gulen erdoganDer Zusammenbruch des Bündnisses zwischen der AKP und Fethullah Gülen

Keine Unterschiede zwischen Erdoğan und Gülen im Hinblick auf die kurdische Frage

Ferda Çetin, Journalist, 28.01.2014

Die Herrschaft der AKP-Regierung wurde in Kooperation mit der Fethullah-Gülen-Bewegung ausgeübt. Dieses Bündnis, bestehend aus einer politischen Partei und einer religiösen Organisation, ist durch ein am 7. Februar 2012 eröffnetes Untersuchungsverfahren zerbrochen.

 

Die Untersuchung richtete sich gegen die auf Anweisung des Ministerpräsidenten Erdoğan geführten Gespräche zwischen der Regierung und der PKK. In diesem Zusammenhang leitete die Staatsanwaltschaft in Istanbul ein Untersuchungsverfahren gegen den Leiter des türkischen Geheimdienstes MIT, Hakan Fidan, ein. Der türkische Ministerpräsident stellte sich vehement gegen dieses Verfahren und brachte ein neues Gesetz im Parlament durch, wonach Untersuchungsverfahren gegen Leiter des Geheimdienstes lediglich mit Zustimmung des Ministerpräsidenten eingeleitet werden dürfen.

Das Untersuchungsverfahren gegen den MIT war eigentlich ein Verfahren gegen Erdoğan und die Regierung. Wären die Untersuchungen fortgesetzt worden, hätte es ein gerichtliches Verfahren gegeben und Hakan Fidan sowie die Regierung wären unter der Anschuldigung, Kontakte mit der PKK aufgebaut zu haben, angeklagt worden. Die Regierung wäre höchstwahrscheinlich gefallen.

Ein solches Untersuchungsverfahren kann unter den in der Türkei herrschenden Bedingungen nicht mit den Klischees »Unabhängigkeit der Justiz« oder »Hoheit der Justiz« erklärt werden. So wurde es ja auch von der Regierung als »Putschversuch« gewertet. Kritik gegen diese Untersuchungen kam als Erstes von dem politischen Repräsentanten der kurdischen Bevölkerung Abdullah Öcalan. Er erklärte, dass dieses Verfahren ein Resultat des von ihm erstmals so benannten »parallelen Staates« sei und einen Putschversuch darstelle, welcher darauf abziele, den zwischen der Regierung und der PKK geführten »Lösungsprozess« der kurdischen Frage zu vereiteln.

Doch wer hatte dieses kühne Untersuchungsverfahren eingeleitet?

Jeder, vom Bürger auf der Straße bis hin zum Journalisten, von den politischen Parteien bis hin zur Wirtschaft, weiß, woher der Entschluss zur Einleitung dieses Untersuchungsverfahrens kam: von der Fethullah-Gülen-Bewegung.

Die AKP-Regierung, welche im Parlament über die Mehrheit verfügt, hat also daraufhin das Sondergesetz verabschiedet, welches mögliche Untersuchungsverfahren gegen den Leiter des Geheimdienstes unterbindet.

Erdoğan und seine Regierung haben die Einleitung des Untersuchungsverfahrens als »Intrige eines Freundes« gewertet und eine Gegenoffensive gestartet.

Die erste Offensive richtete sich gegen die Nachhilfeschulen. Die AKP-Regierung beschloss die Schließung von privaten Nachhilfeschulen. Die Fethullah-Gülen-Bewegung und ihre Medien haben versucht, dies mit einer Gegenkampagne zu verhindern, doch die Regierung hat ihren Beschluss nicht geändert.

Warum waren die privaten Nachhilfeschulen so wichtig?

Nach Angaben des türkischen Bildungsministeriums gibt es in der Türkei 3690 private Nachhilfeeinrichtungen, von denen 917 der Gülen-Bewegung angehören.

Die Gülen-Bewegung bietet erfolgreichen Schülern kostenlosen Zutritt zu diesen Schulen. Hier werden zunächst das Türkentum und dann die islamistische Ideologie sowie die Philosophie Gülens vermittelt. So entwickeln sich die ersten Schritte von der Kindheit zur Jugend ganz im Sinne der zur Gülen-Bewegung gehörenden Lehrer. Die Schüler, die nach dem Unterricht in den Nachhilfeschulen die Aufnahmeprüfungen für Privatschulen und Universitäten absolvieren, erzielen im Vergleich zu anderen Schülern überdurchschnittliche Ergebnisse.

Nach diesen Prüfungen wartet auf diese Jugendlichen die zweite Etappe der Gülen-Ausbildung. Denn die Gülen-Bewegung vergibt an diese Schüler Stipendien und bietet ihnen Unterkünfte. Sie verfügt in der gesamten Türkei über 5 Universitäten, 210 Privatschulen und 500 Studentenwohnheime. Da die staatlichen studentischen Unterkünfte nicht den Bedarf aller Studenten abdecken, werden die Wohnheime der Gülen-Bewegung aufgrund der günstigeren Bedingungen von den Schülern vorgezogen.

So schließt sich der Kreis. Die in den Nachhilfeeinrichtungen geförderten Schüler schließen die Aufnahmeprüfungen für die Universität erfolgreich ab und haben die Möglichkeit, in verschiedenen Fachbereichen zu studieren. So hat die Gülen-Bewegung für die Beamten, welche später in den verschiedenen staatlichen Ämtern arbeiten werden, eine systematische, periodische und organisatorische Struktur geschaffen.

