»Commons«

Die Lösung liegt in uns selbst

Interview mit Silke Helfrich

 Silke Helfrich ist freiberufliche Publizistin, die in der internationalen Vernetzung zum Thema Commons arbeitet. Sie gehört der Commons Strategies Group an, welche im Jahr 2014 das Commons-Institut e. V. gegründet hat, um einen Raum der Diskussion, der Reflexion und der Weiterentwicklung von Commons-Ideen zu schaffen. Sie war Referentin auf der zweiten Konferenz »Die kapitalistische Moderne herausfordern« in Hamburg und wurde in diesem Zusammenhang von Hanna Kohlmann befragt.

Du zitierst in Deinem Vortrag den US-amerikanischen Historiker Peter Linebaugh mit den Worten »there is no common without commoning«. Was ist mit diesem Satz gemeint? Was sind Commons?

Die traditionelle Definition von Commons meint das Hegen und Pflegen von gemeinsam zu nutzenden Ressourcen. Es ist eine Organisationsform, die schon so lange wie die menschliche Gesellschaft existiert und in allen Kulturen anzutreffen ist.konferenz Session 3 Oekologische Industrie und kommunale Oekonomie s

Dabei geht es um die Verwaltung von Gemeingütern und den Prozess, welcher Dinge zu einem Gemeingut macht. Gemeingüter fallen nicht vom Himmel, sondern sie werden immer wieder als solche in die Welt gebracht, gepflegt, verteidigt und weiterentwickelt. In der Commons-Diskussion ist es wichtig, Gemeingüter weder als etwas nur Materielles noch etwas Statisches oder Dingliches zu begreifen, sondern als etwas, das wir in einem gemeinsamen sozialen Prozess nutzen (wie beispielsweise Sprache), weiterentwickeln können und möglichst so erhalten, dass es weiterhin allen zur Verfügung steht. Das erklärt auch den Satz »there is no common without commoning«. Wir können nur von Commons sprechen, wenn wir die Haltung vertreten, dass es vieles auf der Welt gibt, was niemandem allein gehören kann oder sollte.

In Deinem Vortrag bist Du auch auf Deine Biographie eingegangen. Welche Erfahrungen hast Du in Deinem Leben mit Macht und Staat gemacht und inwiefern hat dies dazu geführt, dass Du angefangen hast, Dich mit der Commons-Theorie auseinanderzusetzen?

Ich habe in meiner Biographie unterschiedlichste Staatsformen kennengelernt. Die ersten zwanzig Jahre meines Lebens habe ich in der DDR gelebt, wo die Dinge immer vom Staat aus gedacht wurden. Ende der 90er Jahre bin ich dann nach El Salvador gegangen, das in einer politischen Bipolarität regiert wurde und stark durch eine Nachkriegsmentalität geprägt war. Danach war ich in Mexiko, einem Land, welches tendenziell als failed state bezeichnet werden kann. Ein großer Teil des Territoriums wird entweder von der Mafia oder aber von Communities besetzt und regiert. Wir haben also gute Beispiele in Mexiko, wie auch eine gesellschaftliche Organisation von unten geschehen kann. Und dann bin ich wieder zurück nach Deutschland gegangen und lebe jetzt in einer bürgerlichen Demokratie, die total dem Marktprinzip verpflichtet ist. In all diesen unterschiedlichen Staatsformen und -konzeptionen finde ich keine Antworten auf die Fragen der Nachhaltigkeit, Fairness und Selbstentfaltung.

Elinor Ostrom, Wirtschaftsnobelpreisträgerin 2009, veröffentlichte 1990 ihr Hauptwerk »Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action« (deutsch: »Die Verfassung der Allmende. Jenseits von Staat und Markt«, 1999). Dieses »Jenseits von Staat und Markt« wird in der aktuellen Commons-Diskussion sehr unterschiedlich interpretiert. Für mich bedeutet es: über Markt und Staat hinausgehend. Wir müssen anders denken, indem wir von den Gemeinschaften aus, von den realen Lebensverhältnissen und den realen Biographien aus denken.

