Ein autonomes Frauenfernsehen: international und unabhängig

JinTv

Lydia Gottschalk

Jin TVEin Weltfrauenforum in Asien? Ein autonomes Radio in Lateinamerika? Ein Seminar zur Frauengeschichte in Europa? Die Revolution in Kurdistan? Wie nur sollen wir immerzu davon mitbekommen? All die Sprachen und tausend Internetseiten, durch die wir uns durchschlagen müssen. Und dann immer das: Wir nehmen an einem Seminar teil, an einer Demonstration. Wir lernen Frauen kennen, die wirklich professionell sind. Wir interessieren uns auch für die Kulturen und Umstände, in denen die Frauen aller Welt leben. Aber. Woher sollen wir das wissen? Woher kommen die Informationen? Und wie kann ich ein Teil davon werden? Für alle diese Fragen gilt es eine Antwort zu finden und es wird hart daran gearbeitet. Denn in Kürze wird es ein autonomes Frauenfernsehen geben: international und unabhängig.

Antisexismus zum Mainstream

Wir wollen nicht nur die Brötchen, wir wollen die ganze Bäckerei! Patriarchale Strukturen und klassische Rollenbilder gilt es nicht nur in emanzipatorischen Netzwerken zu überwinden, sondern eben gerade im Mainstream. Was, wenn die Gäste bei politischen Plattformen nicht nur nicht mehr überwiegend Männer wären, sondern auch gern mal der Moderator allein unter Frauen sitzen müsste? Was, wenn wir in Soaps nicht ständig suggeriert bekämen, dass Frauen ständig hinterhältige Pläne schmieden und die Männer wieder alles ins Lot bringen? Was, wenn die Kurd_innen in den türkischen Fernsehserien mal die Held_innen mit Köpfchen wären? Was, wenn die Realität gar nicht so ist, wie sie uns vom Fernsehen vorgegaukelt wird?

Die treuesten Fernsehzuschauer_innen sind immer noch Frauen, die zu Hause arbeiten. Das heißt, Haushalt schmeißen, Kinder aufziehen und das alles ganz ohne Geld. Der Fernseher läuft scheinbar nebenbei. Ohne dabei zu bemerken, wie wenig sie selbst darin zu sehen sind. Entweder sind die Hauptdarstellerinnen reich und haben ganz andere Probleme. Schlagen sich von einer Party zur nächsten und erfüllen dabei noch immer das von ihnen erwartete Bild von Diva und Jungfrau zugleich. Oder sie spielen die Anstandsdame. Wir wollen die Frau in ihrer Realität zeigen und ihre wirklichen Kämpfe. Wir wollen auch mal schwache Frauen sehen, die aufzeigen, wie es möglich ist, den eigenen Mut wiederzufinden. Wir wollen Frauen sehen, die über ihre Geschichte forschen, anstatt sich immer nur Herrschaftsgeschichte anzuhören. Wir wollen Frauen sehen, die Expertinnen auf ihrem Gebiet sind. Wir wollen die Diskussionen über Moral und Ästhetik wieder laut werden lassen. Die Frauen dieser Welt stellen für uns eine unterdrückte Nation dar, die selbst im Stande ist, sich daraus zu befreien. Deswegen sehen wir es an der Zeit, einen weiteren großen Schritt zur Selbstbestimmung zu gehen, und ein selbstorganisiertes Frauenfernsehen aufzubauen.

Hier ein paar Statistiken zum Kopfverdrehen, um ihn am Ende wieder klarer zu haben: Im Jahre 2016 veröffentlichte Sen Jia eine Studie mit dem Titel »Frauen werden mehr gesehen als gehört in Online-Nachrichten«. Von den 2,3 Millionen Artikeln aus 950 Nachrichtenzentren waren auf den Bildern überwiegend Frauen zu sehen, obwohl die Artikel überwiegend von Männern geschrieben wurden. Frauen werden also mehr in einer Objekthaltung wahrgenommen, anstatt sie als wirkliche Subjekte zu schätzen. Die Fotoauswahl hat mehr Auswirkung auf das kollektive Bewusstsein und Gedächtnis, als vielen im Alltag bewusst ist.

