Beate Reiß, eine Freundin des kurdischen Volkes
*12.5.1955 – 5.2.2018
Wir trauern um Beate Reiß, die nach langer Krankheit, nun jedoch sehr unerwartet starb.
Ihr Leben lang hat Beate sich für eine andere, gerechtere Gesellschaft eingesetzt. Und seit den 1980er Jahren, seit sie die ersten Aktivist*innen der kurdischen Bewegung kennenlernte, brannte ihr Herz für den Freiheitskampf der PKK.
Geboren wurde sie am 12. Mai 1955 in Osnabrück, aufgewachsen ist sie im nahegelegenen Georgsmarienhütte, einer damals von den Klöckner-Werken geprägten Kleinstadt.
Sie wollte eigentlich Stahlkocherin werden, aber weil sie eine Frau war, akzeptierte man sie nicht. So ging sie nach dem Fachabitur 1976 nach Hamburg und begann eine Lehre als KFZ-Mechanikerin. 1977 erhielt sie als eine der ersten Frauen den Gesell*innenbrief. Sie arbeitete einige Jahre in KFZ- und Motorradwerkstätten und war in der Gewerkschaft und im Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) aktiv. 1982 gründete sie mit fünf weiteren Kolleg*innen ein Werkstatt-Kollektiv, in dem Motorräder und Autos repariert wurden.
Die ersten Freund*innen der PKK lernte sie 1980 nach dem Putsch in der Türkei kennen. Sie war bundesweit eine der ersten, die eine enge Verbindung zur kurdischen Bewegung aufbauten und 1984 in einer Solidaritätsgruppe für die kurdische Revolution aktiv wurden, die von Hüseyin Celebi angestoßen worden war.
Als die Diffamierungen und Hetze gegen die kurdische Bewegung in Deutschland – vor allem damals von der taz Hamburg – einen ihrer Höhepunkte erreichten, besetzte die Gruppe die Redaktion der »tageszeitung«. Nach der Besetzung schrieb die taz mit verächtlichem Unterton, die »Freunde des kurdischen Volkes« hätten die taz besetzt. Und so kam die Gruppe zu ihrem Namen: »Freunde des kurdischen Volkes.«
Mit an Ates Seite, wie sie liebevoll genannt wurde, immer ihre Schwester Gitte sowie ihr Lebensgefährte Robert.
Beate und die »Freunde des kurdischen Volkes« arbeiteten jahrelang in der Redaktion des Kurdistan Report und gaben die Nachrichten aus Kurdistan mit heraus.
1991 reiste sie mit einer Delegation in die Mazlum-Doğan-Akademie im Libanon, die damalige Auslands-Zentrale der PKK. Dort hatte sie die Möglichkeit, mit Abdullah Öcalan zusammenzutreffen und zu diskutieren, und lernte Sakine Cansız kennen, die damals gerade aus dem Gefängnis entlassen worden war. Die Gruppe erstellte die Broschüre »Serfirazkin«.
Beate war immer gewerkschaftlich organisiert, und so knüpfte sie auch Kontakte zu Gewerkschaften in Kurdistan. Seit 1992 organisierten die Freunde des kurdischen Volkes regelmäßig Delegationen nach Nordkurdistan. Die ersten Jahre fuhren sie vorwiegend nach Êlih (türkisch Batman), da es dort gute Verbindungen zu der Gewerkschaft Petrol İş gab. 1993 blieb Beate drei Monate in den kurdischen Gebieten der Türkei, um am Leben der Menschen teilzuhaben und die Sprache zu lernen.
Beate war immer eine Frau der Tat. Sie stand ungern im Vordergrund, sondern mobilisierte Menschen für gemeinsame Delegationsreisen, organisierte zusammen mit anderen Veranstaltungen, Unterschriftensammlungen, Spendenkontos ...
Ihr war wichtig, die Werte der kurdischen Bewegung an allen Punkten, bei all ihren Aktivitäten zu vermitteln. Etliche Gewerkschafter*innen, Politiker*innen, Anwält*innen ... fuhren gemeinsam mit ihr zum jährlichen Newroz-Fest nach Kurdistan oder zur Wahlbeobachtung. Durch ihre Beharrlichkeit und ihre Überzeugungskraft lernten sehr verschiedene Menschen die kurdische Bewegung und das Land kennen.
