Die zapatistische Weltreise der Hoffnung – Teil II

»Die Invasion hat begonnen«

Paulo Pawel

Die zapatistische Weltreise der HoffnungSeit dem ersten Teil dieses Berichts, der nun schon bald ein halbes Jahr zurückliegt (Kurdistan Report Ausgabe 214, März/April 2021), ist viel passiert. Damals wurde viel über die Hintergründe der zapatistischen »Reise für das Leben« geschrieben, mit der die Zapatistas alle Kontinente der Welt besuchen und die Widerständigen und Kämpfenden überall persönlich treffen wollen, um über eine weltweite Organisierung jenseits des Kapitalismus zu sprechen. Es wurde viel über die Geschichte und Gegenwart der zapatistischen Bewegung erzählt.
Nun ist vieles konkret geworden, und aus Worten wurden Taten. Die Zapatistas tun was sie sagen. Es hat sich etwas bewegt. Denn die Invasion hat schon begonnen, wir sind längst mittendrin.

Am 11. Juni diesen Jahres ist die erste Vorhut (»Geschwader 421«), bestehend aus sieben Zapatist:innen, mit dem Schiff nach sechswöchiger Atlantiküberfahrt erst auf den Azoren und kurz darauf in der galizischen Küstenstadt Vigo an Land gegangen. Dort wurden sie von mehreren hundert, teilweise aus ganz Europa angereisten Freund:innen herzlich in Empfang genommen. Die erste Person der Delegation, die einen Fuß auf europäischen Boden setzte, war eine indigene Transfrau. Insgesamt werden rund Dreiviertel der Gesamtdelegation Frauen und Nicht-Binäre sein. Nach kurzem Aufenthalt in Vigo, Begrüßung, Besprechung mit den europäischen Compañer@s und einer kleinen Verschnaufpause ging es für die Vorhut weiter nach Paris, wo die zapatistische Delegation für die Zeit ihres Aufenthalts in Europa ihr Operationszentrum einrichten wird. Dort werden nun auch die geplanten 177 weiteren Mitglieder der Delegation erwartet, die mit dem Flugzeug kommen wollen. »Ein 177 Zapatistas starkes Luftfahrtunternehmen ist bereit. Die Gruppe besteht gänzlich aus Originarios mit Maya-Wurzeln der Sprachen Cho´ol, Tzotzil, Tzeltal, Tojolabal und Spanisch«, heißt es in einem jüngst veröffentlichten Communiqué der EZLN (Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung). »La Extemporánea – die Unangemessenen« nennen sie die Hauptgruppe, die in den nächsten Tagen in Paris ankommen soll.

Damit spielen sie auf ein Schreiben des mexikanischen Außenministeriums an, das jüngst veröffentlicht wurde und in dem sie so klassifiziert wurden. Der mexikanische Staat versucht, die zapatistische Reise zu sabotieren, indem er die Ausstellung von Pässen für 62 der 177 Ausreisenden verweigert. Die absolut meisten Mitglieder der Delegation sind nämlich indigene Bäuer:innen aus den selbstverwalteten Urwaldgebieten im Süden Mexikos und haben in ihrem Leben die zapatistischen Gemeinden noch nie verlassen, sind somit weder in einem staatlichen Geburtenregister eingetragen, noch im Besitz eines Reisepasses. Der rassistische mexikanische Zentralstaat begnügt sich nicht damit, die indigene Bevölkerung, insbesondere die antikolonial-revolutionäre zapatistische Bewegung, im eigenen Staatsgebiet zu bekämpfen; er will sie so nun auch an einer Ausreise aus seinen Grenzen hindern. »Das Außenministerium hält sich an der »Unangemessenheit« auf, die wir darstellen. Obwohl wir Identitäts- und Herkunftsnachweise erbracht haben, verlangen sie immer mehr zusätzliche Papiere. Es fehlt nur noch, dass sie die Regierungen der zentralamerikanischen Staaten bitten zu bestätigen, dass wir nicht ihre Staatsbürger:innen sind«, schreibt die EZLN dazu.1 Die Ausgabe der Pässe steht zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Textes noch aus.