Eine weitere interessante Langzeitstudie von Cory L. Arm­strong setzt sich mit Frauen und Protesten in den Nachrichten im Zeitraum von 1960 bis 2006 auseinander. Die Studie fand heraus, dass nur 21 % der Nachrichten von Frauen geschrieben wurden, dementsprechend 79 % von Männern. Außerdem beschreibt die Studie den Zusammenhang von sichtbaren Protesten und der Repräsentanz von Frauen. Schließlich wird oft eben genau für die Rechte von Frauen protestiert. Mehr noch, Proteste finden erst dann gesellschaftliche Breite und Relevanz, wenn sich auch oder vor allem Frauen daran beteiligen.

Aber wie sehen die Zahlen in Deutschland aus? Ende der 1970er Jahre lag der Anteil der Journalistinnen noch bei 17 %. Dann Mitte der 1990er Jahre bei 31 % und heute bei zirka 40 %. Wenn wir uns allerdings die Führungsebenen anschauen, dann gibt es nur vereinzelte Frauen, denen die neu eingerichtete gesetzliche Quote zu diesem Job verholfen hat. Und das, obwohl die Frauen meist gleich oder sogar besser qualifiziert sind. Es herrscht eine Männerliga, die keine Frauen in ihren Reihen sehen möchte. Auf der anderen Seite halten viele dieses Berufsfeld für kinderunfreundlich. Fakt ist, Journalist_innen haben wenig Zeit für Außerberufliches. Doch das ist ja für Frauen und Männer gleichermaßen so. Aufgrund des damaligen Berufs- und Universitätsverbots für Frauen spiegelt sich bis zum heutigen Tage eine unfaire Verteilung und Repräsentation von Frauen und Männern wider. Es ist deswegen wichtig, die Emanzipation der Frau nicht als ein längst überholtes Thema an den Nagel zu hängen. Denn immer wieder werden schon längst erkämpfte Ziele mit Reformen zerschlagen. Frauen sollten sich nicht damit zufriedengeben, nur über sogenannte Frauenthemen schreiben zu dürfen. Die mediale Leitung von Interessen führt zu einer regelrechten Abstumpfung des Publikums. Denn die Medien zeigen uns immer wieder sexistische und rassistische Rollenbilder. Natürlich sind sie dabei nur ein Spiegel ihrer Zeit. Doch tragen sie erheblich dazu bei, die bestehenden Verhältnisse Tag für Tag zu stabilisieren, und greifen damit der Männermacht und Herrschaft immer wieder unter die Arme. Dabei sollten es gerade die Medien sein, die freie Gesellschaftsbilder und -formen fördern müssten.

Mit dem Aufbau eines Frauenfernsehens geht es nicht um die Sprengung einer Quote, sondern vielmehr auch neben den journalistischen Aspekten um die Schaffung menschlicher Arbeitsbedingungen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, möglichst hierarchiefrei in Komitees zu arbeiten, Frauen mit Kindern als eine Bereicherung und nicht als Belastung zu empfinden und alle Bereiche des Fernsehens, von der Redakteurin bis zur Regisseurin, von der Programmleiterin bis zur Kamerafrau und von der Grafikerin bis zur Kolumnistin, aus Frauenhand aufzubauen.

Doku-Team der ersten Jineolojî-Konferenz Nordsyriens. | Foto: Andrea Benario

Unabhängigkeit kommt vor Gleichberechtigung

Grundlegende Idee ist eine physische und gedankliche Loslösung vom Mann, um die eigene Geschichte kennenzulernen und sich endlich wieder als Subjekt der Geschichte zu begreifen. Aus Jahrtausende währender Unterdrückung sprießt das Bedürfnis, alle Bereiche des Lebens zurückzuerobern und sich von Neuem und doch auf das Alte bedacht mit Soziologie, Philosophie, Psychologie, Naturwissenschaften und Kultur auseinanderzusetzen. Nicht zuletzt auch mit dem Ziel, die Teilung der positivistischen Wissenschaften zu überwinden. Es braucht folglich in allen Bereichen ausdrücklich autonome Frauenräume. Sozial, politisch, ökonomisch und auch emotional. Bevor wir also von Gleichstellung und Gleichberechtigung sprechen können, brauchen wir Unabhängigkeit.