1992 war sie Gründungsmitglied der Kurdistan Hilfe, die das Ziel hat, Projekte in Kurdistan auch materiell zu unterstützen. Jahrelang kämpfte sie in der »Initiative zur Rettung von Hasankeyf« gegen das Ilısu-Staudamm-Projekt. Aktiv war sie auch in der Kampagne TATORT Kurdistan in Hamburg.
Sie organisierte sich dort, wo sie lebte. Eines ihrer wichtigsten Projekte war die Gründung der Stadt-Land-Genossenschaft für den Austausch regionaler Bioprodukte und europaweite Importe. Eine Genossenschaft, in der auch gegensätzliche Interessen zusammenkamen. Die Mitglieder zahlten einen Betrag und arbeiteten gleichberechtigt zusammen. 120 Betriebe waren beteiligt, Bio-Höfe der Region, Naturkostläden, Küchen oder Kinderläden. Die Genossenschaft existierte zehn Jahre, dann konnte sie nicht mehr mit den entstandenen Biosupermarktketten konkurrieren und musste aufgegeben werden. Die Mitarbeiter*innen wurden von einem anderen Naturkostgroßhandel übernommen. Auch Beate landete dort und arbeitete im Kühllager, da keine Stelle im Vertrieb frei war. Sie blieb dort zehn Jahre bis zum Beginn ihrer schweren Erkrankung. Ihr lag das Arbeitsklima unter den Kolleg*innen im Lager, daher wechselte sie auch später nicht mehr in den Verkauf, als ihr das mehrfach angeboten wurde. Sie stand immer für die Belange ihrer Kolleg*innen ein, insbesondere jene mit Migrationshintergrund.
2002 trat sie in die PDS ein und war Mitbegründerin des Bezirksverbandes Altona der Partei »Die Linke«. In den vergangenen zehn Jahren war sie Bezirks-Ko-Sprecherin und in der Mitgliedschaft sehr beliebt, auch weil sie nicht nach Posten oder Ämtern jagte.
Sie vertrat deutlich ihre Meinung und sagte, was sie wollte. Wenn sie von etwas überzeugt war, setzte sie ihre Kraft, ihre Ideen dafür ein. In Altona war sie in vielen Initiativen und Kampagnen aktiv, sie war Teil der »Bürgerinitiative Kemal-Altun-Platz«, der Initiative »Rettet das Bismarckbad«, des »Altonaer Manifestes« oder von »Prellbock Altona«, einer Initiative zur Rettung des Altonaer Bahnhofes, und und und ...
Ihr Lachen und ihre liebevolle Art, ihre Kraft und ihr Optimismus werden uns fehlen. In der Kurdistan-Solidarität in Hamburg hinterlässt sie eine große Lücke.
ISKU - Informationsstelle Kurdistan, Frauenrat Rojbin Hamburg, Volksrat Hamburg, Kampagne Tatort Kurdistan Hamburg
Abschied von einer tollen Frau!
Auch in Deutschland haben wir sehr viele Freunde und Freundinnen, die nicht wie die Bundesregierung denken. Sondern mit uns Seite an Seite für Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden kämpfen.
Unter diesen abertausenden Freunden hatten wir auch eine ganz besondere Freundin. Eine Freundin, die sich mit uns in den schwierigsten Zeiten für unsere Rechte, aber auch die soziale Gerechtigkeit in Deutschland eingesetzt hat: Beate Reiß, die uns am 5. Februar 2018 in Hamburg verließ. Ate, wie die meisten von uns sie nannten, war eine großartige, mutige und selbstbewusste Frau. Sie hat sich nicht nur in Hamburg für die Gerechtigkeit eingesetzt, sondern auch in den schwierigsten Kriegszeiten der 90er Jahre gegen den türkischen Militärstaat. Trotz großer Gefahren war sie oft in Nordkurdistan gewesen und hat den Kurden mit ihrer Anwesenheit Mut gegeben. Mit ihr wussten wir eine zuverlässige und mutige Frau an unserer Seite, stark wie eine Festung. Ate wird uns und mir persönlich fehlen. Vergessen können und werden wir sie nicht. Denn an den Erfolgen, die wir heute haben, war auch sie beteiligt. Sie hat mit uns vieles geschafft, was sie unvergesslich macht. Sie hat im wahrsten Sinne des Wortes gelebt, weil sie gekämpft hat!
