Deutschlands eigene Interessen am PKK-Verbot

Repressionshandel und deutsche Rechtstraditionen

Peer Stolle, Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins e.V.


Peer Stolle, Vorsitzender des RAV (Republikanischer Anwältinnen- und Anwältevereins e.V.), im Gespräch mit dem Journalisten Fehmi Katar (Yeni Özgür Politika) auf der Azadî-Konferenz zum PKK-Verbot im Oktober 2018.

Demonstration in Berlin: "Der Wunsch nach Freiheit lässt sich nicht verbieten - Gemeinsam gegen Polizeigesetze, PKK-Verbot und Nationalismus."Die erste Frage bezieht sich auf das Verbot der kurdischen Partei PKK in Deutschland, das Verbot angeblich damit im Zusammenhang stehender Symbole und die Verschärfung der Verfahren gegen kurdische AktivistInnen. Warum hat die Kriminalisierung Ihrer Meinung nach zugenommen, wohin soll das führen und wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?

Ich glaube, Anfang 2017 erneuerte das Bundesinnenministerium das sogenannte Kennzeichen-Verbot für die PKK und legte fest, dass eine Vielzahl von Symbolen kurdischer Organisationen angeblich von der PKK benutzt werde, um das PKK-Verbot zu umgehen. Das führte dazu, dass es zu einer Vielzahl von Kriminalisierungsfällen in Deutschland kam, vorwiegend in Bezug auf Bilder von Abdullah Öcalan und auch gegen Fahnen der YPG und YPJ. Die Bundesregierung stellte zwar später klar, dass diese Symbole nicht absolut verboten seien, sondern nur, wenn sie im sogenannten PKK-Kontext benutzt werden würden. Dies führte aber dazu, dass diese Symbole auf Versammlungen verboten wurden und es auch in anderen Kontexten, wie z. B. dem Teilen der Bilder/Symbole auf sozialen Netzwerken wie Facebook oder dem Heraushängen von Bildern/Symbolen aus dem Fenster, zu Strafverfahren kam. Alle Aktionen in Bezug auf die syrisch-kurdischen Organisationen wurden kriminalisiert.

Das Problem dabei ist allerdings, dass das Einleiten der Strafverfahren eine große Rechtsunsicherheit bedient. Denn es ist nicht klar, ob jetzt davon ausgegangen werden soll, dass alle kurdischen Organisationen Teil der PKK sind, ob diese anderen Organisationen unter das PKK-Verbot fallen oder ob die Symbole anderer Organisationen in bestimmten Kontexten verboten sind. Das alles ist vollkommen ungeklärt. Diese Unklarheit ist meines Erachtens auch beabsichtigt, um den Versammlungsbehörden und den Strafverfolgungsbehörden das Kriminalisieren und Festnehmen der Menschen oder das Durchführen von Hausdurchsuchungen zu ermöglichen, auch wenn sich dann erst später klärt, dass es vielleicht in dem verwendeten Kontext gar nicht strafbar oder verboten gewesen ist. Durch diese Herangehensweise gibt es eine Handhabe, gegen Versammlungen und Solidaritätserklärungen für syrisch-kurdische Organisationen vorzugehen. Das führt bei den Menschen natürlich erst einmal zur Einschüchterung.

Meiner Einschätzung nach ist diese Herangehensweise beabsichtigt und hat zum Ziel, den Druck auf die kurdische Bewegung zu erhöhen. Dazu passt auch, dass es einen neuen Erlass gibt, durch den mittlerweile auch bestimmte Versammlungen automatisch in den PKK-Kontext gestellt werden, beispielsweise die alljährliche bundesweite Newroz-Feier, die 2018 in Hannover stattfand. Das hatte ja auch dazu geführt, dass sie zum ersten Mal verboten wurde. Zwar konnte dieser Erlass vor Gericht nicht aufrechterhalten werden, dennoch zeigt es, dass die Bundesregierung den Druck erhöhen will. Man kann das Ganze nicht nur als einen Gefallen für die Türkei oder Erdoğan betrachten, denn dahinter stecken klare deutsche Interessen. Deutschland hat ein eigenes Interesse daran, deutsche Bewegungen und Sympathie-Bekundungen für die syrisch-kurdischen Organisationen zu verbieten oder zumindest zu behindern.