Wir können keine freien Verbindungen eingehen, wenn wir nicht selbst frei sind. Frei in unserem Denken. Frei in unserem Handeln. Frei in unseren Entscheidungen. Dies ist ein kollektiver Prozess, den keine und keiner auf sich allein gestellt bewältigen kann.

Wir möchten Lern-Prozesse öffentlich machen, für eine starke Emanzipation der Frau. Doch sind diese Räume nicht nur dafür da, sich darin auszuruhen, sondern die eigene Kraft kennenzulernen und über sich und die scheinbaren Grenzen hinauszuwachsen. Wir sind uns dessen bewusst, dass es – vor allem in Europa – Frauen in allen Lebens- und Arbeitsbereichen gibt. Doch zu welchen Anteilen. Quoten können dabei helfen, dass eine Frau einen Job in einem sogenannten Männerberuf bekommt. Doch damit stellen sie nur eine Ausnahme dar. Und wie das Sprichwort so schön sagt, bestätigen Ausnahmen nur die Regel und führen nicht zu einem gesellschaftlichen Wandel. Sicherlich können wir jeden Beruf ausüben, aber können wir dann noch Frau sein? Oder müssen wir uns dann tarnen? Werden wir dann nicht zum Schaf im Wolfspelz?

In der Medienarbeit gibt es weltweit viele Frauen. Doch müssen wir uns auch bewusst werden, in welchen Bereichen und welche Aufgaben sie erfüllen.

Es geht also darum, mehr Frauen auch hinter der Kamera zu haben. Vor allem bei Redaktionsarbeiten sowie als Journalistinnen und Kolumnistinnen. Zum Aufbau wirklich freier Medien gilt es, die Zensur zu überwinden. Natürlich ist uns allen bekannt, dass Springer und Co. eine rassistische und sexistische Politik verfolgen, doch lässt sich das nicht immer an einzelnen Fällen belegen. Viel wichtiger als die Frage, was wir jeden Tag in Zeitung und Internet lesen und was wir jeden Tag im Fernsehen sehen, ist letztendlich die Frage, was wir eben nicht sehen. Und hier setzen wir noch einen drauf und behaupten, dass die Medienwelt uns selbst so weit gebracht hat, wir können gar nicht mehr frei schreiben, weil wir uns selbst zensieren. Darf ich das? Kann ich das? Ist das nicht zu radikal? Dabei würde sich die Mehrheit der Menschen freuen, endlich einmal etwas Neues zu hören zu bekommen. Es braucht schon längst keinen Redakteur mehr, der bestimmte Themen verbietet. Diese Anpassung, die die kleine Schwester vom Liberalismus ist, greift der kapitalistischen Moderne jeden Tag tatkräftig unter die Arme.

Tatsächlich erschien die erste Zeitschrift zu expliziten Frauenthemen bereits 1693 in London unter dem Namen The Ladies Mercury. Es folgten immer wieder Magazine und Journale, später auch Wochen- und Tageszeitungen. Die erste deutsche Frauenzeitschrift trägt den Namen Die vernünftigen Tadlerinnen und wurde 1725 in Leipzig von Louise Adelgunde Gottsched und ihrem Mann herausgegeben. Die erste selbstständige Redakteurin und Herausgeberin der Welt war Ann Franklin, die in Rhode Island 1762 begann, die Zeitung The Newport Mercury herauszugeben. Bis es jedoch dazu kam, Frauen als Redakteurinnen auch in Europa anzuerkennen, verging noch ein weiteres Jahrhundert.

Hierfür ist die Einordnung in den geschichtlichen Kontext unabdingbar. Es gibt keine Herrschaft ohne Widerstand. Das Geschichtsbild von großen Königen und Feldherren vor allem imperialistischer Staaten kann nur bestehen, weil die Geschichte des Widerstands meist genau wie die Widerständler_innen selbst auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Über Tausende von Jahren wurde die Geschichte nur von Männern geschrieben. Der Mann hat sich ein Monopol aufgebaut, das die Frau mit Gewalt und nicht etwa in einem passiven Prozess verstummen ließ. Nicht, dass es keine Schriften von Frauen gegeben hätte, wie zum Beispiel die von Hypatia, die die elliptischen Umlaufbahnen von Planeten im 4. Jahrhundert n. Chr. erforscht hatte. Doch sie wurden von der Kirche vernichtet. Im Jahre 1791 zur Französischen Revolution hatte Olympe de Gouges mit ihrer Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin die Forderungen der Frauen für die Welt sicht- und lesbar gemacht. Wer sich damit auseinandergesetzt hat, weiß, dass diese Erklärung 217 Jahre später nichts an Aktualität verloren hat. Damals hatte sie die revolutionierende Männerwelt derart ins Wanken gebracht, dass Olympe de Gouges schließlich hingerichtet wurde. Trotzdem hat sie mit ihrer Cleverness und ihrem Mut bewiesen, welche Kraft Frauen entwickeln können, und gleichzeitig wurde sie damit zur Begründerin des europäischen Feminismus. Was wäre, wenn die Frauen der Französischen Revolution ihre eigenen autonomen Medien gehabt hätten?

