Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion DITIB

Erdoğans Marionetten

Nick Brauns, Historiker und Journalist

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion DITIB mit ihren fast 1000 angeschlossenen Moscheevereinen ist die nach eigenen Angaben mitgliederstärkste Migrantenorganisation in der Bundesrepublik Deutschland. Der Verband ist Gründungsmitglied des Koordinierungsrates der Muslime und Mitglied der Deutschen Islamkonferenz. Aufgrund von Staatsverträgen oder anderen Abkommen nimmt der Verband in Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Niedersachsen, Hamburg und Bremen direkten Einfluss auf den islamischen Religionsunterricht in vielen Grund- und Mittelschulen sowie die Lehrstühle für islamische Theologie. In verschiedenen Bundesländern ist DITIB Partner der Innenbehörden in Programmen gegen »Extremismus« und Salafismus.Erdogans Marionetten

DITIB-Vertreter dementieren eine direkte Verbindung ihres Verbandes zur türkischen Regierung, lediglich die Imame seien aus dem türkischen Staatsetat bezahlt, nicht aber Inhalte der Predigten vorgegeben. Dabei handelt es sich um eine bewusste Täuschung der deutschen Öffentlichkeit und Politik. Denn in Wahrheit ist DITIB eine 100-prozentige Tochter des Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet), das wiederum dem Amt des türkischen Ministerpräsidenten angegliedert ist. So gelangen die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages aufgrund der Analyse der beim Amtsgericht Köln hinterlegten Satzung des Verbandes zu dem Fazit: »DITIB ist gemäß Satzung an das staatliche Präsidium für Religiöse Angelegenheiten der Türkei in Ankara (Diyanet) angebunden.« Diyanet »nimmt gegenüber der DITIB Leitungs-, Steuerungs- und Kontrollbefugnisse wahr. So besteht der mächtige Beirat, der an Entscheidungen über alle grundlegenden Fragen des Verbandes beteiligt werden muss und zumeist die endgültige Entscheidungsbefugnis hat, ausschließlich aus Diyanet-Funktionären. Zudem haben Diyanet-Vertreter in den DITIB-Mitgliederversammlungen ein größeres Stimmengewicht als die Vertreter der 896 DITIB-Ortsgemeinden.«1

Staatskontrolle über die Religion

Um DITIB politisch einzuordnen, ist ein Blick auf Diyanet und die Religionspolitik in der türkischen Republik unerlässlich. Im Befreiungskrieg hatte der Führer der türkischen Nationalbewegung Mustafa Kemal noch auf die Mobilisierung religiöser Gefühle der anatolischen Landbevölkerung gegen die »ungläubigen« Griechen gesetzt. Doch kurz nach Gründung der türkischen Republik schaffte Staatsgründer Mustafa Kemal im Zuge der von ihm propagierten Modernisierung und Verwestlichung des Landes das Kalifat sowie das Amt des obersten islamischen Rechtsinterpreten Scheich ül-Islam ab, später folgte das Verbot der mächtigen islamischen Bruderschaften, von Scharia-Gerichten sowie religiöser Kleidung wie dem Fes. Die Religion erschien den meist aus der Armee stammenden kemalistischen Führern nun als Instrument der Konterrevolution gegen die von ihnen vorangetriebene Erziehungsdiktatur. Angesichts der Realität, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, die wiederum in ländlichen Gebieten lebte, aus überzeugten Muslimen bestand, setzten die Kemalisten auf die staatliche Kontrolle der Religion. Diesem Ziel diente das 1924 gegründete Diyanet Işleri Başkanlığı (Diyanet), das als oberster Islaminterpret des Landes an die Stelle des abgeschafften Scheich ül-Islam trat. Das direkt dem Amt des Ministerpräsidenten angegliederte Diyanet war zuständig für den Unterhalt der Moscheen, in die es seine als weisungsgebundene Staatsbeamte angestellten Prediger, Imame und Muezzine entsandte. Diyanet regelte die Ausrichtung von Korankursen und verfasste zentral die nun in türkischer statt arabischer Sprache verkündeten Freitagspredigten. Es gehört zu den Lebenslügen der Kemalisten, dass in der Türkei jemals echter Laizismus – also Trennung von Staat und Kirche – geherrscht habe. Vielmehr wurde der sunnitische Islam verstaatlicht, um die Kontrolle über die Gläubigen auszuüben. Nicht im Diyanet vertreten waren von Anfang an die wenigen in der Türkei verbliebenen Christen und Juden, aber auch die heute rund 20 Prozent der Bevölkerung ausmachenden Aleviten.

