Die Rolle von RAWA in Afghanistan beim Kampf für eine freie Gesellschaft
... nur durch den organisierten Kampf bewusster Frauen erreichbar
Samia Walid, Aktivistin von RAWA, im Gespräch mit CENÎ – Kurdisches Frauenbüro für Frieden
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»Die Zärtlichkeit der Völker wird für uns praktisch spürbar«
Ein Brief von Hüseyin Çelebi aus der Haft 1989 an Christa Eckes
Mit dieser September-/Oktober-Ausgabe des Kurdistan Report jährt sich zum dreißigsten Mal der Beginn des sogenannten »Düsseldorfer Prozesses« am 24. Oktober 1989 gegen insgesamt zwanzig kurdische Aktivisten. Damit wurde die massive Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung bereits vor dem PKK-Verbot von 1993 eingeleitet.
Wir freuen uns als Redaktion, etwas aus einem neu entdeckten Briefverkehr zwischen Hüseyin Çelebi und Christa Eckes veröffentlichen zu können. Hüseyin Çelebi wurde 1988 in Deutschland im 129a-Verfahren gegen Freunde und Mitglieder der PKK in der BRD unter unwürdigen Bedingungen eingesperrt und als jüngster »Terrorist« im größten »Terroristen«-Prozess angeklagt. Hüseyin hatte lange in Deutschland gelebt und war zu einer lebendigen Brücke zwischen den Internationalisten der reichen westlichen Metropolen und dem kurdischen Befreiungskampf geworden. So war er zu der Zeit auch Teil der Kurdistan-Report-Redaktion. Er verbrachte zwei Jahre in den Isolationstrakten deutscher Gefängnisse. Nach seiner Entlassung machte er sich auf in die Berge in Kurdistan, wo er in einem Gefecht von Peşmergas der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) 1992 im Südkrieg, dem großen Krieg zwischen der PKK und den Kräften der PDK, der YNK und der türkischen Armee in Südkurdistan, ermordet wurde.
Während seiner Haft in Wuppertal schrieb ihm erstmals am 24. April 1989 die inhaftierte politische Aktivistin Christa Eckes. Christa war das erste Mal von 1974–1981 und dann von 1984–1992 wegen Mitgliedschaft in der Roten Armee Fraktion (RAF) im Gefängnis. Es folgte ein reger Briefwechsel, in dem beide ihre Erfahrungen im Gefängnis und im Widerstand und ihre politischen Ansichten austauschten.
Wir dokumentieren im Folgenden unbearbeitet einen Brief Hüseyin Çelebis, den er ihr nach dem ersten Verhandlungstag schrieb.
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26.10.89
Liebe Christa,
Hier nun wie versprochen der Antwortbrief auf deinen langen Brief vom 17.9. deine Karte vom 9.10. habe ich auch schon bekommen. Vorgestern hat der Prozess begonnen, und gestern ging es weiter. Ich bin mit dem Kopf noch immer bei diesen zwei Tagen. Ich kann meine Gefühle kaum beschreiben. Indem Augenblick, als ich den ersten Genossen umarmte, das war noch unten bei den Zellen, lösten sich zwanzig Monate Spannungen. Ich kann es wirklich kaum beschrieben, wie gut es mir geht. Wie sind zu dritt, Arm in Arm in den Saal gekommen, wo alle anderen schon da waren. Aber niemand hat uns gesehen, alle lagen sich in den Armen. Und immer wenn man sich von einem löste, sah man einen anderen und umarmte ihn und vergaß dabei seine Umgebung. Als erster löste sich Erdem von einem Genossen, trete sich um und machte einen Satz auf mich zu, und wir umarmten uns ganz fest. Von hinten kam Ali (Sapan), packte mich an der Schulter, wirbelte mich herum und umschlang mich. Dabei verhakten sich unsere Brillen und wir mussten uns vor Lachen krümmen. Ich hab dann Meral gesehen. Ich ging auf sie zu und sagte »Merhaba Meral« sie trete sich um, blickte mich unsicher an und sagte »Merhaba Heval« (grüß dich Genosse). Ich fragte sie, ob sich mich nicht erkannt hatte, was sie bestätigte. Wir haben uns früher noch nie gesehen. Ich sagte »ich bin Hüseyin«. Sie überlegte ganz kurz und dann hellte ihr Gesicht sich auf und wir lagen uns in den Armen. Dann kam Ibrahim, das gleiche passierte wieder, also die Begrüßung usw, sonst kennen wir uns.
