Ökologische Herausforderungen in Rojava

»Angesichts des Embargos ist da in naher Zukunft auch kaum etwas zu machen«

Ercan Ayboğa

Dieser Artikel entspricht größtenteils einem Kapitel in dem Anfang des Jahres 2015 erscheinenden Buch der drei Delegierten der »Kampagne TATORT Kurdistan« über die Ergebnisse ihrer Reise im Mai 2014 in das nordostsyrische Rojava, vor allem in den Kanton Cizîrê. Der Artikel behandelt die ökologische Dimension der radikalen gesellschaftlichen Umgestaltung und Neuausrichtung in Rojava. So werden bis 2011/2012 bestehende bzw. laufende Prozesse ökologischer Zerstörung mit neuen Herausforderungen und Situationen in Verbindung gebracht und mögliche Lösungen und Perspektiven diskutiert. Zweifellos müssen die negativen ökologischen Folgen im Zusammenhang mit Energieproduktion und -verbrauch, Landwirtschaft, Müllentsorgung, Siedlungsbau und schließlich auch dem laufenden Krieg gesehen werden.

Das Baath-Regime legte und legt wenig Wert auf eine ökologische Gesellschaft, was für den Mittleren Osten nicht verwundert. Folglich wurden die Auswirkungen der Produktion, Konsumtion und Fortbewegung kaum untersucht und wenige Gegenmaßnahmen getroffen. Im Vordergrund stand, Ressourcen möglichst effizient auszubeuten, in der Landwirtschaft langfristig auf hohem Niveau zu produzieren und die öffentliche Daseinsvorsorge mit geringen Mitteln auf einem gewissen Grundniveau zu halten. Das galt für ganz Syrien, aber insbesondere in Rojava, das schließlich kolonialisiertes Gebiet war. Nicht umsonst wurde der sogenannte »Arabische Gürtel« [entlang der syrisch-türkischen Grenze] angelegt, in dessen Folge in den sechziger Jahren im Rahmen einer Siedlungspolitik Tausende Araber*innen in Rojava angesiedelt wurden.

Rojava nur für Landwirtschaft vorgesehen

Nach der Gründung der »Syrischen Arabischen Republik« wurde Rojava in erster Linie als ein Gebiet betrachtet, in dem intensiv landwirtschaftliche Güter produziert werden sollten und das so viel zur Versorgung ganz Syriens beitragen sollte. So wurde die Landwirtschaft in der Region Afrîn aufgrund des Mittelmeerklimas in zwei Jahrzehnten hauptsächlich auf Oliven umgestellt, daneben werden noch Trauben und Granatäpfel angepflanzt. Der ganze alte Waldbestand wurde abgeholzt und durch riesige Olivenbaumplantagen ersetzt, die Biodiversität erheblich eingeschränkt. Ähnliches geschah in der größten Region Rojavas, in Cizîrê. Hier wird heute fast nur Weizen angebaut. Große Felder aneinandergereiht, so weit das Auge reicht, und dazwischen keine Bäume. Diese sind nur in wenigen Dörfern zu finden. In geringem Maße werden noch Linsen, Bohnen und Baumwolle angebaut, die aber insgesamt nicht mehr als 10 % der Fläche ausmachen. Die Region Kobanê (Ain al-Arab) ist eine Kombination von Afrîn und Cizîrê; es sind fast nur Weizenfelder und Olivenhaine zu sehen.Getreidefelder im Kanton Cizire

Der syrische Staat streute auch systematisch Gerüchte, damit von den Landwirt*innen in Cizîrê nichts außer Weizen angepflanzt wird. So wurde in den Siebzigern das Gerücht verbreitet, die Tomaten auf der türkischen Seite der Grenze seien von einer Krankheit befallen, die sich nach Rojava und Syrien ausbreiten und die gesamten landwirtschaftlichen Erzeugnisse jahrelang zerstören könnte. So wurde nicht nur der Anbau von Tomaten, sondern von jeglichem Obst und Gemüse »freiwillig« unterbunden.