Und genau das geschah daraufhin. Mitte des 19. Jahrhunderts sprossen überall auf der Welt feministische Journale und Zeitungen hervor. Zwei der ersten großen Errungenschaften der frühen Frauenkämpfe waren das Recht, sich zu organisieren, und damit einhergehend die Produktion einer eigenen Presse. Diese beiden gingen Hand in Hand. Denn die Organisationen druckten ihre Diskussionsprozesse und Meinungen ab, um sie der breiten Bevölkerung zu präsentieren. Frauen, die Journalismus betreiben, sind sich zu jeder Zeit darüber im Klaren gewesen, dass sie nicht nur schreiben, um sich zu vernetzen und Frauenmeinungen und -sichten zu Wort kommen zu lassen, sondern sie schrieben auch, um niemals wieder vergessen zu werden. Geschichte wird aus Büchern und Dokumenten gelehrt, es galt also, eigene historische Dokumente zu schaffen, um in die Geschichte eingehen zu können. Sie handelten stets in diesem Bewusstsein und waren deswegen seit jeher Angriffen seitens Familie, Staat und Kirche ausgesetzt.
Die deutsche Revolution von 1848/49 war ein Aufleuchten feministischer Zeitungen. Die Frauenrechtskämpferin Mathilde Anneke gab im Rahmen der Neuen Kölnischen Zeitung 1848 eine Frauenzeitung heraus, die nach drei Ausgaben zensiert wurde. Sie verließ Deutschland und ging ins Exil nach Milwaukee. Von ihr inspiriert veröffentlichte Louise Otto 1849 in Großenhain/Sachsen die Frauen-Zeitung – Ein Organ für die höheren weiblichen Interessen. Drei Jahre konnte sie standhalten, bis die Zeitung mittels eines eigens dafür erlassenen Gesetzes zensiert wurde.

Bis heute gibt es Zeitschriften, die deren Tradition weiter verfolgen, wie die Emma, Missy Magazine oder an.schläge. Die Forderungen sind im Kern gleich geblieben. Es geht um Unabhängigkeit der Frau und Selbstbestimmung über Leben, Verfügungsgewalt über den eigenen Körper und materielles Eigentum als ökonomische Absicherung auch von alleinlebenden Frauen. So wurde seit jeher die Ehe als eine Institution angeklagt, patriarchale Gesellschaftsverhältnisse aufrechtzuerhalten. Die Frau musste nun Schritt für Schritt ihre Rechte auf ihre Kinder, ein Erbe, Rente und Scheidung zurückerlangen.

Außerdem haben Frauen schon immer gearbeitet. Nur wurden sie aus gesellschaftlich angesehenen und öffentlichen Jobs verbannt. Arbeit im häuslichen Bereich wurde und wird immer noch nicht vergütet und gesellschaftlich nicht anerkannt. Wir können dies am Beispiel der Ärztinnen festmachen. Das biologische Wissen über Körper, Gesundheit und Heilkunde war über Jahrtausende in Frauenhand gewesen und wurde von Mutter an Tochter weitergegeben. Dazu gehörte auch die Hebammentätigkeit. In schweren, gnadenlosen Kriegen haben die Frauen Europas oft zu Gebärstreiks gegriffen – so auch im Mittelalter. Jedoch war damals in den Kriegen die Bevölkerungsstärke ein Maß für die militärische Macht eines Staates. Alle Hebammen sollten staatlich geprüft werden und von da an nur noch an der Seite eines männlichen Arztes ihre Tätigkeit ausüben. Wer das nicht tat, wurde als Hexe denunziert und verbrannt. Die Kirche führte einen Feminizid durch, der jede widerständige Frau auf den Scheiterhaufen stellen sollte. Zu behaupten, die Frauen hätten sich gegen die Patriarchalisierung nicht gewehrt, verleugnet den größten systematischen Massenmord der europäischen Geschichte. Schließlich wurde auf diese Weise der Weg zur Industrialisierung, zum Aufbau großer (Arbeiter-)Städte und letztendlich auch zum Kapitalismus geebnet.

