Nach dem Tod von Ferînaz Xosrewanî

Ein Funke aus Kobanê flog nach Mehabad

Anja Flach

Anfang Mai kam es in der Stadt Mehabad in Rojhilat (kurd.: Osten; Iranisch- oder Ostkurdistan) zu einem Serhildan (Volksaufstand). Ein Zimmermädchen war von einem Staatsbeamten in den Tod getrieben worden, offensichtlich war dieser Vorfall wie der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Mehabad ist eine 280 000-EinwohnerInnen-Stadt mit einer besonderen Geschichte. Vor siebzig Jahren hatte in der Region für elf Monate die »Republik Kurdistan« bestanden. Für Ölkonzessionen wurde sie von der schutzgebenden Sowjetunion geopfert. Die kurzlebige Volksrepublik von Mehabad wurde zum Symbol kurdischer Selbstverwaltung und ist es bis heute geblieben.Auch in Bakûr (Nordkurdistan) kam es nach dem Tod von Ferînaz Xosrewanî zu vielen Protesten. | Foto: ÖG

In Mehabad war Anfang Mai die 24-jährige Informatikerin Ferînaz Xosrewanî in einem Hotel, in dem sie als Zimmermädchen arbeitete, um ihre Familie zu unterstützen, in den Tod getrieben worden. Nach Informationen von Rojhelat Info strebte der Besitzer des Hotels Taha eine Hochstufung seines Hauses von vier auf fünf Sterne an. Ein Geheimdienstoffizier soll ihm den fünften Stern versprochen haben. Als Gegenleistung verlangte er ein Treffen mit Ferînaz. Am 4. Mai schloss der Besitzer die junge Frau in einem Hotelzimmer ein. Sie versuchte, durch das Fenster zu fliehen, stürzte ab und starb. Die Nachricht über ihren Tod verbreitete sich über soziale Netzwerke und führte dazu, dass sich am 7. Mai eine protestierende Menschenmenge vor dem Hotel versammelte und es schließlich anzündete.

Gegen die Protestdemonstration setzten die die lokalen Sicherheitskräfte unterstützenden Revolutionsgarden laut Rojhelat Info Tränengasgranaten und scharfe Munition ein. Zwei Menschen starben, 27 Menschen wurden verletzt. Kurdish Question berichtete von 700 Festnahmen. Viele Menschen wurden in Krankenhäusern verhaftet, wo sie ihre Schusswunden behandeln lassen wollten. Über Mehabad und alle anderen kurdischen Städte wurde der Ausnahmezustand verhängt, Internet und Mobilfunknetze wurden abgeschaltet.
In den nächsten zwei Wochen wurden ca. 200 Menschen in Mehabad, Sine (Sanandadsch) und Serdeşt verhaftet, deren Schicksal bis heute ungeklärt ist. Nach Informationen der Familien der Verhafteten wurden sie wahrscheinlich nach Urmîye und Nexede (Naghadeh) gebracht; wie einige Freigelassene erklärten, werden sie dort gefoltert. Nach unbestätigten Berichten kam es auch in nichtkurdischen Städten zu Demonstrationen.

Kurdische Frauenverbände verglichen Ferînaz‘ Freitod mit dem Tod von Bêrîtan (Gülnaz Karataş), die sich während des Krieges der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) und der türkischen Armee gegen die PKK 1992 (»Südkrieg«) von einem Felsen gestürzt hatte, um nicht in die Hände der feudalistischen PDK zu fallen.

