Abdullah Öcalan unterliegt noch immer physischer Isolation!Zur Abschottung Abdullah Öcalans von seinen Anwälten

Abdullah Öcalan unterliegt noch immer physischer Isolation!

Ömer Çelik, Journalist, 26.07.2014

Der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan, für dessen Freilassung als »Repräsentant des kurdischen Volkes« internationale Kampagnen initiiert wurden, ist auf der Gefängnisinsel Imralı trotz weltweiter Verbreitung seiner Ansichten physischer Isolation ausgesetzt. Während politische Delegationen im Rahmen des Prozesses für eine politische Lösung der kurdischen Frage Zugang zur Insel haben, wird seinen Anwälten nun im vierten Jahr unter Angabe fadenscheiniger Gründe der Kontakt zu ihm verwehrt. Für die Anwälte, die ihre bis heute währenden Bemühungen und den andauernden Prozess als »Versuch der Kurden, durch die Tür der demokratischen Justiz einzutreten« werten, ist das weiterhin der größte Widerspruch der regierenden AKP.

Jede ethnische, religiöse oder gesellschaftliche Gruppe, egal, ob aufseiten der Herrschenden oder der Opposition, versucht Macht zu erlangen. Ein Mittel, mit dem sie sich gegen Gewaltherrschaft auflehnt und ihr zustehendes Recht einfordert, sind die juristischen Regeln, die als Bestandteil des Gesellschaftsvertrages anstelle ethischer Regeln aufgestellt wurden.

Dass diese Regeln von den Herrschenden ohne jegliche Anlehnung an eine gesellschaftliche Übereinkunft eingeführt wurden bzw. werden, hat den Prozess der Verwahrlosung der Justiz forciert. Diese Justiz, die die Grundlage für Repression, Gewalt, Entrechtung, Ausbeutung und Assimilation bildet, betrifft seit Jahren am meisten die Kurden. Diese versuchen mit ihrem politischen und gesellschaftlichen Kampf, die ihnen seit Gründung der Republik verwehrten Rechte zurückzugewinnen. Vorreiter ist dabei der als »Repräsentant des kurdischen Volkes« bezeichnete PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan. Herr Öcalan bezeichnete seine Gefangennahme und Auslieferung an die Türkei durch internationale Kräfte als »Verletzung internationalen Rechts« und antwortete mit einer Verteidigung in internationaler Dimension. Das Hochsicherheitsgefängnis vom F-Typ, in dem er inhaftiert ist, ist ein rechtsfreier Raum. Das Verhalten gegenüber Herrn Öcalan, der seit fünfzehn Jahren einer »auf seine Person zugeschnittenen« Liquidationsjustiz ausgesetzt ist, gestattet zugleich auch stets einen Hinweis auf die gegenüber der kurdischen Bevölkerung angewandte Politik. Trotz der Funktion, die er für die Lösung der kurdischen Frage übernommen hat, trotz der Dialoge mit Delegationen des Staates und der Definition dieser Bemühungen als »Eintritt der Kurden durch die Tür der demokratisch-gesellschaftlichen Justiz« befindet sich Herr Öcalan weiter in Isolationshaft.

Seine Verteidiger, die Anwälte des »Rechtsbüros des Jahrhunderts«, haben wegen vorgeschobener, jeder Rechtmäßigkeit entbehrender und politisch motivierter, technischer Gründe (z.B. »defektes Boot« [Anm. d. Ü.: zur Überfahrt auf die Insel], »zu schlechtes Wetter« oder »feiertagsbedingt ausfallende Überfahrt«) seit dem 27. Juli 2011 keinen Zugang zu ihrem Mandanten. Die Gründe für die Verweigerung der Mandantengespräche erläuterten seine Anwälte Rezan Sarıca und Cengiz Çiçek.

