Weg mit dem PKK-VerbotMit zweierlei Maß:

Die einen erhalten Waffen, die anderen werden weiterhin als »Terroristen« stigmatisiert

Monika Morres, AZADÎ e. V.

Unbeeindruckt von jedweder politischen Entwicklung in der Türkei, im Nordirak oder in Rojava/Nordsyrien setzen die deutschen Strafverfolgungsbehörden ihre seit über 20 Jahren eingeübte Kriminalisierungspraxis fort.


Während die Verteidigungseinheiten von Rojava YPG/YPJ gemeinsam mit den Kräften der PKK-Guerilla HPG ihre Region gegen die Mörderbanden des IS (»Islamischer Staat«) verteidigen und den verfolgten Êzîd*innen Schutz und Zuflucht erkämpften, machte die Bundesanwaltschaft (BAW) ihr »business as usual«. Zu einem Zeitpunkt, in dem in den internationalen Medien und Institutionen lebhaft über eine Aufhebung des PKK-Verbots und die Streichung der PKK von den Terrorlisten diskutiert wurde, ließ die Bundesanwaltschaft am 29. August den kurdischen Aktivisten Mehmet D. in Bremen festnehmen und am nächsten Tag nach Karlsruhe transportieren. Er wird beschuldigt, sich in Deutschland und im benachbarten Ausland als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a  i. V. m. § 129b StGB) beteiligt zu haben, »deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen«. Hier ist nicht die Rede von der Organisation IS, sondern von der Arbeiter*innenpartei Kurdistans, PKK.

Mehmet D. wird für alle Aktivitäten der PKK mitverantwortlich gemacht – Andrej Hunko (Die Linke): Festnahme »absolut kontraproduktiv«

Mehmet D. soll – laut BAW – von Januar bis Juni 2013 als Kader der PKK und der Europaorganisation »Kurdische Demokratische Gesellschaft« (CDK) die deutschen Regionen »Mitte« und später »Nord« geleitet haben. In dieser Funktion habe er die Arbeit von Gebietsleiter*innen koordiniert, ihnen Anweisungen erteilt und insbesondere von ihnen regelmäßige Tätigkeitsberichte zur Weiterleitung an die Europazentrale angefordert. Außerdem sei er im Zeitraum 2007/2008 für ein knappes Jahr im Irak gewesen, »mutmaßlich bei den dortigen Guerillaeinheiten der HPG«. Wie in allen § 129b-Verfahren gegen kurdische Aktivist*innen werden diese für alle tatsächlichen oder mutmaßlichen Aktivitäten der PKK/HPG in der Türkei bzw. den Kandil-Bergen Nordiraks mitverantwortlich gemacht. In den Anklageschriften spielten hier insbesondere die im Jahre 2004 erstmals in Erscheinung getretenen »Freiheitsfalken Kurdistans« (TAK) eine zentrale Rolle. Während die Verteidigung der kurdischen Angeklagten zahlreiche Dokumente vorgelegt hatte, in denen sich TAK und PKK voneinander distanzieren, haben die Richter*innen der verschiedenen Oberlandesgerichte in ihren Urteilen festgelegt, dass die TAK als Teil der PKK-Guerilla gebildet worden seien, um Anschläge auf dem Territorium der Türkei zu verüben. Somit wird auch Mehmet D. hierfür mitverantwortlich gemacht, als »professioneller Kader« die Ziele, Programmatik und Methoden der Gesamtorganisation zu kennen, unabhängig davon, ob er in irgendeiner Form in Aktivitäten involviert gewesen ist. Die BAW schreibt dazu u. a.: »Dass der Beschuldigte sich weder direkt an der Planung noch an der Durchführung der terroristischen Anschläge in der Türkei beteiligt, ändert an dieser Bewertung nichts. Die Organisation ist schon in ihrer Struktur so angelegt, dass nur durch das Zusammenwirken der einzelnen Einheiten und Kader – unabhängig von ihrem Einsatzort der beabsichtigte Erfolg erzielt werden soll und kann.«

Es genügt mithin die tatsächliche bzw. mutmaßliche Mitgliedschaft in einer von den Strafverfolgungsbehörden als terroristisch eingestuften Vereinigung.