Immer wieder kommt es zu Angriffen staatlicher Vertreter auf Frauen. »Frauen müssen wissen, dass das nicht der Angriff eines einzelnen Mannes, sondern ein systematischer staatlicher Angriff ist. Bis dieses Denksystem nicht bekämpft wird, wir uns organisieren und bilden, die kollektiven Verteidigungskräfte entwickeln, ist unser aller Leben in Gefahr und jeden Tag wird eine andere Frau dran sein. Wie die Frauen in Afghanistan für Ferxunde1 eingestanden sind und die Stimme ihrer Unzufriedenheit erhoben haben, müssen die kurdischen Frauen mit ihrer Haltung die Vorhut bilden und sich stärken. Jede Person, Gesellschaft, Frauen, Männer, gemeinsam, wenn sie nicht mit der Vergewaltigungskultur leben wollen, müssen sie diesen Vorfällen entgegenstehen: ›Êdî bese! Es reicht!‹ Damit Vergewaltiger geahndet werden und unsere Haltung ihnen als Warnung gilt, muss jede Form des Widerstandes geleistet werden«, erklärte der Frauen-Dachverband KJAR (Gemeinschaft der Freien Frauen von Rojhilat) zu den Ereignissen.2

Die Geschehnisse in Mehabad fallen fast mit dem Jahrestag der Hinrichtung der kurdischen AktivistInnen Şirîn Elemhuli, Ali Hayderyan, Ferzad Kemanger und Ferhad Vekili am 9. Mai 2010 zusammen. Die vier waren Mitglieder der kurdischen Organisation PJAK (Partei für ein Freies Leben in Kurdistan).

Die Zahl der Hinrichtungen im Iran war nach der heftigen Kritik durch den UN-Reporter Ahmed Şahin und Amnesty International für eine Weile zurückgegangen, stieg aber nach dem Abkommen mit den internationalen Mächten über das Atomprogramm wieder an. Am 13. April wurde die erste Massenexekution nach der Vereinbarung von Lausanne vom 2. April durchgeführt. Seit Anfang April sollen im Iran 25 Personen hingerichtet worden sein. Es wird berichtet, dass seit Anfang des Jahres an die 260 Hinrichtungen stattgefunden hätten.

Die Ereignisse in Mehabad, die Hinrichtungen, die Wut über ein rassistisches System des Unrechts, der staatlichen Morde und sexueller Angriffe auf Frauen, all das deutet auf eine äußerst angespannte Situation in Rojhilat hin. Im gesamten Mittleren Osten hat der Sieg in Kobanê zu großen Hoffnungen geführt, auch in Rojhilat, die Zahl der Beitritte zur PJAK soll sich vervierfacht haben, berichtet Al Monitor. Es fanden zahlreiche Demonstrationen in kurdischen Städten, aber auch in Teheran (dort auch vor dem Gebäude der Vereinten Nationen), Maschhad und anderen Städten Irans in Solidarität mit Kobanê statt.

Vor allem junge Frauen haben sich in den letzten Jahren den Guerillakräften angeschlossen, weil sie ein freies Leben Polygamie, Zwangsheirat und weiteren bedrückenden Verhältnissen vorziehen.

Während der letzten vier Jahre bestand ein Waffenstillstand zwischen der YRK-Guerilla (Ostkurdische Verteidigungseinheiten) und der iranischen Armee. Letztere hatte das Abkommen jedoch mehrmals verletzt. Militärstationen wurden errichtet, Oppositionelle gefoltert und hingerichtet.

Am 20. Mai fanden Militäroperationen in Merîwan (Marivan) und am 21. in Ciwanro (Javanrud) statt, wobei drei Mitglieder der Sepah-Militäreinheiten getötet wurden. Am 23. Mai kam es zu einem Gefecht, in dem wiederum ein Soldat getötet wurde, zwei Guerillas kamen ums Leben. Die YRK kündigten Vergeltung an.

Es sieht so aus, als sei ein Funke von Kobanê übergesprungen, von Rojhilat werden wir in nächster Zeit noch hören.


Fußnoten:

1) Die afghanische junge Frau namens Ferhunde wurde in Kabul gesteinigt und anschließend verbrannt. Angeblich soll sie einen Koran verbrannt haben. Ihre Leiche wurde von Frauen würdevoll zu Grab getragen.

2) http://ceni-kurdistan.com/index.php/de/pressemitteilung/43-erklaerung-von-kjar-gemeinschaft-der-freien-frauen-ostkurdistans-fuer-ferinaz-einstehen-bedeutet-fuer-die-eigene-wuerde-einzustehen