Über Abdullah Öcalans Äußerungen aus der Isolationshaft in İmralı

Isolation hat zu Autoritarismus der Regierung geführt

Rechtsanwalt Mahmut Şakar im Gespräch mit Ferhat Çelik, Mezopotamya Ajansi, 25. Mai 2021

Freiheit für Absullah ÖclanDem unter erschwerten Isolationshaftbedingungen im F-Typ-Gefängnis İmralı inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan wird der Besuch seiner Familie und Rechtsanwälte verwehrt. Während Öcalan von seiner Auslieferung durch ein internationales Komplott 1999 bis zum 27. Juli 2011 in bestimmten Abständen Besuch von seiner Familie und seinen Anwälten empfangen konnte, wurde ihm nach diesem Datum acht Jahre lang ein Treffen mit seinen Rechtsvertretern untersagt. Der Hungerstreik, der mit der Initiative Leyla Güvens, der Kovorsitzenden des KCD/DTK (Demokratischer Gesellschaftskongress), begann und mit der Teilnahme tausender Personen 200 Tage dauerte, führte dazu, dass Öcalan fünf Besuche mit seinen Anwälten realisieren konnte, den ersten am 2. Mai 2019, dann am 22. Mai, 12. Juni, 18. Juni und 7. August 2019. Deren Besuchsanträge seit dem 7. August 2019 werden nicht beantwortet.

Als Protest gegen die zunehmenden Rechtsverletzungen und für die sofortige Aufhebung der Totalisolation Öcalans begann in den Gefängnissen am 27. November 2020 ein unbefristeter Hungerstreik. Obwohl die Aktion nun länger als sechs Monate anhält, wurden die Forderungen nicht erfüllt.

Manche Behauptungen vom 14. März in diversen sozialen Netzwerken, während des andauernden Hungerstreiks, über die Gesundheits- und Sicherheitssituation Öcalans führten zu Besorgnis in der Öffentlichkeit. Daraufhin konnte am 25. März ein Telefonat Mehmet Öcalans mit seinem älteren Bruder realisiert werden. Es wurde unterbrochen, dauerte gerade mal viereinhalb Minuten. Mit seiner Äußerung während des kurzen Kontakts: »Der Staat spielt falsch und ihr auch, das ist weder rechtens noch richtig«, reagierte er auf die Rechtswidrigkeiten, die der Staat ihm auferlegt. Er mahnte seine Anwälte, diese Situation nicht zu legitimieren. Der PKK-Vorsitzende betonte, dass wenn es ein Treffen geben sollte, dieses auf İmralı stattfinden müsse und er Besuch von seinen Anwälten erhalten wolle.

Mahmut Şakar, jahrelang Rechtsanwalt Öcalans, beantwortete die Fragen von Mezopotamya Ajansi zu den folgenden Themen: die Haltung der Regierung zu Öcalan, die Besuchsbedingungen, Öcalans Nachrichten während der Besuche und die Verhinderung der Besuche heute.

Der letzte Kontakt mit Öcalan war das Telefongespräch mit seinem Bruder Mehmet am 25. März. Wie beurteilen Sie einen Kontakt, der auf diese Art und Weise unterbrochen wurde?

Erstens können wir das definitiv weder als Nutzung des Rechts auf Telefonverkehr noch als Familienbesuch werten. Zweitens, ein Gespräch von viereinhalb Minuten, das auch noch unterbrochen wird, wenn also nicht mal ein Telefonat erlaubt wird, zeigt uns die Logik des İmralı-Systems. Es zeigt also, wie willkürlich es ist; welches Recht wann und wie genutzt werden darf, ist nicht abhängig von Regeln, sondern von der Regierung.

Vergangenes Jahr wurde nach aufkommenden Bedenken aufgrund eines Brandes auf İmralı ein Telefonkontakt hergestellt, ein Jahr danach aufgrund der Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen. Anträge auf Familien- und Anwaltsbesuch werden entweder abgelehnt oder nicht beantwortet. Reicht ein Telefongespräch im Jahr aus?

