Ausstellung »Mobile Welten« in Hamburg

Auf der Suche nach der Geschichte des Kampfes von Frauen um Freiheit

Sevin Sengo

Die Ausstellung »Mobile Welten – zur Migration von Dingen in transkulturellen Gesellschaften« im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) ist das Ergebnis einer dreijährigen Forschungsarbeit, in der die Institution Museum, Präsentationen von Ausstellungen und das Verhältnis zwischen Museen und der Gesellschaft reflektiert wurden. Besonders die Auswirkungen der Mobilität von Menschen und Gegenständen, sei es freiwillig oder erzwungen, wirkt sich auf Kunst und Kultur ebenso wie auf die Neuformierung von Alltagsgegenständen aus. Das Projektteam »Mobile Welten« stellt hierzu fest: »Während der öffentliche Diskurs immer noch mit Fragen nationaler und kultureller Zugehörigkeiten ringt, hat sich unter der Hand also längst eine eigenständige transkulturelle Ordnung der Dinge ausgebildet.«

Ausstellungseröffnung »Mobile Welten« in Hamburg. | Foto: A. BenderDie Ausstellung »Mobile Welten« hat sich zum Ziel gesetzt, eindimensionale museale Kategorien sowie die vermeintliche Deutungshoheit westlicher Museen aufzubrechen. Durch diesen Bruch soll ein Raum für transkulturelle Ausstellungsobjekte geschaffen werden. Dieser Raum ist gekennzeichnet durch eine Unbestimmtheit, die es den Objekten möglich macht, ein bewegtes Eigenleben zu haben.

Im Rahmen der Ausstellung »Mobile Welten« werden Dinge gezeigt, die als Insignien kollektiver Identitäten gelten können und aufgrund dieser Mobilität in einem neuen Umfeld aufgenommen und gewandelt werden. Durch die Wandlung bekommen sie häufig eine neue Identität, wie Melodien (japanischer Bossa Nova beispielsweise) und Muster (wie etwa die industriell hergestellten Kopien traditioneller indischer und indonesischer Textilien durch Paisley und Vlisco) genauso wie Einrichtungsgegenstände (der sogenannte »Perserteppich«) oder Mode (man denke an die kunstvolle Dekonstruktion westlicher und japanischer Kleidung durch Comme des Garçons). So auch alltägliche Materialien und Gebrauchsgegenstände wie Gummi, Porzellan, Seide oder Jeans. Deren transkulturelle Herkunft ist selten bekannt und bleibt zumeist unergründet.

Die Kuratoren sprechen von »informellen Formen der Globalisierung«, die sich aktiv auf die Veränderung der Gesellschaft auswirken. Sie werden in insgesamt 15 Teilbereichen der Ausstellung gezeigt.

Im Zuge der Recherche für mögliche Teilprojekte lud das Projektteam »Mobile Welten« den Frauenrat Rojbîn aus Hamburg, die Stiftung der Freien Frau aus Rojava und das Jineolojî Center aus Brüssel zu einem Diskussionsprozess ein. Die Begegnung mit der der Jineolojî zugrunde liegenden Wissenschaftskritik und der Öffnung für eine alternative Herangehensweise an Wissen, Geschichte und Gesellschaft traf sich konstruktiv mit dem kritischen Blick der Projektgruppe in Bezug auf den häufigen Mangel an kritischer Forschung wie Gender Studies, postkolonialen Studien und Selbstreflexion von Forscher*innen im Rechercheprozess.

Im Zentrum dieses Recherche- und Diskussionsprozesses lagen die Region Rojava und Nordsyrien als Region sowie ihre Geschichte, ihre Gegenwart und die speziellen deutsch-kolonialen Verstrickungen. Die Auseinandersetzung mit der emanzipatorischen kurdischen Frauenbewegung und der kulturellen Vielfalt in der Region einerseits und das Erkennen der historischen Wurzeln in den Ausgrabungsstätten wie Tel Xelaf und Ain Dara andererseits ermöglichte es, auf neue und kreative Art und Weise überraschende – auch historische – Verbindungen und Entwicklungen aufzuzeigen. So ist erstmalig ein Einblick in die gesellschaftliche Situation der Kurd*innen in Nordsyrien in einem etablierten deutschen Museumskontext gegeben. Das Ergebnis der Rojava-Arbeitsgruppe wird nun in der Ausstellung »Mobile Welten« als Projekt »Amargî« zu sehen sein.

