Alexandra Nariños Botschaft an die kurdischen Frauen:

Euer Kampf ist vorbildlich

Mahir Yılmazkaya, Havanna, 6. Januar 2016

Die Nachrichtenagentur Firat (ANF) sprach mit der Internationalistin und Kommandantin der FARC-EP (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee), Alexandra Nariño, Mitglied der Friedensdelegation bei den Friedensverhandlungen in Havanna zwischen FARC-EP und kolumbianischer Regierung, über den Kampf der Frauen.

 Alexandra Nariño, Mitglied der Friedensdelegation bei den Friedensverhandlungen in Havanna zwischen FARC-EP und kolumbianischer RegierungKonnten sich die Frauen in der Revolution von den gesellschaftlichen und religiösen Normen befreien und in ihrem Kampf Eigeninitiative entwickeln?

Dies ist genau der Grund, warum sich immer mehr junge Frauen unserer Bewegung anschließen. 40 % unserer Kräfte bestehen aus Frauen. Sie möchten sich von einer patriarchalen Gesellschaft lösen, die für ihre Zukunft vorsieht, dass sie Kinder großziehen und im Haushalt sowie auf dem Feld arbeiten. Um einer schwierigen Lebenssituation mit unvergüteter Schwerstarbeit zu entgehen, steigt täglich die Zahl der Frauen, die sich den FARC-EP anschließen. Anfangs fällt die Gleichberechtigung der Geschlechter sowohl Frauen als auch Männern schwer.

In den Reihen der Guerilla macht jede*r das Gleiche, jede*r nimmt an Kampfhandlungen teil, wäscht die eigene Wäsche, kocht und arbeitet. So spüren die Frauen zunehmend, dass sie Verantwortung bis hin zu Leitungspositionen übernehmen können. Dadurch ändert sich auch ihre Sichtweise sich selbst und der Gesellschaft gegenüber. Das ist eine wichtige Phase, die die Widersprüche eines Individuums im Inneren und nach außen zum Ausdruck bringt.

Es zeigt sich bei Frauen sowohl innerhalb der Bewegung als auch bei denen, die aus der Bewegung ausgetreten sind, dass sie die Rolle annehmen, die die Gesellschaft für sie vorgesehen hat. Was können Sie dazu sagen?

Dass Frauen die für sie vorgesehene Rolle ausfüllen wollen, erscheint mir normal. Ich sehe es als Teil einer Phase, in der zeitweise die revolutionären Werte gewinnen und zeitweise eben nicht. Aber die Reaktion der Gesamtgesellschaft erscheint mir besorgniserregend. Kolumbien beachtet die Rolle der Frauen in Havanna nicht allzu sehr. So wird in der Veröffentlichung von Nacktfotos zweier Frauen »zur Unterstützung des Friedensprozesses in Kolumbien« eine »Feminisierung dieses Prozesses« gesehen.

Unser in Havanna geführter Kampf für die Rechte und die Arbeit der Frauen bleibt vonseiten der Mainstream-Medien unberücksichtigt. Denn dieser ist nicht »sexy«, wir sind nicht »schön« und uninteressant normal. Das gibt Aufschluss über die Gesellschaft sowohl Kolumbiens als auch der Welt.

Wie hat sich der Wandel der Frauen im revolutionären Kampf vollzogen? Was wurde und wird dafür unternommen?

Die Regeln in unseren Reihen beruhen auf den gleichen Rechten und Aufgaben für Frauen und Männer. Das kommt einer Wende für die Frauen gleich, die ein Leben lang den Männern untergeordnet waren. Die Praxis der Frauen in Führungspositionen zeigt diesen Sinneswandel ebenfalls immer wieder.

Worin liegt der Unterschied zwischen Frauen in ihrer Bewegung und denen außerhalb? Welche Arbeiten führen Sie für die Verringerung dieser Differenzen durch?

Die Frauen in der Bewegung haben ein tief greifendes Bewusstsein dafür, dass sie Vorreiterinnen für gesellschaftliche Transformationsprozesse und soziale Gerechtigkeit sind. Sie sind motivierter und haben gelernt, von ihren Rechten Gebrauch zu machen. Die Frauen außerhalb der Bewegung haben häufig ein eingeschränktes Bewusstsein im Hinblick auf die Welt und ihre Zukunft.

Auf der anderen Seite muss festgestellt werden, dass Frauen eine immer wichtigere Rolle in der ländlichen und gesellschaftlichen Organisierung spielen. Es gibt zahlreiche Frauen in Führungspositionen. Wir Frauen in und außerhalb der Bewegung lernen voneinander.

Kommen Sie in dem Prozess für einen gesellschaftlichen Frieden auch mit Frauenbewegungen und Aktivistinnen zusammen? Welche Forderungen richten diese an Sie?

