Herzlich willkommen in KobanêEditorial

Liebe Leserinnen und Leser,

der vergangene Monat ist geprägt von den sich überschlagenden Ereignissen rund um Rojava und den internationalen Reaktionen hierauf. Seit dem 15. September sind die Region und Stadt Kobanê einem heftigen, durchgehenden Dreifrontenangriff des IS ausgesetzt. Anfang Oktober begann der Häuserkampf. Es droht weiterhin ein Massaker an den ZivilistInnen in Kobanê.
Weltweit fanden vielfältige Protestaktionen in Solidarität mit Kobanê, YPG und YPJ statt:

Demonstrationen, Protestlager, Parlaments- und Parteibürobesetzungen, Spendensammlungen, Hungerstreiks und vieles mehr. Diese Proteste und Solidaritätsaktionen haben durchaus Wirkung gezeigt. Die UN fordern einen Korridor für KämpferInnen, die sich anschließen wollen. Eine Debatte über die Aufhebung des sogenannten PKK-Verbots kommt langsam in Gang und die Informationslage zu Rojava wird deutlich ausdifferenzierter. Die Öffentlichkeit zeigt ein Interesse an der Situation in Kobanê und an der kurdischen Bewegung, wie es seit Jahren nicht mehr vorhanden war. Das Interesse an Veranstaltungen ist genauso gestiegen wie die Beteiligung auf der Straße – und diesem Druck kann sich auch die etablierte Politik nicht gänzlich entziehen.

Grundlegende politische Fortschritte bleiben aber aus. Während YPG und YPJ heldenhaft und in Unterzahl Kobanê verteidigen, wird das Embargo gegen Rojava von Türkei und südkurdischer Regierung weitgehend aufrechterhalten, die Türkei liefert weiter logistische Unterstützung sowie schwere Waffen an den IS. Bei Protesten in der Türkei, bei denen bewegungsnahe und türkische linke Kräfte gemeinsam vorgingen, wurde mit scharfer Munition auf Demonstrierende geschossen, Ausgangssperren wurden verhängt, Polizei und Militär deckten islamistische Kräfte, die ebenfalls Demonstrierende angriffen, es gab Dutzende Tote. Derzeit kommt es zu zahlreichen Razzien und Festnahmen infolge dieser Ereignisse vom 6./7. Oktober. Dabei wäre genau jetzt der Zeitpunkt gekommen, den Friedensprozess auf eine neue Stufe zu heben und gemeinsam eine dauerhafte demokratische Perspektive umzusetzen. Jetzt im gemeinsamen Kampf gegen den Klerikalfaschismus besteht die Möglichkeit einer Vereinigung der fortschrittlichen Kräfte.

Es darf nicht vergessen werden, dass neben der militärischen Dimension des Konfliktes auch der zivile Aufbau in Rojava und allen Teilen Kurdistans weiter voranschreitet. Kobanê wird als kurdisches Stalingrad bezeichnet, nicht weil die Bewegung hier ihr militärisches Ende finden könnte, sondern weil die Fortschritte im Aufbau eines konföderalen demokratischen Systems, das in den letzten drei Jahren etabliert und praktisch gelebt wurde, bedroht sind. Insofern ist der brutale Angriff des IS auf Kobanê nicht als Angriff auf Kurdistan allein, sondern als Angriff auf alle fortschrittlichen Kräfte und Projekte der Welt zu sehen. Das erklärt auch, wieso die Regierungen der Welt bereit sind zuzusehen, wie hier ein weiteres Massaker droht.

Şehîd namîrin! – MärtyrerInnen sind unsterblich! Im Gedenken an die FreundInnen die Kobanê und somit die Freiheit verteidigen.

Ihre Redaktion