13 04 2018 Hamburg Ausstellungseroeffnung Mobile Welten in Hamburg. | Foto: A. BenderDas Wort Amargî kommt aus dem Sumerischen und bedeutet sowohl Freiheit als auch Rückkehr zur Mutter. Es ist das älteste bekannte Wort, welches den Wunsch nach Wiedererlangung der verlorenen Freiheit ausdrückt. Sumerisch wurde vor ca. 5.000 Jahren im südlichen Mesopotamien gesprochen. Amargî drückt somit sowohl die Suche von Frauen nach Freiheit als auch der Geschichte und dem kulturellen Erbe von Frauen (nicht nur in Rojava) in nur einem Wort treffend und schön aus. Wir verfolgen mit der Ausstellung das Ziel, aus der Perspektive von Frauen das basisdemokratische Modell, das in der Demokratischen Föderation Nordsyrien/Rojava umgesetzt wird, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dabei wurde unsere Abteilung auf der Grundlage der für uns zentralen Inhalte von der Vorstellung von Freiheit, dem Kampf gegen patriarchale Verhältnisse und dem Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung konzipiert, die auf Geschlechterbefreiung, Ökologie und Basisdemokratie fußt. In der Ausstellung wird mit Hilfe der Exponate ferner der Frage nachgegangen, welche Bedeutung das kulturelle Erbe für den Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung hat. Zentral für die Abteilung Amargî ist die »Thronende Göttin«, eine monumentale Statue einer sitzenden Frau aus aramäischer Zeit, aus dem 9. Jahrhundert v. u. Z. Mit ihrer Hilfe wird die Geschichte der Frauen aus Nordsyrien/Rojava erzählt. Sie berichten uns von dem Lauf der Geschichte; einer Geschichte, die – bislang – nicht geschrieben, aber gelebt wurde und bis in die heutigen Kämpfe von Frauen weiterlebt. Heute erkämpfen sich Frauen in der Demokratischen Föderation Nordsyrien und Rojava Schritt für Schritt ihre eigene Geschichte, ihr Selbstbewusstsein und ihre Freiheit zurück.

Ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang mit der Statue »Thronende Göttin« aufgezeigt wird, ist die Kolonialgeschichte Deutschlands. In diesem Fall vertreten durch Max von Oppenheim. Dieser hatte in Tel Xalaf unter anderem die »Thronende Göttin« ausgegraben und Ende des 19. Jahrhunderts nach Deutschland verschleppt, wo sie im Zuge eines Bombenangriffs im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde und erst in den 2000er Jahren aus den gesammelten Trümmern wieder zusammengesetzt werden konnte. Die Statue ist also auch eine Zeugin der Geschichte der westlichen und imperialistischen Raubkunst.
In engem Austausch mit der Filmkommune und dem Jineolojî-Komitee in Rojava werden in Filmausschnitten die ethnische und kulturelle Vielfalt der Region und der anhaltende Widerstandskampf von Frauen gegen den brutalen Krieg gezeigt, der aus der patriarchalen lebensvernichtenden Mentalität hervorgeht.

Somit ist das Projekt Amargî eine Einladung, das Verlorene dort zu suchen, wo wir es verloren haben, und die Geschichte des Kampfes von Frauen um Freiheit auf den Spuren der Göttinnen Mesopotamiens neu zu schreiben. Konzeptionell ist eine stetige Weiterentwicklung der einzelnen Teilprojekte über die Dauer der Ausstellung vorgesehen.

Die Ausstellung ist vom 13.04. bis 14.10.2018 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe am Steintorplatz zu sehen.

Im Rahmen der Ausstellung finden folgende Veranstaltungen statt:

»Das kulturelle Erbe von Rojava«, Vortrag und Diskussion mit Gönül Kaya am 14. Juni, 18 Uhr im »Mobile-Welten-Studio«/MKG.

»Jineologie – die Wissenschaft der Frauen, der Gesellschaft und des Lebens«, Vortrag und Diskussion mit Haskar Kirmizigul am 6. September, 18 Uhr im »Mobile-Welten-Studio«/MKG.

Im Anschluss findet jeweils eine Expert*innenführung durch die Ausstellung statt.


 Kurdistan Report 197 | Mai/Juni 2018