Sämtliche Beschwerden abgelehnt

Rechtsanwalt Rezan Sarıca äußerte im Hinblick auf den juristischen Aspekt der Isolierung Öcalans von den Anwälten, dass die vorgebrachten Gründe für die Verhinderung der Anwaltsbesuche die türkische Regierung nicht von ihren juristischen Pflichten entbänden. Jeder Häftling habe das Recht auf Anwaltsbesuche und dieses Recht werde nun seit mehr als drei Jahren verletzt. Sämtliche diesbezüglichen Beschwerden seien abgelehnt worden. Da alle inländischen Rechtswege ausgeschöpft seien, hätten sich die Anwälte an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGfM) gewandt. Während einige Verfahren bereits abgeschlossen seien, befänden sich andere gerade in der Phase der Entscheidungsfindung. Der EGfM hatte in seinem Beschluss vom 18. März betont, dass die gegen Abdullah Öcalan verhängte erschwerte lebenslange Haftstrafe »internationales Recht verletzt und Folter ist«. Diese Entscheidung bedeute eine Revidierung des Urteils im Fall Öcalan.

Trotz dieses EGfM-Beschlusses hätten Regierung und Rechtssystem in der Türkei die notwendigen juristischen Prozeduren nicht eingeleitet.

Rechtsanwalt Sarıca zufolge muss ein Gesetz erlassen werden, das den Zeitpunkt der Freilassung ihres Mandanten festsetzt. Ansonsten verleugne die Türkei ihre Verbundenheit mit internationalen Rechtsnormen. Ein weiterer Aspekt sei das unbeherrschbare Liquidationsregime des Gefängnisses von Imralı. Die derzeitige Situation beunruhige sie, vor allem vor dem Hintergrund der im Internet veröffentlichten Tonaufnahmen vom Verhör Öcalans kurz nach seiner Verschleppung in die Türkei. Zudem seien Mitschnitte von Gesprächen mit anderen Häftlingen veröffentlicht worden. Die Regierung sei verpflichtet aufzuklären, wer diese wie erlangt und veröffentlicht habe.

Auch das türkische Verfassungsgericht hatte vor Kurzem entschieden, dass das Publikationsverbot für die Bücher Herrn Öcalans trotz der Isolation rechtswidrig ist.

Laut Sarıca bezieht dieses Urteil auch die Regierung mit ein, jedoch sei die Isolation bisher nicht aufgehoben worden.

Die Regierung als eine Prozessbeteiligte habe ihren Interessen entsprechend einige Schritte unternommen, die jedoch keinen die grundlegenden Menschenrechte wahrenden Charakter trügen. Sarıca verwies auf die Isolationshaft Öcalans: »Erst wenn diese Phase vorbei ist, wird die Gesellschaft besser verstehen, welche Politik gegenüber Imralı tatsächlich betrieben wurde. Doch wir müssen das jetzt schon erkennen. Die Isolierung [von den Anwälten] geht ins vierte Jahr. Es gibt keinerlei Garantien auf Imralı. Jeder sollte das wissen.«

Das politische Ziel der Isolierung Öcalans von seinen Anwälten analysierte Rechtsanwalt Çiçek, der als einer seiner ersten Anwälte inhaftiert worden war.

Er unterstrich beim Blick auf die fünfzehnjährige Isolationsphase vor allem die Realität des Inselgefängnisses Imralı, dass es zunächst notwendig sei zu klären, warum Herr Öcalan in dieses Gefängnis gekommen sei.

Die Idee einer Gefängnisinsel setze auf soziale und emotionale Isolation und im Falle Herrn Öcalans darauf, einen politischen Akteur vom Kampf zu trennen. Çiçek erinnerte daran, dass ihr Mandant Öcalan sie mit Guantanamo verglichen habe.

Dieser Vergleich resultiere aus der Tatsache, dass die in seine eigene Verschleppung involvierten USA alle gegen deren System Opponierenden in dieses Gefängnis stecken und von der Außenwelt abschotten.

Angesichts der fünfzehnjährigen Isolation auf Imralı sei ihr Mandant, wie in Guantanamo, wahllosen, bis zur Folter reichenden Maßnahmen ausgesetzt, was jedoch vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werde. Çiçek: »Ausgehend vom historischen Ausmaß wird die Isolation vom ersten Tag an in derselben Intensität fortgesetzt.«

Ein Irrtum, die Isolation Abdullah Öcalan sei aufgehobenEin Irrtum, die Isolation sei aufgehoben!