»Ein Umdenken bezüglich der Bewertung der PKK ist jetzt notwendig. Seit Jahren orientiert die Organisation auf Frieden und eine demokratische Entwicklung des Mittleren Ostens. Die Vorurteile der BAW sind unhaltbar, die Festnahme von Mehmet D. ist absolut kontraproduktiv. Sämtliche gemäß § 129b inhaftierten Kurden sollten sofort freigelassen, die PKK entkriminalisiert und von der ohnehin fragwürdigen EU-Terrorliste gestrichen werden«, kommentierte der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko von der Linksfraktion die Festnahme (Pressemitteilung v. 4.9.2014).Freiheit für Mehmet D.

Situation im westkurdischen Rojava/Nordsyrien

Im Zuge der erschreckenden Geschehnisse in Nordirak und der neuerlichen Angriffswellen des IS auf den kurdischen Kanton Kobanê (Ain al-Arab) in Nordsyrien erklärten die YPG, dass sowohl die Anzahl der Angreifer als auch die Waffenausrüstung der Dschihadisten alles bisher Dagewesene übersteige. Berichten aus der Grenzregion vom 17. September zufolge sei militärische Ausrüstung mit einem Zug auf der türkischen Seite an die Grenze gebracht worden. Trotz internationalen Drucks weigerte sich das NATO-Mitglied Türkei, deutliche Position gegen den IS zu beziehen. Der Kovorsitzende der kurdischen Partei der Demokratischen Einheit (PYD) in Rojava, Salih Muslim, erklärte, dass der Kampf gegen den IS nicht mehr regional, sondern global geführt werden müsse. »Die kurdische Bevölkerung führt ohnehin seit eineinhalb Jahren einen Kampf gegen den IS. Bislang haben wir praktisch allein diesen Kampf geführt.«
Am 10. September erklärten allerdings die YPG, die Frauenverteidigungseinheiten YPJ, mehrere zur »Freien Syrischen Armee« gehörende Kampfverbände sowie einige weitere bewaffnete Gruppen, dass sie das Bündnis »Burkan El Firat« gegründet hätten, um gemeinsam in der Region Kobanê gegen den IS vorzugehen. Einige Dörfer seien bereits befreit worden.

Auch im Kanton Cizîrê kommt es seit dem 13. September zu schweren Gefechten zwischen YPG und IS, wobei die Dschihadisten schwere Verluste erlitten haben. Bei ihrem Rückzug sollen sie die Zivilbevölkerung als lebende Schutzschilde benutzt und diejenigen, die sich widersetzten, ermordet haben. Rund 50 Zivilist*innen sollen hierbei ums Leben gekommen sein. Die Dörfer, die der IS verlassen musste, sollen niedergebrannt worden sein. Danach nahmen die Dschihadisten die Stadt Qamişlo (Al-Qamishli) unter Raketenbeschuss.

Jugenddelegation bleibt Einreise nach Rojava verwehrt

Eine Jugenddelegation, die sich Mitte September auf den Weg nach Rojava gemacht hatte, ist nicht nur vonseiten der kurdischen Regionalregierung im Nordirak, deren Peshmergas u. a. von der Bundesregierung mit Waffen gegen den IS beliefert werden, der Grenzübertritt nach Nordsyrien verwehrt worden, sondern auch die Grenze zwischen der Türkei und Rojava blieb versperrt. Auch das von der Türkei gegen Rojava verfügte Embargo verschärft sich zunehmend. »Nach wie vor ist das Embargo gegen Rojava nicht nur ein wirtschaftliches, sondern vor allem ein politisches. Erschreckend ist, dass es mittlerweile ein humanitäres geworden ist«, erklärt das Delegationsmitglied Christina Matt. Doch werden aus Europa kommende Hilfslieferungen von den türkischen Behörden entweder zeitverzögert oder gar nicht über die Grenze gelassen.