Mit der Erlaubnis eines einzigen kurzen Telefongesprächs im Jahr oder eines Familienbesuchs versuchen sie die Reaktionen in der Gesellschaft zu verhindern bzw. abzuschwächen. Ebenso denken sie, dass sie mit Kontakterlaubnissen dieser Art den Eindruck erwecken, es gäbe keine Isolation auf İmralı und alles entwickle sich normgerecht. Wir sehen eine Gemeinsamkeit zwischen der Kontaktphase Herrn Öcalans 2019 und den späteren Telefongesprächen. Die Kontakte verlaufen zeitgleich mit der Phase, in der die gesellschaftlichen Reaktionen sich steigerten. Der Hungerstreik unter der Führung von Leyla Güven 2019 öffnete den Weg des Anwaltsbesuchs. Ebenso wurden diese Besuche gestattet aufgrund der gesellschaftlichen Reaktionen auf Geschehnisse wie Erdbeben, Brände und Ähnliches. In der jetzigen Phase der gesteigerten Proteste und Reaktionen der Bevölkerung möchte das System diese unterbinden, indem es regulären gesetzlich erlaubten Familien- und Anwaltsverkehr behindert. Wir können dies als grundlegende Politik der letzten Jahre beschreiben. Daher sollten die Besuchsverbote nicht als Verweigerung eines Rechts gesehen werden, sondern als Teil der Schaffung des Bildes, alles laufe der Norm entsprechend auf İmralı.

Welche Nachricht vermittelte Öcalan in dem unterbrochenen Telefongespräch, als er sagte »Der Staat spielt falsch und ihr auch, das ist weder rechtens noch richtig«?

Herr Öcalan möchte die Unrechtmäßigkeit betonen. Er fordert Gerechtigkeit und Recht im wirklichen Sinne. Hier ist eine Forderung, nach den Vorschriften des Rechts zu handeln, die Forderung, ein Recht nutzbar machen zu können. Eigentlich übt Herr Öcalan doppelt Kritik. Zum einen kritisiert er die Haltung des Systems, aber ebenso äußert er sich zu seiner Familie, seinen Anwälten, der Gesellschaft. Dass wir die Situation nicht akzeptieren dürfen, dass mit einem Telefonat einmal im Jahr für viereinhalb Minuten der Eindruck erzeugt werden soll, dass alles normal sei, als ob Grundrechte und -freiheiten gewährleistet seien. Wir müssen das als Aufruf sehen, eine festere Haltung zur Öffnung des Familien- und Anwaltsverkehrs zu zeigen. Wenn wir dazu Forderungen stellen, wenn irgendeine Maßnahme uns zufriedenstellen sollte, dann wird es mehr als ein Telefonat von viereinhalb Minuten, nämlich nur die Wiederherstellung des Besuchsverkehrs für Familie und Anwälte sein und es darf keine willkürliche Blockade mehr geben.

Sie betonen, dass Öcalan einen Aufruf an die Gesellschaft hat. Während der letzten fünf Besuche, als Ergebnis des Hungerstreiks, betonte der PKK-Vorsitzende: »Es gibt einen Bedarf nach einer tiefreichenden gesellschaftlichen Einigung.« Was ist diese gesellschaftliche Einigung und wieso ist sie wichtig?

Herr Öcalan hat dies 2019 geäußert. In den zwei Jahren seitdem gab es Gelegenheiten, bei denen es sich zeigte, wie richtig er mit seiner Forderung lag. Die Punkte, die er damals geäußert hat, haben nach wie vor ihre Berechtigung und behalten ihre Gültigkeit. Es geht nicht nur darum, dass die Türkei falsch geführt wird, sondern auch darum, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der sich die Spaltung und Polarisierung der Gesellschaft vertiefen. Wir haben diese Entwicklungen erlebt, weil die kurdische Frage geleugnet und ein über die Zeit verteilter Genozid durchlebt wird. Daher braucht es eine gesellschaftliche Einigung, um dies zu überwinden.

