Hamburg, G20 und die grenzenlose Solidarität

Ein Erfolg, der zum Weitermachen auffordert

Yavuz Fersoğlu, Vorstandsmitglied des Demokratischen Gesellschaftszentrums für Kurdinnen und Kurden in Deutschland (NAV-DEM e. V.)

Im Aufruf von NAV-DEM (dem Demokratischen Gesellschaftszentrum der Kurdinnen und Kurden in Deutschland) hieß es zur Mobilisierung gegen den Gipfel: »Wenn sich am 7. und 8. Juli in Hamburg wieder einmal die selbsternannten Herrscher der Welt zusammensetzen, wird auch dieses Mal nichts Gutes für Mensch und Umwelt dabei herauskommen.« Genau dies geschah in Hamburg politisch, nichts ist bei den Treffen der sogenannten G20 herausgekommen, was die Probleme der Menschen und Umwelt lösen könnte. Sie kamen zusammen, um ihre Vorgehensweisen für noch mehr Profit, Ausbeutung, Krieg und den Ausverkauf der Ressourcen zu koordinieren. Dieser Gipfel hat nichts dazu beigetragen, die Probleme der Welt zu lösen. Er war sinnlos und innenpolitisch ein Desaster. Während Themen wie Gerechtigkeit, Frieden, Klimaschutz und Solidarität bei den Gegenprotesten im Vordergrund standen, wurden sie auf dem Gipfeltreffen der G20-Staaten gar nicht zum Thema gemacht. Daneben wurden noch der sogenannte moderne »Hightech«-Polizeistaat und die Niederschlagung jeglichen Widerstands geprobt bzw. der Aufstand bekämpft. Monate im Voraus wurde von Medien und Politik das Bild der Krawallmacher ausgemalt, um dem Protest schon vorab die Legitimität abzusprechen. Vom Bundesinnen- bis zum -justizministerium wurde u. a. auch dieses Mal auf die Gefahr der radikalen KurdInnen hingewiesen und der sogenannte »Schwarze Block« zum Feindbild erklärt. Damit wurde versucht, der Kritik an den G20 keinen Raum zu geben und den Widerstand zu delegitimieren. Trotzdem konnten die verschiedenen Formationen des außerparlamentarischen Widerstandes in Hamburg mit unterschiedlichen Aktionen und vielfältigen Formen des Widerstandes eigene Schwerpunkte setzen. Zehntausende Menschen haben dem Ausnahmezustand gemeinsam und solidarisch getrotzt.Ein Erfolg, der zum Weitermachen auffordert

Grenzenlose Solidarität

Auf dem »Gipfel der Globalen Solidarität« wurde auf die Ursachen der Zerstörung der Welt, auf Kriege und Flucht aufmerksam gemacht und Alternativen zur Politik der G20 wurden aufgezeigt. Hierbei kamen aus allen Kontinenten der Welt AktivistInnen, WissenschaftlerInnen und VertreterInnen der globalisierungskritischen wie der ArbeiterInnen-, Friedens- und Freiheitsbewegungen zusammen, stellten ihre Modelle vor und übten scharfe Kritik an der Politik der G20-Staaten. Es war eine bunte Vielfalt, Info-Tische, zentrale Veranstaltungen wie etwa Podien und jede Menge Workshops. Hierbei trafen die demokratische Selbstverwaltung in Rojava (Westkurdistan/Nordsyrien) und die inhaltlichen Ansätze der kurdischen Bewegung und ihrer politischen Führung, Abdullah Öcalan, auf große Sympathie und wurden breit als das alternative Modell aufgenommen.

Bei den sogenannten Aktionen des zivilen Ungehorsams am Freitag (07.07.2017) blockierten und protestierten in verschiedenen Teilen der Stadt abertausende Menschen, um ihrem Protest gegen die Politik der G20 Nachdruck zu verschaffen und um den Gipfel zu blockieren. Den Höhepunkt der Proteste stellte dann die Demonstration am 08.07. dar, an der – trotz der Absperrung der Hamburger Innenstadt, der tausendfachen Polizeipräsenz und der sinnlosen Gewalt in manchen Stadtteilen Hamburgs – sich bis zu hunderttausend Menschen beteiligt haben, vereint in der Einsicht, dass wir die Veränderung dieser Welt nicht den Mächtigen überlassen werden, sondern sie jetzt in die eigenen Hände nehmen müssen. Vorneweg führte der kurdische Block, geschmückt mit allerlei kurdischen Symbolen, ob in Deutschland verboten oder nicht, dahinter gleich gefolgt von InternationalistInnen und den anderen Blocks. Aber nicht nur der kurdische Block, die gesamte Demonstration trug die kürzlich vom Bundesinnenministerium verbotenen Fahnen der PYD, YPG/YPJ, der seit 1993 verbotenen PKK und anderer kurdischer Organisationen. So wurde ein Beispiel der »grenzenlosen Solidarität«, wie die Demonstration selbst genannt wurde, gezeigt.

