Die PYD als Störfaktor

Die Zerstörung Kobanês geht auf das Konto von Erdoğan

Elmar Millich

»Assad ist längst der größte Profiteur des IS-Terrors« (welt.de, 03.11.); »Die USA bomben den Weg für das Assad-Regime frei« (taz, 24.10.); »Wie die Vereinten Nationen Assad stärken« (FAZ, 20.11.). Seitdem die USA in einem Bündnis mit fragwürdigen arabischen Potentaten den Islamischen Staat (IS) zum Hauptfeind in der Region erklärt haben und ihn in Irak und Syrien mit Luftschlägen angreifen, herrscht im politischen Establishment und in den Medien die Angst, der Westen könnte sich mit Assad als kleinerem Übel arrangieren und der ersehnte Gouvernment Change in Damaskus ausbleiben. Jetzt sind laut dem Artikel von Harald Etzbach in ak 599 auch die KurdInnen mit Schuld, weil ihr Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) in Kobanê zu viel Aufmerksamkeit auf sich zieht: »Die einseitige Unterstützung der kurdischen Selbstverwaltung spielt dem Assad-Regime in die Hände«

In seinem Artikel wirft Harald Etzbach der Linken vor, mit ihrer einseitigen Solidarität zugunsten der kurdischen Selbstverwaltungsgebiete (Rojava) die demokratische Opposition in Syrien zu ignorieren und damit die Herrschaft Assads zu konsolidieren. AktivistInnen der Kampagne TATORT Kurdistan werden dort in Bezug auf Rojava »romantische Revolutionsfantasien« ohne Blick für die gesamtsyrische Situation unterstellt. Nun ist es prinzipiell ein fraglicher Stil, verschiedene Gruppen, die der internationalen Solidarität bedürfen, gegeneinander auszuspielen, aber die Stoßrichtung des Artikels zeigt sich schon in der Überschrift, die in Übereinstimmung mit den meisten bürgerlichen Medien, aber auch der türkischen Regierung, den Sturz Assads als oberste Priorität sieht.Plakatwand im Widerstandscamp an der Grenze zu Kobanê

Nun klingt es immer gut, Solidarität mit einer »demokratischen Opposition« und für die »syrische Revolution« einzufordern, aber das ersetzt keine Analyse des Geschehens und der aktuellen Kräfteverhältnisse in Syrien. Es ist leider eine Tatsache, dass der demokratische Aufstand von Teilen der Bevölkerung in Syrien 2011 sehr schnell von ausländischen Interventionsmächten, allen voran der Türkei, Saudi-Arabien und Katar, gekapert wurde. Von den westlichen Staaten wurde dies wohlwollend unterstützt, sah man doch eine geostrategische Chance, im Zuge der Eindämmungspolitik gegen den Iran den »schiitischen Bogen« Teheran, Damaskus, Hisbollah zu zerschlagen und hoffte, nach dem innerhalb von einigen Monaten erwarteten Zusammenbruch der syrischen Staatsstrukturen nach bewährtem Muster eine vom Ausland abhängige Pseudoregierung installieren zu können. Die kurdische Partei der Demokratischen Einheit (PYD) erwies sich in diesem Spiel jedoch als Störfaktor, was ihr bis heute den Vorwurf einbrachte – so auch in einer Fußnote Etzbachs –, durch ein nie belegtes Geheimabkommen mit der syrischen Zentralregierung die gesamtsyrische Revolution aus Eigeninteresse torpediert zu haben.

Dass die PYD für ihr Verhalten, eine Militarisierung der Protestbewegung zu verhindern, gute Gründe hatte, zeigt ein kurzer Rückblick: Nicht umsonst konstituierte sich 2011 die Freie Syrische Armee (FSA) in der Türkei und ebenso das von der Muslimbruderschaft dominierte Exilbündnis »Syrischer Nationalrat« (SNC). Die sunnitische Dominanz und die offensichtliche politische Abhängigkeit dieses Oppositionsbündnisses von den westlichen und arabischen Staaten, vor allem aber von der Türkei, stießen nicht nur bei den KurdInnen verständlicherweise auf Skepsis, sondern auch bei der Bevölkerungsgruppe der verschiedenen christlichen Konfessionen sowie natürlich auch der syrischen AlawitInnen. Jede Anerkennung kurdischer Forderungen wurde von diesem Bündnis auf Druck der Türkei zurückgewiesen bzw. die Diskussion darüber auf die Zeit »nach der Revolution« verschoben. Die PYD hielt sich daraufhin von diesem Bündnis fern und engagierte sich in dem innersyrischen Bündnis »Nationales Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel« (NCC), das sich für eine Verhandlungslösung innerhalb Syriens und gegen auswärtige Militärinterventionen aussprach. Das erklärte Ziel der kurdischen Selbstverwaltung war es – auch gegen den Widerstand anderer kurdischer Parteien –, den zunehmenden Stellvertreterkrieg aus den kurdischen Gebieten herauszuhalten, was ihr nicht nur große Teile der kurdischen Bevölkerung dankten, sondern auch dort lebende religiöse und ethnische Minderheiten. Zudem fanden dort Millionen Flüchtlinge aus den umkämpften Teilen Syriens zumindest vorrübergehend Schutz. Dass trotz dieses Konzepts heute Kobanê einer Trümmerwüste wie Homs und Hewlêr (Aleppo) gleicht, haben die KurdInnen der Unterstützung des IS durch den türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan zu verdanken und nicht Assad.