Es war so, als wenn man jedes mal einen neuen Schatz entdeckt, und zwar im doppelten Sinn dieses Wortes. Schatz, etwas unheimlich wertvolles und Schatz, jemanden, den man sehr gern hat. Und wie aufgeregt ich war, als wir hinfuhren. Wie ein Backfisch vor seinem ersten Rendezvous, wie ein Kind, das den Weihnachtsmann erwartet. Ich war sehnsuchsschwanger und hatte einen Heißhunger auf meine Genossinnen und Genossen. Und all das, was ich schreibe, reicht nicht, um zu beschreiben, welche Freude und welche Gefühle ich erlebte. Man müsste neue Begriffe erfinden, um das beschreiben zu können. Ich habe die beiden Tage immer nur meine Freunde beobachtet, ich habe sie aufgesaugt, jeden Gesichtszug verschlungen. Ich habe jeden einzeln in mir gespürt, war 17 mal ich und 17 mal sie und 17 mal wir und selbst jetzt sind sie bei mir, füllen meine Zelle. Ich sehe jeden hier herum gehen, hier sitzen, hier liegen. Ich sehe jeden einzelnen, mit den für ihn typischen Bewegungen, ich rede mit ihnen. Ich sehe wie Selahattin (Celik) seine Faxen macht, und wir müssen lachen. Ich spüre wie Ali Haydar meine Hände umfasst und die Wärme seiner Hände umgibt mich. Ich sehe das immer lächelnde Gesicht von Erol, wie ein Porträt, das an meiner Wand hängt und doch lebendig ist. Ich höre die sanfte Stimme Erdems, der weich aber unbeirrbar und stetig redet. Neben mir steht der nie ruhenden quirlige Mustapha, immer herum hopsend, von einem Fuß auf den anderen... wie gesagt, die Worte reichen nicht, um es zu beschreiben. Verzeih mir, wenn es so durcheinander klingt, aber es ist sehr schwer, die Gefühle von insgesamt 18 Menschen auszudrücken, die sich in einem Menschen vereinigt haben. Bei uns tanzt man seine Gefühle, diesen Brief musst du dir als einen unheimlich rhythmischen Tanz, voller unterschiedlicher Schritte vorstellen. Hätte der Platz gereicht, wir hätten zum Auftakt getanzt.
Du wirst die Presseberichte gelesen haben. Deswegen beschränke ich mich auf die Sachen, die nicht in der Presse standen, oder falsch dargestellt sind. Die Solidarität draußen ist wirklich hervorragend. Die Demo am Samstag davor mit 18000 Menschen, wozu ein breites Bündnis von türkischen, deutschen und kurdischen Gruppen aufgerufen hatte. Aber auch drinnen ist es sehr gut. Prozessbeobachter aus Griechenland, Zypern, Frankreich, Schweden und den Niederlanden sind da. Unter ihnen Parlamentarier, Richter, Journalisten. Martin Hirsch, der Ex-Verfassungsrichter hat symbolisch die Verteidigung eines Genossen übernommen (Erdem), war aber leider nicht da, weil er krank war. Internationale Presse ist zahlreich erschienen, manche Berichte sind wirklich gut. Nur die Lokalpresse hier hetzt und die taz bringt wirklich dumme Berichte. Ein französischer Richter bezeichnete das Verfahren als Skandal. Auch in der Zukunft werden Prozessbeobachter dabei sein. Zwei Sicherheitsverteidiger [Pflichtverteidiger?] haben aus Solidarität mit der Sache des kurdischen Volkes um ihre Entpflichtung gebeten. Draußen sind mehrere Busse voller Kinder angefahren, die leider nicht in den Saal gelassen wurden und uns Grüße geschickt haben. Auch in der Zukunft wollen Kurden aus dem gesamten europäischen Bereich zu den Prozesstagen zahlreich erscheinen. Diese Solidarität ist wirklich sehr gut, es gibt soviel Kraft. Die Zärtlichkeit der Völker wird für uns praktisch spürbar, wir fühlen sie. Eine Zeitung hat letztens geschrieben, dieser Prozess werde zu einer Solidarisierung unter den 400000 Kurden in der BRD führen. Aber die Solidarisierung geht weit über diesen Menschen hinaus, sie ist international. In der letzten Sonderausgabe des K. Reports soll Ali Haydar mit den Worten zitiert worden sein, »ich bin der festen Überzeugung, dass durch diesen Prozess der BRD der Schrei des kurdischen Volkes nach Freiheit auf der ganzen Welt gehört werden wird. Die Menschheit soll Zeuge davon werden«. Genau das passiert jetzt.
Noch einige Worte zu dem Angriff der Schließer und dem Problem mit der Übersetzung:
die Schliesser in dem Glaskasten sind eine ernsthafte Bedrohung für uns. Am ersten Tag hat der Richter Ali (Aktas) aufgefordert sich an seinen Platz zu begeben. Sein Kopfhörer war kaputt und er redete noch mit seinem Verteidiger, als plötzlich zwei Schließer ihn von hinten packten, zu Boden warfen, schlugen und würgten. Als einige Genossen ihn zu schützen versuchten, griffen die Schließer auch sie an. Dabei wurde Meral in die Luft gehoben, geschlagen und heraus getragen, auf Ali wurde herausgezogen. Als ich versuchte einen Genossen weg zu ziehen, damit er nicht in den Tumult gerät, schlug mir ein Schließer ins Gesicht, extra so, dass meine Brille herunter fiel. Dann zog er mich über den Tisch. Ich hab mich dann dagegen gestemmt und ihn mit einem Ruck auf meine Seite gezogen, worauf hin ich auf einen der Schließer zu Boden fiel. Dieser versetzte mir dann noch einen Schlag mit dem Ellenbogen in den Unterleib. Dann hat mich Ali Haydar auf einen Seite gezogen, wo es ruhiger war, und wir haben Parolen skandiert und gegen diesen Angriff protestiert. Die haben vor unseren Augen unseren Freund Ali gefoltert. Erst danach hat sich die Lage beruhigt, und Ali und Meral wurden zurück gebracht. Beide hatten Folterspuren am Körper.