Die daraus hervorgegangenen Beamten, Lehrer, Richter, Staatsanwälte, Sicherheitsbeamten und zu ähnlichen Berufsfeldern gehörenden tausende staatlichen Mitarbeiter sind in erster Linie der Gülen-Bewegung verbunden. Sie richten sich nach deren Ideologie und deren politischen Vorgaben. Dieser systematische Aufbau ist der Grund dafür, dass diese Struktur als »paralleler Staat« bezeichnet wird.

Die AKP-Regierung und Erdoğan haben beschlossen, dieses System zu zerstören. Jegliche Friedens- und Einigungsbestrebungen von Gülen sind ergebnislos geblieben.

Daraufhin hat Gülen die ihm verbundenen Polizeichefs und Staatsanwälte in Bewegung gesetzt. Am 17. Dezember 2013 wurden wegen Korruptionsverdachts zeitgleich Razzien durchgeführt, welche auch Minister und deren Kinder betrafen.

Bei den Razzien, die auch die Kinder des Innenministers Muammer Güler, des Wirtschaftsministers Zafer Çağlayan und des Umweltministers Erdoğan Bayraktar betrafen, fanden die Polizisten und Staatsanwälte große Mengen Geld und fragwürdige, heikle Dokumente. Bei dem Minister für EU-Angelegenheiten, Egemen Bağış, wurden Dokumente gefunden, die belegen, dass er von Arbeitgeberkreisen hohe Geldsummen und »Geschenke« bekommen hat.

Es zeigte sich, dass die Untersuchungen das Resultat einer monatelangen geheimen und sorgfältigen Vorarbeit waren.

Auch wenn Regierungssprecher sowie Ministerpräsident Erdoğan dies vom ersten Tag an als Putschversuch gewertet haben, reichten die Bemühungen nicht aus, die auch die eigenen Minister betreffende Korruption zu vertuschen und den offensichtlichen Sumpf, in dem sich die Regierung befindet, zu verdecken.

Während sich der Großteil der Untersuchungsverfahren in Istanbul abspielte, bestätigt die Tatsache, dass der Gouverneur von Istanbul und der Innenminister keine Kenntnis davon hatten, dass der parallele Staat, also die Gülen-Bewegung, dahintersteht. Gülen plante durch Aufdeckung dieser offensichtlichen Korruption in den Staatsstrukturen eine Schwächung der Regierung. Auf diese Weise wollte er sich die Unterstützung der Öffentlichkeit sichern und die Regierung als Strafe für die Schließung der Nachhilfeeinrichtungen zum Sturz bringen.

Auch wenn es zunächst so scheint, als ob Gülen die erste Runde für sich entschieden hat, haben Erdoğan und seine Regierung angefangen – ohne irgendwelche Erklärungen für die offensichtliche Korruption abzugeben – die parallelen Strukturen von Gülen offenzulegen und die Politik zur Auflösung dieser Strukturen voranzutreiben. Zunächst wurden die Staatsanwälte auf Posten mit niedrigerer Verantwortung versetzt, dann wurden die Arbeitsbereiche hunderter Polizeichefs gewechselt. Die Richter, die sich mit kritischen Fällen beschäftigten, wurden ebenfalls ausgetauscht. Darüber hinaus wurden zahlreiche der Gülen-Bewegung nahestehende Gouverneure ihrer Ämter enthoben.

Während die offensive Politik der Regierung gegen die Gülen-Bewegung rasch voranschreitet, versucht diese, die ihr zugehörigen Strukturen zu schützen. Gülen, der offen von den USA unterstützt wird und in Pennsylvania lebt, hat die Hoffnung, dass diese Offensive nach einiger Zeit ein Ende findet. Daher ist sein primäres Ziel, diese Phase in finanzieller Hinsicht, vor allem in Hinblick auf die ihm zugehörige Asya Bank, mit möglichst geringem Schaden abzuschließen.

Gülen hatte die Arbeitgeber, die nicht in den liberalen Arbeitgeberverbänden, dem Industrie- und Arbeitgeberverband TÜSIAD und dem Unabhängigen Arbeitgeberverband MÜSIAD – Letzterem gehören islamische Arbeitgeberkreise an –, organisiert waren, im Arbeitgeberverband TUSKON, Konföderation der Industrie- und Arbeitgeberverbände, vereint. Daher betreffen die politischen Maßnahmen der Regierung, wie Steuerprüfungen und strengere Kontrollmechanismen für Unternehmen, die schwächste Seite Gülens. So übt die Regierung genau in diesem Bereich Druck aus.

Im Endeffekt geht es gegen eine tatkräftige parallele Organisierung im Staate, die sich seit unzähligen Jahren unter dem Deckmantel der Religion etabliert hat. Nachdem die Auseinandersetzung mit der AKP unausweichlich wurde, hat Fethullah Gülen sein religiöses Gewand abgeworfen und seine politische Identität, seine Affinität zu Geld- und Finanzangelegenheiten und seine aktive Rolle hierin offenbart.

Ein Detail, das in der Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Kräften nicht außer Acht gelassen werden darf: Es gibt keinerlei Unterschiede zwischen Erdoğan und Gülen im Hinblick auf ihre Einstellung zur kurdischen Frage, zu den grundlegenden Rechten und Freiheiten der kurdischen Bevölkerung und zur in Kurdistan angewandten Assimilationspolitik. Man kann sogar sagen, dass diese »strategische Allianz« durch die gleiche Haltung den Kurden und Kurdistan gegenüber den jahrelangen Zusammenhalt zwischen ihnen gesichert hat.