Für eine gesellschaftliche Einigung müssen bestimmte Schritte unternommen werden. Nicht mit Krieg – der Weg des Friedens muss geöffnet werden. Eine gesellschaftliche Einigung kann nur mit Frieden erreicht werden. Das kann nur geschehen, indem nicht nur die AKP/MHP, sondern auch oppositionelle Gruppen und Parteien den Zustand des Nationalismus überwinden. Während der Besatzungsoffensive gegen Efrîn und Serêkaniyê war nicht nur die Regierung ein Teil des Szenarios, sondern auch Gruppen, die als Opposition gelten. Daher kann eine gesellschaftliche Einigung an dem Punkt der Lösung der kurdischen Frage nur eine sein, die perspektivisch Nationalismus, Kriegsvokabular und die aktuelle Regierung überwindet und eine Sprache des Friedens schafft. Ansonsten wird die Türkei, wenn weiterhin auf einer militärischen Lösung bestanden wird, auch die damit einhergehende Zersetzung, Spaltung und Polarisierung erleben.

Öcalan hat während derselben Treffen vorgeschlagen, diese Probleme könnten mit »soft power« statt mit »physischer Gewalt« gelöst werden. Wie hat sich die Türkei bis jetzt dazu verhalten?

Wenn Herr Öcalan von »soft power« spricht, dann bezieht er sich auf den Zeitraum von 2013 bis 2015. Damals waren die Außenbeziehungen der Türkei gut, im Inneren lag Frieden in der Luft. Millionen Menschen waren überzeugt, dass die Probleme der Türkei friedlich gelöst werden können. Das steigerte auch den Einfluss der Türkei auf dem Feld. In dieser Phase hatte sie das Potenzial, eine angesehene Macht auf internationaler Ebene zu werden und innere systematische Probleme zu lösen. Anstatt dies zu vertiefen, einen aufrichtigeren Prozess anzustreben, sabotierten sie es und verfolgten einen »Zerschlagungsplan«. Der Horror, den wir innen wie außen in den letzten sechs Jahren erlebt haben, ist ein Ergebnis dieser Entscheidung.

Wir beobachten, dass der Krieg erneut eskalierte, nachdem Öcalan die »demokratische Verhandlungsmethode« vorgeschlagen hatte. Können wir das unter den heutigen Umständen noch als Lösung sehen?

Im Grunde genommen besteht der Bedarf genau jetzt. Je mehr der Krieg einen zerstörerischen Punkt erreicht, umso größer ist der Bedarf an Verhandlungen. Es ist eine andere Frage, ob die aktuelle Regierung an einer Lösung interessiert ist oder nicht, aber wir sind in einer Phase mit dem größten Bedarf an einer Lösung mit friedlichen Methoden. Wir sind in einer Phase, in der sich der Krieg immer weiter ausbreitet, die gesellschaftliche Zersetzung sich immer mehr vertieft. Sehen Sie, das verstehen wir nicht nur wegen dem, was auf dem Gebiet Kurdistan geschieht. Die türkische Gesellschaft, die die Regierung unterstützt, Militär- und Nationalpolitik befürwortet, ist selbst von der Zerstörung betroffen. Vielleicht war die Armut historisch noch nie so groß wie jetzt, der Klassenwiderspruch noch nie so ausgeprägt wie jetzt; die Menschen sind an einem Punkt, dass sie wegen Hunger Selbstmord begehen. In dem Sinne ist der tiefgreifende Verfall der Gesellschaft auch ein Ergebnis dieses Krieges. Erdoğan äußert das auch. Er sagt: »Wisst ihr, wo die Gelder hinfließen?« Folgerichtig muss man sich auch von dieser Entscheidung wieder abwenden können.

Wie lässt sich das erreichen?

