Jineolojî: Eine Zeitschrift stellt sich vor

Unter dem Titel unserer Zeitschrift streben wir danach, gemeinsam in die Zukunft zu fließen

Redaktion der Zeitschrift Jineolojî

Liebe Schwestern, dieser Brief ist ein Aufruf für die Zeitschrift »Jineolojî«. Die Zeitschrift Jineolojî ist am 8. März 2016 geboren worden. Das erste Heft mit dem Fokus »Die Krise der Sozialwissenschaften und die Jineolojî« ist am 8. März 2016 publiziert worden. Bis heute haben wir 6 Hefte mit folgenden Themenschwerpunkten herausgegeben: »Wahrheitssuche und auf der Realität von Frauen basierende und aus ihr resultierende Methodik«, »Frauenrevolution: hin zu einem befreiten Leben«, »Jineolojî als Selbstverteidigung«, »Lösungswege für die Krise des Mittleren Ostens«, »Sichtweisen auf die Natur der Frau«. Die kommende Ausgabe wird sich mit Diskussionen um Männlichkeit, die Formung des männlichen Charakters und Mann-Sein beschäftigen. Die Zeitschrift erscheint momentan auf Türkisch, wird aber bald auch in anderen Sprachen wie Englisch, Kurdisch, Arabisch online erscheinen (www.jineolojidergi.org)

Jineolojî: Eine Zeitschrift stellt sich vorJineolojî ist ein Aufruf, die Ergebnisse all unseres angesammelten Wissens in unseren Gedanken, unserer Praxis und unserer Entwicklung zusammenzubringen; Jineolojî ist das Bedürfnis, die Folgen der offenbarten Praxis hinsichtlich ihres Einsatzes für alle Frauen auszuwerten. Während Jineolojî als Konzept zwar erst kürzlich in Erscheinung getreten ist – angeregt durch ein Buch mit dem Titel »Soziologie der Freiheit« (2008), das vom Wegbereiter des kurdischen Volkes, Abdullah Öcalan, geschrieben wurde –, ist Jineolojî eigentlich aus unserem lang andauernden Kampf entstanden. Wir sind eine Gruppe von Frauen, die sich in einer dauerhaften und vielseitigen Freiheitsbewegung in Kurdistan einbringen. Möglicherweise kennt ihr uns unter dem Namen kurdische Frauenfreiheitsbewegung. Seit dem Kampf zwischen den mythologischen Figuren Lilith und Adam kämpfen wir gegen hegemoniale, patriarchale, etatistische Kräfte. Um genauer zu sein, befinden wir uns seit den 1970er Jahren in diesem Kampf. Mit dem Konzept Jineolojî zielen wir darauf, die Beziehungen zwischen Wissenschaft, Leben und Frauen aus einem frauenzentrierten Ansatz heraus zu hinterfragen und neu aufzubauen. Darin werden die bereits seit langer Zeit kämpfenden kommunalistischen Bewegungen, Frauenbewegungen, ethnischen/indigenen und ökologischen Bewegungen, die wir in Bezug auf Abdullah Öcalan als Kräfte der demokratischen Zivilisation bezeichnen, einen aktiven Platz einnehmen. Wo fangen wir an, was tun wir und wie tun wir es? Das sind die für Jineolojî interessanten Fragen. Um diese Fragen überhaupt beantworten zu können müssen wir die Grenzen, die zwischen Frauen gezogen wurden und die Knoten, die um Frauen herum geknüpft wurden, überwinden. Als in der kurdischen Frauenbewegung kämpfende Frauen entspringt unser Bewusstsein den Lebensgeschichten hunderter von Frauen, die ihr Bekenntnis zum Frauenbefreiungskampf unter Einsatz ihres Lebens zeigen. Diese Lebensgeschichten sind unser gesammeltes Bewusstsein und führten sowohl zu Willensstärke als auch dem Potential, mutig am Leben teilzunehmen. Über deren auf uns übertragene Erkenntnis haben wir die Notwendigkeit erkannt, anstatt für Individualismus und Konsumismus für ein kommunales Leben und Ökologie zu arbeiten und zu leben.