Mittlerweile ist es kein Geheimnis, dass es eine einheitliche FSA schon lange nicht mehr gibt. In den vom Autor erwähnten umkämpften Stadtteilen herrschen neben lokalen Aufständischen verschiedenste Milizen, die ihre Bündnisse danach ausrichten, wer ihnen gerade Sold und Waffen bezahlt. Die Zivilbevölkerung, der die Flucht aus diesen Ruinenstädten noch nicht gelungen ist, ist die Geisel dieses Krieges, auf welche die syrische Armee bei ihren Bombardierungen keinerlei Rücksicht nimmt. Aber auch die sogenannte moderate Opposition hat kein Problem damit, etwa vom Süden von Damaskus aus Wohngebiete unter Kontrolle der syrischen Armee unter Mörserbeschuss zu nehmen oder Wasser- und Energieinfrastrukturen im Umland zu zerstören, worunter ebenfalls hauptsächlich die Zivilbevölkerung leidet. Laut internationaler Einschätzung sind in Syrien 1 500 verschiedene Milizen aktiv. Wie hoffnungslos die Situation ist, zeigt das Vorhaben der USA, nun noch einmal 5 000 »gemäßigte« Oppositionelle militärisch auszubilden und gegen den IS und möglicherweise irgendwann auch gegen Assad in den Krieg zu schicken. Auf der politischen Seite sieht es nicht besser aus. Die Bedeutungslosigkeit der von den »Freunden Syriens« als alleinige legitime Vertretung Syriens anerkannten syrischen Nationalen Koalition auf das Geschehen ist so offensichtlich geworden, dass sie in den Medien im letzten Jahr kaum noch Erwähnung fand.

In dieser Situation von einer »syrischen Revolution« zu sprechen, ist verklärend. Auch der Begriff Bürgerkrieg trifft die Situation nicht zur Gänze, handelt es sich doch um einen mittlerweile internationalisierten Konflikt, in dem Iran, Türkei, Saudi-Arabien und Katar direkt oder indirekt als bewaffnete Akteure auftreten und das militärische Geschehen dominieren. Die syrische Mittelschicht sitzt, falls ihr die Flucht noch nicht gelungen ist, zum großen Teil auf gepackten Koffern nach Europa. Dort verspürt niemand Lust, sich in einem Krieg zwischen syrischer Armee und dschihadistischen Gruppierungen zerreiben zu lassen. Das betrifft auch die kurdischen Gebiete. In Rojava mangelt es an ÄrztInnen, IngenieurInnen und ähnlichen SpezialistInnen, die vor der Ungewissheit nach Europa oder in andere Teile Kurdistans geflohen sind. Die in Syrien verbliebene Bevölkerung ist in ihrer Loyalität zu Assad tief gespalten. Es gibt nicht den Aufstand »der SyrerInnen« gegen Assad, die sich vom Westen alleingelassen fühlen, wie es in vielen Medien und Teilen der Linken tendenziös dargestellt wird. Wohl aber gibt es in allen Teilen Syriens Menschen, die inmitten der Kriegsgrausamkeiten menschliche Werte verteidigen. Unter großem Verfolgungsdruck aller Seiten versuchen sie, die Grundversorgung an medizinischer Hilfe und Nahrungsmitteln zu sichern, Bildungsarbeit zu leisten und politischen Widerstand aufzubauen. Selbstverständlich gilt diesen Menschen unser Respekt und unsere Solidarität. Wenn sich Gruppen wie »Adopt a Revolution« dort engagieren, ist das zu begrüßen, aber warum muss man das gegen die Solidarität mit Rojava ausspielen?