Es braucht eine Kraft, die die Regierung zum Frieden drängt. Egal wer sich wie definiert, niemand kann vor den Auswirkungen des Krieges gegen die Kurden fliehen. In der Türkei gibt es kein Rechtssystem und auch keine Gerechtigkeit mehr. Es gibt die Realität einer Türkei, die in allen Aspekten dem Zerfall entgegengeht. Um sich davon zu befreien, muss man den Grund richtig analysieren. Dafür muss die kriegerische, verleugnende antikurdische Politik beendet werden. Also muss man sich über eine friedliche und demokratische Verhandlungsmethode und Herangehensweise einigen. Hier geht es nicht nur darum, sich gegen Erdoğan zu vereinen, sondern um eine echte Lösung für die Türkei, einen Frieden, der die in der Türkei lebenden Ethnien vor diesem Zerfall retten kann. Wir haben den Bedarf, uns auf einer friedens- und demokratieorientierten Basis zu treffen. Wenn dies sich verbreiten würde, könnte die Regierung ihrem Kriegstreiben nicht weiter so nachgehen. Denn das sehen wir auch. Wir sehen auch, die gesellschaftliche Atmosphäre während der Besetzung Efrîns gleicht nicht der während der Militäroperation gegen Gare. Auch wenn die Gesellschaft sich nicht klar widersetzt, so unterstützt sie es nicht mehr wie zuvor. Wir sehen die Auswirkungen. Das muss man der Gesellschaft entsprechend erklären. Wenn die Opposition es schafft, der Gesellschaft klarzumachen, dass der Grund der Armut genauso wie der Selbstmorde diese Kriegspolitik ist, dann kann sie die Kriegspolitik der Regierung zurückdrängen.

Sie erwähnten die »Kriegspolitik«. Die Angriffe auf die kurdischen Regionen Zap, Avaşîn und Metîna dauern an. Von Öcalan gibt es Analysen und Definitionen der grenzüberschreitenden Militäroperationen. Sind diese noch aktuell?

Herr Öcalan legt diese Politik konsequent seit 1993 vor. Er folgt einer auf Frieden basierenden demokratischen Linie, die immer wieder klar zeigt, wie sinnlos der geführte Krieg ist. Wenn jetzt ein Treffen mit Herrn Öcalan möglich wäre, würde er erneut betonen, dass diese Kriege keine Lösung sein werden. Bei den begrenzten Treffen mit Anwälten und Familie hat er dies auch erwähnt. Schon vor seiner Gefangenschaft hatte er gesagt, dass diese Angriffe zwar der PKK zum Teil schaden können, sie aber offensichtlich nicht zerstören werden. Dass die PKK durch solche Militäroperationen nicht besiegt werden kann, ist in den letzten vierzig Jahren klar geworden. Während der Zeiten, in denen sie wesentlich schwächer war, führten solche Operationen zu keinen Ergebnissen. Jetzt, da sie stärker ist als zuvor, ist es ebenso offensichtlich. Auch das System weiß, dass die PKK mit solchen Einsätzen nicht zerschlagen werden kann, aber hier ist das Ziel, in allen drei Teilen Kurdistans Fuß zu fassen. Dies muss als Teil des »Zerschlagungsplans«, von dem ich vorher sprach, gesehen werden. Im Süden gründen sie ständig neue Militärbasen. Wir erleben eine Zeit, in der Südkurdistan nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern auch militärisch kontrolliert werden soll.

Welche Lösungsvorschläge hat Öcalan speziell für die Türkei, im Allgemeinen für den Mittleren Osten?

