Erklärung im 129b-Prozess

Es geht hier nicht um mich, sondern um die demokratischen Aktivitäten der KurdInnen

Zeki Eroğlu vor dem OLG Hamburg am 24. Februar 2017

Zeki Eroğlu war auf Ersuchen der deutschen Strafbehörden am 13. April 2016 in Stockholm/Schweden in Auslieferungshaft genommen und im Juli an die BRD ausgeliefert worden. Zuerst wurde er nach Süddeutschland verbracht. Seit Januar 2017 ist er im Untersuchungsgefängnis in Hamburg. Im Februar begann das Gerichtsverfahren gegen ihn wegen »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland« §129b vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht. Gegenwärtig befinden sich laut Rechtshilfefonds Azadî zehn kurdische Aktivisten wegen des Vorwurfs nach §129b in U- bzw. Strafhaft. Wir dokumentieren Ausschnitte aus seiner Prozesserklärung vom 24. Februar 2017:

Kurden, denen nach § 129b der Prozess gemacht wird | Foto: YÖPBevor ich auf den Inhalt dieses Verfahrens zu sprechen komme, möchte ich etwas zur Verschleppung Abdullah Öcalans am 15. Februar 1999 von Kenia in die Türkei sagen. Seit 18 Jahren wird Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imralı in Isolationshaft festgehalten. In dieser Zeit hat er das Modell der demokratischen Autonomie vorgelegt, das eine Lösung für alle bestehenden gesellschaftlichen Fragen umfasst. Mit seiner politischen Auffassung steht er für eine friedliche und demokratische Lösung der kurdischen Frage.

In diesem Zusammenhang verurteile ich das Komplott vom 15. Februar 1999 und alle daran beteiligten internationalen Kräfte.

Was diesen Prozess betrifft, möchte ich zunächst betonen, dass die Anschuldigung des »Terrorismus« völlig realitätsfern ist. Den Hauptcharakter des Verfahrens bildet die kurdische Frage, die immer noch ein Problem darstellt, weil sie nicht gelöst wird. Der Grund dafür ist die geostrategische und geopolitische Position Kurdistans im Mittleren Osten. [...]

Bei der Gründung der Republik Türkei gehörten die KurdInnen zu den Gründungsmitgliedern. In der ersten Verfassung von 1924 ist diese Tatsache eindeutig festgehalten. In den folgenden Jahren wurde jedoch deutlich, dass die kurdische Realität gemäß der türkischen Staatsdoktrin einer einzigen Sprache und Ethnie verleugnet wurde. Diese Auffassung entstand allerdings nicht erst in der Gründungszeit der Republik, sondern lag bereits dem osmanischen Völkermord an den ArmenierInnen im Jahr 1915 sowie der Vernichtung und Vertreibung sämtlicher Minderheiten in der Türkei zugrunde.

Die KurdInnen stellten also eine Gefahr für den türkischen Staat dar. Um die kurdische Bevölkerung zu unterdrücken, waren nach der Logik des türkischen Staates Verleugnung und Völkermord die besten Methoden. [...]

Nach dem Völkermord in Dersim in den Jahren 1937 bis 1938 kam die Methode der Assimilierung zur Anwendung. Auf die Vertreibung folgte die Einrichtung von Internatsschulen in den kurdischen Städten, auf denen die kurdischen Kinder assimiliert werden sollten. Die kurdischen Namen von Städten und Dörfern wurden durch türkische Namen ersetzt. [...]

Im Verlauf dieses Verfahrens werde ich auf dieses Thema noch ausführlicher eingehen. Ich möchte jedoch eine Tatsache unterstreichen. In der fünfundneunzigjährigen Geschichte der Türkei waren die KurdInnen mit einem ständigen Völkermord konfrontiert. Diese Gefahr besteht auch heute noch. Die Massaker, die zuletzt 2015 in Cizre, Silopi, Nusaybin und Sur [kurd.: Cizîr, Silopiya, Nisêbîn, Sûr] stattgefunden haben, waren Bestandteil dieser Strategie. Besonders schmerzhaft war dabei, dass die gesamte Welt zugesehen hat.

Zu dem Verfahren gegen mich möchte ich anmerken, dass die deutsche Justiz sich nicht auf Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit beruft. Vielmehr wurde dieser Prozess auf Direktive des türkischen Staates und Erdoğans eröffnet. Hauptgrund dafür sind die gemeinsamen Wirtschaftsinteressen beider Staaten. Um diese Interessen zu bedienen, werden kurdische AktivistInnen und Einrichtungen kriminalisiert und als terroristisch abgestempelt. Daher glaube ich auch nicht daran, dass es in diesem Prozess um Recht und Gerechtigkeit geht. Vielmehr gehe ich davon aus, dass bereits hinter verschlossenen Türen alles festgelegt worden ist.