Trotz eines konstanten Kampfes gegen eine etatistische Form der Zivilisation sind dies demokratischen Kräfte noch nicht in der Lage, ein alternatives System zu etablieren. Aus diesem Grunde fühlen wir zutiefst die Bedeutsamkeit der Systematisierung all dieser bestehenden widerständigen kommunalen Werte, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Unsere Anstrengungen dafür, eine kommunale und demokratische Gesellschaft durch selbstorganisierte, selbsterhaltende, autonome, soziale, politische und ökonomische Strukturen – was die Schlüsselworte der demokratischen Zivilisation sind – aufzubauen, waren bisher nicht ausreichend, um die hierarchischen, patriarchalen, kolonialistischen und kapitalistischen Formen – welche wir als etatistische Zivilisation bezeichnen – zu überkommen. Wir glauben, dass der hauptsächliche Grund dafür, dass soziale Bewegungen und Kämpfe bis heute nicht erfolgreich waren, darin zu suchen ist, dass sie die sozialen Netzwerke um Frauen herum nicht in der richtigen Art und Weise analysiert haben und keine neuen dieser Analyse entsprechenden Aktionsformen vorangetrieben haben.

Frauen machen einen bedeutenden Teil der sozialen Welt aus und doch wurden sie meistens von wissenschaftlichen Studien ausgegrenzt. Die Natur von Frauen – jenseits von Geschlecht und sexueller Identität – ist in vielfältige ökonomische, soziale und politische Dimensionen eingebettet. In diesem Sinne wird ein Beleuchten der Natur der Frauen ebenso die Erhellung der Gesellschaft selbst mit sich bringen. Historisch gesehen wurden Frauen ökonomischer, politischer und mentaler/intellektueller Kolonisierung unterworfen, was sie zur ersten kolonisierten Gruppe in der Geschichte machte. Das ist die hauptsächliche Ursache dafür, dass für die Befreiung der Frau kämpfende Bewegungen mit antikapitalistischen und antikolonialistischen Bewegungen zusammentreffen. Um konkreter zu sein – das ist kein gewöhnliches Techtelmechtel, denn aufgrund der Tatsache, dass Gesellschaft ohne Frauen nicht befreit werden wird, müssen diese Bewegungen ihre Verschränkungen stärken. Ebenso kann demokratische Politik nicht ohne Frauen auskommen. Die Natur der Frau, also ihre durch historische, soziale und kulturelle Umgebung geformte Identität, ist von entscheidender Bedeutsamkeit für die ethischen und ästhetischen Werte der Natur [das gesamte Sein von Kosmos/Erde] und ihrer aktuellen Bedeutung. Die Bestimmung der Verbindung zwischen der Freiheit der Gesellschaft und der Freiheit von Frauen wird nur dadurch verwirklicht werden, einen allumfassenden Kampf zu führen. So ist auch die Frage der Frauenbefreiung eines der hauptsächlichen Themen der Jineolojî. Für die Bestimmung dieser Verbindung befinden wir uns auf einer kontinuierlichen und systematischen Suche nach Theorie, Programm, Organisierung und Aktion.

Wir sind uns bewusst, dass wir nicht die Ersten sind, die an diesen Fragen arbeiten. Feministische Erkenntnistheorien, welche die männerdominierten Strukturen von Wissen entziffern; die Notwendigkeit betonen, eine neue Geschichte der Frauen zu schreiben; und die von Frauen eine Annahme ihrer Körper, Arbeit und Willensstärke fordern, sind konkrete Zeugnisse von wertvollen Arbeiten, die hervorgebracht wurden. Es würde Seiten füllen, all die wertvollen Studien zu benennen. Allerdings bewirken diejenigen Erkenntnistheorien, welche anstatt die Gesellschaft das Individuum in den Mittelpunkt der Analyse stellen, welche sich nicht mit dem Hervorbringen neuer Systeme oder dem alltäglichen Leben von Frauen befassen, meist keine Veränderung der Realität von Frauen, die gezwungen werden, in Ausbeutung und unter verschiedenen Formen von Gewalt und Massakern zu leben. Wohingegen es doch eigentlich die Aufgabe von Erkenntnis ist, Menschen/Frauen der Freiheit näherzubringen.

