Kurze Einordnung der iranischen Politik

Für die Freiheit aller Völker in einem demokratischen Iran

Şêrzad Kemanger, Ratsmitglied der Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (PJAK)

In Anbetracht der Gesellschaft im Iran blickt mensch auf eine weite Vielfalt verschiedener Kulturen. Der Iran birgt ein regelrechtes Mosaik unterschiedlicher ethnischer und religiöser Gruppen. Es lässt sich durchaus behaupten, dass sämtliche nationalen und konfessionellen Identitäten des Mittleren Ostens ebenfalls im Iran vertreten sind. Der Versuch der iranischen Staatselite, diese Vielfalt an nationalen Identitäten unter eine auf Nationalismus oder Klerikalismus basierende hegemoniale Ideologie zu zwängen, macht in dessen Folge gesellschaftliche Widersprüche und Probleme unvermeidlich. Im derzeitigen System herrscht ein äußerst klerikalfaschistischer Nationalismus, dessen größter Widerspruch in seinem Verhältnis zur kapitalistischen Moderne liegt. Auf der einen Seite fußt das System des Iran auf der kapitalistischen Moderne, auf der anderen Seite betreibt es effektive Gegenpropaganda und Hetze gegen sie, um seine Macht zu legitimieren. Außerdem verfügt der Iran über lange Erfahrung im Erdrücken und Ersticken revolutionärer und demokratischer Entwicklungen.

Wir durchleben eine Phase der Krise in der gesamten Region des Mittleren Ostens und damit verbunden eine Zerfalls­phase nahezu sämtlicher Herrschaftssysteme aller Staaten in der Region. Vor allem das System des iranischen Staates zeigt starke Symptome und Erscheinungsformen einer Krise. In Anbetracht der regionalen Entwicklungen und aufgrund der herrschenden nationalstaatlichen Mentalität im Iran besteht die Möglichkeit des Einbruchs und des Sturzes des iranischen Despotismus.

Bis zum heutigen Tage ist keine wirkliche wissenschaftliche Recherche über den Widerstand der Völker des Iran gegen den Schah und die Despoten des heutigen Regimes angestellt worden. Ebenso wenig ist über ihr gesellschaftliches, wirtschaftliches und politisches Leben bekannt. Wesentliche Entdeckungen der geschichtswissenschaftlichen Zunft lassen auf sich warten. Die meisten iranischen und ausländischen HistorikerInnen maßen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation der verschiedenen Volksgruppen keine Bedeutung bei. Es besteht wohl kein Interesse daran, sich gegen die herrschende Staatsdoktrin aufzulehnen. Ebenso haben es die iranischen Intellektuellen bisher nicht vermocht, einen produktiven Beitrag gegen die schiitische Modernität zu leisten. Obwohl es sich bei ihnen um diejenigen handelt, die sich mit Theorien über die Moderne am ehesten auseinanderzusetzen vermögen. Der hegemoniale Islam bedient sich derselben chauvinistischen Ideologie, die die Oligarchie der Nationalstaaten in den letzten zweihundert Jahren als Maske benutzt hat. Dabei statuiert die Islamische Republik Iran das offensichtlichste Beispiel. Im Iran leben AserbaidschanerInnen, KurdInnen, PerserInnen, AraberInnen, BelutschInnen, TurkmenInnen und viele mehr, mit eigenständiger Sprache und Religion. Ungeachtet dessen werden nahezu sämtlichen Volksgruppen ihre elementarsten kulturellen und nationalen Rechte nicht anerkannt. Sämtliche Bestrebungen der Islamischen Republik Iran sind auf die Vernichtung der gesellschaftlichen Vielfalt und die Schaffung einer homogenen Gesellschaft gerichtet. Folglich werden auch sämtliche demokratischen und menschenrechtlichen Prinzipien mit Füßen getreten. Die gesellschaftlichen Probleme der Frau, der verschiedenen Volks- und Religionsgruppen sind ungelöst. Das Ausmaß dieser Probleme scheint stetig zu wachsen. Die auf der einen Seite erkennbaren wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Krisen wie auch die regionalen und internationalen Spannungen des Iran lassen den Niedergang des despotischen Regimes erahnen. Zeitgleich ist der Iran bestrebt, seine Macht durch Expansion und Einflussgewinn in den anderen Staaten der Region zu erweitern.2015 05 07 Mehabad 05