Ein weiterer wichtiger Punkt, den Çiçek ansprach, war die Fehleinschätzung, dass die Isolationshaft aufgehoben sei, weil politische Delegationen im Rahmen des Dialogprozesses Gespräche mit Herrn Öcalan führen.

Çiçek betonte, dass die Absonderung nicht allein mit den Anwaltsbesuchen oder dem Besuch politischer Delegationen ende: »Ob die Isolation aufgehoben ist, muss anhand des Liquidationsregimes und entsprechender Aktivitäten auf Imralı bewertet werden. Beurteilen wir es im Hinblick auf das Rechtsverständnis, das die Staaten als Instrument für ihre Herrschaftsinteressen etabliert haben, fordern wir die Umsetzung des Rechtssystems und des internationalen Rechts.« Die Praxis auf Imralı bleibe weit hinter den juristischen Vorgaben zurück.

»Öcalan zu verteidigen bedeutet, den Freiheitskampf der Kurden zu verteidigen«

In diesem Sinne beschrieb Çiçek die Realität im Gefängnis von Imralı und das Ziel der Isolation: »Wir können sagen, dass die Isolation unseres Mandanten in vollem Umfang andauert. Ziel der Isolation ist es, die Verbindung zu seinem Volk, seiner Organisation und seinem politischen Kampf zu kappen. Das bedeutet auch einen Bruch der Verbindung zum kurdischen Volk. Im Hinblick auf uns Rechtsanwälte kommt eine Verteidigung Öcalans auch einer demokratisch-juristischen Verteidigung der Kurden gleich. Öcalan zu verteidigen bedeutet, den Freiheitskampf der Kurden zu verteidigen.«

Die Isolation auf Imralı ist der größte Widerspruch der AKP

Mit diesen Worten wies Çiçek auf die Politik der regierenden AKP und deren Herangehensweise hin.

Es laufe seit anderthalb Jahren ein [Diskussions-]Prozess, an den Isolationshaftbedingungen auf Imralı habe sich jedoch nichts geändert. Dies sei der größte Widerspruch der AKP im Hinblick auf die Kurden und ihre Führungspersönlichkeit. Sie behaupte zwar, eine Lösung der kurdischen Frage anzustreben, und akzeptiere Öcalan de facto als Ansprechpartner, dennoch scheue sie sich in der Praxis, seinen Namen und seine Position zu benennen. Noch immer mache Erdoğan bei Wahlveranstaltungen im Inland die Frage der Hinrichtung Öcalans zu einem Politikum.

Auch die Haltung der AKP bezüglich Rojavas werde von der kurdischen Öffentlichkeit ähnlich bewertet.

Ein weiterer Punkt, auf den Çiçek im Hinblick auf den Dialogprozess hinwies, betraf die Parallelen zu Nelson Mandela. Das zwischen Weißen und Schwarzen entwickelte Friedensmodell sei für sie wegweisend. Hinsichtlich dieser Parallelen fasste er die grundlegenden Widersprüche des Prozesses zusammen:

»Als in Südafrika die Gespräche mit Mandela begannen, haben sich die Haftbedingungen Mandelas verbessert. In der Türkei sind keinerlei Veränderungen an den Haftbedingungen Herrn Öcalans vorgenommen worden. Das weist deutlich auf einen Widerspruch hin. Die AKP richtet ihre Herangehensweise nach ihren politischen Interessen. Während auf der einen Seite diesen politischen Interessen gemäß Schritte eingeleitet werden, geht sie nicht in eine Phase ehrlicher Selbstkritik über. Das wird sich an der Herangehensweise gegenüber Herrn Öcalan zeigen. Wenn sie die kurdische Frage in historischer, gesellschaftlicher, soziologischer und philosophischer Hinsicht lösen wollen, müssen sie ihr Verhalten deren Schlüsselfigur, Herrn Öcalan, anpassen. Das ist aus unserer Sicht entscheidend.«