In der Frühphase der Republik sollte Diyanet als Instrument zur Umgestaltung der Gesellschaft die Ideologie der kemalistischen Reformen in die Moscheen der Dörfer tragen. Vorbeter propagierten so, dass das Ablegen des Schleiers bei Frauen keineswegs eine Sünde sei, während das Tragen eines Hutes zur religiösen Pflicht erklärt wurde. Dahinter stand die Hoffnung der fortschritts- und erziehungsgläubigen Kemalisten, mit Hilfe von Diyanet die Religion mehr und mehr zu verdrängen. Dies sollte sich in einer so tief von der islamischen Kultur geprägten Gesellschaft wie der türkischen als Illusion erweisen. Stattdessen bediente sich die auf die Einparteienherrschaft der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP) in den 1950er Jahren folgende restaurative Regierung der Demokratischen Partei (DP) unter Ministerpräsident Adnan Menderes offen der Religion zur Sicherung einer konservativen Wählerschaft. Nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 leitete die herrschende Junta eine aktive Religionspolitik ein. Ziel war es, den ideologischen Einfluss der nunmehr blutig zerschlagenen sozialistischen Linken in der Gesellschaft zurückzudrängen. In den Schulen wurde islamischer Religionsunterricht eingeführt, im ganzen Land wurden neue Moscheen errichtet und der Staatsapparat wurde für Anhänger der religiösen Orden wie der Gülen-Bewegung geöffnet. Das Diyanet diente der aktiven Propagierung der nunmehr anstelle des säkularen Kemalismus zur neuen Staatsideologie ernannten türkisch-islamischen Synthese.

Diyanet unter der AKP

Die wachsende Bedeutung des Diyanet unter der seit 2002 regierenden AK-Partei spiegelt sich in der wachsenden Zahl der Religionsbeamten wider, die von rund 85 000 (darunter 60 600 Imame) im Jahr 2007 auf 100 000 im Jahr 2014 und 120 000 im Jahr 2016 anstieg. Dem Amt unterstehen etwa 85 000 Moscheen in der Türkei – Tendenz steigend. Mit dem konservativen Hardliner Mehmet Görmez aus Dîlok (türk. Gaziantep) an der Spitze bekam Diyanet den Status eines Staatssekretariats, dessen Jahresetat im Jahr 2016 bei rund zwei Milliarden Euro lag – das entsprach den Mitteln von neun türkischen Ministerien. Die von Diyanet vertretene Religionspolitik fügt sich in eine von der AKP-Regierung betriebene fundamentale De-Säkularisierung der türkischen Gesellschaft mit dem von Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärten Ziel, eine »religiöse Jugend« heranzuziehen. Die konservativ-reaktionäre Ausrichtung des Diyanet wird durch eine Reihe von Fatwas – religiösen Rechtsvorschriften – der letzten Jahre deutlich. So erließ Görmez, der die Anerkennung des Alevitentums als eigenständige Religion und der Cem-Häuser als Alternative zur Moschee als »rote Linie« bezeichnet, 2015 eine Fatwa, die Heiraten von Sunniten mit Aleviten untersagte, wenn sich letztere nicht als Muslime verstehen. Mit einer Fatwa im Jahr 2016 wollte Görmez Verlobten Händchenhalten in der Öffentlichkeit und unbeobachtetes Zusammensein verbieten.

Keine Berührungsängste zeigt die staatliche Religionsbehörde mit terroristischen Gruppierungen, die im Namen des Islam im benachbarten Syrien schwerste Kriegsverbrechen insbesondere gegen religiöse und ethnische Minderheiten wie Alawiten, christliche Assyrer und Armenier sowie Kurden begehen. So veröffentlichte die kurdische Tageszeitung Özgür Gündem ein ihr zugespieltes Schreiben des damaligen türkischen Innenministers Muammer Güler vom 15. März 2013 an den Gouverneur von Hatay und mutmaßlich weitere Gouverneure der an Syrien grenzenden Provinzen. Darin erteilte der Innenminister die Order, die aus verschiedenen Ländern stammenden Glaubenskrieger vor dem Grenzübertritt in Gästehäusern des Diyanet unterzubringen und ihnen Trainingsmöglichkeiten zu geben. Mit den als »Mudschaheddin« bezeichneten Glaubenskriegern waren die Anhänger der zu Al-Qaida gehörenden Al-Nusra-Front gemeint, derer sich die Türkei zum Kampf gegen die syrische Regierung sowie kurdischen Selbstverwaltungskantone im Norden Syriens bediente.2