In der Anklageschrift beschreibt die Bundesanwaltschaft seitenlang die PKK. Diese Beschreibung ist fern der Realität. Es ist allgemein bekannt, dass die PKK und Öcalan untrennbar miteinander verbunden sind. Die Gedanken Abdullah Öcalans stellen heute für alle unterdrückten Menschen im Mittleren Osten eine Quelle der Hoffnung dar. Dass die KurdInnen gemeinsam mit anderen Völkern in Rojava gegen den IS kämpfen, ist der Gedankensystematik und dem Kampfmodell Öcalans zu verdanken. Das gilt auch für die Befreiung der êzîdischen Stadt Şengal (Sindschar), nachdem Tausende êzîdischer Frauen vom IS auf SklavInnenmärkten verkauft und unzählige Menschen ermordet wurden.

Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet ist die PKK eine Bewegung, die erfolgreich gegen den IS-Terror kämpft. [...]

Wer fordert Rechenschaft für den Tod etlicher ZivilistInnen in Frankreich, Belgien und zuletzt auch Berlin durch IS-Anschläge? Rechenschaft wird nicht gefordert, indem man diese Anschläge verurteilt. In der Praxis ist es allein die kurdische Bewegung, die den IS zur Rechenschaft zieht.

Insofern sind die Anschuldigungen der Bundesanwaltschaft gegen die PKK hinfällig.

In der Anklageschrift geht es nicht um mich als Einzelperson, sondern um demokratische Aktivitäten der kurdischen Bevölkerung. Es handelt sich ausschließlich um legale Tätigkeiten. [...] Wie jedes andere Volk haben auch die KurdInnen das Recht, sich zu organisieren. [...]

Zu meiner Person: Um einen Menschen zu kennen, muss man zunächst den Ort seiner Geburt und das kulturelle Umfeld begreifen, das ihn geprägt hat. Daher möchte ich mich zunächst zu meinem Geburtsort Dersim äußern. [...]

Dersim bedeutet auf Kurdisch »Silbertor« (der = Tor, sim = Silber). Vielleicht gilt es als »Silbertor Kurdi­stans«, weil es von hohen Bergen umgeben und geeignet für Ackerbau und Viehzucht ist. Lange Zeit war der Zoroastrismus die vorherrschende Glaubensrichtung in Dersim. [...] Mit dem Einzug des Islam in Kurdistan wurden die Zarathustra-Gemeinden verfolgt und die Bevölkerung zwangsislamisiert. In Dersim setzte sich der Islam jedoch nicht durch. Aus Angst vor Verfolgung bekannten sich die Menschen zu ihrem eigenen Schutz zum Alevitismus, lebten die religiösen Glaubensformen des Zoroastrismus jedoch unverändert weiter. Aus diesem Grund hat das Alevitentum in Dersim bis heute keinerlei Glaubensform des Islam übernommen. Seine religiösen Motive und die des êzîdischen Glaubens ähneln einander, weil beide Glaubensrichtungen ihren Ursprung im Zoroastrismus haben.

Im Osmanischen Reich war Dersim der einzige Ort in Kurdistan, der sich weigerte, den Osmanen Steuern zu zahlen und Soldaten zu stellen. Alle osmanischen Feldzüge trafen auf Widerstand und wurden zurückgeschlagen. Hierbei spielten natürlich auch die geographischen Bedingungen, also die unzugänglichen Berge, eine Rolle. Bis zum Völkermord von 1938 war Dersim somit die einzige autonome Region Kurdistans. Diese Autonomie wurde auch nach der Gründung der Republik Türkei bewahrt. Da die Autorität der Republik nicht anerkannt wurde, wurde Dersim als gefährlicher Ort des Aufstands betrachtet.

Mustafa Kemal Atatürk bezeichnete Dersim in einer Parlamentsrede als ein »Geschwür«, das ausgerottet werden müsse. Nach dieser Rede begannen die Vorbereitungen für eine Intervention in Dersim. Als erster Schritt wurden in den Bergen Straßen gebaut. Die Menschen gingen damals noch davon aus, dass der Bevölkerung damit ein Dienst erwiesen werden solle. An die Vorbereitung eines Völkermords dachte niemand. Das hat mein Großvater erzählt.

Mit der Begründung, Dersim sei aufständisch gegen die Republik, begann 1937 schließlich der Dersim-Feldzug. Es wurden schreckliche Methoden angewendet. So wurden zum Beispiel Menschen massenhaft in Höhlen eingesperrt und vergast. Es kam auch zu Massenerschießungen. Sabiha Gökçen, Adoptivtochter Atatürks und erste Kampfpilotin der Türkei, bombardierte Dersim aus der Luft. Das Massaker dauerte bis 1938 und kostete Zehntausende Menschen das Leben.

Seyit Riza und eine Gruppe weiterer Menschen wurden als Rädelsführer des Aufstands in Elazığ [kurd.: Eleziz] öffentlich hingerichtet. Seyit Riza war 74 Jahre alt und genoss große Achtung in der Bevölkerung Dersims. Da laut Gesetz eine Hinrichtung in seinem Alter nicht mehr vorgesehen war, wurde sein Alter auf 60 korrigiert. Sein Sohn Reşik Hüseyin war erst 16 Jahre alt, daher wurde sein Alter nach oben korrigiert. Er wurde vor den Augen seines Vaters gehängt, danach Seyit Riza und seine Freunde.