Situation in Nordsyrien eskaliert dramatisch PKK ruft zum Kampf gegen den IS auf

Vor dem Hintergrund zehntausender Menschen, die vor den Angriffen der IS-Milizen aus der Stadt Kobanê in die Türkei flüchten mussten, forderte die PKK am 21. September ihre Anhänger*innen dazu auf, sich dem Kampf gegen die Banden des IS anzuschließen. Allein eine solche »Mobilisierung« könne die Belagerung der Stadt beenden. Am 20. September hatte Salih Muslim in einem Gespräch mit der FAZ.net »schwere Waffen« gefordert, um die »amerikanischen Panzer des ›Islamischen Staates‹ stoppen« zu können. »Wenn die internationale Gemeinschaft nicht bald aufwacht, werden wir eine Wiederholung des Massakers erleben, wie es an den Êzîd*innen in Şengal (Sindschar) im August verübt wurde.«

Warum bleiben Kritik Deutschlands an Türkei und Hilfe für die Menschen in Nordirak aus?

Wie Beobachter*innen berichten, werden Dschihadisten durch die Türkei logistisch unterstützt, teilweise mit Waffen ausgerüstet und über die Grenze nach Nordsyrien geschleust, weshalb sich die AKP-Regierung sehr zurückgehalten hat bezüglich des Kampfes gegen die Dschihadisten. Und wo bleibt die Kritik der Bundesregierung am Verhalten ihres NATO-Partners? Alles, was SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier bisher zu dem drohenden Genozid geäußert hat, war, dass man erneut zur Kenntnis nehmen müsse, dass der IS »weitere Regionen, diesmal in Nordsyrien«, überfallen habe.

Bei der Frage, warum die Kurd*innen in Nordirak/Südkurdistan unterstützt werden und jene in Syrien nicht, verstummte der Minister aus Rücksichtnahme auf die Türkei. Denn in deren Augen gilt die Befreiungsbewegung PKK als terroristische Organisation und ist verboten. Deutschland hat sich vor über 20 Jahren entschieden, diese Sichtweise durch ein Betätigungsverbot zu stützen. Seit 2002 wird die PKK auch auf der sog. EU-Terrorliste geführt. Und weil die syrisch-kurdische Partei der Demokratischen Einheit PYD und die Verteidigungseinheiten YPG als PKK-nah eingestuft werden, wird den in Rojava lebenden Menschen und den Flüchtlingen internationale Hilfe und Unterstützung verwehrt.

Für die Türkei jedenfalls ist nicht der IS der Hauptgegner, sondern Rojava. Die demokratische Selbstverwaltung steht ihren Plänen, entlang der türkisch-syrischen Grenze eine Puffer- bzw. Flugverbotszone gegen angebliche Luftangriffe der Armee von Baschar al-Assad zu errichten, im Weg. Die Massenflucht kommt der Türkei deshalb sehr gelegen.

Außenminister Steinmeier hat seine Haltung zu den IS-Angriffen und den Waffenlieferungen in der »Tagesschau« vom 22. September noch getoppt. Auf die Frage nach einer möglichen Rücknahme des PKK-Verbots meinte er, dass die Gründe des Verbots »in der Vergangenheit« lägen und die Bedrohung der Êzîd*innen und Christ*innen im Norden des Irak kein Grund seien, das Verbot zu überdenken. Und: »Wir liefern Waffen an die kurdischen Sicherheitskräfte. Das sind diejenigen, die sich zur Wehr zu setzen haben.«

Claudia Roth: Türkei betreibt »dreckige Politik«

Die Grünen-Politikerin und Vizepräsidentin des Bundestages, Claudia Roth, warf im ARD-Morgenmagazin vom 8. Oktober der Türkei vor, eine »dreckige Politik« zu betreiben, und Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) beschuldigte Ankara, Völkermord billigend in Kauf zu nehmen: »An der Grenze eines NATO-Landes geschieht ein Genozid. Eine Bevölkerungsgruppe wird gezielt ermordet und aus ihrem angestammten Siedlungsgebiet vertrieben.« Dies werde die Beziehungen zur Türkei innerhalb der NATO belasten. Dass IS-Kämpfer in Krankenhäusern der Türkei behandelt und die Zahl von IS-Trainingscamps »mehr und mehr« entstehen würden, könne die NATO bei dem Mitgliedsstaat nicht dulden, so Roth.