Kontrolle über die »Auslandstürken«

DITIB ist ein Kind der Militärdiktatur nach dem Putsch vom 12. September 1980 in der Türkei. Um auch die Kontrolle auf die »Auslandstürken« in Deutschland auszudehnen und zugleich den Einfluss vom türkischen Staat unabhängiger radikal-islamistischer Strömungen zurückzudrängen, wurde die Union als Ableger des Diyanet Anfang der 1980er Jahre gegründet. Die erste DITIB-Moschee wurde 1982 in Berlin eröffnet, 1984 entstand die Zentrale des Dachverbands mit damals 230 Mitgliedsvereinen in Köln. Zum Zeitpunkt der Regierungsübernahme durch die AKP in der Türkei im Jahr 2002 verfügte DITIB in Deutschland bereits über 770 Moscheevereine. Heute sind es rund 960. Vielfach handelt es sich zwar nur um sogenannte Hinterhofmoscheen, doch als einziger der Islamverbände kann DITIB so ein relativ flächendeckendes Netzwerk von muslimischen Gebetsstätten anbieten, das auch in kleineren Orten vertreten ist. Viele Muslime gehen schon mangels Alternative dort zum Freitagsgebet. Alle Imame von Diyanet in Deutschland sind Religionsbeamte von Diyanet, die eigens für diesen auf jeweils fünf Jahre angelegten Auslandsdienst ausgebildet wurden und aus dem Budget der Religionsbehörde finanziert werden. Auch die in Deutschland gelesenen Freitagspredigten werden zentral in Ankara verfasst. Entsprechend den Vorgaben aus dem Mutterland wird in den DITIB-Moscheen heute ein konservativer türkisch-nationalistisch und neoosmanisch geprägter Islam vermittelt.

Bezeichnend für Probleme mit der Abgrenzung von radikalen Dschihadisten ist ein im Juli 2015 von der FAZ und Report München veröffentlichtes Bild eines DITIB-Funktionärs aus der Ruhrgebietsstadt Dinslaken gemeinsam mit einem jungen Mann, der nicht nur den Zeigefinger nach Art des sogenannten Islamischen Staates (IS) erhebt, sondern das Symbol der Terrororganisation auch auf seinem T-Shirt gedruckt hat. Aus Dinslaken hatten sich zuvor rund zwei Dutzend junger Männer dem IS in Syrien angeschlossen, darunter ein früherer DITIB-Aktivist. Es gäbe oft eine »stillschweigende Solidarität« der alten Herren in den Moscheevorständen mit den fehlgeleiteten wütenden jungen Männern, zitierte die FAZ einen Islamismusfachmann.3 Angesichts der Unterstützung der terroristischen Glaubenskämpfer durch die Mutterorganisation Diyanet in der Türkei erscheint diese Haltung kaum verwunderlich.

Antisemitismus, Christenfeindschaft, Genozidleugnung

Während DITIB vom Bundesinnenministerium und verschiedenen Landesregierungen als Partner im Kampf gegen »Extremismus« hofiert wird, sind einzelne DITIB-Vereine durch das Propagieren unverhohlener Judenfeindschaft aufgefallen. So enthüllte das Magazin defacto des Hessischen Rundfunks, dass auf offiziellen Facebook-Seiten verschiedener DITIB-Gemeinden heftig gegen Juden gehetzt wird. In türkischer Sprache fanden sich Äußerungen wie »Der kannibalische Jude kotzt den Tod in Palästina« oder »Um die Barbarei der Juden zu beschreiben, werdet ihr nicht die richtigen Worte finden können«. Die Beiträge seien nicht von Einzelpersonen, sondern von den DITIB-Gemeinden selbst ins Netz gestellt worden, so defacto. Auch christenfeindliche Äußerungen finden sich auf den DITIB-Seiten in sozialen Netzwerken. So wurde dort gegen Weihnachts- und Silvesterfeiern der »Kuffar« (Ungläubigen) gehetzt. Bilder zeigten einen »Muslim«, der einen Weihnachtsmann verprügelt.4 Dies entsprach der Linie von Diyanet. Die Behörde hatte in einer Freitagspredigt kurz vor Jahreswechsel Silvesterfeiern als »illegitimen Brauch einer fremden Kultur, die sich nicht mit den türkischen Werten vereinbaren lasse«, bezeichnet.5