Eines der Hauptthemen, über die Herr Öcalan immer gesprochen hat, ist der Mittlere Osten. Die kurdische Angelegenheit hat er immer im Zusammenhang mit dem Mittleren Osten und ebenso global betrachtet. In diesem Sinne ist es für die Beurteilung wichtig, die Politik des Mittleren Ostens, dessen Gesellschaft, dessen Kultur, die kurdische Angelegenheit als dessen Teil zu analysieren. Im Prinzip laufen die Gedanken Herrn Öcalans über Kurdistan auch zusammen mit denen über den Mittleren Osten. Die Krönung seiner Arbeit, in der dies sichtbar wird, ist seine fünfbändige Verteidigungsschrift. Nur ein Band davon umfasst zwar den Mittleren Osten, aber abgesehen davon gibt es in allen anderen Bänden und bei jedem Treffen auf İmralı Äußerungen dazu. Der Kern, den er betont, ist die kapitalistische Moderne; die vom globalen System aufgedrängte, fast schon zwanghafte Auffassung von Nationalstaat und Nationalismus ist der Grund für die Probleme des Mittleren Ostens. Er unterstreicht, dass die historische Entwicklung der Nationalstaaten im Westen nicht derjenigen des Mittleren Ostens entspricht, da die ethnischen und religiösen Identitäten im Mittleren Osten, historisch wie gesellschaftlich, so zusammengewachsen sind, dass eine Trennung auf diese Art und Weise nur zu ihrer Zerstörung führen wird. Daher entwickelte er die Idee der demokratischen Nation ‒ also eine Strategie einer Nation, in der alle Identitäten gemeinsam miteinander leben können ‒ und als politisches Modell den demokratischen Konföderalismus. Die Rojava-Revolution selbst ist ein Modellbeispiel der Anschauungen Herrn Öcalans zum Mittleren Osten.

Während sich starke Nationen Daesch [dem Islamischen Staat (IS)] nicht widersetzen konnten, konnten es die Kurden. Wieso? Sie hatten ein alternatives Modell im Mittleren Osten, das die kapitalistische Moderne ebenso wie die Modelle politischer Islamisten wie Daesch überwunden hat. Gewonnen hat die Idee, die Herr Öcalan formulierte. Natürlich war der Widerstand wichtig, aber auch dieser baut auf einem ethischen und philosophischen Fundament. Daher gibt es eine Lösung für die von Herrn Öcalan erwähnten grundlegenden Probleme. Das erwachte auch in Rojava zum Leben. Herr Öcalan hat mit seinem Paradigma einen Lösungsansatz gegen lokale Fortschrittsfeindlichkeit wie gegen imperiale Interventionen: einen »dritten Weg«. Im Gegensatz zur Vergangenheit diskutieren wir nicht nur theoretisch darüber; es hat auch eine Rojava-Praxis. Erwähnenswert ist, dass Herr Öcalan in dieser Praxis eine zentrale Rolle spielt.

Ebenso kritisierte Öcalan bei diesen Treffen: »Wenn ich heute draußen wäre, ginge ich nach Sûr und sammelte Müll, grüßte die Leute und nähme Grüße entgegen.« Was wollte er der Politik und den Vereinigungen der demokratischen Gesellschaft vermitteln?

Ich finde das sehr wichtig. Meiner Meinung nach ist das ein Aufruf, wie demokratische Politik zu gestalten ist. Also Politik, aber auch warum wir Politik machen, ist wichtig. Die Art, wie eine Person Politik betreibt, steht in Beziehung zu den Beweggründen ihrer politischen Arbeit. Wenn sie Politik oder auch gemeinnützige Arbeit nicht zu ihrem persönlichen Eigennutz, sondern für das Volk macht, ist das die demokratische Politik selbst. Demokratische Politik ist Politik, die für das Volk gemacht wird. Daher sagt Herr Öcalan, dass Politik das Volk als Basis nimmt, aber auch auf Arbeit und Mühe aufgebaut ist. Sein Beispiel zeigt das. Eigentlich sagt er uns allen: »Wenn ich draußen wäre, würde ich die demokratische Politik, eine Politik für das Volk, basierend auf Arbeit, losgelöst von persönlichem Profit, als Basis nehmen.« Die kurdische Politik hat sich in den letzten Phasen stark entwickelt und verbreitet starken Einfluss gewonnen. Das brachte zum Teil aber auch Schwierigkeiten mit sich. Diese Kritik verdeutlicht auch seine Haltung dazu. Er betont, dass in seiner Praxis das Volk im Mittelpunkt steht. Wenn diese politische Linie in die Praxis umgesetzt werden kann, so wird das Volk sich stärker der Initiativen, politischen Parteien und Vereinigungen annehmen. Der Glaube an eine demokratische Politik wird gestärkt.