Nahe der Stadt Amûdê in der Region Cizîrê soll es bis vor etwa achtzig Jahren einen Wald mit Feuchtgebieten gegeben haben, wo Gazellen lebten. Diese begehrten Tiere wurden im Laufe der Geschichte durch die menschliche Jagd in ihrem Bestand erheblich dezimiert, doch die Ausrottung erfolgte erst im 20. Jahrhundert. Spätestens mit der landwirtschaftlichen Verwertung aller Bodenflächen außerhalb von Siedlungen, Verkehrswegen und für die Viehwirtschaft extensiv genutzten Flächen verschwanden viele Tier- und Pflanzenarten aus Rojava.

Die heutigen Diskussionen in Rojava gehen dahin, die Landwirtschaft so zu diversifizieren, dass so weit wie möglich Selbstversorgung realisiert werden kann. So wurde ab 2013 in Ansätzen damit begonnen. Doch hat sich in diesem Rahmen trotz eingeleiteter Diskussionen die Idee bisher leider kaum ausbreiten können, kleine Wälder anzulegen (in einem zusammenhängenden Biotopverbund) oder zumindest Bäume zwischen den Agrarflächen zu pflanzen. Das liegt unter anderem daran, dass das ökologische Bewusstsein insgesamt und auf dem Land einfach noch nicht weit genug verbreitet ist. Außerdem werden keine Bäume gepflanzt, weil dadurch Landfläche verloren ginge und es von keiner Seite Entschädigung gäbe. Zudem sind die Bäume vor vierzig bis fünfzig Jahren verschwunden und die Erfahrung mit Bäumen ist verloren gegangen; und es herrscht schließlich noch Krieg und daher sind Unsicherheiten verbreitet. Das Pflanzen von Bäumen und eventuell kleinen Wäldern müsste vom Volksrat Westkurdistan (MGRK) auf die Agenda gebracht werden, wenn die Biodiversität auf dem Land langfristig vergrößert werden soll, denn die Landwirt*innen werden es auf absehbare Zeit kaum von selbst tun.

Der Staat verbreitete seit den achtziger Jahren auch chemische Düngemittel und Pestizide in Syrien und Rojava, um die Produktivität zu erhöhen. Das wirkte sich zweifellos auf die Qualität des Bodens und Grundwassers aus; allerdings in begrenztem Maße. Mit der Revolution von Rojava und dem Embargo konnten die Landwirt*innen jedoch kaum noch an diese Mittel herankommen, weshalb sich ihr Einsatz auf ein Fünftel bis ein Viertel reduziert hat. Gerade die Großgrundbesitzer*innen – sie besitzen bis zu 20 % des gesamten Agrarlandes – schaffen das noch, da sie es sich leisten können. Die kleinen Landwirt*innen haben auf ihre Traditionen zurückgegriffen – die waren nicht ganz verschwunden – und auf traditionelle Düngung umstellen müssen. Einerseits reduziert das die Produktion spürbar, andererseits trägt es etwas zum Boden-, Gewässer- und Naturschutz bei. Zwangsweise wird auf die biologische Produktion umgestellt. Angesichts der Tatsache, dass in Cizîrê genügend Weizen produziert wird, ist der Produktionsrückgang aus Ernährungssicht absolut kein Problem. Dennoch müssten für die betroffenen Landwirt*innen andere Wege des Ausgleichs – wie Förderung oder gewisse Vorzüge – gefunden werden.

Wasserknappheit kündigt sich an

Seit zwei Jahren ist die sich seit Jahrzehnten ankündigende Wasserknappheit direkt wahrnehmbare Realität geworden. Das Flussbett des Xabûr ist trocken, nur zwei bis drei Monate während des Winters fließt hier etwas Wasser. Der Fluss kommt aus Nordkurdistan, wird in Serê Kaniyê (Ras al-Ain) reichlich durch weitere Quellen gespeist und fließt weiter nach Hesekê (Al-Hasaka). Weiter südlich vereinigt er sich mit dem Euphrat (Firat). So sieht es auch mit dem großen Bach aus, der aus dem Gebiet Dêrik (Al-Malikiya) kommend – er entspringt in den Bagok-Bergen auf nordkurdischer Seite – ebenfalls nach Hesekê fließt, wobei er im Jahr noch vier bis fünf Monate Wasser führt. Nur der kleine Fluss Çaxçax, der zumeist aus den Bergen Mêrdins (in Nordkurdistan) gespeist wird und über Nisêbîn (Nusaybin) nach Qamişlo (Al-Qamishli) fließt, führt das ganze Jahr über Wasser. Er fließt ebenfalls weiter nach Hesekê, wo sich alle drei genannten Fließgewässer treffen.

