Auswertung der Kampagne Riseup4Rojava

Über die Kriegsablehnung hinaus die Perspektive für eine befreite Gesellschaft in die Praxis umsetzen

Kampagne Riseup4Rojava


Über die Kriegsablehnung hinaus die Perspektive für eine befreite Gesellschaft in die Praxis umsetzenAnfang 2019 gründete sich die internationale Kampagne »Riseup4Rojava« mit dem Ziel, die Revolution Rojavas und deren Errungenschaften zu verteidigen. Hierfür soll eine weltweite Front gegen den türkischen Faschismus aufgebaut werden. Die Kampagne ist ein Resultat des sich immer stärker praktisch ausdrückenden Internationalismus weltweit. Aufgrund der Erfahrungen und Kritiken des Widerstands in Europa gegen die Besatzung Efrîns und die Angriffsdrohungen Erdoğans gegen weitere Teile Rojavas zum Jahreswechsel 2018/2019 begannen immer mehr Gruppen und Einzelpersonen, gemeinsam mit der Internationalistischen Kommune Rojavas, sich auf den kommenden Krieg vorzubereiten.

Im Rahmen der Vorbereitungen wurde sich auf eine Mobilisierung zu einem Tag X geeinigt. Tag X sollte der Tag sein, an dem die türkische Armee ihre Offensive gegen Nordsyrien startet. Er sollte die bereits laufenden Proteste gegen das türkische AKP-MHP-Regime auf eine neue Stufe des Widerstands heben. Und mit dem Rückzug der US-Soldaten von der türkisch-syrischen Grenze wurde sich ab dem 6. Oktober 2019 darauf eingestellt, im Rahmen dieser Mobilisierung aktiv zu werden.

Am 9. Oktober begann die Offensive des türkischen Staates. Mit Luftschlägen und dem Einsatz islamistischer Banden am Boden versuchte die türkische Armee, die Städte Serê Kaniyê und Girê Spî einzunehmen. Daraufhin kam es bereits an diesem Tag zu vielen Demonstrationen und Aktionen des Widerstands. Am 10. Oktober weiteten sie sich auf die ganze Welt aus.

Der Aufruf von Riseup4Rojava drückt die strategische Linie der Kampagne aus, dass es bei der Verteidigung der Revolution außerhalb Kurdistans nicht nur um das Organisieren von Massendemonstrationen geht, sondern auch um Aktionen des zivilen Ungehorsams. Ziel sind dabei Unternehmen, Finanz­institute und andere Institutionen, die durch Waffenlieferungen sowie diplomatische und wirtschaftliche Unterstützung das Erdoğan-Regime fördern. Es soll deutlich werden, dass diese Unterstützung nicht akzeptiert und von den demokratischen, sozialistischen, feministischen und ökologischen Kräften selbst direkt verhindert wird.

In den ersten Tagen nach dem 9. Oktober wurden in diesem Kontext in Barcelona und Neapel Check-in-Schalter von Turkish Airlines blockiert. Diese Blockaden hatten das Ziel, Flüge in die Türkei zu verhindern und damit dem Unternehmen zu schaden, da es offensichtlich mit der türkischen Armee und dem AKP-Regime verbunden und zu 49 % in staatlicher Hand ist. Davon inspiriert wurden in den kommenden Wochen unter der Losung »No Flights to Turkey« mehr als dreißig Flughafen-Blockaden in sechs Ländern organisiert.

Neben den Blockaden der Check-in-Schalter wurden auch Waffenproduzenten blockiert. Auch hier gelang es immer wieder, koordinierte Aktionen in verschiedenen Ländern durchzuführen. Am Mittwoch, dem 23. Oktober, hielten mehrere Aktivist*innen die Zufahrt zu KrausMaffeiWegmann in Kassel besetzt und wurden erst nach mehreren Stunden von einem Sondereinsatzkommando der Polizei geräumt. Parallel dazu wurden die Werkstore von Rheinmetall in Rom mehrere Stunden blockiert.

Besonders erfolgreich konnten die Proteste im Rahmen von Riseup4Rojava mit ökologischen Kämpfen verbunden werden. Unter der Parole »Fridays for Peace« wurden bereits kurze Zeit nach dem Beginn des Angriffs, am 18.10.2019, insbesondere in Italien und Deutschland gemeinsam mit lokalen »Fridays for Future«-Gruppen Aktionen durchgeführt. Etliche Automobilkonzerne, die in Rüstungsgeschäfte mit der Türkei involviert sind, wurden an diesem Tag benannt und blockiert.

Für Samstag, den 19.10.2019, wurde ein globaler Aktionstag organisiert. Für diesen Tag wurde aus Rojava explizit dazu aufgerufen, den Alltag der Menschen im Westen für einen Moment zu stören. Doch der Aufruf: »Solange der Krieg weitergeht, bringen wir auch in den westlichen Metropolen das Leben zum Stillstand«, wurde nur in einigen wenigen Städten aufgegriffen, wo zentrale Straßen und Brücken blockiert wurden.