Eine rege Tätigkeit entfaltete DITIB im Zusammenhang mit der Leugnung des Genozids an den Armeniern im Ersten Weltkrieg. Die nach Deutschland entsandten Imame erhalten diesbezüglich eine Sonderausbildung. Einen Tag, bevor der Bundestag im Juni 2016 endlich die unter Mitwirkung des verbündeten deutschen Kaiserreichs begangenen Verbrechen an den Armeniern klar als Völkermord benannte, gehörte DITIB gemeinsam mit AKP-Lobbyverbänden, faschistischen Grauen Wölfen, Rockern der Osmanen Germania und Salafisten zu den Teilnehmern einer nationalistischen Großkundgebung am Brandenburger Tor in Berlin. Insbesondere türkeistämmige Abgeordnete wurden in der Folge aus dem türkisch-islamistisch-nationalistischen Milieu heraus regelrecht bedroht, sollten sie für die Anerkennung des Genozids stimmen. Zwar distanziert sich DITIB von Mord- und Gewaltaufrufen. Doch aufgrund der Zustimmung des Bundestages zu der Armenierresolution wurden mehrere Abgeordnete sowie Bundestagspräsident Norbert Lammert von einem Iftar-Empfang in der zu DITIB gehörenden Şehitlik-Moschee in Berlin wieder ausgeladen. Die Şehitlik-Moschee – der Name bedeutet Märtyrer – ist benannt nach zwei dort beerdigten Politikern des jungtürkischen Komitees für Einheit und Fortschritt, die eine führende Rolle bei der Vernichtung der Armenier gespielt hatten und 1919 im Berliner Exil den Schüssen eines armenischen Rachekommandos zum Opfer fielen. Überhaupt sind auffällig viele DITIB-Moscheen nach Kriegsherren wie dem Eroberer von Konstantinopel Sultan Mehmet II. oder dem Aleviten-Schlächter Sultan Yavus benannt.

Ein nahezu symbiotisches Verhältnis geht die 2004 als AKP-Lobbyverband gegründete Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) mit DITIB ein. In vielen DITIB-Vereinen fand die UETD, die bis 2013 kaum über eigene Infrastruktur verfügte, Räume und Unterschlupf. Regelmäßig sind auf Einladung der UETD Politiker der türkischen Regierungspartei AKP in DITIB-Moscheen zu Gast. Die UETD organisiert anlässlich von Wahlen in der Türkei Busse zu den Wahllokalen in den Konsulaten, die vor den DITIB-Moscheen abfahren. Auch zu Kundgebungen etwa gegen die Armenierresolution des Bundestages mobilisierte die UETD.6

Moscheen als Horchposten

In den Abendstunden des 15. Juli 2016 putschten Teile der türkischen Armee gegen Staatschef Erdoğan. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte Erdoğan schon lange vorher von den Putschplänen Wind bekommen, so dass sich die Regierung auf die Abwehr des Staatsstreiches und die nachfolgenden massiven Säuberungen des Staatsapparates von Opponenten vorbereiten konnte. Eine zentrale Rolle spielte in der Putschnacht das Religionsamt Diyanet, als die Muezzine der Moscheen die Bevölkerung zum Widerstand gegen die Putschisten auf die Straße riefen. Auch in den folgenden Tagen versammelten sich AKP-Anhänger, darunter zahlreiche radikale Islamisten, zu sogenannten Demokratiewachen. Dabei kam es zu Angriffen des durch die Vorbeter aufgepeitschten Mobs auf alevitische Stadtviertel in Istanbul. Erdoğan und die AKP-Regierung beschuldigten umgehend die lange mit ihnen verbündete, aber seit Ende 2013 als Staatsfeind Nummer eins verfolgte Gülen-Bewegung, hinter dem Putsch zu stecken. Beweise dafür konnte die AKP bislang nicht vorlegen. Doch eine Verwicklung der Gülen-Anhänger gemeinsam mit anderen unzufriedenen Strömungen innerhalb der Streitkräfte ist wahrscheinlich. So nutzte Erdoğan das »Geschenk Gottes« – als das er den Putschversuch bezeichnete –, um sich gedeckt durch den Ausnahmezustand seiner Gegner in Staat und Gesellschaft durch Entlassungen, Massenfestnahmen und Verhaftungen zu entledigen. Auch in DITIB-Moscheen wurde in Freitagsgebeten gegen die Gülen-Anhänger agitiert. Jene, die seit 40 Jahren »Aufwiegelei, Aufruhr und Feindschaft« säten, hätten dem Volk »sehr großen Schaden« zugefügt und Verrat »gegenüber unserem Volk und der Religion der Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit« begangen, heißt es in einer auf der DITIB-Website veröffentlichten Predigt vom 22. Juli 2016.7 In einer Hagener DITIB-Moschee warnte ein Schild am Eingang, dass »Verräter beim Gebet unerwünscht« seien. »Gott möge euch lohnen«, fand der Imam einer Kasseler DITIB-Moschee lobende Worte für einen Angriff auf einen Gülen-nahen Verein. Schließlich enthüllte die liberale Tageszeitung Cumhuriyet in der Türkei unter der Überschrift »Diyanet ist wie MIT«, dass die Imame der Religionsbehörde aus 38 Ländern Spitzelberichte über vermeintliche Gülenisten nach Ankara geschickt hatten. Auch DITIB-Imame aus den Regionen Köln, Düsseldorf und München hatten sich an der Spitzelei beteiligt. In ihren Berichten finden sich auch die Namen deutscher Journalisten wie Sabine Christiansen sowie mehrerer Bundestagsabgeordneter. Anfangs bestritt DITIB-Sprecher Bekir Alboğa die Spionagevorwürfe gänzlich. Nach der Veröffentlichung der Spitzelberichte sprach er von einer »Panne«, die schriftliche Anweisung von Diyanet sei nicht an die DITIB-Imame gerichtet gewesen, doch einige Imame hätten ihr fälschlicherweise Folge geleistet.8 Die Generalbundesanwaltschaft hat mittlerweile Ermittlungen wegen Spionage eingeleitet, doch die beschuldigten Imame wurden von der türkischen Religionsbehörde rechtzeitig in die Heimat zurückbeordert.