Das Bestreben von feministischen Wissenschaftler*innen wurde meist begrenzt von den Institutionen und Universitäten, an denen sie verortet waren. Obwohl das Konzept von »gender« eine breite Perspektive in die Frauenstudien bringen könnte, gibt es immer noch eine Abtrennung der Frauenfrage. Das wird deutlich an Formulierungen wie »Frauen und Umwelt«, »Frauen und Gesellschaft« usw. Soziale Probleme wurden selbst nicht als Probleme gesehen, die mit dem Prozess von Unterdrückung/Kolonialisierung von Frauen zusammenhängen und in der Geschichte des kapitalistischen, patriarchalen, staatlichen Systems begründet sind. Das heißt, dass Stellen für Frauenforschung einen Beitrag leisten müssten für ein breiteres systematisches Verständnis von sozialen Problemen, in die Frauen eingebettet sind und gegen die sie Widerstand leisten.1 Da aber die Produktion von Wissen unter Kontrolle des hegemonialen Systems gehalten und zur Ware gemacht wird – in Institutionen und Universitäten –, war und ist das Potential, dass sich die Arbeiten von Forschenden zur Freiheit hinbewegen, begrenzt.

Jineolojî zielt darauf ab, Raum zu schaffen für Formen von Wissen, das an alternativen Stätten hervorgebracht wird – aus der Gesellschaft und dem alltäglichen Leben von Frauen entstehend – und wo das Wissen der Gesellschaft gewidmet sein wird. Die Zeitschrift zielt darauf dieses Wissen in das alltägliche Leben der Menschen einfließen zu lassen. Wir fühlen uns verpflichtet, eine klare Sprache zu benutzen sowie Kommunikationsmittel, zu denen jede Frau Zugang hat. Gemäß dieser Perspektive publizieren wir nicht nur ein theoretisches Magazin, sondern veranlassen auch Diskussionsrunden und verschiedene Workshops mit Frauen unterschiedlicher Generationen und Herkunft. Wir schätzen nicht bloß die Geschichten unserer Großmütter und Mütter und deren Wissen, wir sehen diese als Hauptquelle einer alternativen Wissenschaft und Erkenntnistheorie.

Wir haben die Erfahrungen von Frauenbewegungen in der ganzen Welt analysiert. Wir haben dabei festgestellt, dass eurozentristische Bewegungen die Hauptachse der Narrative von Frauengeschichte bilden. Existierende Analysen von Frauenbewegungen erfolgen in einer dominanten modernistischen Art und Weise, indem sie annehmen, dass es Widerstand außer dem einen der Verteidiger*innen der »westlichen« Moderne fast nirgendwo gibt. Während Frauen im Mittleren Osten unter sehr ausgeprägten Formen von Kolonialisierung leben, haben wir vielseitige Entwicklungen auf Feldern von Politik und Militär bis hin zur Institutionalisierung von alltäglichen Formen von Widerstand hervorgebracht. Es gibt eine enorme Ansammlung theoretischen und praktischen Wissens aus diesen Erfahrungen von Frauenwiderstand – von Şengal über Kobanê und durch den gesamten Mittleren Osten –, das dazu beitragen kann das Potential von Frauen außerhalb der eurozentristischen und hegemonialen modernistischen Analyse zu begreifen.

Als Frauen sind wir Zeuginnen des Kampfes der YPJ2 gegen die Banden des IS geworden. Als revolutionären Vorstoß in der politischen Arena der Türkei und im Mittleren Osten haben die kurdischen Frauenorganisationen unter dem Dach der KJA begonnen, das System des Co-Vorsitzes einzuführen – ein System, das auf allen Repräsentations-, Entscheidungs- und Administrationsebenen eine gleiche Machtverteilung zwischen Frauen und Männern einschließt. Aufgrund der tief empfundenen Notwendigkeit von freien Frauenräumen haben Frauen der KJA3 begonnen Räume aufzubauen, die für die Entwicklung »demokratischer Städte« gedacht sind und von empfindlicher Wichtigkeit sind, um die kommunalen Wurzeln der Gesellschaft wiederzufinden. Sie sind entlang derjenigen Bedürfnisse organisiert, die aus dem Streben nach Freiheit von Frauen und Gesellschaft hervorgehen. Kooperativen, Gemeinschaftszentren, Frauenzentren, Kulturzentren, Stadt- und Nachbarschaftsräte sind einige Beispiele dieses Versuchs. Doch ist es uns nicht gelungen, diese Debatten, Aktionen und Strategien des Widerstands in Diskussionen und Analysen außerhalb der Türkei und des Mittleren Ostens einzubringen. Aufgrund der Politik der Nationalstaaten haben Medien, aber auch manche internationale Organisationen unsere Bewegung durch orientalistische und positivistische Herangehensweisen herabgesetzt und isoliert. Diese Bedingungen haben unsere Möglichkeiten beschränkt, unsere anhaltenden Diskussionen innerhalb eines globalen Frauenkampfes mitzuteilen.