Auch die Reaktion Frankreichs, das ebenfalls eine sehr unrühmliche kolonialistische Vergangenheit und Gegenwart hat, auf die Landung der »Unangemessenen« in Paris ist noch unklar. Der schlimmste Fall, dass den Genoss:innen aus Mexiko unter vorgeschobenen Gründen (z. B. Corona) die Einreise verwehrt wird, ist nicht ausgeschlossen. Die reibungslose Einreise durchzusetzen ist auch unsere Aufgabe hier in Europa! Aus diesem Grund fanden und finden immer noch zahlreiche Kundgebungen vor französischen Konsulaten statt, um Druck zu machen, es wurden Unterschriften von bekannteren Organisationen und Einzelpersonen, Gewerkschaften, Schriftsteller:innen, Künstler:innen, Politiker:innen etc. gesammelt und den Konsulaten übergeben, um deutlich zu machen, dass wir hinter den Zapatistas stehen, dass wir ganz genau darauf gucken, was die Staaten machen und dass wir die Einreise auf jeden Fall durchsetzen werden!

Doch was wird dann sein? Was ist, wenn sie am Ende wirklich alle hier sind?

Dann wird das umgesetzt, was nun schon seit einem Dreiviertel Jahr von Hunderten, ja vielleicht Tausenden Genoss:innen in ganz Europa geplant und vorbereitet wird.

Es wurden europaweite, sowie landesweite und regionale Vernetzungen für die Vorbereitung der Reise, die mehr sein soll als eine bloße Aneinanderreihung von Events, aufgebaut. Die Zapatistas sagen ausdrücklich, dass sie zu uns kommen, weil sie mit uns reden wollen, uns kennenlernen, unsere Kämpfe kennenlernen, sich begegnen und ausloten, wie wir uns gemeinsam gegen dieses System der Ausbeutung und Unterdrückung organisieren können. Dafür werden zur Stunde überall Programme ausgearbeitet und auf lokaler, landes- und europaweiter Ebene koordiniert sowie natürlich mit der zapatistischen Delegation selbst abgesprochen, um zu klären, wann die Zapatistas wo wie sein werden. Zu uns nach Deutschland werden sie voraussichtlich in der zweiten Augusthälfte kommen (Stand jetzt). Es wird Feste, Demonstrationen, Workshops, Camps, Karawanen, Veranstaltungen, Fußballspiele, Konzerte, Besuche und natürlich jede Menge Möglichkeiten für Gespräche und Diskussionen geben. So werden zum Beispiel die zapatistischen Frauen am diesjährigen Jineolojî-Camp teilnehmen, zusammen mit der kurdischen Frauenbewegung und Internationalistinnen aus ganz Europa. Die Zapatistas werden alle besuchen, die sie einladen, vom Baskenland bis nach Sibirien zu den Seldschuken.2

Am 13. August wollen sie in Madrid sein. An diesem Tag genau 500 Jahre zuvor, im Jahre 1521, hatte der spanische Conquistador Cortés in Lateinamerika erklärt, die Indigenen seien besiegt. Und deshalb werden die indigenen Revolutionär:innen aus Mexiko an diesem Tag 500 Jahre später in die Hauptstadt des spanischen Kolonialreiches einlaufen, um dort zu verkünden: »Wir wurden nie besiegt!« Dazu wird es an dem Tag eine große Demonstration in Madrid geben.

»Die Invasion hat begonnen«, schreibt die EZLN in Anspielung auf die damalige Besetzung Lateinamerikas durch den europäischen Kolonialismus. Diesmal wird der Spieß umgedreht. Nur kommen die Zapatistas nicht, um uns zu unterwerfen – wie es damals die spanischen Conquistadoren mit den Indigenen taten – , sondern um gemeinsam mit uns an unserer Befreiung zu arbeiten …

Fußnoten:

1 - Alle Communiqués nachzulesen auf https://enlacezapatista.ezln.org.mx/

2 - https://www.ya-basta-netz.org/


 Kurdistan Report 217 | September/Oktober 2021