Von Waffenlieferungen und Forderungen nach Verbotsaufhebung

Nach der Rettung zehntausender êzîdischer Flüchtlinge aus Şengal durch ein gemeinsames Vorgehen von YPG/YPJ und Kämpfer*innen der PKK sowie den Diskussionen um Waffenlieferungen an die Peshmergas der kurdischen Regionalregierung des Nordirak wurden zahlreiche Stimmen aus Politik und Medien laut, die entweder Gleiches auch für die PKK forderten bzw. das bestehende Betätigungsverbot in Deutschland in Frage stellten. Insbesondere, weil nicht die Peshmergas der PDK von Mesûd Barzanî die Êzîd*innen vor den IS-Massakern gerettet hatten.

Politiker*innen von SPD, den Grünen, aber auch der CDU waren nun der Auffassung, dass sich die PKK gewandelt habe. So äußerte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, gegenüber der FAZ: »Im Zusammenhang mit den Gesprächen zwischen der türkischen Regierung und der Führung der PKK sowie dem beeindruckenden Ergebnis des kurdischen Kandidaten bei der türkischen Präsidentschaftswahl gibt es durchaus die Chance zur Neueinordnung der PKK.«

Sein Kollege Sönke Rix wollte der Türkei zwar nicht »von einem Tag auf den anderen« sagen, dass die PKK keine terroristische Vereinigung mehr sei, doch wolle er nicht ausschließen, »dass man langfristig mit denen redet«. Er sei gar bereit, dass man sich »die mal näher angucken« sollte.

Weit vorgeprescht war der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Im Kampf gegen den IS hatte Dr. Andreas Schockenhoff nicht ausgeschlossen, dass Waffenlieferungen auch an die PKK erfolgen könnten. Doch erinnerte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) seinen Kollegen umgehend an die guten deutschen Beziehungen zum NATO-Partner Türkei, die in einem solchen Falle massiven Schaden erleiden würden.

Nicht PKK will eigenen Staat, sondern Mesûd Barzanî

Die CDU-Politiker Volker Kauder und Philipp Mißfelder lobten PKK und PYD zwar für die Rettung der im Şengal-Gebirge eingeschlossenen Êzîd*innen, doch habe sich die PKK nicht von ihrem Ziel eines eigenen Staates verabschiedet.
Zur Richtigstellung: Die PKK hat diese Ideologie zugunsten des Konzepts eines Demokratischen Konföderalismus innerhalb bestehender Staatsgrenzen bereits vor Jahren aufgegeben. Würde dies das Kriterium gewesen sein, dürfte die Bundesregierung nicht eine einzige Waffe an die Peshmergas liefern. Denn der Präsident der Autonomieregion, Mesûd Barzanî, hatte – laut Newsletter vom 25. August (http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58931) – im Juni angekündigt, einen Staat »Kurdistan« gründen zu wollen. Beobachter würden davon ausgehen, dass dieser eng an das NATO-Mitglied Türkei angebunden wäre und als »Puffer zu den Bürgerkriegsgebieten in Syrien und im Irak« dienen würde. Weiter heißt es, dass die USA schon im letzten Jahr die Zerschlagung des gesamten Nahen und Mittleren Ostens vorgeschlagen hätten: Das syrische Herrschaftsgebiet von Baschar al-Assad könnte auf ein »Alawitestan« geschrumpft und die übrigen Teile des Landes mit Teilen des Irak zu »Kurdistan« und »Sunnistan« zusammengeschlossen werden. Diese Kleinstgebilde seien dann leichter beherrschbar als die jetzigen arabischen Staaten und verfügten über weit weniger Widerstandspotenzial.

Der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion der Bündnis-Grünen im Bundestag, Frithjof Schmidt, sagte gegenüber der FAZ, dass es »allen Anlass« gebe, »die Einstufung der PKK als terroristische Organisation ernsthaft zu überprüfen«. Die PKK werde nicht nur in der Türkei, sondern auch in Nordirak und Syrien langfristig eine Rolle spielen. Sie habe sich zudem an ihren Grundsatz gehalten, in Deutschland keine Anschläge zu verüben.
Sein Vorstandskollege Konstantin von Notz meinte, dass »natürlich« über den Status der PKK als terroristische Organisation diskutiert werden müsse.