In diesem Zusammenhang bedürfe die Frage einer Antwort: »Warum wird Herr Öcalan noch immer auf der Gefängnisinsel eingezwängt, wenn doch seine Anschauungen weltweit verbreitet sind, seine Position anerkannt und ein Dialog mit ihm begonnen wird?«

Die Antwort Çiçeks darauf: »Staaten bewerten politische Strömungen und deren Führungskräfte im Rahmen des legitimen Rechts. Doch sehen wir leider nach fünfzehn Jahren, dass der Staat seine Vorstellungen von einem feindseligen Rechtsverständnis gegenüber Herrn Öcalan trotz dessen ganzen Bemühungen und Vorstößen für einen gesellschaftlichen Frieden nicht aufgegeben hat. Diese Denkweise ist nicht nur auf die AKP beschränkt. Während Öcalans Gedanken und Handlungen weltweit Anerkennung finden, sucht die Regierung eher die Beziehung zu einer ihr nahestehenden kurdischen Linie. Das hängt auch mit der ideologischen Ausrichtung zusammen. Die Paradigmen Öcalans, die auf eine demokratische Gesellschaft abzielen, bauen auf einer Haltung gegen die kapitalistische Moderne auf. Im Rahmen dessen ist eine Position im Widerspruch zu kapitalistischen Kräften unumgänglich. Die AKP ist eine regionale Vertreterin dieser Kräfte. Aus dieser Perspektive können die Spannungen als normal gewertet werden, die aktuelle Tagespolitik zwingt sie jedoch, einige Schritte mit oppositionellen Kräften zu gehen. Die AKP verhält sich so, als habe sie diesen kausalen Zusammenhang noch nicht erkannt. Sie glaubt, sämtliche Fäden in der Hand zu halten. Das entspricht jedoch nicht der Realität.«

Rolle Desmond Tutus kann auch jemand in der Türkei übernehmen

Während die Isolation Herrn Öcalans trotz seiner aktuellen Position aufrechterhalten und ihre Aufhebung gefordert wird, besteht auch die direkte Forderung nach seiner Freilassung. Neben der in der Türkei und in Europa von Kurden geführten Kampagne gibt es einen Kreis, dem Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Kultur angehören, unter anderem Desmond Tutu, Anwalt Nelson Mandelas und einer der Architekten des Friedensprozesses in Südafrika, die die Freilassung Herrn Öcalans als unerlässlich für den Frieden in der Türkei betrachten.

Die Rolle Desmond Tutus in Südafrika können Çiçek zufolge auch in der Türkei Wissenschaftler, Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen u.Ä. einnehmen. Die harte Haltung der Regierung könne über die zivile Schiene aufgeweicht werden.

Doch bevor Persönlichkeiten oder Organisationen hervorträten, die diese Rolle übernehmen, hätten Ausreden wie »widriges Wetter«, »defektes Boot« u.Ä. zur Verhinderung von Mandantengesprächen der Anwälte Priorität.

Bewertung Çiçeks: »fehlende Ernsthaftigkeit«

Während ein Tag zuvor Familienbesuche möglich seien, würden Anfragen der Anwälte mit der Begründung abgelehnt, das Boot sei defekt. Dies sei eine politische Entscheidung und Herangehensweise. Daraus ergebe sich die staatliche Haltung: Egal, in welche unterschiedlichen Prozesse der Staat eintrete, er verfolge eine klare Imralı-Politik. Çiçek betonte: »Andere Besuche als die von politischen Delegationen liegen nicht im Interesse des Staates. Deren Gespräche im Rahmen des Friedensprozesses ersetzen nicht die Anwaltsbesuche. Wir waren als Rechtsanwälte fast fünfzehn Jahre das einzige Fenster zur Weltöffentlichkeit. Wir Anwälte haben verschiedene Verpflichtungen. Wir tragen die Verantwortung, das Liquidationsregime von Imralı zu überwachen. Gleiches gilt für die Beobachtung des Gesundheitszustandes unseres Mandanten; über die Ärzte haben wir ihn fast fünfzehn Jahre verfolgt. Daher können wir sagen, dass die Anwaltsbesuche nicht gleichzusetzen sind mit den Besuchen politischer Delegationen.«