Nilüfer Koç
Wer so lebt, wie Heval Beate gelebt hat, benötigt ein großes Herz ...
Wir kommen ohne eigenen Willen auf die Welt und gehen meist ohne eigenen Willen. Wofür wir verantwortlich sind, ist das, wie und für was wir leben. Diese Frage ist es, was die Menschen eigentlich voneinander unterscheidet, und nicht das Äußere oder das Materielle, wie viele irrtümlicherweise glauben.
Heval Beate hat ein politisches Leben geführt, ein Leben in ständigem Kampf gegen jede Art von Ungerechtigkeit, Diskriminierung, Unterdrückung und Ausbeutung. Ein Leben, um die Welt, in der wir leben, für alle Menschen lebenswerter, gleichberechtigter und freiheitlicher zu gestalten.
Es gibt Menschen, die nur an sich denken und nur für sich leben, aber sozialistische Menschen, wie Heval Beate es war, leben im Kollektiv und in der Verantwortung für das Kollektive; ein Leben, das gesellschaftlich ist. Wer so lebt, wie Heval Beate gelebt hat, benötigt ein großes Herz, ein Herz, das Millionen umfasst, das in der Lage ist mitzufühlen, mitzudenken, mitzuleiden und mitzufreuen. Zweifellos hat Heval Beate mit ihrem beständigen politischen Kampf einen großen Beitrag zur Ausprägung des linken politischen Lebens in Hamburg geleistet, sie hat Spuren hinterlassen. Sie hat durch ihren stark ausgeprägten Internationalismus eine Brücke zwischen dem Kampf des kurdischen Volkes und dem politischen Kampf in Deutschland geschlagen, über die viele andere Menschen Zugang nach Kurdistan und zum Befreiungskampf bekommen haben. Sie war vom Freiheitskampf der PKK dermaßen überzeugt, dass sie auch in schwierigen und turbulenten Zeiten sich von ihr nie abgewandt hat oder in Zweifel verfiel. Denn sie war nicht wie ein Blatt, das sehr zart am Baum hängt und sich beim ersten Wind von ihm trennt, sondern sie selbst war ein Ast dieser Bewegung.
Wir haben eine sehr wertvolle Genossin, Freundin, eine gemeinsame Heval verloren, der Verlust ist schmerzhaft und groß. Es ist jetzt in unserer Verantwortung, die Werte, für die Heval Beate gelebt und gekämpft hat, noch stärker als zuvor anzunehmen und den Kampf bis zum Erfolg zu führen.
Songül Karabulut
Im Gedenken an Beate
Als ich noch in der Oberstufe war, arbeitete Beate aktiv für den Freiheitskampf Kurdistans und führte fast alle Solidaritätsgruppen an. Als ich noch die Schule besuchte, ging ich ab und an zum Kurdistan-Komitee [in Köln] und half bei Übersetzungsarbeiten. Eines Tages las sie meine Übersetzung und sagte, dass sie ein paar Vorschläge habe. Sie sprach, um mich nicht zu brechen, nicht von Fehlern, sondern sagte: »Ich habe Vorschläge.« Als sie mir die grammatikalischen Fehler und Ausdrucksfehler in meiner Übersetzung zeigte, sah ich, wie sensibel sie war, um den kurdischen Befreiungskampf der Öffentlichkeit besser nahezubringen. Wie eine Lehrerin erklärte sie mir, welche Worte ich wo benutzen solle und wie der Satz aufzubauen sei. Sowohl diese Herangehensweise als auch ihre vorantreibende Position in den Sitzungen der Solidaritätsgruppen hat mich sehr beeinflusst. Da Beate über einen tiefen historischen, sozialen und solidarischen Erfahrungsschatz verfügte, hatte sie immer eine führende Rolle in den Arbeiten inne. Ein anderer Eindruck, den sie bei mir hinterließ, war ihre insbesondere in schwierigen Zeiten klare und radikale Haltung.