Wir denken, dass unsere Gemeinsamkeiten vervielfältigt werden und die gesamte Gesellschaft erreichen sollten. Während wir den Anstrengungen und Erfahrungen feministischer Bewegungen großen Wert beimessen und all diese Erfahrungen ebenso als unser Erbe ansehen, gibt es einige Punkte, die wir kritisieren und für die wir mit der Perspektive der Jineolojî nach Lösungen suchen. Wir denken, dass diese Kritiken und unser Streben nach Lösungen dazu beitragen können, die Probleme von feministischen Bewegungen überwinden zu können.

Die Frustration im Zusammenhang mit dem Kollaps des Sowjet-Sozialismus und sozialen Befreiungsprojekten wie auch dem Verstummen verschiedener Religionen, Kulturen und anderen führte in sozialen Bewegungen zu Einstellungen, die entweder zu zaghaft sind oder alles negieren. Das Urteil »Jede*r hat ihre*seine eigene Wahrheit« verursacht eine Aufspaltung von Theorie und Praxis, macht die antihegemonialen Kräfte angreifbar, führt zu ihrer Marginalisierung und schwächt ihre Kraft, Lösungen für soziale Probleme herbeizuführen. In diesem Zusammenhang haben antihegemoniale Kräfte nach Lösungen innerhalb des Systems gesucht, anstatt eine radikale Transformation des Systems zu gestalten und revolutionäre Ziele zu verfolgen. Obwohl wir nicht jegliche Möglichkeit verneinen, im System zu arbeiten, finden wir, dass der Liberalismus alle Ideologien und Lebensstile zum Erstarren gebracht hat. So hat der Liberalismus als Theorie und Praxis ernsthafte Probleme hinsichtlich der Fähigkeit, eine dauerhafte Position einzunehmen und gegen herrschaftliche Systeme zu kämpfen, hervorgerufen. Was also kritisiert werden muss, sind die Wege innerhalb des Systems, die diese Kämpfe verfolgt haben; diejenigen Wege, welche die Wissensstrukturen des Systems nicht überwinden können, da sie die hegemonialen Institutionen zur Basis ihres Kampfes machen. Obwohl innerhalb feministischer Theorie diese Kritiken sehr stark auf Liberalismus und die Erfahrungen der Sowjetunion zurückgeführt werden, sind feministische und Frauenbewegungen noch immer mit den Auswirkungen dieser oben erwähnten Angelegenheit konfrontiert. Ein Beispiel dafür sind Frauenbewegungen, die Forderungen an den Staat stellen und zu sehr abhängig sind von den daraus resultierenden rechtlichen Arrangements. Wie auch immer, wir müssen nach freiheitlichen Wurzeln in den Gründen von Kultur, Glaube und kommunaler Organisierung suchen. Auf diese Weise realisieren wir die Notwendigkeit eines neuen Paradigmas. Dieses neue Paradigma muss auf demokratischen, ökologischen und frauenbefreienden Idealen beruhen. Die Realisierung von sozialer Veränderung, so denken wir, wird durch alternative Institutionen und einen umfassenden Kampf außerhalb der ideologischen, politischen Sphäre des kapitalistischen und staatlichen Systems entwickelt werden. Als kurdische Frauenfreiheitsbewegung sind wir durch unsere Geschichte des Kampfes für die Suche nach unserer Wahrheit mit dem Wissen ausgestattet, ein Leben basierend auf diesem Paradigma zu entwickeln.4