Der Çaxçax hat allerdings eine äußerst schlechte Wasserqualität, weil die 100 000-Einwohner*innen-Stadt Nisêbîn ihre Abwässer ungeklärt einleitet. Eine Kläranlage ist geplant, ihr Bau jedoch wegen finanzieller Schwierigkeiten der Kommune erst einmal gestoppt worden. Die Wasserqualität ist so schlecht, dass ein Bad in diesem Fluss noch am selben Tag zu Krankheiten führen würde. Und wenn wir bedenken, dass nicht wenige Landwirt*innen aus dem Çaxçax Wasser für die Bewässerung ihrer Felder entnehmen, können wir uns die gesundheitlichen Folgen leicht ausmalen. In Gesprächen mit der Stadtverwaltung von Qamişlo war schnell zu erkennen, dass diese und andere Probleme längst im Bewusstsein angekommen sind, aber wegen begrenzter finanzieller und technischer Mittel wenig Möglichkeiten zur Abhilfe bestehen. Eines wollen sie aber tun: die Säuberung der Hänge am Flussbett innerhalb der Stadt. Denn viele Menschen werfen ihren Müll von Brücken und Straßenrändern auf diese Hänge oder direkt in den Fluss. Hier wird überlegt, in Zusammenarbeit mit den angrenzenden Bewohner*innen, Geschäftsinhaber*innen und Schulen eine Kampagne durchzuführen. Dies wäre wichtig, um ein Bewusstsein für die Fließgewässer zu schaffen. Gleichzeitig sollte die Stadtverwaltung von Qamişlo Druck auf die Stadtverwaltung Nisêbîn ausüben, endlich den Bau einer Kläranlage wieder aufzunehmen.

Die Gründe für den dramatischen Rückgang des Wassers in den Flussläufen sind vielfältig. Da ist zunächst die Wasserpolitik des türkischen Staates. Der baut Talsperren und staut das Wasser, um es vor allem für die Bewässerung riesiger Flächen zu nutzen. Die für die Trinkwasserversorgung ausgeleitete Menge ist dagegen viel geringer und damit fast irrelevant. Auch ohne Stauseen wird aus den Flüssen und Bächen mittels Entnahmeanlagen viel Wasser zur Bewässerung abgezweigt. Hinzu kommt, dass es innerhalb des türkischen Staatsgebietes keine Kontrolle über Brunnen gibt, die Grundwasser zur Bewässerung fördern. Mit neuen und günstigen Motoren wird seit zehn bis fünfzehn Jahren deutlich mehr Grundwasser gefördert als früher. Das hat dramatische Folgen für die Gewässer auf nordkurdischer Seite, die sich katastrophal und existenzeinschränkend auf Rojava auswirken. Ein Blick von einer Anhöhe an der Grenze zeigt, dass auf nordkurdischer Seite die Felder deutlich grüner sind als in Rojava.
Neben der türkischen Wasserpolitik trägt die Klimaveränderung Mitschuld an der Wasserknappheit. Seit den neunziger Jahren gibt es im Einzugsgebiet von Euphrat und Tigris/Dicle (Nordkurdistan und Rojava) bis zu 10 % weniger Niederschlag, was sich beim Abfluss in den Flussbetten deutlich bemerkbar macht.

Schließlich trägt auch die Wasserpolitik in Rojava und Syrien dazu bei, dass die Flussläufe deutlich weniger Wasser führen. 30 000 Brunnen in der Cizîrê-Region werden seit Jahrzehnten für die Bewässerung betrieben. Auch wenn dabei gegenüber Nordkurdistan deutlich weniger Wasser pro Hektar verbraucht wird (der syrische Staat ging/geht mit seinen Gewässern besser um als die Türkei), sind es doch erhebliche Wassermengen, die entnommen werden.

