen in der Türkei und erklärte, dass die türkische Regierung ein »neoosmanisches Denken« geltend mache. Die Türkei unter der Führung ihres Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan versuche eine Rolle einzunehmen, »die das Osmanische Reich bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts [...] [als] bedeutende Ordnungsmacht in der Region und weit darüber hinaus bis hin zum Balkan« gespielt habe. Eine solche osmanische Region werde es jedoch nie wieder geben.

Tatsächlich versucht Erdoğans Türkei heute, militärische Präsenz im Mittleren Osten, in Afrika und in Kaukasien zu zeigen. Die AKP-Regierung verfolgt seit längerer Zeit das Ziel, die einstige Größe des Osmanischen Reiches wiederzuerlangen. Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee bringt hierbei nicht nur die Sehnsucht nach dem Kalifat und das Großmachtstreben zum Ausdruck, sondern soll auch die schwerwiegenden Probleme des Landes in den Hintergrund rücken. Dies ist auch der Grund, weshalb sie überall militärische Schlagkraft und Präsenz zeigen will.

Mittlerer Osten und Afrika

Erdoğan und der somalische Präsident Hassan Sheikh Mohamud eröffnen im Januar 2015 das neue Terminal des Aden Abdulle International Airport in Mogadischu, Somalia. | Foto: Ilyas AhmedDer Krieg in Syrien ist für das Nachbarland Türkei zu einer wichtigen Säule ihrer Außenpolitik geworden. Sie hat die Unklarheiten der USA und Europas in Syrien ausgenutzt und drei Gebiete besetzt. Aus den aufständischen islamistischen Gruppierungen hat sie eine militärische Kraft geformt, die in ihrem Interesse Krieg führt. Die Türkei hat sich in den besetzten Gebieten Syriens institutionalisiert; in den Schulen werden der türkische Islam und die türkische Sprache unterrichtet; auch die türkische Lira wird in diesen Gebieten nun als Währung genutzt.

Das bedeutendste Instrument der türkischen Außenpolitik stellen hier die 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge dar, die als Druckmittel gegen die EU eingesetzt werden. Die wirkungslose Positionierung Europas in der Syrien-Frage hat der Türkei den Weg geebnet, sich im Bürgerkrieg in Syrien einzuschalten.

Um die 15.000 dschihadistischen Söldner, die die Türkei in Syrien rekrutiert hat, kämpfen inzwischen für die Regierung in Tripolis. Die Türkei hat auch Militärfahrzeuge, Waffen und Luftabwehrsysteme nach Libyen geschickt. Spezialkräfte und militärische Berater wurden extra beauftragt. Mit seinen großen Ölreserven nimmt Libyen für die Türkei eine zentrale Rolle ein. Das nordafrikanische Land ist gleichzeitig auch das Schlüsselland für die Flüchtlinge, die aus Afrika nach Europa wollen. Diesbezüglich kann die Türkei nun sowohl in Libyen und als auch in Syrien mitreden.

Die türkische Armee ist zudem 40 Kilometer auf das Gebiet der kurdischen Regionalregierung im Nordirak vorgerückt und hat dort mehr als 30 Militärstellungen aufgebaut.

Auch in Katar verfügt die Türkei über eine Militärbasis; sie wurde im Jahr 2016 aufgebaut. Heute sind dort mindestens 3.000 türkische Soldaten stationiert. Darüber hinaus exportiert sie auch unbemannte Drohnen, Militärfahrzeuge und andere Waffen nach Katar.

Obendrein hat die Türkei über die Hafenstadt Sawakin im sudanesischen Bundesstaat al-Bahr al-ahmar im Roten Meer im Jahr 2017 für 99 Jahre einen Vertrag abgeschlossen, um dort ein Tourismuszentrum aufzubauen. Ägyptische Medien meldeten diesbezüglich, Ziel dieser Vereinbarung sei, auf der der Stadt vorgelagerten Insel eine Marinebasis zu bauen, um den ägyptischen Staatschef Sisi zu stürzen. Seit 2017 hat auch die Zusammenarbeit in der Militärindustrie zwischen dem Sudan und der Türkei an Fahrt aufgenommen. Zwischen den beiden Ländern besteht ein Waffenhandelsvolumen in Höhe von 10 Milliarden Dollar.

Die Türkei verfügt seit 2017 auch über eine Militärbasis in Somalia. Der 400 Quadratkilometer umfassende Stützpunkt ist der größte Militärstandort der Türkei im Ausland. Sie baut in Somalia auch Schulen, Krankenhäuser und Straßen auf.

Am 20. Juli 2020 reiste der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu nach Niger. Zusammen mit dem Präsidenten des Landes, Mahamadou Issoufou, unterzeichnete er ein militärisches Abkommen, das eine Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus vorsieht. Çavuşoğlu sprach außerdem davon, den Handel mit Niger auszuweiten. Insbesondere im Bereich der Landwirtschaft, des Bergbaus und der Energie könne man die Reichtümer Nigers zum Wohle der Gesellschaft einsetzen. Als Nachbarland zu Libyen ist Niger ein wichtiger Partner für die Türkei.

Aserbaidschan

Die Türkei hat direkt zu Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Aserbaidschan und Armenien Drohnen, Munition und Raketen an Aserbaidschan geliefert. Die Land- und Luftstreitkräfte der Türkei und Aserbaidschans haben gemeinsame Militärmanöver begonnen, die bis zum 10. August fortgesetzt wurden. Erdoğan versprach Aserbaidschan, das billiges Gas an die Türkei liefert, jeden Angriff zu vergelten.

Doch wie in Libyen und Syrien kommt die Türkei auch hier den russischen Interessen in die Quere. Die russische Armee verfügt in Armenien über mehrere Militärstützpunkte für ihre Luftstreitkräfte.

Kein Abbruch der deutschen Unterstützung

Auch wenn der ehemalige Botschafter Martin Erdmann von einer »neoosmanischen« Außenpolitik der Türkei spricht und alle Fakten diese Benennung bestätigen, hat Deutschland bislang keinerlei Probleme mit dieser Politik der Türkei. Aus einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag geht hervor, dass die Zahlen der Exporte zwischen dem 9. Oktober 2019 und 22. Juli 2020 nicht abgenommen haben. Stattdessen kamen neue Genehmigungen durch die Bundesregierung für Rüstungsexporte im Wert von 25,9 Millionen Euro hinzu. Bei den Waffen und Militärgütern handele es sich jedoch nicht um Kriegswaffen, heißt es von Seiten der Bundesregierung. Laut Exportstatistik wurden bereits in den ersten sieben Monaten des Jahres 2020 Rüstungsexporte im Wert von 22,8 Millionen Euro von der Bundesregierung genehmigt. Das sind mehr als zwei Drittel des gesamten Vorjahreswertes in Höhe von 31,6 Millionen Euro. Das reale Exportvolumen an Rüstungslieferungen in die Türkei betrug im Jahr 2018 noch 12,9 Millionen Euro.


Fußnote:

1 - https://www.deutschlandfunk.de/ex-botschafter-erdmann-zur-tuerkei-die-demokratischen.868.de.html?dram:article_id=481617


 Kurdistan Report 211 | September/Oktober 2020