»Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan«

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Buchbesprechung von Elmar Millich

Spätestens seit dem Vormarsch des Islamischen Staates (IS) im Irak und den nun seit Mitte September anhaltenden Kämpfen um die syrisch-kurdische Stadt Kobanê stehen die kurdischen Gebiete im Mittleren Osten im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Besonders die selbstverwalteten Regionen im syrischen Teil, von den Kurden Rojava genannt, erfahren aufgrund ihres multiethnischen Zusammenlebens, der angestrebten Gleichberechtigung der Geschlechter und des rätedemokratischen Ansatzes aktuell weltweit viel Solidarität. Zeitnah dazu ist jetzt das Buch »Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan« von Thomas Schmidinger erschienen. Thomas Schmidinger, Politikwissenschaftler an der Universität Wien, hielt sich Anfang 2013 und 2014 in Rojava auf und führte dort Gespräche mit unterschiedlichen Akteuren.urf 10 12 14 mahser miseynter koy9

Im ersten Teil des Buches gibt Schmidinger einen geschichtlichen Überblick über die Region, die unterschiedlichen dort lebenden Bevölkerungsgruppen und auch die Unterdrückungsgeschichte durch den syrischen Zentralstaat. Auch die Ereignisse ab 2011, die zum weitgehenden Rückzug der Assad-Regierung aus den kurdischen Gebieten führte, bis hin zu den aktuellen Kämpfen um Kobanê, finden in diesem Teil ihren Niederschlag. Im zweiten Teil des Buches unter der Überschrift »Stimmen aus Rojava« werden Interviews wiedergegeben, die Schmidinger während seines Aufenthalts führte. Ihm ist es wichtig, wie der Autor betont, dabei sowohl die Kräfte, die der Partei der Demokratischen Einheit (PYD) nahestehen, als auch deren erklärte innerkurdische Gegner zu Wort kommen zu lassen.

Darin liegt aber auch eine Schwäche des Buches. Den innerkurdischen Auseinandersetzungen, in denen naturgemäß viel Propaganda steckt, wird hier übermäßig Raum gegeben. Das Dilemma beschreibt Schmidinger selbst, indem er am Anfang des Buches einräumt, bei seinem ersten Besuch 2013, vermittelt über einen syrischen Bekannten aus Österreich, hauptsächlich mit PYD-Gegnern in Kontakt gewesen zu sein, während sein Aufenthalt 2014 auf Einladung der PYD erfolgte, mit der entsprechenden Auswahl an Gesprächspartnern. Wem er da glauben soll, kann er sich nicht so recht entscheiden und überlässt das dem geneigten Leser und der Leserin, die dafür natürlich überhaupt keine Einschätzung zur Hand haben.

Bei den zentralen Diskussionspunkten, ob die PYD ein geheimes Abkommen mit der Assad-Regierung hat, wer für Morde an kurdischen Oppositionellen die Verantwortung trägt und ob die PYD ein totalitäres Regime führt, wie von sich meist im Exil aufhaltenden Oppositionellen vorgetragen wird, hält sich der Autor heraus. Das muss man ihm nicht zum Vorwurf machen, aber er vermittelt auch keine Hintergründe über die Rolle dieser Oppositionsparteien, die sich weder am Aufbau noch an der Verteidigung Rojavas beteiligt haben, sondern ihre ganze Energie einsetzen, die PYD und die aufgebauten Selbstverwaltungsstrukturen im Ausland zu diskreditieren. Parallelen zu dem jahrzehntelangen Gebaren der kubanischen Exilgemeinde in Miami sind unübersehbar.

Eine außenpolitische Interessenanalyse der unmittelbaren Nachbarn von Rojava, also der Türkei und der kurdischen Autonomieregion im Nordirak unter Mahmûd Barzanî, wird im Buch allenfalls angeschnitten, ist aber aufgrund der humanitären und wirtschaftlichen Embargohaltung entlang dieser Grenzen für die Situation in Rojava mitentscheidend und auch für eine Einschätzung der oben genannten Oppositionsparteien, die von diesen Regionalmächten mehr oder weniger stark abhängig sind.

Keine Würdigung finden im ersten allgemeinen Teil dieses Buches die rätedemokratischen Ansätze der Selbstverwaltung, die ja gerade in der Linken weltweit für Interesse sorgen. Entsprechende Strukturen werden ärgerlicherweise gar als »Vorfeldorganisationen« der PYD abgekanzelt. Die vielfältigen Bemühungen der Bevölkerung in Ökonomie, Gesundheit und Bildung, trotz Wirtschaftsembargo und Kriegssituation ein gleichberechtigtes würdevolles Leben zu führen, kommen allenfalls im zweiten Interview-Teil vor.

Bei aller oben genannten Kritik stellt das Buch jedoch kein Pamphlet gegen das Projekt Rojava oder die PYD dar, sondern liefert im ersten Teil kompakt die wesentlichen Entwicklungen, Akteure und Konflikte in Syrien, die zur aktuellen Situation geführt haben, wenn auch mit einer inhaltlichen Priorisierung, die man durchaus in Frage stellen darf.