Die Anwesenheit des türkischen Staatspräsidenten war für kurdische, türkische und alle DemokratInnen und AntifaschistInnen eine zusätzliche Provokation, da dieser zum selben Zeitpunkt Teile des nordsyrischen Kantons Afrîn durch türkische Artillerie bombardieren ließ. An seinem Beispiel und seiner Teilnahme konnte der Charakter des Gipfels noch klarer und deutlicher gemacht werden. Von vornherein galt der Blick der Öffentlichkeit dem Verhalten des türkischen Staatspräsidenten und seines Personenschutzes. Mehrere Versuche des türkischen Staates, seiner Konsulate und der AKP, Erdoğan neben dem Gipfel eine Bühne für einen öffentlichen Auftritt zu bieten, scheiterten an dem öffentlichen Druck, unter dem ihm die Bundesregierung solche Auftritte nicht einräumen lassen konnte. Der Krieg des türkischen Staates gegen die emanzipatorische Bewegung der KurdInnen, ob in Nordkurdistan oder in Rojava, und der demokratischen Kräfte in der Türkei haben zur Solidarität mit der kurdischen Befreiungsbewegung überall auf den Straßen in Hamburg geführt. Nicht nur, weil auch tausende Menschen aus Kurdistan und der Türkei auf den Straßen waren, sondern weil die Solidarität in Hamburg grenzenlos war.

Tagelanger Ausnahmezustand in deutscher Metropolenstadt

Die kollektive Erfahrung von Zehntausenden kann nicht ausgelöscht werden. Die Stadt war in einen Ausnahmezustand versetzt worden. Überall Polizei und Spezialeinheiten in Kampfmontur, gepanzert, vermummt, gesichtslos, wie eine Armee imperialer Sturmtruppen, und die bedrohlichen Maschinen der Räumfahrzeuge und Wasserwerfer zur Aufstandsbekämpfung. Viele Menschen haben Gewalt erlebt, sie wurden beschimpft, getreten, geschlagen, festgenommen, nackt durchsucht, mit Pfefferspray verletzt, und sie haben Knochenbrüche erlitten. Protest und Widerstand gegen das Treffen der G20 war bereits im Vorfeld kriminalisiert worden. Es war für viele BeobachterInnen ein neues und beängstigendes Ausmaß, wie brutal demokratische Grundrechte in Hamburg einfach außer Kraft gesetzt wurden. Die Bevölkerung wurde dahingehend verunsichert, als seien die Aktionen und Demonstrationen die Verursacher der Einschränkung von Bewegungsfreiheit. Regeln und Gesetze wurden jedoch mit staatlicher Willkür gebrochen.

Die Medien haben aber vor allem solche Aktionen präsentiert, die sich nicht mehr gegen den Gipfel oder die Staatsmacht, sondern auch gegen AnwohnerInnen und Geschäfte richteten. Diese blinde Gewalt ist nicht gutzuheißen, sondern abzulehnen und hat den inhaltlich legitimen Protest überschattet.Demobild in der AK

Nichtsdestotrotz hat der kollektive Mut die Ohnmacht gebrochen. Solidarität und Vertrauen standen in Hamburg an oberster Stelle bei allen, die auf den Straßen waren oder anderweitig ihren Protest kundtaten. Ob jung oder alt und unabhängig von der Nationalität, der Hautfarbe oder politischen Erfahrungen umarmten sich Menschen. Es war trotz allem eine ermutigende Gipfelwoche mit einer Vielfalt von Aktionen und Protesten, die sehr viele Menschen mobilisiert und ermutigt hat, von kurdischen AktivistInnen bis zu den Gewerkschaften, die sich in der Ablehnung der G20 und dem Ausleben der Solidarität einig waren. Die Botschaft lautete: Eine bessere Welt ist möglich! Die grenzenlose Solidarität und die Vielfalt des Widerstandes in Hamburg waren ein Erfolg, der zum Weitermachen auffordert.