Deswegen fordern Frauen seit jeher das Recht auf Bildung und freie Berufswahl. Weil diese der Schlüssel zu einem Leben ohne Ausbeutung auf sozialer, ökonomischer und sexueller Ebene sind. Auch Journalismus von Frauen ist in diesem Kontext zu sehen und zu verstehen.

Diese Beispiele zeigen auf, dass es in jeder Zeit Frauen gegeben hat, die mit dem Bewusstsein gelebt haben, dass die Frauen, solange sie voneinander getrennt leben, nicht wirksam kämpfen können. Das ist auch der Grund dafür, warum all diese Journale und Zeitschriften immer eine Spalte zum Thema Frauengeschichte hatten. Denn mit oder ohne eigene Medien: Eine Geschichte haben die Frauen schon immer gehabt und werden sie auch immer haben. Jedoch ist diese viel schwerer zu erforschen, weil sie nur versteckt unter Pseudonym niedergeschrieben werden konnte.

Eine deutsche Revolutionärin hat einmal gesagt: Die Frauen hatten erst dann das Recht zu studieren, als die Wissenschaft schon längst nicht mehr genügend Einfluss hatte, um die gesellschaftlichen Verhältnisse wirklich und nachhaltig zu verändern. Darüber hinaus hatten die Frauen erst dann das Recht zu wählen, als die Politik nur noch zur reinen Farce verkommen war und Wahlen nichts mehr bewirken konnten.

Darauf aufbauend könnten wir sagen, die Frauen haben erst dann das Recht auf autonome Medien bekommen, als die Machteverhältnisse der Medienlandschaft schon längst verteilt waren und nun Tratsch- und Klatschblätter dazu beitragen, die Quote höher zu halten, als sie in Wirklichkeit ist. Denn es gibt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Schreiben eines Kuchenrezepts und freier Meinungsäußerung oder gar Journalismus. Was nicht heißen soll, dass Journalistinnen keine Kuchen backen, sondern dass den Frauen auf verblümte Art und Weise der Mund verboten und von vielen Seiten nichts zugetraut wird. Leider oftmals bis zu dem Grade, dass sich die Frauen selbst nicht mehr viel zutrauen.

Wir haben gelernt, dass die einzelnen Journale und Zeitungen zensiert und geschlossen werden konnten, die einzelnen Frauen hingerichtet und in Kerker gesperrt werden konnten. Doch die Geschichte lässt sich weder zensieren noch einsperren.

Das internationalistische Frauenfernsehen in Anlehnung an kurdische Tradition

Mit dem Aufbau der kurdischen Freiheitsbewegung war von Anfang an klar gewesen, dass es auch eines wahrheitsgemäßen Journalismus bedarf und die Berichterstattung nicht den feindlichen und staatlichen Organen überlassen werden darf. Anfang der 1990er Jahre führte der türkische Staat einen bestialischen Krieg gegen die Kurd_innen in Nordkurdistan. Ziel dieses Vernichtungskrieges war es, die Kurd_innen sowohl kulturell als auch physisch von der Landkarte und aus den Geschichtsbüchern zu streichen. Ziel war demnach nichts weniger als ein Genozid. Doch gegenüber der größten Gewalt entstanden Widerstandskraft und Lebenswille. Als Antwort wurde im Zuge dessen die erste kurdische Frauenzeitschrift Jina Serbilind (Die stolze Frau) herausgebracht. Hier schrieben, fotografierten und editierten Journalistinnen, Kolumnistinnen und Redakteurinnen alles selbst. Namentlich wurde Gurbetelli Ersöz zur ersten Frau, die als Redakteurin in der Türkei und Kurdistan gearbeitet hatte. Zusammen mit Gültan Kişanak brachte sie viele Zeitungen heraus. Dies hat die Grundlage dafür gelegt, einen starken Willen zu entwickeln, eine ausdrucksstarke politische Aktionsform zu finden und einen Perspektivwechsel durchzuführen. Als im Jahre 1995 das erste kurdische Fernsehen namens Med TV aufgebaut wurde, waren viele Frauen vor und hinter der Kamera beteiligt. Wir können also auf eine langjährige Erfahrung zurückblicken.