Solidarität mit der syrischen Bevölkerung heißt für die Linke zuerst einmal, diesen Krieg zu stoppen. Das bedeutet allem voran, den Zufluss an Waffen, KämpferInnen und Soldzahlungen nach Syrien zu verhindern. Ebenfalls zu unterstützen ist der von vielen angefeindete kürzlich genannte Vorschlag des Syrien-Beauftragten der Vereinten Nationen, Staffan de Mistura, aufgrund der Zersplitterung der bewaffneten Kräfte zunächst lokale Friedensübereinkommen zu treffen und darüber zu einer gesamtsyrischen Lösung zu kommen. Bewaffnete Gruppen, die sich aufgrund ihrer Ideologie oder Außensteuerung diesem Lösungsansatz entziehen, wie der IS und die Al-Nusra-Front, müssen auf breiter Basis bekämpft werden, wie es die kurdischen YPG/YPJ ja auch mit Teilen der verbliebenen FSA in den Kantonen Kobanê und Afrîn praktizieren. Wer glaubt, alle aktuellen Übel in Syrien lägen in der Person Assads und mit seinem Sturz würden sich die Dinge automatisch zum Besseren wenden, schürt eine gefährliche Illusion. Dazu sollte ein Blick nach Libyen reichen, wo auch das in den letzten Monaten oft wiederholte Märchen widerlegt wird, mangelnde militärische Unterstützung durch den Westen (oder gar mangelnde Solidarität der westlichen Linken) hätte in Scharen anfänglich demokratische Oppositionelle zwangsläufig in die Hände der Islamisten getrieben. Eine realistische Analyse der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse sollte für Linke seit Marx eine Selbstverständlichkeit sein und hat nichts mit einer »orientalistischen Brille« zu tun, wie der Autor des ak-Artikels suggeriert.

Warum gibt es die von Etzbach hinterfragte weltweite Solidarität mit Rojava angesichts der Bilder von Kobanê? Die kurdische Bewegung hatte es bis vor Kurzem geschafft, die von ihr kontrollierten Gebiete im Norden Syriens aus einem zunehmend internationalisierten brutalen Kriegsgeschehen herauszuhalten und dort unter schwierigsten Bedingungen die verschiedenen ethnischen und religiösen Bevölkerungsgruppen in ihre Selbstverwaltung mit einzubeziehen. Die überragende Beteiligung der Frauen an der Verteidigung und Zivilverwaltung in einer patriarchal geprägten Region sorgt zusätzlich für weltweites Interesse. Die KurdInnen in Syrien haben sich aber nicht auf ihrer »Insel des Guten« eingeigelt, sondern bekanntermaßen im benachbarten Irak im Sommer dieses Jahres zehntausende ÊzîdInnen und ChristInnen im Şengalgebirge vor dem Tod gerettet. Trotz der vorangegangenen Ränkespiele von Mahmûd Barzanî, dem Präsidenten der kurdischen Autonomieregion im Nordirak, gegen Rojava verteidigen GuerillakämpferInnen der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) Hewlêr (Arbil) gegen den IS. Es war der maßgebliche Einfluss der türkischen Regierung, der Krieg und Zerstörung mittels des IS nach Kobanê brachte. Als der Kovorsitzende der PYD, Salih Muslim, dann im Oktober zu Gesprächen in Ankara war, um angesichts der dramatischen Lage über einen Hilfskorridor für Kobanê zu verhandeln, bekam er als Bedingung diktiert, die Volksverteidigungseinheiten YPG müssten sich dem Oberkommando der FSA (also der Türkei) unterstellen und gemeinsam gegen Assad kämpfen. Von dieser Auffassung scheint auch Harald Etzbach beseelt, ohne die Motive der Türkei zu hinterfragen. Außenpolitische Einflussnahmen auf den Konflikt in Syrien werden in dem Artikel auf jeden Fall konsequent ausgeblendet, um das einfache Bild »Gut« (die syrische Revolution) gegen »Böse« (das Assad-Regime) nicht zu stören. Der an die Kampagne TATORT Kurdistan gerichtete Vorwurf der »Revolutionsfantasien« fällt auf den Autor zurück und zwar in Bezug auf seine Einschätzung der leidvollen Situation in Syrien.

Der genannte Artikel von Harald Etzbach in ak 599: »Schluss mit der selektiven Solidarität, Die einseitige Unterstützung der kurdischen Selbstverwaltung spielt dem Assad-Regime in die Hände« ist im Internet unter: http://www.akweb.de/ak_s/ak599/28.htm zu finden.