Als Frauen, die Teil der kurdischen Freiheitsbewegung sind, haben wir unseren Kampf zunächst damit begonnen, unsere Bande zur kapitalistischen Zivilisation zu zerschneiden, insbesondere durch den Guerilla-Kampf. Dabei haben wir durch einen erbitterten Kampf gegen alles, was uns aufgelastet und aufgezwängt wird, kritische Maßstäbe für das Eingeständnis und die Ablehnung unserer Fesseln entwickelt, die uns mit den Institutionen des Kapitalismus verbinden – so zum Beispiel Familie, Karriere, Heirat. In diesen Feldern des Kampfes haben wir gelernt, wir selbst zu werden, indem wir eigene Institutionen aufbauen und unserer eigenen Kraft vertrauen. Wir haben uns mit unserer Selbstentfremdung und der Entfremdung unserer Genossinnen konfrontiert. Wir haben intensive Trainings gemacht zu Geschlecht, Geschlechtsidentität, Liebe von und zu Frauen in unabhängigen, frauenautonomen Räumen in Kurdistan und den Guerilla-Gebieten. Wir haben gelernt, den Schmerz der Entwicklung von Selbstwahrnehmung und der Kämpfe gegen die kapitalistische Zivilisation von den Frauen, die vor uns im Widerstand gelebt haben und noch immer leben, zu bejahen. Frauen, die sich selbst von Klippen stürzen, die sich in Feuerbälle verwandeln und explodieren, indem sie ihre Körper zu Bomben machen. Wir haben durch Widerstand und Hingabe einen neuen Pfad eingeschlagen, um uns selbst zu gehören. Wir stützen uns auf die Frauenbefreiungsideologie, die Theorie der Loslösung, das Projekt der Transformation des Mannes und die Theorien des Gesellschaftsvertrages.5 Sie tragen alle zum Aufbau eines freien und gleichen Lebens bei. Da Theorie nicht unabhängig von Praxis funktionieren kann, gebrauchen wir Theorie, um unsere Praxis einer konstanten Wiederbewertung zu unterwerfen.

Eine frauenzentrierte Wissenschaft zu schaffen ist eine Notwendigkeit, um eine Sozialtheorie entwickeln zu können, die auf die Befreiung der Gesellschaft zielt. Wir sehen Jineolojî als eine Sozialwissenschaft. Sozialwissenschaftliche Ansätze, die den Staat als grundlegende Einheit ihrer Studien nehmen und Ökonomie und Religion als Kernthemen setzen, können nicht ausreichend genug soziale Fakten und Probleme beleuchten. Jineolojî stellt die Untersuchung der Definition der Frau und ihrer sozialen Stellung im Leben an den Beginn einer Sozialwissenschaft, welche auf die Lösung der Ursprünge der sozialen Probleme selbst abzielt. Das bedeutet, dass Jineolojî nicht einfach nur eine Wissenschaft ist, die das Studium und die Produktion von Wissen zugunsten von Frauen priorisiert. Wir denken, dass alle Sozialwissenschaften eine Position einnehmen sollten und dass eine soziale Perspektive, die um Frauen herum gebildet ist, diejenige ist, welche die Freiheit bewirken wird. Dabei müssen besonders die Wege, wie Wissenschaft durch Männlichkeit geformt wurde, entziffert und die Rolle und der Ausschluss von Frauen aus den Feldern Religion, Kunst, Philosophie analysiert werden. Wir glauben, dass die ernsthaften sozialen Probleme heutzutage stark mit der verzerrten Definition von Frauen und Auffassung von Leben zusammenhängen. Diese wurden in den für ihr theoretisches und akademisches Wissen bekannten etablierten wissenschaftlichen, philosophischen, religiösen und künstlerischen Bereichen entwickelt. Hier liegt der Kern unserer Kritik: Wir müssen die Lücke füllen, die sich zwischen akademischem Wissen und sozialen Problemen verfestigt hat.

Unser hauptsächliches Ziel ist es, die Wissensstrukturen des hegemonialen Systems, den modernistischen Lebensstil, Industrialismus, den auf Ausbeutung und Plünderung basierenden Kapitalismus, die Zerstörung der Natur und – besonders wichtig – diejenigen Institutionen, die die Freiheit von Frauen einschränken, herauszufordern und zu bekämpfen. Dies alles zu überwinden erfordert das Erschaffen entsprechender Alternativen. Wir sind auf der Suche nach einer Alternative zur Mainstream-Wissenschaft, die nicht nur Frauengeschichte in den Mittelpunkt stellt, sondern auch auf Alternativen zur Plünderökonomie hinarbeitet – eine Wirtschaft im ursprünglichen Sinne des Wortes (oiko-nomos – Organisierung des Hauses) und kommunale Wirtschaft. Mainstream-Wissenschaft und Technologie haben sich zu Monstern verwandelt, die jegliche ethischen und ästhetischen Werte missen lassen. Wir sehen Jineolojî als das Mittel, um den Weg zu bauen, den wir entdeckt haben. Ein Weg, der aus fest gesetzten Steinen gebaut werden muss. Dieser Weg muss der immer weiter anwachsenden Zahl von Frauen eröffnet werden. Jineolojî wird eine Wissenschaft sein, die Wissen in Aktion und organisierte Kraft verwandelt!