Die iranische Gesellschaft ist lebendig und aufgeweckt. Folglich hat sie ihren Kampf gegen Unterdrückung und für Gleichberechtigung kontinuierlich fortgeführt. Das iranische Regime sieht die Lösung der Geschlechterfrage, des Demokratiedefizits und der Probleme der einzelnen ethnischen und religiösen Gruppen in deren Verleugnung und Beseitigung. Angesichts der älteren und jüngeren Geschichte des Iran lässt sich feststellen, dass sie voller Genozide an diversen Bevölkerungsgruppen, Verhaftungen und des Erhängens von Menschen steckt. Wirkliche Verbesserungen in dieser Hinsicht sind nicht erkennbar. Im Gegenteil findet dieses System seine Fortsetzung in einer Art Todesmaschinerie. Es gilt jedoch zu betonen, dass eben infolge des Mangels an demokratischen Grundrechten, an Frauen- und kulturellen Rechten Menschen aus sämtlichen Teilen der Gesellschaft dagegen ankämpfen und sich aktiv einsetzen im Kampf für Gleichheit und Freiheit. Das despotische Regime des Iran antwortet auf die Organisierungsbestrebungen der Gesellschaft mit Gefängnis und Todesstrafe. Mit dem Amtsantritt des Staatspräsidenten Rohani sind die Zahl der Exekutionen und der Terror gegen die Bevölkerung drastisch gestiegen. Als die organisierteste sich für die Demokratisierung des Iran einsetzende Kraft haben die KurdInnen am meisten unter dieser Unterdrückungspolitik zu leiden. Außerdem sind vor allem die Bahai, YarsanitInnen, SunnitInnen und ZoroastrierInnen ebenso wie unterdrückte Volksgruppen wie die BelutschInnen und AraberInnen von diesem Despotismus betroffen. Darüber herrscht international unbeholfenes Schweigen.

Die Islamische Republik Iran ist wie eine missionarische Strömung bestrebt, ihre Hegemonie vor allem im Mittleren Osten, aber auch anderswo auszuweiten. Für die gewünschte Stärke ist sie am Besitz atomaren Waffen interessiert. Die derzeitigen Atomverhandlungen mit den P5+1 (USA, Russland, Großbritannien, Frankeich, China und Deutschland) sind nicht nur auf die Urananreicherung beschränkt. Besonders die USA sind eifrig um Abkommen bemüht, die die neuen Machtverhältnisse im Mittleren Osten betreffen. Der Iran steckt mitten in der Krise, innere Transformationsbestrebungen sind erkennbar. Doch gilt im Hinblick auf die Kriege in Irak und Syrien, beides Staaten mit engen Beziehungen zur Führung in Teheran, dass der Iran sich zu gewissen Kompromissen mit westlichen Mächten gezwungen sieht. In diesem Sinne stehen vor allem die Entwicklungen und die Zukunft des Irak und Syriens auf der Agenda der Verhandlungen. Allerdings gilt an dieser Stelle anzumerken, dass im Falle bestimmter Zugeständnisse der Verhandlungspartner die Mission des Iran auf internationaler Ebene offiziell anerkannt werden würde. Mit dem Besitz atomarer Waffen würde der Einfluss des Iran international drastisch steigen. Sollte es in den Atomverhandlungen jedoch keine Lösung geben, könnte es dennoch zu einer Übereinkunft in Bezug auf den Irak und Syrien kommen. Mit dieser Doppelstrategie wird der Iran weiterhin seinen Einfluss auf internationaler Ebene auszudehnen trachten.

Im Mittleren Osten bestehen zwei ideologische Zentren, eines davon der Iran, das andere Saudi-Arabien. Beide Ideologien standen über die ganze Historie hinweg in starkem Widerspruch zueinander, der sich gerade in den letzten Jahren intensiviert hat. Tatenlosigkeit und Schweigen auf internationaler Ebene haben zur Folge, dass der Iran seine Intervention in der Region weiter forciert. Daher ist die Stärkung der demokratischen Kräfte in der Region von unbedingter Notwendigkeit. Nur so kann das Schicksal der Völker in der Region vor weiteren Massakern bewahrt werden. Denn mit dem Erstarken des Iran wird die Polarisierung in der Region weiter vorangetrieben und in der Folge werden Ideologien und Antagonismen wie der »Islamische Staat« (IS) genährt.