Diese Auffassung vertrat auch Linken-Fraktionschef Gregor Gysi in der Aussprache des Bundestages über die Waffenlieferungen an die nordirakischen Kurd*innen.

Christian Ströbele von den Grünen bezeichnete es als »schizophren oder pervers«, die PKK auf der einen Seite zu loben, aber »auf der anderen Seite hier strafrechtlich zu verfolgen«. Denn: Im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD hieß es u. a.: »Waffenlieferungen an nichtstaatliche Gruppen wie die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) kommen nicht in Frage.«

Bodo Ramelow, Spitzenkandidat der Linkspartei in Thüringen, nannte es einen Fehler, die »Hysterie gegenüber der PKK« aufrechtzuerhalten. Es sei eine Fehleinschätzung, sie als terroristische Organisation einzustufen.
Die PKK gehört zu Deutschland

Eine ganz und gar originelle Überschrift hatte sich die »tageszeitung« (taz) für ihre Ausgabe vom 3. September einfallen lassen: DIE PKK GEHÖRT ZU DEUTSCHLAND, wohl in Anlehnung an die Aussage von Ex-Bundespräsident Christian Wulff, dass der Islam zu Deutschland gehöre.

Taz-Redakteur Christian Jakob stellte in seinem ausführlichen Kommentar schlussendlich fest, dass das PKK-Verbot eine »ständige Bedrohung für hier lebende Kurden« darstelle und es deshalb »weg« müsse.

Wie sehr er mit dieser Feststellung den Kern der Kriminalisierung getroffen hat, zeigt das folgende Beispiel: In der »Thüringer Allgemeinen« vom 4. September erschien ein Artikel mit der Überschrift: »Thüringer Linke will mit Kandidat aus Umfeld einer als terroristisch eingestuften Organisation in den Landtag«. Es ging um Ercan Ayboğa, Ingenieur, Vorsitzender des Erfurter »Kulturvereins Mesopotamien« und Direktkandidat der Linkspartei für den Wahlkreis »Weimarer Land«. Der Artikel diente einzig dazu, den Politiker und seine Umgebung als Unterstützer*innen des Terrorismus zu stigmatisieren. In derselben Ausgabe erschien allerdings auch ein Kommentar, in dem auf die Friedensbotschaft von Abdullah Öcalan hingewiesen und kritisiert wird, dass das Innenministerium »dennoch am PKK-Verbot festhält«. Berlin solle nicht »mit zwei Zungen sprechen«, wenn kurdische Peshmergas mit Waffen ausgerüstet würden und die PKK nicht, denn »auch PKK-Kämpfer stellen sich den Fanatikern des IS entgegen«. Das PKK-Verbot führe dazu, »dass eine große Mehrheit friedlicher Kurden in Deutschland unter Terrorverdacht gestellt« werde. Es sei »an der Zeit, ernsthaft in Frage zu stellen, ob diese Stigmatisierung der Kurden noch haltbar ist«.

Bundesinnenminister: PKK-Verbot unverzichtbar und Kurd*innen bleiben »Sicherheitsrisiko«

Nur der Bundesinnenminister hält von alledem nichts und schloss eine Neubewertung der PKK aus. Es gebe »keinen sachlichen Grund, in Überlegungen über eine Aufhebung des PKK-Verbots einzutreten«. Das Verbot bleibe – wie eine Sprecherin mitteilte – »im Interesse der nationalen inneren Sicherheit ein unverzichtbares Regulativ«.

Schon einmal, nach den Ende 2012 begonnenen Gesprächen zwischen der türkischen Regierung und dem inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan und dessen historischer Friedenserklärung vom 21. März 2013, gab es zahlreiche positive Reaktionen bis hin zu dem ehemaligen Berater der US-Regierung, David L. Phillips. Dieser empfahl laut »Huffington Post« vom 21. Mai 2013 die Streichung der PKK von der Terrorliste. Europäische und deutsche Abgeordnete forderten, angesichts der Friedensverhandlungen eine Aufhebung des PKK-Betätigungsverbotes zumindest zu prüfen.