Als ich mit der Zeit an Erfahrung gewann und aktiver wurde, sagte sie mir: »Schau, Heval Adem, wie die Revolution die Menschen entwickelt. Das Wichtige ist – so wie es der Vorsitzende Apo tut –, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und die Einheit von Theorie und Praxis zu erfassen.« Beate war für mich eine Revolutionärin, eine Lehrerin und Genossin.
Als ich die Nachricht bekam, dass Beate von uns gegangen sei, und Robert, der genauso wertvoll ist, anrief, wurde ich mit Stolz erfüllt, als er mir sagte, dass Beate bis zu ihrer letzten Sekunde dafür gelebt habe, der kurdischen Freiheitsbewegung zu dienen. Noch in der letzten Woche hatte sie vorgeschlagen, im Rollstuhl an der Kundgebung teilzunehmen. Beate war eine Freundin, die uns allen ein Vorbild sein muss. Beate und Freunde wie sie sind immer in unserem Kampf und an unserer Seite.
Adem Uzun
Unsere Newroz-Freundin ...
Beate ist ein schöner Mensch, die mit ihrem Schweigen den Kindern aus dem Land der nicht endenden Todesschreie eine Stimme gab ... Vielleicht eine Fee, also jemand, die nicht oft sichtbar ist, aber von der man immer weiß, dass sie da ist ... Das wissen am besten die in Hamburg lebenden Revolutionär*innen, Genoss*innen und Bekannten ...
Ich habe Beate spät kennengelernt, aber wir sind schnell Freunde geworden, bis sie uns physisch verließ ...
Als ich Gast bei ihr zu Hause war, konnte ich meine Verwunderung nicht verheimlichen. Die Aktionsposter der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland seit den 1980ern, Zeitungsausschnitte, Fotografien voll mit Erinnerungen und Artikel ... Wie ein verborgenes Museum ... Ich war traurig, sie spät kennengelernt zu haben, aber für das Kennenlernen sehr glücklich. Wenn es um »schöne Menschen« ging, habe ich mich immer bemüht, von Beate zu erzählen.
Sie war nicht von denjenigen, die Geisel ihrer Erfahrungen sind, sondern eine, die ihre Seele offen preisgab. Sie lebte mit dem Prinzip, neben den mutigen Menschen zu stehen ... Sie ist die Erzählung, dass man nicht Teil einer gewissen Gesellschaft, Konfession oder anderen Identität sein muss, um so zu leben, sondern mit der bescheidensten Art des Menschen. Sie hat mit dieser prinzipientreuen Haltung nie das Bedürfnis gehabt, es nach außen darzustellen ... Sie tat es still, lebte still und ist nun still von uns geschieden ... Und wird mit dieser Schönheit, die sie unserem Kampf lehrte, immer an unserer Seite stehen ...
In den 90er Jahren, als in Nordkurdistan selbst noch die Buchstaben von Newroz verboten waren, hat sie zusammen mit ihren Freund*innen als Delegation teilgenommen und Newroz und den ihm zugeschriebenen Freiheitsausdruck geschützt. Vielleicht hatten sie keinerlei Staat, Parlament oder Institution, die sie repräsentierten, und waren in diesem Sinne nicht einmal berühmt ... Aber in dem Land, in dem die Kinder Todesschreie ausstoßen, war sie, waren sie auf dem Frühlings- und Freiheitsfestival neben diesen Kindern ...
Pablo Neruda sagte: »Sie können alle Blumen abschneiden, aber den Frühling können sie nicht aufhalten.« Und es ist nicht mehr viel Zeit bis zu Newroz geblieben, Beate. Niemand mehr verhindert die Begeisterung von Newroz ...Weder können sie die Begeisterung aufhalten noch die Blumen des Frühlings ... Und alle Blumen der Berge Kurdistans finden sie bei dir ... Sei willkommen, schöne Blume, sei willkommen, Beate ...
Devriş Çimen
Kurdistan Report 196 | März/April 2018