Mesopotamisches Wasserforum im April 2019

Wasser bedeutet Frieden, nicht Krieg

Ercan Ayboğa, Ökologiebewegung Mesopotamiens (MEM)

Vom 5. bis zum 7. April 2019 wird im südkurdischen Silêmanî (Sulaimaniya) erstmalig das Mesopotamische Wasserforum (MWF) stattfinden. Vom 5. bis zum 7. April 2019 wird im südkurdischen Silêmanî (Sulaimaniya) erstmalig das Mesopotamische Wasserforum (MWF) stattfinden. Eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Organisationen aus allen vier Teilen Kurdistans, dem Irak als auch Syrien, dem Iran und der Türkei, die seit längerem zum Thema Wasser arbeiten, insbesondere zu Flüssen und gegen zerstörerische Talsperren, bereitet es vor.

Das Mesopotamische Wasserforum wird nicht nur das erste regionale, sondern generell das erste Treffen zivilgesellschaftlicher Organisationen aus allen vier Staaten zum Thema sein. In den vergangenen Jahren fanden im Mittleren Osten zweifellos eine Reihe von Foren und Konferenzen mit internationaler Beteiligung statt, doch das MWF wird von zivilgesellschaftlichen Organisationen aus mehreren Ländern gemeinsam aktiv organisiert. Dahinter steht insbesondere die seit 2012 bestehende Kampagne »Schützt den Tigris und die irakischen Sümpfe« (Save the Tigris and Iraqi Marshes Campaign – STC), die vor allem von Organisationen aus dem Irak, Süd- und Nordkurdistan koordiniert und von wenigen europäischen NGOs unterstützt wird. Aus Syrien und dem Iran kommen auch einige Mitglieder dieser Kampagne, doch die zuerst Genannten lassen sich im Moment noch als die treibendsten Kräfte bezeichnen. Das liegt auch an der extremen politischen Repression in den letzteren beiden Staaten.

Das MWF wird seit einigen Jahren nicht nur von der STC diskutiert. Angesichts der historischen und aktuellen Bedeutung der beiden großen Flüsse Euphrat und Tigris und der in den letzten Jahren geführten politischen Auseinandersetzung ist die Idee eines breiten Forums naheliegend. Vor allem seit dem Bau von Talsperren an Euphrat und Tigris und der großen Bewässerungssysteme im besetzten Nordkurdistan, also seit den Entwicklungen des türkischen Staates im Rahmen des Südostanatolienprojektes (GAP) ab den 1980er Jahren, wird der Zugang zum Wasser in Mesopotamien kontrovers diskutiert und immer wieder das Szenario vom »Krieg um Wasser« beschworen. Unabhängig davon, dass solche enormen Wasser­infrastrukturprojekte wegen ihrer gravierenden sozialen und ökologischen Folgen an sich abzulehnen und zudem die Wasserressourcen generell begrenzt sind, besteht das Hauptproblem darin, dass die Türkei als Staat am Oberlauf für das Wasser­einzugsgebiet keine gemeinsame, ausgeglichene Planung mit den Anliegern an den Unterläufen durchgeführt hat, also dem Irak und Syrien. Genau das fordert auch eine UN-Konvention von 1997 zur Nutzung von internationalen, nicht schiffbaren Wasserläufen. Diese wurde jedoch von mehreren Staaten, darunter auch der Türkei, nicht unterschrieben. Über die eigenen Beschlüsse und Entscheidungen hat die Türkei Syrien und den Irak quasi nur informiert. Beiden Staaten bot sie darüber hinaus bilaterale und international nicht verbindliche Abkommen an, von denen eines 1987 mit Syrien zustande kam.

Der Irak versucht bis heute, Syrien versuchte es bis 2011, mit der Türkei einen umfangreichen, auch für sich selbst akzeptablen Vertrag über die Nutzung von Euphrat und Tigris zu erreichen – bisher jedoch vergebens. Denn der türkische Staat benutzt die Talsperren und Stauseen als strategisches Mittel für politische Ziele. Das war schon 1998 der Fall, als er Syrien mit Krieg und dem Abgraben des Euphratwassers drohte und dies nur dadurch abgewendet wurde, dass Abdullah Öcalan, der Vorsitzende der PKK (Arbeiterpartei Kurdistan), Syrien verließ. Die Türkei hielt sich bis vor kurzem an das Abkommen von 1987. Nachdem die Terrororganisation des sogenannten Islamischen Staates (IS) durch die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) und die dahinterstehenden revolutionären Kräfte aus Nordsyrien vertrieben wurde, wird der Wasserdurchfluss im Euphrat nach Syrien jedoch seit Anfang 2016 erheblich gedrosselt.

Der Iran macht es der Türkei in den letzten Jahren nach. Zwar sind die Nebenflüsse des Tigris aus dem Iran (genauer gesagt aus Ostkurdistan) in den Irak an sich kleiner, aber in der Summe bedeutend für den Irak. Seit dem Sturz des Saddam-Hussein-Regimes proklamiert der Iran angeblich freundschaftliche Beziehungen zum ebenfalls »schiitischen« Irak, doch er schneidet den Flusswasserdurchfluss durch Talsperren brutal ab. Im Irak sind die Zuflüsse außerordentlich wichtig – sowohl für die Trinkwasserversorgung der meisten Städte als auch für fast die gesamte Landwirtschaft. Und das seit rund 5000 Jahren, weshalb der Irak und Syrien ihre Ansprüche auch historisch begründen. Auf dem Territorium des türkischen und des iranischen Staates (inklusive Südkurdistan) wurde Wasser aus den Flüssen Obermesopotamiens nur begrenzt – drei Prozent des Gesamtdurchflusses – für die Landwirtschaft entnommen.