Man kann also eher von einer Art Repressionshandel in Deutschland sprechen. Es werden immer mal wieder die Schrauben angezogen und die Repressionen verstärkt. Dies geschieht als Reaktion auf Forderungen aus der Türkei und direkt von Erdoğan. Deutschland verfolgt also auch ganz eigene Interessen in dieser ganzen Angelegenheit. Ich finde, die Erwägung ist offen. Es kommt nun noch darauf an, wie eine politische Auseinandersetzung geführt wird, aber auch, ob es juristische Gegenwehr gibt. Wir als Anwältinnen und Anwälte sind in vielen Verfahren aktiv und konnten auch schon eine Reihe von Verboten wieder aufheben lassen. Es kann nicht sein, dass die Weltöffentlichkeit und auch Länder wie die USA oder gar die Internationale Koalition den syrisch-kurdischen Organisationen für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) Waffen liefern, während hier in Deutschland das Zeigen der Fahnen eben dieser Organisationen verboten ist (unter dem Vorwurf des Zeigens terroristischer Symbole). Das ist ein offensichtlicher Widerspruch, der auch so thematisiert werden muss!

Sie waren auch an derartigen Verfahren beteiligt, z. B. in Bezug auf das Zeigen angeblich verbotener Fahnen. Was genau sind die Argumente der Staatsanwaltschaft?

Die Staatsanwaltschaften gehen sehr unterschiedlich damit um. Es ist regional sehr unterschiedlich. Viele Verfahren werden eingestellt, da die Staatsanwaltschaft der Meinung ist, dass bestimmte Dinge nicht strafbar oder verboten sind. Sie argumentieren, dass es wie schon vorher erwähnt auf die Nachweise ankommt, ob Fahnen/Symbole in einem PKK-Kontext verwendet worden sind oder nicht. Dennoch gibt es der Polizei erst einmal die Möglichkeit zu entscheiden, ob eine Versammlung als Sympathie-Kundgebung eingeschätzt werden kann oder ob das Zeigen der Fahnen in einem vermeintlichen PKK-Kontext stattfindet.

Wie die Staatsanwaltschaft damit umgeht, ist immer unterschiedlich. In Bayern ist die Staatsanwaltschaft z. B. sehr stark hinterher und würde gern durchsetzen, dass nahezu jedes Zeichen kurdischer Organisationen verboten wird, wenn kein reiner Bezug zu Syrien besteht. Wenn dieser reine Bezug nicht vorliegt, ist aus Sicht der bayerischen Staatsanwaltschaft automatisch ein PKK-Kontext gegeben. Dennoch möchte ich noch einmal betonen, dass es regional sehr unterschiedliche Herangehensweisen gibt.

Sie haben auch davon gesprochen, dass die YPG und YPJ gemeinsam mit Deutschland Teil der Internationalen Koalition gegen den Islamischen Staat (IS) sind. Andererseits geht der Staat in Deutschland gegen die Symbole der YPG und YPJ vor. Wie würden Sie dieses paradoxe Verhalten des deutschen Staates erklären? Was sagt die deutsche Öffentlichkeit zu dieser paradoxen Situation?

Dieser Widerspruch wird leider viel zu wenig diskutiert. Es gibt in Deutschland eine Tradition, aufgrund derer wir uns heute auch hier auf der Konferenz »25 Jahre PKK-Verbot« befinden. In Deutschland wird sehr weit gefasst, was alles als PKK-nah verstanden werden kann. Aus der Sicht des deutschen Staates zählen unzählige kurdische Vereine und Symbole zur PKK. Es wird behauptet, alles sei von Abdullah Öcalan und seinen Vorgaben abhängig. Deswegen gehöre alles zur PKK. Es wird nicht differenziert, wie etwa in anderen Ländern. Das ist eine alte Tradition des deutschen Staates. Die andere Tradition ist, dass linke, emanzipatorische Bewegungen in Deutschland immer als staatsfeindlich angesehen und deshalb verfolgt werden.