Die Flüsse führen so wenig Wasser, dass der große Stausee kurz vor Hesekê leer war. Ursprünglich zehn Kilometer lang, sei er seit zehn Jahren erheblich geschrumpft, seit zwei Jahren gänzlich verschwunden, so mein Begleiter. Das war Mitte Mai, also noch vor dem Sommer. Es gab nur mehrere »Pfützen« von durchschnittlich jeweils hundert Metern Durchmesser. Das lag an dem heftigen Niederschlag zwei Stunden zuvor. Übrigens soll es seit Jahren nicht so geregnet haben.

Im Süden der Region Cizîrê ist das Wasserproblem äußerst kritisch. Die drei Flüsse aus dem Norden führen kaum noch Wasser, obwohl sie sich bereits vor Hesekê vereinigen. Das Grundwasser um Hesekê ist durch die Landwirtschaft so sehr kontaminiert, dass es als Trinkwasser nicht mehr geeignet ist. So kommt das Trinkwasser aus Serê Kaniyê über Leitungen. Geschützt wird es von den Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG/YPJ), aber an die gesamte Bevölkerung von Hesekê verteilt. Das bedeutet, dass die Rätestrukturen und die YPG/YPJ das Wasser hier nicht als Waffe einsetzen, was vorbildlich für ganz Syrien sein sollte.

Wenn in den Flussläufen die meiste Zeit des Jahres über kaum Wasser vorhanden ist, bedeutet das auch, dass der Grundwasserpegel stark gesunken ist. In den Gesprächen, die wir führen – u. a. mit dem Umweltminister der Übergangsregierung des Kantons Cizîrê, Lokman Ahde –, wird uns gesagt, dass vor wenigen Jahrzehnten noch Wasser aus 10 bis 20 Metern unter dem Grund aus Brunnen gefördert wurde. Inzwischen wird es aus einer Tiefe von 50 bis 150 Metern geholt.

Eine schnelle Lösung gibt es nicht. Denn selbst mit einer extremen Wende in der Wasserpolitik des türkischen Staates und Rojavas hin zu deutlich weniger Wasserverbrauch und sogar bei mehr Niederschlag wird es Jahrzehnte dauern, bis der Grundwasserspiegel wieder nennenswert steigt. Von der Türkei wird es eine sozial-ökologischere Wasserpolitik so leicht nicht geben; außer es kommt zu gravierenden politischen Veränderungen. Rojava allein kann wenig beitragen, weil das meiste Wasser unter seinem Grund aus Nordkurdistan kommt.

Die demokratische Selbstverwaltung in Rojava kann Maßnahmen treffen, um die Auswirkungen zu lindern. Zunächst sollten die Zahl und Fördermengen der Brunnen kontrolliert werden. Dafür müssten neben der Einführung von Kontrollmechanismen vor allem Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung getroffen werden. Wenn die Bevölkerung überzeugt ist, weniger und effektiver Wasser zu nutzen, dann wird das viel mehr bringen, als den Menschen bei Zuwiderhandlung mit Strafen zu drohen. So ist zu überlegen, ob nicht ein Teil des Agrarlandes aus der Bewässerung herausgenommen wird. Denn Weizen gibt es genug in dieser Region. Weniger Wasser muss kein grundsätzliches Hindernis sein, die Produktion zu diversifizieren. Neue Feldfrüchte sollten keine oder wenig Bewässerung benötigen.
Über sparsamere Bewässerungstechniken müssten auch Diskussionen geführt werden. Das wird sich aber angesichts des Embargos kurzfristig schwierig gestalten.

Müllentsorgung – ein weiteres ernstes Problem

Ein weiteres ökologisches Problem ist die Sauberkeit der Ortschaften und die Müllentsorgung, was gleichzeitig eine Gesundheitsfrage ist.

Nach der Befreiung der Ortschaften Rojavas brach in mehreren Städten auch die von den Kommunalverwaltungen betriebene Müllentsorgung zusammen. Während in einigen Städten wie Kobanê mit der Revolution die Kommunalverwaltung mit fast demselben Personal direkt weitergeführt werden konnte, gab es in Qamişlo mehrere Monate lang eine problematische Situation. Die Kommunalverwaltungen des syrischen Staates zogen sich in Qamişlo auf die wenigen noch staatlich kontrollierten Stadtteile zurück. So kam es, dass im Herbst 2012 und Winter 2013 der Müll in den meisten Stadtteilen von Qamişlo liegen blieb. In wenigen Wochen organisierten sich aber Jugendliche der »Revolutionären Jugend« und begannen Kampagnen zum Müllsammeln in den Straßen. Auch die Frauenbewegung »Yekîtiya Star« beteiligte sich aktiv an diesen Kampagnen, die zu mehr Bewusstsein in der Gesellschaft führten. Damit wurde der Prozess des Aufbaus neuer Kommunalverwaltungen in Qamişlo und anderen Orten beschleunigt.

