Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

die Freude über den Wahlerfolg der HDP bei den Parlamentswahlen in der Türkei im Juni währte nicht lange. Denn Erdoğan und seine AKP erklärten kurz nach ihrer Wahlniederlage der kurdischen Freiheitsbewegung und allen, die Anteil an diesem Erfolg hatten, den Krieg. Festnahmewellen und Militäroperationen dominieren seither die Tagesordnung in Nordkurdistan und der Türkei. Und es bleibt nicht nur dabei. Die türkische Luftwaffe greift in Südkurdistan ununterbrochen die Medya-Verteidigungsgebiete an. Dass dabei auch ZivilistInnen ins Visier genommen werden, beweisen die Bomben vom 1. August auf das Dorf Zergelê im Qandîl.

Es scheint, als habe die Türkei aus Washington grünes Licht für ihre Angriffe auf KurdInnen und die demokratische Opposition im Lande erhalten. Im Gegenzug öffnete sie ihre Air Base in Incirlik für die US-Luftwaffe, die von dort aus Luftangriffe auf IS-Stellungen in Syrien und Rojava fliegt. Die Türkei ihrerseits ist nach dem Selbstmordanschlag in Pîrsûs auf 33 sozialistische JugendaktivistInnen in der Theorie auch dem Anti-IS-Bündnis beigetreten. In der Praxis sieht es allerdings anders aus. Denn während im Inland nur vereinzelt IS-Funktionäre festgenommen wurden, von denen im Übrigen die meisten wieder auf freiem Fuß sind, zielt sie in Syrien auf die Errichtung einer »safe zone« zwischen den Kantonen Kobanê und Afrîn. Dass sie damit weniger eine Schwächung des IS beabsichtigt, als eine mögliche Vereinigung des Kantons Afrîn mit den anderen beiden Kantonen zu verhindern, ist offensichtlich. Und die Bündnispartner bei diesem Plan sind islamistische Gruppen wie Ahrar al-Scham, die sich ideologisch und praktisch kaum vom IS unterscheiden.

Im Schatten dieses groß angelegten Kriegskonzepts gegen die kurdische Freiheitsbewegung deuten sich Neuwahlen in der Türkei an. Denn die AKP konnte keinen Koalitionspartner gewinnen, sofern sie überhaupt wollte. Der Plan scheint zu sein, mit einer bewussten Eskalation der Lage die Gesellschaft so zu polarisieren, dass bei Neuwahlen die HDP unter die 10%-Hürde gedrückt wird und die AKP allein die Regierung stellt, im Idealfall mit verfassungsändernder Mehrheit. Ob diese Kalkulation aufgeht, ist mehr als fraglich. Denn der Widerstand gegen den Kriegskurs der Übergangsregierung weitet sich aus. Wird Erdoğans Partei bei den voraussichtlich im November stattfindenden Wahlen noch ein weiteres Mal abgestraft, könnte das ihr Ende bedeuten.

In Kurdistan ist man allerdings gar nicht gewillt, so lange zu warten. Frei nach dem Motto »Wenn im Parlament keine Lösung zu finden ist, nehmen wir es selbst in die Hand« baut die Bevölkerung ihre Selbstverwaltungsstrukturen in kurdischen Kommunen weiter aus. Nun heißt es ebenso wie in Rojava, diese Strukturen gegen die feindlichen Angriffe zu verteidigen, in Kurdistan, aber auch international.

Diese Ausgabe des Kurdistan Report widmen wir einem als Internationalist im Kampf um die Verteidigung der Revolution von Rojava gefallenen Genossen:

Im Gedenken an Kevin Jochim (Dilsoz Bahar)!

Die Redaktion