Das türkische Militär, der IS und andere dschihadistische Zusammenschlüsse versuchen die Geschichte des Mittleren Ostens und somit auch der Menschheit auszulöschen, indem sie Weltkulturerbestätten wie die Stadtfestung in Form der Höhlen von Heskîf (Hasankeyf) in Êlih (Batman), den Ischtar-Tempel in Efrîn oder den Palmyra-Tempel zerstören. Gegen physische und kulturelle Auslöschung musste zuerst die kurdische Sprache aus der Illegalität geholt und Kurdistan wieder eine Stimme gegeben werden. So können wir heute auf eine weite Medienlandschaft blicken. Es gibt Zeitungen und -schriften, Internetseiten, Nachrichtenagenturen sowie Radio- und Fernsehsender. Alle tragen sowohl zur Entwicklung der Sprache bei, als dass sie auch alle einen internationalistischen Charakter haben. Eine Vielfalt der Sprachen erreicht zum einen mehr Menschen, die auf diesem Wege ihre Gedanken austauschen können und somit in Verbindung bleiben. Vor allem aber wird somit Nationalismus überwunden, der die Menschen voneinander trennt, aufspaltet und letztendlich auch über Leichen geht.

Mit dem Aufleben der Revolution in Rojava, also Westkurdistan, hat sich eine Kultur von selbstbewussten Frauen entwickelt. Frauen, die wissen, dass nichts einfach so passiert. Nein, es braucht ein Bewusstsein, eine Entscheidung, einen Umsetzungswillen und darauf aufbauend eine Praxis. Es hätte niemals Frauenräte gegeben, wenn sie nicht von Frauen aufgebaut worden wären. Es hätte niemals Frauenselbstverteidigungskräfte gegeben, wenn es nicht die Frauen gegeben hätte, die diese aufgebaut und gekämpft haben. Die Welt wird nie vergessen, wie die Rufe der Frauen die IS-Kämpfer in die Flucht geschlagen haben. Doch was, wenn die Medien gar nicht berichten, was wirklich passiert? Was, wenn die größten Held_innentaten im Sande verlaufen, da nur ein kleiner Teil der Welt davon etwas mitbekommt? Was, wenn im Fernsehen die mutigsten Frauen der Welt als Terroristinnen bezeichnet werden? Dann ist die Zeit gekommen, eine eigene Berichterstattung zu entfalten. Hierbei geht es nicht so sehr darum, nur noch Frauen über die Bildschirme flimmern zu lassen, sondern vielmehr darum, alle Beiträge aus Frauensicht zu präsentieren.

Überall auf der Welt gibt es selbstorganisierte Projekte beim Radio und im Internet. Aber zurzeit führt die Revolution der Frauen in Rojava den Journalismus aus Frauenhand an. Noch nie hat es so viele autonome Frauenprojekte gegeben wie in Rojava. Plattformen nehmen immer mehr an Bedeutung zu, denn die Frauen stellen weltweit eine unterdrückte Nation dar. Trotz Internet stehen vielen Vernetzungsversuchen immer wieder Hindernisse im Weg. Oftmals können Werte und Diskussionen nicht in alle Länder getragen werden.

Internationalismus bedeutet auch heute die Überwindung imperialistischer und postkolonialer Strukturen. Frauen werden dabei die Vorreiterinnen sein und die Grenzen überwinden. Es wird dementsprechend Programme aus aller Welt in selbstorganisierter Eigenproduktion geben. Auf diese Weise werden die verschiedenen Welten und Umstände, in denen Frauen leben, sichtbar gemacht und deren Forderungen verständlich. Das Wort Jin kommt aus dem Kurdischen und bedeutet Frau. Und das ist Programm.


 Kurdistan Report 196 | März/April 2018