In erster Linie seine Anwälte, aber auch zahlreiche Politiker betonen, dass Öcalan in Bezug auf seine Isolation keine Erwartungen an den Staat hat, dass sie nur durch eine Organisierung auf gesellschaftlicher Basis zu brechen ist. Was muss also zur Überwindung der Isolation getan werden?

Da die Isolation staatliche Politik ist, kann sie natürlich nicht durch Erwartungen an den Staat gebrochen werden. Daher muss man in eine Haltung übergehen, die den Staat von dieser Politik abbringt. Die Isolation auf İmralı ist nicht nur eine Sache der Türkei, sondern auch eine, die von Europa beeinflusst wird. Nach der Gefangennahme Herrn Öcalans kam 1999 eine Delegation aus Europa nach İmralı und genehmigte das İmralı-System. Auch wenn zeitweise das CPT [Antifolterkomitee des Europarats] und ähnliche Adressen diesen Zustand kritisieren, dann ist es keine Kritik an dem System, sondern eher eine zur Optimierung seines Zustands. Es besteht eine generelle Übereinkunft über die Gefangenschaft Herrn Öcalans auf İmralı. Angesichts dessen bedarf es zur Überwindung dieser Politik eines starken Reflexes. Das kann man nicht nur dem Staat überlassen. Natürlich besteht eine Verbindung zwischen dem Isolationssystem und dem Status, den die kurdische Frage erreicht hat. Die Kriegspolitik gegen die Kurden aufzugeben öffnet ein Feld zur Überwindung der Isolation. Daher muss man die Isolation als einen der Aspekte der kurdischen Frage begreifen, muss eine stärkere demokratische Organisierung gezeigt werden. Eine positive Entwicklung hier wird sich auf alle Gebiete auswirken.

Herrn Öcalans Situation betrifft nicht nur die Kurden. Das darf man nicht so sehen. Natürlich haben in den vergangenen Jahren mehr als zehn Millionen Menschen unter schwierigen Umständen unter dem Motto »Öcalan ist mein Wille« ihre Unterschrift gegeben. Das zeigt die Neigung des kurdischen Volkes. Daher ist es natürlich, dass die Kurden sich der Sache stärker annehmen, aber auch für die Demokraten und Revolutionäre in der Türkei und in Europa sowie für Menschenrechtler muss es ein Themenschwerpunkt werden. Wir können sehen, dass diese Gruppen sich, wenn auch nicht ausreichend, zu vielen Themen positionieren. Wenn es aber um die Isolation geht, können wir das nicht sehen. Man kann diese Sache nicht so angehen, als wäre sie nur eine Sache der Kurden.

Das gegen Herrn Öcalan geschaffene System wurde nach dem 15. Juli über die ganze Türkei verbreitet. Das haben wir immer erwähnt. Es wurde zuerst in İmralı angewandt, aber jetzt sind alle Gefängnisse nach diesem Maßstab neu organisiert worden. Die Isolations- und Kriegspolitik hat zu einem stärkeren Autoritarismus und stärkerer Diktatorisierung der aktuellen Regierung geführt. Hätte man sich am Anfang gegen die Isolation und die Angriffe auf die Kurden gewehrt, hätten wir die jetzigen Zustände nicht erlebt. Da man sich aber nicht dazu positioniert hat, sind sie mit den Ergebnissen eines Ein-Mann-Systems konfrontiert, das sie auf dieser Basis geschaffen haben. Gerade weil es das System autoritärer gestaltet, muss es Thema für alle werden. An diesem Punkt bestehen Mängel. Hier besteht Bedarf an einem Widerstand, der Revolutionäre und Demokraten ganzheitlicher zusammenbringt.

Ich bin überzeugt: Wenn wir gegen die Isolation auf diese Art und Weise zusammenkommen, können wir noch stärkere Ergebnisse erzielen.


 Kurdistan Report 216 | Juli/August 2021