Die syrischen KurdInnen kämpfen für ein demokratisches, emanzipatorisches Projekt. Und dass solche Ideen jetzt hier in Deutschland Fuß fassen und verbreitet werden, liegt nicht im Interesse des deutschen Staates. Deswegen setzt sich die langjährige Tradition des deutschen Staates natürlich auch in der deutschen Politik gegenüber den syrischen KurdInnen fort.

In Deutschland gibt es zwei Arten des Umgangs mit Kurdinnen und Kurden, sowohl politisch als auch juristisch. Was sollte Ihrer Meinung nach politisch und juristisch angestrebt werden?

Ich finde gerade, dass die Ausweitung mit den syrisch-kurdischen Organisationen zeigt, wie absurd das PKK-Verbot ist. Das PKK-Verbot ist für eine politische Lösung einfach kontraproduktiv und schon längst überholt. Politisch muss endlich anerkannt werden, dass es im Mittleren Osten ein großes Problem gibt und dort ein riesiger Konflikt stattfindet, sowohl in der Türkei als auch in Syrien. Dieser Konflikt ist mit Begriffen wie Terrorismus einfach nicht mehr zu fassen, denn der türkische Staat begeht Menschenrechtsverbrechen in den kurdischen Siedlungsgebieten. Das muss auch genauso benannt werden.

Dass sich im Laufe der Zeit eine Organisation entwickelt hat, die sich dagegen wehrt, und es im Zuge dessen zu einem bewaffneten Konflikt gekommen ist, erscheint erst einmal als logischer Verlauf. Derartige Beispiele gibt es überall auf der Welt. Man kann als Reaktion nicht einfach sagen, die eine Seite (in diesem Falle der türkische Staat) ist FreundIn und die andere Seite ist TerroristIn. Stattdessen sollte darüber nachgedacht werden, wie man den Konflikt politisch lösen kann. Es ist notwendig sich anzuhören, was die Forderungen der kurdischen Bewegung sind, und zu schauen, wie man Frieden schaffen kann. Statt sich also auf die eine Seite zu stellen und die andere Seite »TerroristIn« zu nennen und sie auch so zu behandeln, sollte sich der deutsche Staat für Frieden einsetzen.

Wie wird das Thema des PKK-Verbots innerhalb der juristischen Verfahren gehandhabt? Gibt es auch StaatsanwältInnen, die das PKK-Verbot hinterfragen oder als Unrecht empfinden?

Es wird immer mal wieder von der Verteidigung thematisiert und hinterfragt, aber bei RichterInnen und den StaatsanwältInnen ist die Linie sehr klar, auch wenn es Einzelne gibt, die das individuell anders sehen. Die juristische Linie ist klar. Die RichterInnen und StaatsanwältInnen wissen, wenn ein Gericht irgendwie anders entscheiden sollte, würde die nächsthöhere Instanz das Verfahren neu aufrollen. Es ist schon vorgekommen, dass Stimmen aus der Justiz gesagt haben, man wäre in Bezug auf das PKK-Verbot anderer Meinung, aber man sei dazu gezwungen, das Gesetz umzusetzen.

Unsere Aufgabe als RechtsanwältInnen ist es, dafür zu sorgen, dass das PKK-Verbot im Gericht immer wieder hinterfragt wird, denn Recht kann sich ändern, ebenso wie die Rechtsprechung sich ändern kann. Daher ist es unsere Aufgabe, dort aktiv zu sein und dafür zu sorgen, dass die Absurdität des PKK-Verbots eines Tages anerkannt wird.


 Kurdistan Report 201 | Januar/Februar 2019