Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

im Laufe unserer Redaktionsarbeiten zu dieser Ausgabe erreichen uns erfreuliche Nachrichten aus verschiedenen Teilen Kurdistans, die ohne Zweifel positive Rückwirkungen auf die gesamte Region des Mittleren Ostens haben werden.

In der Türkei und in Nordkurdistan hat die HDP die 10-Prozent-Hürde überwunden und ist mit 80 Abgeordneten, die ein Spiegelbild der gesellschaftlichen und kulturellen Vielfalt darstellen, ins türkische Parlament eingezogen. Verschiedene Aspekte dieses historischen Erfolgs der Demokratiebewegung in der Türkei und der kurdischen Freiheitsbewegung werden in diversen Artikeln dieser Ausgabe beleuchtet. Damit geht in der Türkei und in Nordkurdistan eine intensive mehrere Monate andauernde Phase des Wahlkampfs zu Ende. Die kurdische Freiheitsbewegung rückt den Lösungs(Friedens)prozess und die Haftbedingungen der kurdischen Freiheitspersönlichkeit Abdullah Öcalan wieder in den Fokus, der seit dem 5. April erneuter Isolation ausgesetzt ist. Der Lösungsprozess in der Türkei und die HDP/der HDK als breite Demokratiefront sind vor allem ein Ergebnis des Beharrens von Öcalan auf der demokratischen Politik. Mit dem HDP-Wahlerfolg gewinnt seine Erklärung, die auf dem Newrozfest in Amed verlesen wurde, eine neue Bedeutung: »Der Kampf für Demokratie, Freiheit, Geschwisterlichkeit und einen würdevollen Frieden, den wir für die Völker unseres Landes geführt haben, steht heute an einer historischen Schwelle.«

Neben diesen Errungenschaften in der Türkei/Nordkurdistan dauert der Krieg in Rojava gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) weiter an. In den Abendstunden des 15. Juni vermeldeten die Kämpferinnen und Kämpfer der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) die Befreiung der Stadt Girê Spî (Tall Abyad). Damit ist der Korridor von Cizîrê nach Kobanê erkämpft, Cizîrê und Kobanê sind vereint worden. Neben diesen und noch anderen militärischen Erfolgen dauert der (Wieder-)Aufbau von Kobanê weiter an. Wir geben mit einigen Artikeln einen Eindruck von der Lage vor Ort, von möglichen Hilfsleistungen und den Diskussionen, die unter anderem auf der ersten Konferenz zum Wiederaufbau der zerstörten Stadt Anfang Mai in Amed geführt wurden, wieder.

Und was macht die deutsche Politik? Die Repressionen gegen AktivistInnen der kurdischen Demokratie- und Freiheitsbewegung, die immer mehr zum Symbol einer wirklichen Alternative für den gesamten Mittleren Osten wird, dauern hier auf der Grundlage des bestehenden PKK-Verbots weiter an. Während die Gesellschaften in der Türkei mit der HDP für einen demokratischen Wandel gestimmt haben, besteht vonseiten Deutschlands weiterhin kein Interesse an einem konstruktiven Beitrag zur politischen Lösung der kurdischen Frage. Das Gegenteil ist der Fall, wie ein erneuter Prozess nach §129b vor dem OLG in Hamburg zeigt. Die außenpolitische Positionierung der Bundesrepublik wird auch in diesem Verfahren deutlich.

Auch wenn wir anfangs von »erfreulichen« Nachrichten sprechen und ein wichtiger Durchbruch z. B. in der Türkei und in Rojava erzielt worden ist, dürfen wir nicht vergessen, dass für diese und weitere Erfolge viele Menschen, Freundinnen und Freunde, ihr Leben geben.

Ihre Redaktion