Später hat der Schließer, der mir in den Unterleib geschlagen hat, versucht mich zu provozieren. Als ich einen Besucher mit »Guten Morgen« begrüßte, meinte er, ich soll das Maul halten. Daraufhin habe ich ihn gefragt, ob er mich provozieren will. Er antwortete, »halts Maul, sonst haue ich dir eins aufs Maul.« in diesem Augenblick kam meine Anwältin, der ich dem Vorfall geschildert habe, und als ich ihn ihr zeigte, drehte er einfach sein Gesicht weg und verdeckte es mit seinen Händen. Auch beim Hinausgehen hat er mich nochmal geschubst und auf die Hand geschlagen. Zum Glück hat das ein Anwalt gesehen und sofort interveniert. Unten bei den Zellen gingen diese Provokationen gegen andre Genossen weiter. Wir protestieren gegen den Glaskasten und die Schließer, aus diesem Grund weigern wir uns alle, außer Yasemin, uns hinzusetzen. Dieser Glaskasten ist wirklich unmöglich. Die ganze Anlage für die Anwälte ist nicht in Ordnung. Wir müssen sie rufen, weil sie z. T. 20 Meter von uns entfernt sind. In der Glaswand sind ein paar Löcher. Wenn wir reden, hören die Schließer die Verteidigungsgespräche mit. Noch schlimmer wird es, wenn die Zeugen kommen, da brauchen wir den Kontakt zu den Verteidigern.
Die Übersetzungen sind auch unmöglich. Zumal es ein Gutachten gibt wonach feststeht, dass man vom Deutschen ins Türkische nicht simultan übersetzen kann. Hinzukommt, dass die anwesenden Gerichtsdolmetscher nicht in der Lage sind einen politischen Text zu übersetzen, das ist ja in der Presse wiedergegeben worden. Am zweiten Tag sollte Ali Haydar eine Erklärung verlesen, was nicht ging. Wir sind nicht über eine halbe Seite gekommen, weil falsch übersetzt wurde. Dann hat der Staatsanwalt vorgeschlagen, er solle mir die Erklärung geben und ich solle sie im Gefängnis übersetzen. Das ist eine Methode mit der man arbeiten kann und zur Beschleunigung des Verfahrens beiträgt, aber wir wollen dafür zusammengelegt werden. Ali, Ali Haydar und ich wären in der Lage die Erklärung dann zu übersetzen und vorzutragen. Das gilt für alle Erklärungen, Ali und ich könnten mit jedem, der eine Erklärung abgeben will zusammengelegt werden. Das ist auch dafür notwendig, damit die Erklärungen mit aktuellem Bezug vorbereitet werden können. Das wurde jetzt beantragt. Außerdem kann man dann einen schwer verständigen Text auch einmal nachfragen. So wie es jetzt läuft, kommen wir nicht weiter.
Soviel zum Prozess. Die Entwicklungen in Kurdistan hast du sicherlich in der Presse verfolgen können, da kommt ja jetzt einiges. Speziell der Artikel des Türkei-Korrespondenten der taz war unheimlich gut.
Die Demo vom 12.9. zum Jahrestag des Putsches ist ein Ausdruck für die zunehmendes Solidarität der verschiedene Gruppen. Diese Bündnisse haben ihre Basis in dem Widerstand der politischen Gefangenen und der Kriegsgefangenen und in dem Kampf in Kurdistan, der jetzt wirklich unheimlich erfolgreich läuft und die bisher verdeckte Unterstützung der Bevölkerung zu Tage treten lässt. Warum das mit den Transparenten war, weiß ich nicht, ich habe aber auch nichts davon von anderen gehört, vielleicht war es etwas Lokales. Auch die Broschüre von Cedri ist mir unbekannt, weil wir nichts schriftliches zu unserem Prozess bekommen. Man muss wohl auch die ziemlich undurchsichtige Politik dieser Cedri bedenken. Ich habe bis heute nicht verstanden, warum die uns eigentlich unterstützen.
Dieser Brief, den du zitierst, war interessant. Ich hatte auch die ganzen anderen Artikel in der taz gelesen, die erschienen waren.
So, liebe Christa, ich wünsche dir noch alles Schöne und Gute, natürlich den anderen auch.
Mit vielen Grüßen
Hüseyin
P.S.
der Artikel aus der fr wurde angehalten, aber ich beziehe die fr auch.
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Weitere Informationen zu Hüseyin Çelebi und Christa Eckes:
https://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/hintergrund/celebi/index.htm
http://www.sozonline.de/2012/10/christa-eckes-19502012/
Kurdistan Report 205 | September/Oktober 2019
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