Das Problem des Irak liegt einerseits in einem schwachen und chaotischen politischen System, welches sich ständig im Bürgerkrieg befindet. Die Regierungen aus mehreren Parteien sind zerstritten und besonders außenpolitisch schwach, weshalb sie international kaum etwas gegen die Türkei und den Iran unternehmen können und wollen. Auf der anderen Seite ist die Zivilgesellschaft schwach organisiert und wird politisch oft von den Parteien kontrolliert. Zuletzt begann erst die STC, die irakische Regierung nennenswert herauszufordern. Das wurde in der irakischen Öffentlichkeit teilweise auch wahrgenommen.

Kernproblem des gesamten Mittleren Ostens ist der Umstand, dass sich nur diktatorische bis hin zu offen faschistischen Nationalstaaten finden, die keinerlei Interesse an einer halbwegs friedlichen und ausgeglichenen Situation haben – das wirkt sich folglich auch auf den Zustand der Flüsse aus. Das ist seit vielen Jahrzehnten so, doch mit dem Syrienkrieg ab 2011 hat sich die Lage verschärft. Mit der Ausweitung des Krieges auf den Irak wurde die Wasserinfrastruktur auch von nichtstaatlichen bewaffneten Organisationen, besonders vom IS, als Waffe eingesetzt. In Mittel- und Untermesopotamien, einer Region mit wenig Niederschlag, sind die Flüsse so überlebenswichtig, dass das Zurückhalten von Wasser über Leben und Tod entscheiden kann.

Auch in Nord- und Ostkurdistan haben die Talsperren katastrophale Folgen. Hunderttausende Menschen wurden bereits vertrieben, hunderte historische Orte überflutet, ein universelles kulturelles Erbe und ökologisch einzigartige Flusslandschaften zerstört. Das bekannteste Beispiel ist Heskîf (Hasankeyf), das vom Mega-Staudamm Ilısu bedroht ist.

Auch in Nord- und Ostkurdistan haben die Talsperren katastrophale Folgen. Hunderttausende Menschen wurden bereits vertrieben, hunderte historische Orte überflutet, ein universelles kulturelles Erbe und ökologisch einzigartige Flusslandschaften zerstört. Das bekannteste Beispiel ist Heskîf (Hasankeyf), das vom Mega-Staudamm Ilısu bedroht ist. Ilısu steht auch für die Verknüpfung zivilgesellschaftlicher Organisationen aus Nordkurdistan und dem Irak zum gemeinsamen Aufbau der STC. Die Kampagne widmet sich neben Heskîf hauptsächlich den im Süden des Irak liegenden und vom Ilısu-Damm bedrohten Mesopotamischen Sümpfen, – noch – die größten Feuchtgebiete des Mittleren Ostens.

Unter den Organisatoren des Forums findet sich auch die in Nordkurdistan aktive Ökologiebewegung Mesopotamiens (www.mezopotamyaekoloji.org), die Mesopotamien als Ganzes versteht und die Rechte aller Menschen und Lebewesen als gleichwertig. Mit dieser Mission organisiert sie das MWF mit.

Das MWF will nicht nur den Zustand der Gewässer und die Wasserpolitik der Nationalstaaten analysieren und kritisieren. Es geht vor allem darum, dass sich die Zivilgesellschaft über Nationalismus, religiösen Extremismus und Ausgrenzung hinwegsetzt und zusammenkommt. Diese Zusammenkunft wird die erste dieser Art sein und soll einen langfristigen Effekt haben. So soll Solidarität über Staatsgrenzen hinweg gestärkt werden – Wasser kann erheblich dazu beitragen. Dabei sollen nicht nur die negativen Auswirkungen von Talsperren und neuen, überdimensionierten Bewässerungsprojekten thematisiert, sondern auch Alternativen erarbeitet werden; und zwar alternative Lösungen zur Deckung des Wasser- und Energiebedarfs. Dieser Bedarf muss durch die Gesellschaft an der Basis definiert und nicht durch Staatsregierungen oder Konzerne vorgegeben werden, denn nur so wird einer Verfälschung vorgebeugt. Hierzu werden demokratische Entscheidungsprozesse benötigt. Deshalb sollen auch Vertreter von Kommunal- und Regionalverwaltungen (aus allen vier Staaten) eingeladen und von den neuen Ansätzen überzeugt werden. Sie sind näher an der Bevölkerung und in der Regel nicht so sehr korrumpiert

Ein weiterer wichtiger Punkt, der herausgearbeitet werden soll, ist der Friedensaspekt des Wassers. Denn Wasser bildet die Lebensgrundlage für alle Lebenswesen und ist, anders als so vieles, nicht produzierbar – eben einfach unverzichtbar für das Leben. So betrachten wir Wasser als ein Medium für Frieden, gegenseitiges Verstehen und Respekt. Des Wassers besonderer Stellenwert soll Menschen und Verwaltungen dazu bringen zu teilen und nicht zu herrschen. Gerade im Mittleren Osten mit seinen vielen Kriegen muss Wasser zum Frieden führen ...


 Kurdistan Report 201 | Januar/Februar 2019