Dass DITIB-Moscheen dem türkischen Geheimdienst MIT zuarbeiten, ist keineswegs eine neue Erkenntnis. Bereits 1994 hatte das Magazin Focus darüber berichtet. »Horchposten sind hier die zirka 700 staatlichen Moscheen in Deutschland. Nach FOCUS-Recherchen sind die über die Konsulate bezahlten Imame als geistliche Oberhäupter verpflichtet, alle vier Monate einen detaillierten Bericht über das Innenleben der türkischen Gemeinden zu schreiben. Bei ›Angelegenheiten der Inneren Sicherheit‹, so schreibt es die Operation mit dem Decknamen ›Wohlstand‹ vor, ist das jeweilige Konsulat umgehend zu verständigen.«9 Weiter heißt es in dem Artikel über die DITIB-Moschee in Köln-Ehrenfeld: »Die Moschee in der Venloer Straße in Köln gilt als Zentrale des MIT in der Bundespublik. Rund 30 Agentenführer gehen hier in der ersten Etage ihrer verborgenen Arbeit nach.«10

Erdoğans Arm in deutschen Klassenzimmern

Jahrelang verschlossen Bundes- und Landesregierungen ihre Augen vor der engen Anbindung von DITIB an Ankara oder sie sahen diese Nähe zur türkischen Regierung als Garant für einen in den deutschen Moscheen gepredigten gemäßigten Islam an. Nicht zuletzt dürfte das große Stimmenpotential türkeistämmiger Bürger bei Wahlen für nahezu alle Parteien ein Grund für eine enge Kooperation mit dem größten Islamverband einschließlich finanzieller Förderung aus öffentlichen Mitteln gewesen sein.

In Hamburg und Bremen geben Staatsverträge DITIB so Einfluss auf den islamischen Schulunterricht, auch in anderen Bundesländern reicht der lange Arm der türkischen Regierung über DITIB bis in die Klassenzimmer deutscher Schulen. Doch seit dem gescheiterten Putsch in der Türkei und der zunehmenden Errichtung einer faschistischen Diktatur nimmt die Kritik an dem regierungsnahen Islamverband auch in Deutschland zu. In Niedersachsen wurde ein bereits unterschriftsreifer Islamvertrag auf Druck der oppositionellen CDU inzwischen auf 2018 verschoben. In Nordrhein-Westfahlen stockt die Zusammenarbeit mit DITIB seit September 2015, nach der Verbreitung eines vom Religionsamt Diyanet herausgegebenen Comic-Heftes für Kinder, in dem der Märtyrer-Tod verherrlicht wurde. Eigentlich war geplant, DITIB im Rahmen des Präventionsprogramms »Wegweiser« des dortigen Verfassungsschutzes in ein gemeinsames Vorgehen gegen Salafismus einzubinden. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat nun ein unabhängiges religionswissenschaftliches Gutachten zur »Staatsferne« des Verbandes in Auftrag gegeben. In Rheinland-Pfalz hat Ministerpräsidentin Malu Dreyer im September 2016 die Gespräche mit DITIB über einen Rahmenvertrag zum islamischen Religionsunterricht nach Hamburger Vorbild ausgesetzt. Ein Gutachten soll auch hier die Rolle von DITIB klären. Das Bundesinnenministerium will den Dialog mit dem Islamverband trotz der laufenden Spionageermittlungen indessen fortsetzen.