Ab 2014 gibt es in allen Orten eine funktionierende Müllabfuhr und -entsorgung. Dafür wurden einige zu Müllwagen umfunktionierte Pick-ups, Kleinlastwagen, Bagger angeschafft. Die Stadtverwaltung von Qamişlo zum Beispiel verfügt über sieben Wagen, die allerdings nicht so effektiv wie gewünscht arbeiten und manchmal wegen Reparaturarbeiten ausfallen. Wegen des Krieges und des Embargos ist es überaus schwierig, Müllwagen und anderes Gerät anzuschaffen.

Der gesammelte Müll wird zu Gruben gebracht, dort deponiert und zum größten Teil verbrannt. Die jetzt verwendeten Gruben wurden fast alle vor 2012 angelegt. Am System der Müllabfuhr und -entsorgung hat sich also grundlegend nichts geändert. Trotzdem sind diese wilden Mülldeponien ökologisch und gesundheitlich ein ernstes Problem für alle Lebewesen. Es dürfte sich schnell ableiten, dass das Grundwasser dauerhaft kontaminiert wird. Und wenn die Deponien nahe an Siedlungen liegen, ist die Gesundheit von Menschen und Tieren durch herumfliegenden Müll und den Gestank gefährdet.
In Qamişlo haben wir den Fall, dass die Trinkwasserbrunnen nicht mal einen Kilometer von der Deponie entfernt sind. Diese größte Mülldeponie von Cizîrê, die auch den Müll einiger umliegender Orte wie Amûdê annimmt, stellt eine große Gefahr für die Wasserversorgung von Qamişlo dar. Ärzt*innen vom regionalen Gesundheitsrat – der koordiniert die Gesundheitspolitik in Rojava – geben an, dass in Qamişlo Kinder prozentual etwas überdurchschnittlich von durch Wasser übertragenen Krankheiten betroffen sind.

Die Grube für den Müll von Qamişlo wurde 1999 angelegt, obwohl dieses Problem bekannt war. Denn die Trinkwasserbrunnen fördern seit über dreißig Jahren. Die Kommunalverwaltung diskutiert mehrere Optionen. Die einfachste und günstigste Lösung wäre eine neue Grube weiter im Süden der Stadt, sodass die Trinkwasserbrunnen nicht mehr betroffen wären. Dort gäbe es auch einen geeigneten Platz, doch wären hier zwei Dörfer direkt betroffen. Die teure und vernünftigere Lösung wäre die Fertigstellung der Müllverbrennungsanlage direkt neben der jetzigen Müllhalde. Diese Anlage konnte wegen des Krieges in Syrien nicht mehr zu Ende gebaut werden; zu 75 % dürfte sie fertiggestellt sein, so die zuständigen Fachkräfte der Müllentsorgung. Das Problem dabei sind wieder das Embargo und die politisch unsichere Lage. Selbst wenn ein Unternehmen gefunden werden könnte, müsste es über die Türkei oder Südkurdistan mit den notwendigen Geräten und Maschinen einreisen können. Welche Geräte und Maschinen fehlen, konnte nicht abschließend festgestellt werden. In Rojava gibt es höchstwahrscheinlich keine Fachkräfte, die das bewerkstelligen könnten. Zumindest wurde uns von niemandem berichtet und wir sind niemandem begegnet.

In der ganzen Müllfrage in Rojava wirkt es sich allerdings positiv aus, dass die Menge des Mülls mit der Revolution spürbar abgenommen hat. Das liegt zum einen daran, dass der Warenimport nach Rojava aufgrund des Embargos durch die Türkei und Südkurdistan erheblich reduziert wurde. Und zum anderen daran, dass die Menschen aufgrund der Mangelwirtschaft die Waren, Verpackungen, Geräte etc. wiederverwenden oder einem anderen Zweck zuführen.