Kolumbien verfügt über sehr starke Frauen- und feministische Bewegungen, die täglich wachsen. Während wir mit einigen bereits enge Beziehungen pflegen, stecken die Kontakte zu anderen eher in der Anfangsphase. Eine der wesentlichen Forderungen war die Etablierung einer Subkommission für Geschlechterfragen im Prozess für gesellschaftlichen Frieden. Die Frauen wollten in den Friedensverhandlungen repräsentiert werden und so wurde vor zwei Jahren eine entsprechende Kommission eingerichtet.

Die von Frauen der FARC-EP und der Regierung gegründete Subkommission hat mit der Unterstützung dieser Organisationen einen wichtigen Stellenwert eingenommen. Einige haben zahlreiche Vorschläge für die Etablierung einer geschlechtergerechten Sichtweise in den Vereinbarungen gemacht, andere haben uns in Havanna besucht. Wir haben mit diesen Organisationen, deren Unterstützung für uns von großem Wert ist, bemerkenswerte Sitzungen abgehalten und einen effektiven Meinungsaustausch betrieben.

Welche Ziele haben Sie in Bezug auf die Existenz der Frauen in Kolumbien, ihre Arbeit, ihre Produktionskraft innerhalb der Gesellschaft und ihre Entwicklung?

Unser Ziel ist es, eine Gesellschaft zu schaffen, in der es keine Gewalt und keine auf Klasse, Rasse, ethnischer Herkunft o. Ä. beruhende Benachteiligung gibt. Das bedeutet, eine Gesellschaft zu generieren, in der Frauen und Männer für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten und Frauenmorde, häusliche Gewalt und Säureattacken gegen Frauen nicht existieren.

Wir wissen um die Schwierigkeiten, eine solche Gesellschaft innerhalb des Kapitalismus zu etablieren. Doch dies bedeutet nicht, dass wir neben dem Klassenkampf nicht auch einen Kampf für die Rechte der Frauen führen.

Welche Rolle spielen Frauen bei Friedensverhandlungen? Werden Sie Gesetze für Frauen einführen?

An den Verhandlungen in Havanna nimmt eine Gruppe von vierzig Personen der FARC-EP teil; fünfzehn von ihnen sind Frauen. Während einige von uns am Verhandlungstisch sitzen, kümmern sich andere um Kommunikationsaufgaben, Kameraführung und Redaktionsarbeiten. In der Subkommission für Geschlechterfragen wird, wie bereits zuvor erwähnt, über die Implementierung einer geschlechtergerechten Sichtweise diskutiert.

In diesem Rahmen wird auch über den Gebrauch einer geschlechtergerechten Sprache sowie den Zugang von Frauen auf dem Land zu Krediten durch vorübergehende spezielle Vorkehrungen gesprochen. Dabei geht es nicht direkt um die Verabschiedung neuer Gesetze, da Kolumbien bereits Gesetze hat. Vielmehr stehen die Umsetzung der bestehenden Gesetze und ein Wandel der Gesinnung im Vordergrund.

Wie auch Ihnen bekannt ist, ist die Welt mit einer Plage wie dem Islamischen Staat konfrontiert. Demgegenüber gibt es in Şengal (Sindschar), Kobanê u. a. Orten die Realität von Widerstand leistenden kurdischen Frauen. Welche Beziehungen haben Sie zur kurdischen Frauenbewegung, insbesondere zu den YPJ in Rojava?

Wir hatten Kontakte zu den Frauen der PKK. Wir haben ihnen Dutzende Videobotschaften geschickt und für unsere Homepage www.mujerfariana.com Interviews mit ihnen geführt. So haben wir viel über ihre Gedanken und ihre Organisierung gelernt. Mit den YPJ (Frauenverteidigungseinheiten) haben wir keinen unmittelbaren Kontakt, verfolgen aber ihren heldenhaften Kampf über soziale Medien und Nachrichten. Wir haben viel über ihre Beziehungen zu zivilen Frauen gelernt. Sie bilden eine kollektive Einheit, zeigen gegenseitig Solidarität und haben herausragenden Mut.

Haben Sie eine Botschaft an die gegen den IS kämpfende kurdische Frauenbewegung?

Als FARC-EP übermitteln wir den Genossinnen unsere revolutionären Grüße. Sie sollen wissen, dass wir in Gedanken stets bei ihnen sind. Ich möchte unseren Genossinnen der kurdischen Frauenbewegung Folgendes mitteilen: Es gibt auf der anderen Seite der Erde Frauen, die euren Kampf gegen einen von westlichen Ländern geschaffenen Feind anerkennen.

Wir alle kämpfen gegen den gemeinsamen Feind der Menschheit, der für soziale und ökonomische Ungerechtigkeit, für Unterdrückung der Schwachen und für Umweltzerstörung steht. Euer Kampf ist für Frauen weltweit, vor allem für die Kämpferinnen der FARC-EP, ein Vorbild.


Mahir Yılmazkaya ist Journalist bei der Nachrichtenagentur Firat, er lebt in und berichtet aus Lateinamerika.