Auf seiner Website behauptet DITIB, über 70 Prozent der Muslime in Deutschland zu vertreten.11 Das ist ganz offensichtlich eine Anmaßung. Denn von den laut einer Schätzung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge 4,4 bis 4,7 Millionen Muslimen in Deutschland sind nur 2 640 000 Anhänger der sunnitischen Glaubensrichtung und von diesen wiederum längst nicht alle türkeistämmig. DITIB ist zwar der mit Abstand größte unter den Islamverbänden, doch nur etwa 20 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime sind überhaupt in einer dieser Vereinigungen organisiert. Zum Zeitpunkt der Gründung des Islamrates im Jahr 2007 gehörten DITIB rund 140 000 Mitglieder an. Aktuelle Zahlen zur DITIB-Mitgliedschaft liegen nicht vor. Doch selbst bei einem deutlichen Anstieg der Mitgliedszahl innerhalb der letzten zehn Jahre vertritt DITIB weiterhin nur eine Minderheit der in Deutschland lebenden Muslime.12

Die inzwischen erhobene Forderung einiger Politiker wie des Grünen-Chefs Cem Özdemir, DITIB müsse sich von Ankara unabhängig machen, erscheinen angesichts der strukturellen und finanziellen Anbindung des Verbandes an die türkische Regierung illusorisch. Angesichts der tatsächlichen Rolle von DITIB bei der Bespitzelung und Einschüchterung türkeistämmiger Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, der über den Verband verbreiteten Hetze gegen Andersdenkende und Minderheiten und einer offenen Flanke zum Dschihadismus erweist sich der Islamverband als ein Hindernis bei der Integration. Von daher wäre es dringend erforderlich, dem Verband alle Privilegien und Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln zu streichen, bestehende Staatsverträge aufzukünden und die türkischen Religionsbeamten als Agenten Erdoğans auszuweisen. Dies wäre auch im Interesse vieler Muslime in Deutschland, die so aus der Umklammerung Ankaras befreit würden.


Fußnoten:

1 http://www.deutschlandfunk.de/satzung-des-islamverbands-ditib-tuerkische-funktionaere.886.de.html?dram:article_id=375487:article_id=375487

2 http://www.hurriyetdailynews.com/chp-lawmakers-accuse-turkish-government-of-protecting-isil-and-al-nusra-militants.aspx?pageID=238&nID=67750&NewsCatID=338

3 http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/f-a-z-und-report-muenchen-berichten-ueber-dschihadisten-in-dinslaken-13699018.html

4 http://www.ardmediathek.de/tv/defacto/Zweifelhafter-Partner-Ditib-Wie-unabh%C3%A4/hr-fernsehen/Video?bcastId=3437388&documentId=38911946;
https://www.welt.de/regionales/hamburg/article160951722/Tuerkischer-Verband-soll-gegen-Christen-hetzen.html

5 http://www.deutschlandfunk.de/religionsbehoerde-diyanet-das-offizielle-gesicht-des.886.de.html?dram:article_id=376702:article_id=376702

6 https://correctiv.org/blog/ruhr/artikel/2017/01/05/die-uetd-erdogans-integrationsblocker/

7 http://www.ditib.de/detail_predigt1.php?id=304&lang=de

8 http://www.rp-online.de/politik/deutschland/ditib-imame-sollen-lehrer-in-nrw-bespitzelt-haben-aid-1.6555494

9 http://www.focus.de/politik/deutschland/tuerkischer-geheimdienst-erpresser-im-freundesland_aid_145832.html

10 Mittlerweile soll die MIT-Zentrale für Deutschland an einem anderen Ort in einer anderen Stadt sein.

11 http://www.ditib.de/default1.php?id=5&sid=8&lang=de

12 http://www.berliner-zeitung.de/das-bundesinnenministerium-begruesst-bildung-eines-muslimrats--experten-sehen-ihn-eher-kritisch-bedenken-gegen-kooperation-islamischer-verbaende-15896306