Dennoch kommt immer noch manches zu viel nach Rojava oder wird nicht wiederverwertet, vor allem Plastiktüten. An manchen Stadtgrenzen liegen oder fliegen auf freien Flächen Hunderte und Tausende Plastiktüten herum. Das stellten wir in bedrohlicher Weise fest, als wir nach Hesekê einfuhren.

Luftverschmutzung

Weil in der Cizîrê viel Diesel raffiniert und verbraucht wird, leidet die Luftqualität in den Städten erheblich. Der Benzinverbrauch ist teilweise durch die Benutzung von Diesel ersetzt worden, indem die Menschen auf Dieselkraftwagen umgestiegen sind. Durch den vorhandenen Diesel hat die Zahl der PKWs und anderen Kraftwagen nach der Revolution kaum abgenommen. Hinzu kommt, dass die Technik der Rohölraffinierung nicht auf dem Niveau der Vorrevolutionszeit ist. Das ist ein zusätzlicher Faktor für die Zunahme der Luftverschmutzung. Noch problematischer sind die zahlreichen Dieselgeneratoren, die im Gewerbe und in den Haushalten ersatzweise verwendet werden, da oft nur vier bis fünf Stunden täglich Strom verteilt wird. Sie sind oft in den Straßen zu hören, tragen in erheblicher Weise zum Anstieg der Luftverschmutzung bei und sind mit einem hohen Geräuschpegel verbunden. Beides führt gleichzeitig zu ernsthaften Schäden der Gesundheit der Bevölkerung. Je länger dieser Zustand andauert, desto gravierender werden die Folgen sein.

Erdölproduktion

Eine beträchtliche ökologische Zerstörung geht auch mit der Förderung, Raffinierung und Verteilung des Rohöls einher. Die Erdölquellen von Cizîrê liegen in dem Gebiet zwischen Tirbespî (Al-Qahtaniya) und Dêrik um die Stadt Rimelan herum. Wie auch weltweit üblich wirkt sich die Erdölwirtschaft in Rojava zerstörerisch auf große Landschaftsflächen aus. Neben der Kontaminierung des Bodens an der Förderstelle geschieht die eigentliche Verschmutzung durch Raffinierung und Transport.

Die Raffinierung des Erdöls aus der Cizîrê-Region fand bis 2011 in Homs statt, also außerhalb Rojavas. Mit der Revolution wurde in Cizîrê selbst eine Möglichkeit dafür geschaffen, allerdings mit einfachen Mitteln, sodass Umweltstandards kaum eingehalten werden. Dabei wird der Boden auch kontaminiert. Mindestens genauso schlimm ist, dass die kontaminierten Abwässer ungeklärt in einen Bach abgelassen werden. Die Abwassermenge ist nicht groß, reicht aber aus, um den ganzen Bach zu verschmutzen. Der fließt fast fischfrei von Rimelan in südwestlicher Richtung nach Hesekê. Entlang mehreren Dutzend Kilometern kann dieses Wasser für die Bewässerung der Felder nicht benutzt werden. Kinder sind gefährdet, wenn sie an diesem Bach spielen.Ölförderung im Kanton Ciziere

Diese Gefahren sind den Rätestrukturen bewusst. Es wird immer wieder betont, dass sie auch etwas dagegen tun würden, wenn ihnen nicht die technischen Mittel und Kapazitäten fehlten. Angesichts des Embargos ist da in naher Zukunft auch kaum etwas zu machen. Umweltminister Lokman Ahde hat darauf auch besonders verwiesen. Er ist bemüht, mit anderen vor Ort die Bevölkerung auf die Gefahr hinzuweisen. Insgesamt stehen die Menschen in Cizîrê vor dem Dilemma, Erdöl zu raffinieren, so für Stromversorgung und Mobilität zu sorgen, damit aber auch die genannten Zerstörungen und Gefahren für Natur und Mensch hinzunehmen, oder andererseits auf Strom, Fahrzeuge und gravierende ökologische Zerstörung zu verzichten. Auf absehbare Zeit ist der Widerspruch nicht zu lösen, doch lassen sich die negativen Auswirkungen kurzfristig minimieren und die Bevölkerung kann über die Gefahren informiert werden. Geeignete Maßnahmen sind mit geringen Mitteln und wenig Geld zu realisieren.