Nachhaltigkeit, Fairness und Freiheit sind ganz zentrale Begriffe innerhalb der Commons-Theorie. Könntest Du die Begriffe noch einmal näher erläutern?

Mit Freiheit meine ich nicht die Freiheit eines vom anderen getrennten und isolierten Individuums, sondern die Freiheit in Verbundenheit. Der Grundgedanke hierbei ist, dass meine Freiheit ihre Grenze in der Freiheit des anderen findet und sich deswegen in der Beziehung mit der Freiheit des anderen entfaltet. Diese Beziehung muss so gestaltet werden, dass Menschen sich nicht über den Tisch gezogen fühlen. Mit Fairness meine ich also keine abstrakte Gerechtigkeit, sondern Aushandlungsprozesse, bei denen wir lernen, Dinge selbst zu gestalten, sodass wir uns fair behandelt fühlen. Deswegen sind Versammlungen, Räte und Freiräume zum Diskutieren und zur Selbstorganisation so wichtig. Wenn ich von Nachhaltigkeit spreche, dann meine ich den Umgang mit Ressourcen. Die Frage, wie wir unser Leben so gestalten können, dass unsere Bedürfnisse befriedigt werden, beinhaltet auch immer die Frage um produktive Prozesse und Kämpfe um Ressourcen. Damit diese Ressourcen auch den zukünftigen Generationen zur Verfügung stehen, müssen wir die ökonomischen Grenzen respektieren.

Wo siehst Du in Rojava Ansätze der Commons?

Ich sehe in Rojava zwei Commons-Gedanken. Wie ich bereits erwähnt habe, sind Commons auch eine Haltung. Dies sehe ich auch in Rojava, wo sich Frauen und Männer zusammensetzen und diskutieren, um so Problemlösungen zu entwickeln. Dieses prozessuale Denken, das davon ausgeht, dass die Lösung in uns selbst liegt, ist ein sehr wichtiger Commons-Gedanke.

Der zweite Commons-Gedanke, den ich in Rojava sehe, ist der Wunsch, von lokalen Bedürfnissen auszugehen und eine geeignete Form zu finden, diese überregional miteinander in Beziehung zu setzen und zu vermitteln.

Was ist notwendig, damit eine gemeinschaftliche Organisierung nach dem Commons-Prinzip auch nachhaltig bestehen kann?

Die erste Voraussetzung ist die Anerkennung vom Staat. Ich meine hierbei nicht einen Staat, der dem Marktprinzip folgt und auf dem Konzept der Nation beruht, sondern auf dem Commons-Prinzip basierende Koordinationsmechanismen, die überregional funktionieren. Vermutlich müsste der für mich inhaltsleere Begriff »Staat« ersetzt werden, damit er historisch nicht verwechselt wird.

Außerdem müssen die Grundgedanken des Commons auf allen Ebenen gefördert werden, sodass Commons zum Mem1 wird, zu etwas, das sich verankert, Fragen aufwirft und Menschen dazu anhält, darüber nachzudenken und zu diskutieren. Hinzu kommt die Bereitschaft, das Ganze von außen zu betrachten und zu überlegen, auf welchen gedanklichen Grundlagen wir aufbauen. Anstatt ein strukturelles Exklusionsprinzip hinzunehmen, welches auf Konkurrenz und dem Streben nach Effizienz basiert, könnten wir eine strukturelle Gemeinschaftlichkeit organisieren, auf der wir Bildungswesen, Gesundheitssysteme, Infrastruktur und Energieversorgung aufbauen.

Fußnote:
1. Ein Mem bezeichnet einen einzelnen Bewusstseinsinhalt, der durch Kommunikation weitergegeben und damit vervielfältigt werden kann. (Quelle: Wikipedia)