Die Republik Türkei erklärte anschließend, die Dersim-Operation sei mit großem Erfolg abgeschlossen worden. Dersim wurde offiziell in Tunceli umbenannt. Direkt danach kam die Politik der Vertreibung und Assimilation zur Anwendung.

Wir gehören zum Stamm der Haydaran. Es war einer der Stämme, die den Widerstand nicht aufgaben. Nach dem Völkermord hieß es, dass der Staat auch für die Stämme, die die Waffen nicht niedergelegt hatten, eine Amnestie aussprechen werde. Im Glauben daran kamen viele aus den Bergen zurück. Der Staat hielt jedoch sein Wort nicht und begann mit Zwangsumsiedlungen.

Auch die Familie meines Großvaters wurde wegen Beteiligung am Aufstand nach Bolu in die Westtürkei umgesiedelt. Acht Jahre später wurde mein Vater dort geboren. Als er acht Jahre alt war, wurde ein neues Gesetz erlassen, das die Rückkehr der Familie nach Dersim ermöglichte.
[...] Mit dem Völkermord von Dersim wurde ganz Kurdistan signalisiert, dass das Beharren auf Muttersprache und Kultur auch in allen anderen kurdischen Orten zu ähnlichen Massakern führen werde. Die anschließend eingesetzte Politik der Assimilation greift bis heute.

Ich kam am 18. Juni 1980 als Kind einer Familie, deren Sprache, Kultur und Land für nichtig erklärt worden waren, in einem Dorf in Dersim zur Welt. Wir sind fünf Geschwister, ich bin das dritte Kind meiner Eltern. Meine Familie zählt zur Mittelschicht. In der Zeit nach meiner Geburt entwickelte sich die kurdische Befreiungsbewegung und meine Familie wurde 1988 zum zweiten Mal vertrieben. Wie überall in Kurdistan wurden auch in Dersim Dörfer niedergebrannt. Auch unser Dorf wurde zerstört und wir mussten nach Istanbul ziehen.

Der Umzug war der Beginn einer sehr schweren Zeit für uns. Wir waren plötzlich in einer fremden Stadt, deren Sprache und Kultur wir kaum kannten. Für mich war es schwierig, die Sprache zu lernen und mich der Lebenskultur anzupassen. Draußen sprachen wir Türkisch, zu Hause in unserer Muttersprache Zazakî. Im Geflecht dieser Widersprüche wurde ich eingeschult. Aus Dersim zu stammen, Kurde und Alevite zu sein, bedeutete eine ständige Diskriminierung. Unter diesem Druck schloss ich in Istanbul Grundschule, Mittelstufe und Gymnasium ab.

Wie alle anderen KurdInnen auch beeinflusste mich in den neunziger Jahren der sich entwickelnde kurdische Befreiungskampf. 1998 begann ich, für die HADEP, die in jener Zeit als politische Partei der KurdInnen galt, zu arbeiten. Damals wie heute kam diese politische Arbeit einer Mitgliedschaft in der PKK gleich. Nach der Verschleppung Abdullah Öcalans in die Türkei wurde ich im Mai 1999 wegen Teilnahme an Aktionen festgenommen. Knapp zwanzig Tage wurde ich schwer gefoltert. Anschließend wurde ich verhaftet und ins Gefängnis verlegt. Mein Prozess dauerte ungefähr dreieinhalb Jahre. Ich wurde zu zwölfeinhalb Jahren verurteilt und schließlich vorzeitig aus der Haft entlassen. [...] Die HADEP wurde als »verlängerter Arm der PKK« verboten und viele Mitglieder verbrachten lange Jahre im Gefängnis.

Nach meiner Haftentlassung hätte ich Militärdienst leisten müssen. Der Staat übte ständig Druck aus. 2003 wurde dann die Revision meines Verfahrens zurückgewiesen und meine Strafe rechtskräftig. Es gab keine Möglichkeit mehr für mich, in der Türkei zu leben. Daher entschied ich mich, die Türkei zu verlassen.

Nach einem sehr langen Weg kam ich 2007 in die Schweiz und beantragte Asyl. 2009 wurde ich als asylberechtigt anerkannt.

Letztendlich bin ich Angehöriger eines Volkes, an dem ein Völkermord verübt wird. Ich bin ein Mensch, dessen Sprache, Kultur und Land verleugnet werden und der nicht das Glück hat, in seiner Heimat leben zu können. Als ich nach Europa kam, war ich davon überzeugt, meine eigene Sprache sprechen und meine Kultur ausleben zu können. Leider bin ich auch hier als Terrorist angeklagt. Den demokratischen Kampf der KurdInnen habe ich auch in Europa keinen Moment aufgegeben.

Abschließend möchte ich betonen: Ich bin stolz und glücklich, dem kurdischen Volk anzugehören – einem Volk, das seit vierzig Jahren gegen Unrecht und Vernichtung kämpft.


weitere Informationen zu den 129b-Prozessen gegen kurdische Aktivisten: https://freiheit.blackblogs.org/