Doch auch damals erteilte das Bundesinnenministerium allen Überlegungen eine Absage und beharrte darauf, keinen Zusammenhang sehen zu können zwischen dem Verbot von 1993 und den Gesprächen der türkischen Regierung mit der PKK. Das Verbot diene »ausschließlich dem Schutz der hiesigen inneren Sicherheit«.

Und weil kurdische Aktivist*innen und Politiker*innen in den Augen des Staats- und Strafverfolgungsapparates auch im 21. Jahr des PKK-Verbots immer noch als »Sicherheitsrisiko« und »Gefährder der inneren Sicherheit« der BRD betrachtet werden, wurde Mehmet D. verhaftet.

Zur Erinnerung:

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte im Oktober 2010 entschieden, den im Jahre 2002 eingeführten § 129b auch gegen die PKK anzuwenden, nachdem Organisationen wie die tamilischen Befreiungstiger LTTE und linke türkische Organisationen wie die DHKP-C nach diesem Paragrafen strafverfolgt wurden.

Besonderes Merkmal des § 129b ist, dass allein das Bundesjustizministerium (BMJ) darüber entscheidet, welche Organisation als »terroristisch« oder als Freiheitsbewegung zu gelten hat. Mithin ist es die Instanz, die Behörden dazu ermächtigt, bestimmte Personen entsprechend strafrechtlich zu verfolgen, wobei diese Entscheidungen weder begründet werden müssen noch rechtlich angreifbar sind. Im September 2011 hat das BMJ eine generelle Ermächtigung erteilt, sogenannte Sektorleiter*innen der PKK zu verfolgen. Mit den Ermittlungen beauftragt die BAW in allen Fällen das Bundeskriminalamt.

PKK-Verbot aufheben

Auch wenn sich das Bundesinnenministerium derzeit verschlossen gegenüber Forderungen zeigt, eine Entkriminalisierung von Kurdinnen und Kurden in Deutschland herbeizuführen, ist das politische »Klima« im Vergleich zu 2013 ein etwas anderes. Zahlreiche Einzelpersonen im In- und Ausland, Initiativen, Organisationen, Vereine und Medienschaffende setzen sich nicht nur für eine Aufhebung des PKK-Betätigungsverbotes ein, sondern darüber hinaus für einen Dialog mit der kurdischen Befreiungsbewegung. So hat u. a. die konservative Tageszeitung »Frankfurter Allgemeine Zeitung« mit Cemil Bayık, Mitglied des Exekutivkomitees der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), gesprochen und in ihrer Ausgabe vom 22. August hierüber berichtet. Auch die »junge welt« druckte am 28. August ein Interview mit Cemil Bayık ab, das die türkische Tageszeitung »Vatan Gazetesi« mit ihm geführt hatte. Vielen wird derzeit deutlich vor Augen geführt, wie schäbig, rücksichtslos und widersprüchlich sich die Große Koalition in den aktuellen hochgefährlichen Konflikten verhält. Und wie sie durch ihre Politik dazu beiträgt, Öl ins Feuer des Mittleren Ostens zu gießen. Sie kann ihre Hände längst nicht mehr in Unschuld waschen, sie ist durch die Waffenlieferungen einerseits und das Schweigen zu den Massenvertreibungen andererseits endgültig zur Kriegspartei geworden. Sie muss sich gefallen lassen, mitverantwortlich gemacht zu werden für das grausame Schicksal zehntausender Menschen.

Wir dürfen nicht schweigen. Wir müssen aufklären, fordern und dürfen nicht aufhören, Druck auf die politisch Verantwortlichen zu machen.

In diesem Sinne werden in den kommenden Monaten unterschiedliche Organisationen, Verbände, Gruppen und Personen Initiativen ergreifen, um die Bundesregierung zu einem Wandel der Beziehungen zur hier lebenden kurdischen Bevölkerung und ihrer Institutionen aufzufordern, die Verbotspolitik zu beenden und den Dialog mit Repräsentantinnen und Repräsentanten der kurdischen Bewegung zu führen.