Ein weiterer gemeinsamer Fixpunkt, der durch die Koordinierung zwischen den beteiligten Organisationen international gesetzt wurde, war der World Resistance Day im Rahmen des Welt-Kobanê-Tages, für den weltweit zu Großdemonstrationen aufgerufen wurde.

In Deutschland waren es regionale Demonstrationen, mit jeweils mehreren tausend Teilnehmer*innen in Stuttgart, Frankfurt und Berlin. Dabei ist es insbesondere in Berlin gelungen, eine hohe Beteiligung von Internationalist*innen zu erreichen.

Im Rahmen der Aktionen gelang es auch immer wieder, Transparente oder riesige Flaggen der YPG/YPJ zu platzieren und damit in die Öffentlichkeit zu bringen. Dutzende Graffitis wurden gesprayt, unzählige Sticker und Plakate verklebt, Autobahnbrücken und Züge verschönert. Aus der ganzen Welt kam es zu Solidaritätsbekundungen größerer und kleinerer Art.

Auswertung der Kampagne Riseup4RojavaAuswertung

Wir können sagen, dass die erste Phase des Widerstands gegen die türkische Besatzung von vielen Aktionen geprägt war. Die hohe Quantität der Aktionen zeigt, dass sich viele Menschen mit der Verteidigung der Revolution und ihrer Errungenschaften identifizieren und sich an ihr beteiligen. In den Aktionen wurde nicht nur die Ablehnung des Krieges ausgedrückt, sondern sich auch immer wieder auf die Errungenschaften der Revolution in Rojava bezogen. Viele der Aktionen hatten einen explizit feministischen Charakter und bezogen sich auf die Frauenrevolution. In anderen, wie den Aktionen im Rahmen von »Friday for Peace«, wurde der Schwerpunkt auf Ökologie gelegt.

Als die Offensive der Türkei begann, gab es einen hohen Identifikationsgrad mit der Kampagne Riseup4Rojava. Über Veranstaltungen und Informationsmaterial, den Aufbau von Riseup4Rojava-Accounts in den sozialen Medien und den Ausbau der Informationsarbeit auf internationaler Ebene wurde weiter versucht, die Arbeit und die Kommunikation »nach innen« zu verbessern, um die Perspektive und langfristigen Ziele der Kampagne klarer zu machen.

Gleichzeitig, wenn wir die Sichtbarkeit in Massenmedien oder die Reichweite in sozialen Medien betrachten, müssen wir uns fragen, wie wir mit den Aktionen noch mehr Menschen erreichen können. Nicht bei allen Aktionen hat es geklappt, eine gute und professionelle Pressearbeit vorzubereiten. Als die Informationen zum Krieg in den Massenmedien verschwommener wurden bzw. der Krieg weniger präsent war, wurde dies besonders wichtig, ist allerdings nicht immer gut gelungen. Die Berichte über Waffenstillstände und Verhandlungen haben auch in unseren Reihen immer wieder zu Verunsicherung geführt und es ist der Kampagne Riseup4Rojava nur teilweise gelungen, Klarheit über die tatsächliche Situation vor Ort herzustellen.

Da der Krieg die ganze Zeit weitergeht, aber im Vergleich zu den ersten Wochen an Intensität nachgelassen hat, müssen wir dafür sorgen, dass langfristig Informationen verbreitet werden und der Widerstand sich verstetigt, anstatt abzuflauen, und immer weitere Teile der Gesellschaft einbezieht. Bisher wurden Aktionen wie Blockaden und Demonstrationen, die unter dem Namen Riseup4Rojava durchgeführt wurden, von Menschen getragen, die auch zuvor schon zu dem Thema aktiv waren. Es wurde nur in Ansätzen geschafft, neue Kreise zu gewinnen.

Dabei ist Rojava weltweit in den Herzen der Menschen verwurzelt. Das ist auch ein Erfolg der langfristigen Zusammenarbeit von kurdischer Bewegung und internationalistischen Organisationen. Weltweit haben wir klargemacht, dass die Besetzung Nordsyriens nicht akzeptiert wird.

Diese Haltung hat sich inzwischen auch über die klassischen Solidaritätsstrukturen und linken Bewegungen hinaus verbreitet. Die Rolle von Riseup4Rojava sehen wir weiterhin darin, die Ablehnung des türkischen Faschismus in konkrete und koordinierte Handlungen umzusetzen. Riseup4Rojava wird weiterhin daran arbeiten, diese Haltung zu einer bedeutenden gesellschaftlichen Kraft werden zu lassen und damit den türkischen Faschismus zu isolieren.

Den Bezug zu Rojava setzen wir nicht nur in eigenen Aktionen, sondern er wurde auch in weiteren Kämpfen sichtbar: beispielsweise am 25.11., bei den weltweiten Demonstrationen gegen Gewalt an Frauen. Oder am 29.11., während des globalen Klimastreiks. Denn alle diese Themen sind miteinander verbunden. Wir können nicht über das Klima sprechen, ohne auch über das Patriarchat zu sprechen. Rojava verbindet all diese Themen und zeigt eine Perspektive für eine befreite Gesellschaft auf. Die Kampagne Riseup4Rojava verteidigt so auch genau diese Perspektive.


 Kurdistan Report 207 | Januar/Februar 2020