Für uns ist Jineolojî ein Rahmen, der gleichzeitig die Produktion von Wissen organisieren als auch Widerstand und Kampf voranbringen kann. Wir sehen diese Projekte nicht als Utopie. Wir sehen sie vielmehr als Möglichkeiten, die bereits realisiert werden; für die wir bereits die notwendigen praktischen Mittel haben, auch wenn klar ist, dass sie noch nicht ausreichen. Wir müssen unsere Erfahrungen und unsere Praxis als Frauen auf der gesamten Welt miteinander teilen. Mit diesem Aufruf zielen wir sowohl darauf, die Grenzen, die zwischen uns gezogen wurden, zu überwinden, als auch in gemeinsam geteilten Räumen zusammenzukämpfen. Wir rufen auf zur Schaffung einer gemeinsamen Plattform, um die Sprache, Praxis und Erfahrungen von Frauen zu diskutieren. Wir werden sie benötigen für den Aufbau eines neuen Systems, welches wir demokratische Moderne6 (ein kommunebasiertes, ökologisches, demokratisches und um Frauen herum organisiertes System) nennen. Unter dem Titel unserer Zeitschrift streben wir danach, gemeinsam in die Zukunft zu fließen – zunächst mit den Frauen des Mittleren Ostens und dann mit anderen Gruppen von Frauen, die ähnliche Forschungs- und Lebensprojekte teilen. Wir glauben, dass diese Art von »flow« nicht auf einen einzigen Pfad beschränkt sein sollte, sondern vielen verschiedenen Pfaden folgen kann und die Möglichkeiten schaffen wird, historisches und alltägliches Wissen über Frauen und Leben mit dem Kampf für Befreiung und soziale Transformation zu verbinden.

Kontakt:
twitter: @jineolojidergi
facebook: @jineolojidergisi
e-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
web: http://www.jineolojidergisi.org


Fußnoten:

1 Dilar Dirik, 2017, Feminizm and the Kurdish Freedom Movement, available at: https://stealthishijab.com/2017/02/01/feminism-and-the-kurdish-freedom-movement/

2 YPJ: Yekinieyên Parastina Jin – Frauenverteidigungseinheiten, die von Frauen in Rojava zur Verteidigung geschaffen wurden.

3 KJA: Kongreya Jinên Azad – Kongress der Freien Frauen. Die kurdische Frauenbewegung hat am 20.11.2016 in Amed beschlossen, eine neue Dachorganisation – Tevgera Jinên Azad/Bewegung der Freien Frauen (TJA) – zu gründen, unter deren Dach sie ihre Arbeit weiterentwickelt.

http://thenextsystem.org/kurdish-women-struggle-for-a-next-system-in-rojava-kurdistan-northern-syria

5 The Kurdistan Women’s Liberation Movement for a Universal Women’s Struggle http://www.kjk-online.org/hakkimizda/?lang=en
Abdullah Öcalan, 2013, Die Revolution der Frau – Befreiung des Lebens (Köln: Internationale Initiative «Freiheit für Abdullah Öcalan – Frieden in Kurdistan), http://www.ocalan-books.com/downloads/die-revolution-der-frau.pdf

6 Wir unterscheiden zwei Formen von Moderne – die demokratische Moderne und die kapitalistische/hegemoniale Moderne. Die demokratische Moderne ist ein Konzept, das von Abdullah Öcalan als Alternative zur hegemonialen, kapitalistischen und staatlichen Moderne gesehen wird. Die demokratische Moderne wird das System der demokratischen Zivilisation sein, welches demokratische Kräfte aufzubauen versuchen.
Abdullah Öcalan, 2016, Democratic Nation, (Cologne: International Initiative «Freedom for Abdullah Öcalan – Peace in Kurdistan) Available online at http://ocalan-books.com/downloads/democratic-nation.pdf